Schattenkabinett Beck/Goerdeler
Das Schattenkabinett Beck/Goerdeler bezeichnet die potentielle Reichsregierung nach einem geglückten Attentat auf Hitler sowie eine Liste weiterer Personen, welche hohe Staatsfunktionen hätten übernehmen sollen.
Im Vorlauf des Attentats vom 20. Juli 1944 kam es von verschiedenen Seiten, u. a. vom Kreisauer Kreis, zu Planungen und Überlegungen für ein Deutschland nach Hitler. Die Organisatoren des Attentats auf Hitler einigten sich auf Carl Goerdeler als neuen Kanzler und Generaloberst a. D. Ludwig Beck als Reichsverweser, also als provisorisches Staatsoberhaupt. Neben Goerdeler war zeitweise auch der Sozialdemokrat Julius Leber als Kanzler im Gespräch. Eine feststehende Kabinettsliste schien auch am 20. Juli noch nicht zu bestehen, was an der teilweise mehrfachen Besetzung eines Ministeriums zu erkennen ist. Einige potentielle Minister und Politische Beauftragte wurden lediglich von den Verschwörern vorgeschlagen, ohne selbst davon erfahren zu haben. Die Konsequenzen (Verhaftung und häufig Tod) mussten sie nach dem Scheitern trotzdem mittragen. Von Seiten der Sozialdemokraten und Gewerkschaftern war die Gründung einer Einheitsgewerkschaft geplant.
Reichsverweser und andere hohe Staatsämter
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Amt | Name | Gruppe |
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Reichsverweser/Generalstatthalter[Anm. 1] | Ludwig Beck | Heer |
Reichstagspräsident | Paul Löbe | SPD |
Reichsbankpräsident | Karl Blessing | Beamter |
Präsident des Reichsgerichts | Hans Koch | Bekennende Kirche |
Präsident des Reichskriegsgerichts | Hans Oster | Abwehr |
Chef der Polizei | Henning von Tresckow | Heer |
Landesverweser Bayern | Eduard Hamm | DDP |
Oberpräsident Schlesien [Anm. 2] | Franz Leuninger | Zentrum |
Regierungspräsident Breslau | Michael Graf von Matuschka | Zentrum |
Sprecher der Reichsregierung | Theodor Haubach | SPD |
Reichspressechef | Otto Kiep | Diplomat |
Reichsregierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Es wurden im Laufe der Zeit mehrere Ministerlisten ausgearbeitet, darunter eine Otto Schniewind (Januar 1943), eine Friedrich Freiherr von Teuchert (August 1943) und eine Joseph Ersing (Januar 1944) vorgelegte. Hier wird die von der Gestapo gemeldete, vermutlich jüngste Ministerliste dargestellt, die großteils den Mitteilungen Jakob Kaisers (Juli 1944) entspricht und frühere Vorschläge entsprechend gekennzeichnet.
Reichskabinett
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda sollte aufgelöst werden und die Ministerien für Luftfahrt und Rüstung in einem wiedererrichteten Reichskriegsministerium aufgehen. Ein Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete war nicht mehr vorgesehen.
In einem Bericht der Gestapo vom 29. September 1944 werden außerdem Erich Hoepner (Krieg) Erich Fellgiebel (Post) und Albert Speer (Rüstung) genannt.
Staatssekretäre
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Folgende Personen sollten nach dem Gestapo-Bericht vom 29. September 1944 Staatssekretäre werden:
Amt | Name | Gruppe |
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Reichsverweser | Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld [2] | Heer |
Reichskanzlei | Peter Graf Yorck von Wartenburg [3] Otto Kiep (Leiter Presseabteilung) |
Jurist Diplomat |
Reichsministerium des Innern | Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg [4] | Jurist |
Reichskriegsministerium [Anm. 9] | Friedrich Olbricht und Claus Schenk Graf von Stauffenberg | Heer |
Reichswirtschaftsministerium | Friedrich Ernst | Jurist |
Reichsfinanzministerium | Hans Helferich | Jurist |
Reichsjustizministerium | Walter Kriege | Jurist |
Reichskultusministerium | Hermann Kaiser | Heer |
Reichsverkehrsministerium | Gustav Koenigs | Jurist |
Ob und wann diese Liste zusammengestellt wurde, ist unbekannt. Möglicherweise handelt es sich um eine Zusammenstellung der Gestapo auf Grundlage von Vernehmungen.
Für den Fall des Weiterbestands des Ernährungsministeriums war Wilhelm Roloff die schriftliche Zusage gegeben worden, dort Staatssekretär zu werden. Sein Name fehlt auf der Liste der Gestapo.
