Das Rechtswesen im antiken Rom, ursprünglich geprägt durch rein gewohnheits- und sakralrechtliche Züge, erfuhr bereits in der frühen Republik mit dem Zwölftafelgesetz(lex duodecim tabularum) eine systematische Kodifikation des ius civile. Damit war der Zivilbevölkerung eine verbindliche, weil nachlesbare, Rechtsordnung gegeben. Intendiert war sie durch die gesellschaftliche Bereitschaft, willkürlichen Maßnahmen entgegenzuwirken und ein Prinzip der Rechtssicherheit zu etablieren. Insbesondere waren es die Ständekämpfe, die sich zwischen den Patriziern und Plebejern ereigneten, die zu diesem Ergebnis beitrugen und letztlich gesellschaftlich stabilisierten. Das Gesetzeswerk der XII Tafeln wurde um 450 v. Chr. verfasst. Im Rahmen eines nicht kodifizierten Staatsrechts(ius publicum), regelten straf- und privatrechtliche Normen das ius privatum. Das Zivilrecht war tief gegliedert und behandelte Rechtsmaterien um das Sachen-, Obligationen-, Erb- und Familienrecht. Außerdem regelten die XII Tafeln die Prozessmaterien gleich mit.
In Abweichung zum bürgerlichen Rechtswesen basierte militärische Rechtsprechung nicht auf förmlichem Gesetz. Vergleichbar der Gewaltstellung des Familienoberhaupts gegenüber seinem Hausstand, beruhte die Legitimation des Feldherrn gegenüber seinen Soldaten weiterhin auf ungeschriebenem Gewohnheitsrecht.[1] Das Rechtsverhältnis zwischen Rom und anderen Volksgruppen wurde durch das ius gentium gleichsam völkerrechtlich bestimmt. Neben den zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen wurde der bilaterale Handelsverkehr geregelt.[2]
Die altrömische Rechtsprechung gründete sich auf unstrukturiertem Gewohnheits- und Sakralrecht. Dieses regelte zum einen religiöse Angelegenheiten, die die Bürgergemeinde tangierten und zum anderen profane private Rechtsstreitigkeiten, die im Streitfall in gerichtlichen Einzelfallentscheidungen mündeten. Die Rechtsfindung oblag dem König und einem Priesterkollegium, das dem königlichen Oberpriester in seinen Entscheidungen beratend zur Seite stand. Die auf religiösen und sittlichen Grundsätzen beruhende alte Rechtsprechung der römischen Königszeit entwickelte sich während der Römischen Republik kontinuierlich zu einer sachlich-juristisch interpretierten Jurisdiktion, die während der Kaiserzeit ihren Höhepunkt erreichte. Das archaische Sakralrechtswesen mit seinen Satzungen, Vorschriften und religiösen Verbrechenstatbeständen, wie dem Crimen incesti, verblieb in der Gerichtsbarkeit des Priesterkollegiums unter dem Vorsitz des Pontifex maximus.
Das Zwölftafelgesetz, auch das Grundgesetz Roms genannt,[3] bildete den ersten Gesetzeskodex der alten Römer. Es trat etwa 450 v. Chr. in Kraft. Eine schriftliche Fixierung des Rechts war nötig geworden, weil bislang nur die adeligen Patrizier und die Priester mit den Rechtstraditionen vertraut waren. Die Priester galten als Hüter des Gesetzes, aber durch dessen willkürliche Auslegung konnte Gerechtigkeit (iustitia) nicht gewährleistet werden, insbesondere gegenüber den Plebejern, die bis zu den Standeskämpfen vor dem Senat kein Gehör fanden. Eine vom Senat beauftragte Zehnerkommission, die Decemviri Consulari Imperio Legibus Scribundis, reiste eigens nach Griechenland, um sich mit dem dortigen Rechtswesen zu befassen. Mitgebracht wurden Anregungen, die vermischt mit der eigenen Rechtstradition zu Gesetzen formuliert wurden.[4] Verfolgt wurde das Ziel, dass jeder Bürger seine Rechte und Pflichten kennt. Das Regelwerk »Zwölftafelgesetz«[5] wurde vermutlich auf zwölf Tafeln aus Holz oder Bronze niedergeschrieben. Diese wurden auf dem Forum Romanum an der Rostra aufgestellt, so dass sie jedem zugänglich waren. Die Tafeln mit den Gesetzen selbst sind vermutlich während der „Gallierkatastrophe" nach der Schlacht an der Allia 387 v. Chr. zerstört worden. Durch überlieferte Zitate, Kommentare historischer Gelehrter, Politiker und Juristen wie Cicero, Festus, Gellius, Plinius dem Älteren und der klassischen Juristen Gaius und Ulpian lässt sich der Inhalt des Zwölftafelgesetzes jedoch rekonstruieren.[6] Dabei können Regelwerke aus dem Zivil- und Strafrecht sowie dem allgemeinen Verwaltungsrecht, das Regeln über die öffentliche Sicherheit und Ordnung fixierte, zusammengetragen werden.[7]
Im Laufe der Zeit wurden die Gesetze durch die regelmäßigen Edikte der Prätoren (= Verantwortliche für das Gerichtswesen) bei ihrem Amtsantritt ergänzt, z. B. das edictum perpetuum des praetor urbanus. Die jährlich nachfolgenden Magistrate konnten diese Verfügungen ihrer Amtsvorgänger übernehmen, abändern oder erweitern. Hieraus entwickelte sich neben dem Gewohnheits- und Gesetzesrecht (ius civile) das prätorische Recht (ius praetorium).
