Senatus consultum de Gnaeo Pisone patre
Das Senatus consultum de Gnaeo (Cn.) Pisone patre („Senatsbeschluss über Gnaeus [abgekürzt Cn.] Piso den Vater") ist ein römischer Senatsbeschluss aus dem Jahr 20 n. Chr. Wiedergegeben werden in dem Beschluss der Verfahrensverlauf und das Urteil eines historisch bedeutsamen Strafprozesses. Angeklagt waren der bekannte Politiker und Statthalter von Syria, Gnaeus Calpurnius Piso [1] – Vater des gleichnamigen späteren Konsuls des Jahres 27 (insoweit der Zusatz patre in der Beschlussüberschrift) sowie des Marcus Calpurnius Piso – und seine Komplizen wegen des Verbrechens des Hochverrats (perduellio). Verhandelt wurde das crimen maiestatis vor dem römischen Senat. Ein persönliches Urteil gegen Piso unterblieb, da der sich dem Verfahren durch Suizid entzogen hatte. Überliefert ist der Beschluss auf einer Bronzetafel,[2] aufgeführt im vollständigen Wortlaut über 176 Zeilen.[3]
Die Bedeutung des Beschlusses für die Nachwelt geht darauf zurück, dass er wichtige – sonst nicht verfügbare – Informationen zum Familien- und Erbrecht der frühen Kaiserzeit bereithält. Auskunft gibt er nicht nur über die eigenwillige senatorische Regulatorik der Mitgiftbestellung bei ungeklärten Familienverhältnissen (dos und peculium ), er zeigt eine ebenso eigenwillige rechtliche Gestaltung von Vermächtnissen und (Auflagen-)Schenkungen auf.[4] Hierbei entsteht ein Nachbildungsfall, denn es werden die allein für Erbgänge und Vermächtnisse geltenden Regeln auf Schenkungen angewendet. Beide Vollzugsakte entstammen nicht dem familiären Umfeld, sie werden stattdessen vom Senat – aus zudem konfisziertem Vermögen eines Familienmitglieds, dieses wiederum beschwert mit einem Vermächtnis – verfügt.
Der Inhalt des Konsults war lange verborgen gewesen, bis die Rechtsforschung in Spanien auf eine bei geheimen Durchsuchungen mit Metalldetektoren in den 1980er Jahren gefundene Inschrift aufmerksam wurde. Ab Anfang der 1990er Jahre wurde die Inschrift untersucht. Zwar ist der Prozess gegen Gnaeus Calpurnius Piso aus der ausführlichen Geschichtsschreibung des Tacitus (Annales 2,34–3,18) bezeugt und lange bekannt, eine Textsynopse ergibt neben den zahlreichen Übereinstimmungen, etliche jeweils solitäre Informationen. Diejenigen aus der Inschrift sind umso wertvoller, als sie sehr jung sind.
Zum Prozess gegen Gnaeus Calpurnius Piso kam es, weil er, nachweislich verstrickt in jahrelange amtsmissbräuchliche persönliche Bereicherungen in Syrien, sich dafür zu verantworten hatte, und überdies unverhohlen und in aller Öffentlichkeit seiner Freude über den ungeklärten Tod seines Widersachers Germanicus, der ihm auf die Schliche gekommen war, Ausdruck verliehen hatte. Brisant war sein Verhalten für den Prozess, weil Germanicus von Augustus für die Nachfolge des aktuell regierenden Kaisers Tiberius auserkoren war. Dieser nunmehr vereitelte Begleitumstand rief ein besonders hohes Interesse der Allgemeinheit hervor. Dazu erklärte sich der Senat und berichtete über den Prozessverlauf. Im Fokus des rechtlichen Interesses stand neben Piso seine Familie, neben beiden Söhnen auch eine Calpurnia Cn. Pisonis filia, deren Verwandtschaftsverhältnis zu Piso (Tochter oder Enkelin) ungeklärt ist, was rechtliche Spekulationen über die Handhabe der Verteilung des pisonischen Vermögens nach urteilsbedingter Konfiskation auslöst. Die etablierten Rechtsregeln konnten möglicherweise nur durch kreative Rechtsnachbildungen und Analogien zum Zuge kommen. Jedenfalls erlangten die Söhne das Vermögen zu gleichen Teilen, unter den Umständen aber, dass es sich um einen ungewöhnlichen Fall der Staatsschenkung handelte. Die zugewendeten „Erbteile" waren zudem beschwert durch ein Vermächtnis an Calpurnia, dessen Nachbildung über ein peculium legatum beziehungsweise eine dos legata das Nachvollziehen erschweren, da sich Widersprüche zu genuinen Rechtsbedingungen eröffnen lassen.[5]
Inschriftlich überliefert ist noch die damnatio memoriae des Piso.[6]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]- José Luis Alonso, Ulrike Babusiaux: Papyrologische und epigraphische Quellen. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Band 1 §§ 1–58. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5, S. 222–317, hier S. 290 (Rn. 150).
- Felice Mercogliano: Rosario de Castro-Camero, El crimen maiestatis a la luz del Senatus Consultum de Cn. Pisone patre. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung), Band 119, Heft 1, 2002. S. 529–536. (Sprache: Italienisch).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]- ↑ Tacitus, Annalen 2,34; Sueton, Tiberius 52,3 (online).
- ↑ CIL II, 2, 5, 900.
- ↑ Zu Einzelheiten, Werner Eck, Antonio Caballos, Fernando Fernández: Das Senatus consultum de Cn. Pisone patre (= Vestigia. Band 48). C. H. Beck, München 1996, ISBN 3-406-41400-1.
- ↑ Die Inschrift wird als aufsehenerregender Fund beschrieben, als „the Princess of Inscriptions", vgl. Johannes Platschek: Römisches Recht in Bronze – Der Senatsbeschluss de Cn. Pisone patre als Quelle des römischen Familien- und Erbrechts. In: Forum historiae iuris (FHI), 2009, Rn. 4 und 6–8, 9 ff. (online).
- ↑ Johannes Platschek: Römisches Recht in Bronze – Der Senatsbeschluss de Cn. Pisone patre als Quelle des römischen Familien- und Erbrechts. In: Forum historiae iuris (FHI), 2009, Rn. 14–22 (online).
- ↑ Senatus consultum de Gnaeo Pisone Patre in der Epigraphischen Datenbank Heidelberg mit weiterführenden Literaturangaben; AE 1996, 885