Politische Beauftragte und Verbindungsoffiziere
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Wehrmacht
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Amt | Name | Gruppe |
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Oberbefehlshaber der Wehrmacht | Erwin von Witzleben | Heer |
Stellv. Reichskriegsminister, Oberbefehlshaber im Heimatkriegsgebiet und Befehlshaber des Ersatzheeres | Erich Hoepner | Heer |
Militärische Leitung Niederlande und Belgien | Wilhelm Staehle | Abwehr |
Das Oberkommando der Wehrmacht sollte in ein neues Offiziersamt, das Reichskriegsministerium und den Großen Generalstab neu gegliedert werden. Die Oberkommandos des Heeres und der Luftwaffe sollten in diesen Behörden aufgehen.[5]
Einheitsgewerkschaft
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Amt | Name | Gruppe |
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Ehrenvorsitzender | Alwin Brandes | SPD |
Mitglied der Reichsleitung | Theodor Leipart | Gewerkschaft |
Abteilungsleiter (Jugend oder ausländischer Arbeiter) | Walter Maschke | Gewerkschaft |
Abteilungsleiter Personal und Organisation | Hermann Schlimme | Gewerkschaft |
Abteilungsleiter Presse | Richard Seidel | SPD |
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]- Gerhard Ritter: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. 4. Auflage, DVA, Stuttgart 1984, Vollständige Ministerlisten im Anhang, S. 617–621; ISBN 3-421-06181-5.
- Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin Biographien
- Rudolf Lill: Josef Wirmer. in: Museumsverein Warburg (Hrsg.): Josef Wirmer – ein Gegner Hitlers. Aufsätze und Dokumente, Hermes, Warburg 1981, S. 35–50. ISBN 3-922052-17-7 (= Warburger Schriften, Bd. 4 ISSN 0344-9556 ).
Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]- ↑ Provisorisches Staatsoberhaupt. Die Frage nach der künftigen Staatsform (Republik oder Monarchie) nach einem geglückten Attentat auf Hitler war im Goerdeler-Kreis stark umstritten, jedoch wurde die Restitution des deutschen Kaisertums unter Louis Ferdinand von Preußen oder Rupprecht von Bayern in einer zu errichtenden parlamentarischen Monarchie von vielen Widerstandskämpfern, darunter Goerdeler selbst, Kurt von Plettenberg und Henning von Tresckow, befürwortet. Vgl. dazu Axel Freiherr von dem Bussche-Streithorst: Zur Erinnerung an Kurt Plettenberg. Münster, 1985, sowie Prinz Louis Ferdinand von Preußen: Im Strom der Geschichte.
- ↑ Schlesien war seit 1941 in die Provinzen Nieder- und Oberschlesien geteilt, was Beck und Gördeler nach der Denkschrift Das Ziel beibehalten wollten. Evtl. war nur Oberschlesien gemeint.
- ↑ Auch zuständig für Arbeit.
- ↑ Der Fortbestand dieses Ministeriums oder dessen Eingliederung in das Wirtschaftsministerium war unklar.
- ↑ Auch zuständig für die kirchlichen Angelegenheiten.
- ↑ Auch zuständig für Post.
- ↑ Im Gespräch waren Matthäus Herrmann, Otto Lenz, Cuno Raabe, Gustav Koenigs und Adam Stegerwald.
- ↑ Ein Vertreter der CS oder der SDAPÖ, vermutlich Heinrich Gleißner oder Karl Seitz
- ↑ Mit einem vorbereiteten Erlaß des Reichsverwesers Beck über die vorläufige Kriegsspitzengliederung (Online) sollten im wieder zu errichtenden Reichskriegsministerium ein 1. Staatssekretär für Organisation und Ausbildung, ein Staatssekretär für die Rüstung und ein Staatssekretär für die Luftfahrt zu ernennen.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]- ↑ BArch NS 6/12 Blatt 82: Kaltenbrunner-Bericht vom 6. September 1944. Schattenkabinett Beck-Goerdeler mit Namensnennung von Wilhelm zur Nieden.
- ↑ Gedenkstätte Deutscher Widerstand - Biografie. Abgerufen am 23. Januar 2022.
- ↑ Gedenkstätte Deutscher Widerstand - Biografie. Abgerufen am 23. Januar 2022.
- ↑ Gedenkstätte Deutscher Widerstand - Biografie. Abgerufen am 23. Januar 2022.
- ↑ Hans Rothfels: 20. Juli 1944. In: Bundeszentrale für Politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte . Nr. 29, 1960 (bpb.de).