Nach dem Ende der Republik kamen zu den erwähnten Rechtsquellen noch die juristischen Senatsgutachten (senatus consulta) und insbesondere die Kaiserkonstitutionen (Reden und Edikte des Kaisers, Reskripte, Dekrete und juristische Briefe des Kaisers) hinzu.
Das römische Privatrecht wurde in Obligationenrecht, Sachenrecht, Familien- und Erbrecht unterteilt. Das Obligationenrecht regelte das Recht der Schuldverhältnisse. Die Obligation regelte wie im heutigen Schuldrecht das synallagmatische Verhältnis zwischen Gläubiger (creditor) und Schuldner (debitor). Nach der damals herrschenden Rechtsmeinung römischer Juristen entstanden solche obligatorischen Rechte entweder durch ein Versprechen (promissio) oder einen Vertrag (contractu), deren Einhaltung auf gerichtlichem Weg erzwungen werden konnte. Eine solche Verpflichtung (Deliktsobligation) konnte auch durch ein Vergehen (delicto) entstehen, indem Rechtsgüter wie Eigentum, Ehre, Willensentschließungsfreiheit oder körperliche Unversehrtheit durch eine rechtswidrige Handlung verletzt wurden. Im Zivilrecht wurden die Obligationen in grundverschiedene Tatbestandskategorien unterteilt:
Eine natürliche Person konnte sich im Rahmen eines Schuldverhältnisses verpflichten, indem sie ein Darlehen aufnahm. Dieses wurde in der Regel mittels Bestellung einer Sicherheit auf bestehenden Grundbesitz (Hypothek) gesichert oder durch Übergabe wertvoller beweglicher Sachen als Sicherheit. Daneben haftete der Schuldner zeitweise auch mit seiner persönlichen Freiheit. So konnte er neben einer Inhaftierung auch für Zwangsarbeit zur Ableistung seiner Schuld herangezogen werden.[11] Diese aus dem Privatrecht herführende Rechtsfolge traf zumindest den säumigen Schuldner, welcher durch seine persönliche Verpfändung (nexum) aller Bürgerrechte verlustig gehen und als Sklave ins Ausland verkauft (Trans tiberim) werden konnte.[12]
Im Zusammenhang mit dem Zivilprozessrecht ist ein Gerichtsfall aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. belegt, der dessen Anwendung und Praxis verdeutlicht. In sachlicher Hinsicht erhob ein Gläubiger Klage, weil er ein Darlehen ausgezahlt hatte, das ihm bei Fälligkeit vom Schuldner nicht zurückerstattet worden war. Der Gläubiger hatte jedoch das Problem, die Zahlung des Kredites nicht beweisen zu können, weil weder ein schriftlicher Vertrag vorlag, noch seine Rechnungsbücher (tabulis) entsprechenden Eintrag vorwiesen noch letztlich Zeugen (testibus) zum Beweis zur Verfügung standen. Das Leistungsversprechen lag insoweit in einer bloßen mündlichen Vereinbarung. Zwar besaß der Gläubiger einen hervorragenden Leumund (ferme bonus), wohingegen der des Schuldner als schändlich und von lasterhaftem Lebenswandel geprägt galt. Vorangegangene, ähnlich gelagerte Delikte ließen die Verpflichtungsfrage als bloße Makulatur erscheinen. Als er aber vom Prätor verlangte, dass Beweismittel wie der zugrundeliegende Darlehenseintrag (expensi latione), ein besiegelter Schuldschein(tabularum obsignatione) vorgelegt würden, aber nicht beigebracht werden konnten, entschied das Gericht, trotz großer Bedenken, „im Zweifel für den Beklagten" (in dubio pro reo), was zum Freispruch führte.[13]
Das Sachenrecht beruhte auf dem noch heute gültigen Prinzip des Erwerbs vom (Nicht-)Berechtigten. Unterschieden wurde bereits zwischen Übereignungen kraft bloßen Besitzes (possessio) und Übereignungen kraft Eigentums (dominium). Eigentumsrechte an Sachen, Sklaven(instrumenti genus vocale) wurden darunter subsumiert,[14] erlangte man durch Erwerb oder kraft Erbschaft.
Das Familienrecht regelte gesetzlich neben dem Eherecht[15], die väterliche Gewalt[16] sowie die durch Blutsverwandtschaft und Heirat entstandenen Verwandtschaftsverhältnisse. Hierauf basierend wurde die Einrichtung der Vormundschaft(tutela) begründet, wodurch eine handlungsfähige Person (tutor) die Rechts- und Vermögensangelegenheiten einer handlungsunfähigen Person wahrnehmen konnte.
Das Erbrecht[17] legte fest, dass neben den gesetzlichen Erben auch solche Personen bedacht werden mussten, die der Erblasser nach billigem Ermessen hätte entlohnen müssen. Mit dem Erbantritt wurden neben Besitz und Eigentum auch alle Verbindlichkeiten des Erblassers übernommen. Ein schriftliches Testament wurde nach herrschendem Recht als authentisch anerkannt, wenn es mit dem Siegel von mindestens sieben Zeugen versehen war.
Das römische Strafrecht befasste sich mit Hochverrat (perduellio), Überschreitung der Amtsgewalt (maiestas laesa), Unterschlagung öffentlicher Gelder (peculatus), Amtserschleichung (ambitus), Gewalttätigkeit (vis), Unzucht (incestum), Mord (parricidium), Münzen- und Urkundenfälschung sowie Meineid (falsum) und Tempelraub (sacrilegium). Ein besonderer Tatbestand des Amtsmissbrauchs war die Ausbeutung und Erpressung von Provinzen (pecuniae repetundae).
Das Strafverfahren wurde in der Regel durch Anzeige (nominis delatio) des Geschädigten eingeleitet. Anzeige konnte jedoch jeder Bürger erstatten, ohne selbst betroffen oder geschädigt zu sein.[18] Da der römischen Rechtsordnung die Institution einer Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde unbekannt war, wurden die Anklage (actio) und deren Vertretung vor Gericht durch den anzeigenden Bürger selbst, bzw. durch den von ihm beauftragten Rechtsanwalt wahrgenommen.[19] Bei einer Sammelklage, durch mehrere Ankläger, wurde mittels einer Voruntersuchung seitens des zuständigen Gerichtshofs der Hauptankläger (accusator) bestimmt.[20]
Die Rechtsprechung erfolgte von 509 bis 366 v. Chr. durch die Konsuln. Später übernahmen die jährlich zu wählenden Prätoren die Judikation und auch den Vorsitz der jeweiligen Geschworenengerichte (quaestiones perpetuae), die seit 149 v. Chr. als Organ der Rechtspflege etabliert worden waren. Die Prätoren übten ihr Amt unabhängig voneinander aus und stellten so im Gegensatz zum Konsulat keine kollegiale Behörde dar. Ranghöchster Prätor war derjenige, welcher für die Rechtsfälle römischer Bürger zuständig war (praetor urbanus). Streitigkeiten zwischen Römern und Fremden, sowie von Fremden untereinander regelte der praetor peregrinus.[21] Alljährlich wurde eine Liste von Geschworenen erstellt (album iudicum), aus welcher der Prätor für jeden Prozess die benötigte Kopfzahl auswählte und beeidete. Der Zuständigkeitsbereich der Geschworenengerichte wurde nach Deliktstypen und -tatbeständen abgegrenzt, beispielsweise Mord oder Amtsmissbrauch/Erpressung.
Einen populären Fall des Amtsmissbrauchs stellt der Prozess des Cicero gegen Gaius Verres dar.[22] Gaius Verres war in den Jahren 73–71 v. Chr. Gouverneur in Sizilien. Er beutete diese Provinz dermaßen zu seiner persönlichen Bereicherung aus, dass sich Gesandte nach Beendigung seiner Amtszeit in Rom einfanden, um dort Strafklage wegen Erpressung gegen ihn einzureichen. Nach dem geltenden Recht mussten sich die ausländischen Ankläger eines römischen Anwalts bedienen, um ihre Sache vor dem Geschworenengericht einbringen zu können. Die Gesandtschaft betraute Cicero mit ihrem Ansinnen. Dieser nahm die Sache an und musste sich zuerst einer von der Gegenpartei initiierten Voruntersuchung stellen, um die Anklage vor dem Geschworenengericht als Hauptankläger überhaupt vertreten zu können. Die Anklage verzögerte sich deshalb um mehrere Monate, die der Prozessgegner durch die anstehenden Neuwahlen ihm geneigter Prätoren zu seinem Vorteil auszunutzen gedachte. Cicero sammelte indes eine solche Fülle von unwiderlegbaren Zeugen- und Sachbeweisen, dass es der Gegenseite trotz der verschiedensten politischen Winkelzüge und ausgeklügelten Prozessverschleppungstaktiken letztendlich nicht gelang, einer Überführung vor dem Gericht in einem Repetundenverfahren (Rückforderungsprozeß) zu entgehen. Verres selbst war, was ihm nach geltendem Recht bis zu seiner Verurteilung freistand, ins Exil nach Massilia (Marseille) entflohen.
Die Prozessordnungsunterteilung (formula) war abhängig von der Art des Delikts. Handelte es sich um ein Vergehen im strafrechtlichen Sinne, also um ein auch die Allgemeinheit (delicta publica) schädigendes Delikt, so wurde die strafprozessuale Verfahrensweise angewandt. Wurde hingegen das Rechtsgut, welches im Privatrecht aufgeführt war, eines einzelnen Privatmannes verletzt (delicta privata), fand die Zivilprozessordnung Anwendung.[23]