Eulerkreisproblem
Ein Eulerkreis (auch geschlossener Eulerzug, Eulertour) ist in der Graphentheorie ein Zyklus, der alle Kanten eines Graphen genau einmal enthält.
Ein offener Eulerzug (auch Eulerpfad oder Eulerweg) ist gegeben, wenn Start- und Endknoten nicht gleich sein müssen, wenn also statt eines Zyklus lediglich eine Kantenfolge verlangt wird, welche jede Kante des Graphen genau einmal enthält. Ein bekanntes Beispiel ist das „Haus vom Nikolaus".
Ein zusammenhängender Graph, der einen Eulerkreis besitzt, heißt eulerscher Graph. Enthält ein Graph lediglich einen Eulerweg und keinen Eulerkreis, so heißt er semi-eulerscher Graph. Die Aufgabe, zu einem gegebenen Graph zu bestimmen, ob dieser eulersch ist oder nicht, wird als Eulerkreisproblem bezeichnet. Es geht auf das 1736 von Leonhard Euler gelöste Königsberger Brückenproblem zurück. Das Problem existiert auch für gerichtete Graphen und Graphen mit Mehrfachkanten.
Entgegen seinem Namen ist der Eulerkreis kein Kreis, zumindest wenn der häufigen Definition gefolgt wird, nach der sich in einem Kreis kein Knoten wiederholen darf.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Leonhard Euler fragte in seiner Arbeit 1736 zum Königsberger Brückenproblem – übersetzt in die heutige Fachsprache –, ob der durch die Brücken der Stadt gegebene Graph ein semi-eulerscher Graph ist, das heißt, ob ein Eulerweg existiert, und verneinte dies, da der Graph mehr als zwei Knoten mit ungeradem Grad hatte. Euler bewies, dass ein semi-eulerscher Graph höchstens zwei Knoten ungeraden Grades haben kann.[1] Er vermutete und gab ohne Beweis an, dass dies eine hinreichende Bedingung sei: Ein zusammenhängender Graph, in dem jeder Knoten geraden Grad hat, ist ein Eulergraph. Ein Beweis des Satzes wurde zuerst von Carl Hierholzer 1873 veröffentlicht.[2] Auf dem Beweis basiert der Algorithmus von Hierholzer zum Auffinden eines Eulerwegs.
Charakterisierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Nach dem Satz von Euler-Hierholzer sind eulersche Graphen leicht zu charakterisieren.
Sei G ein Graph, bei dem höchstens eine Zusammenhangskomponente Kanten enthält. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:
- G ist eulersch,
- jeder Knoten in G hat geraden Grad.
- die Kantenmenge von G ist die Vereinigungsmenge aller Kanten von paarweise disjunkten Kreisen.
Analog sind für einen gerichteten Graphen G, bei dem höchstens eine starke Zusammenhangskomponente Kanten enthält, folgende Aussagen äquivalent:
- G ist eulersch,
- für jeden Knoten in G sind Eingangsgrad und Ausgangsgrad gleich.
- die Kantenmenge von G ist die Vereinigungsmenge aller Kanten von paarweise disjunkten gerichteten Kreisen.
Verallgemeinerung: Eulerweg
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Ein ungerichteter zusammenhängender Graph enthält genau dann einen Eulerweg, wenn zwei oder keiner seiner Knoten von ungeradem Grad sind. Hat kein Knoten einen ungeraden Grad, handelt es sich bei jedem Eulerweg um einen Eulerkreis.
Entscheidungsproblem
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Die Frage, ob für einen gegebenen Graph ein Eulerkreis existiert, lässt sich algorithmisch relativ leicht lösen, da ein Graph genau dann eulersch ist, wenn er zusammenhängend ist und jeder Knoten geraden Grad besitzt. Mittels Tiefensuche lässt sich dies leicht in linearer Zeit feststellen.
Auffinden eines Eulerkreises
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Zum Auffinden eines Eulerkreises existieren mehrere Verfahren. Der Algorithmus von Fleury stammt aus dem Jahr 1883 und verfolgt einen sehr einfachen Ansatz, weshalb er eine Laufzeit von der Größenordnung {\displaystyle {\mathcal {O}}(|E|^{2})} hat.
Effizienter ist der Algorithmus von Hierholzer, der einen Eulerkreis in Linearzeit berechnet.
Algorithmus von Fleury
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Im Algorithmus von Fleury spielen Brückenkanten eine wichtige Rolle. Das sind Kanten, ohne die der Graph in zwei Komponenten zerfallen würde.
Der Algorithmus fügt einer anfangs leeren Kantenfolge alle Kanten eines Graphen hinzu, sodass ein Eulerkreis entsteht.
- Wähle einen beliebigen Knoten als aktuellen Knoten.
- Wähle unter den unmarkierten, mit dem aktuellen Knoten inzidenten Kanten eine beliebige Kante aus. Dabei sind zuerst Kanten zu wählen, die im unmarkierten Graphen keine Brückenkanten sind.
- Markiere die gewählte Kante und füge sie der Kantenfolge hinzu.
- Wähle den anderen Knoten der gewählten Kante als neuen aktuellen Knoten.
- Wenn noch unmarkierte Kanten existieren, dann gehe zu Schritt 2.
Ob eine Kante eine Brückenkante ist, kann mittels Tiefensuche in Laufzeit {\displaystyle {\mathcal {O}}(|E|)} überprüft werden. Da pro Schritt eine Kante entfernt wird, werden {\displaystyle \left|E\right|} Iterationen benötigt. Die Anzahl der pro Iteration geprüften Kanten entspricht dem Grad des aktuellen Knotens. Insgesamt kann die gesamte Anzahl überprüfter Kanten durch {\displaystyle {\mathcal {O}}(|E|)} beschränkt werden. Die gesamte Laufzeit ist damit von der Größenordnung {\displaystyle {\mathcal {O}}(|E|^{2})}.
Programmierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Das folgende Beispiel in der Programmiersprache C# zeigt die Implementierung des Algorithmus von Fleury für einen ungerichteten Graphen. Der ungerichtete Graph wird als Klasse UndirectedGraph deklariert. Bei der Ausführung des Programms wird die Methode Main verwendet, die den Eulerkreis oder Eulerpfad auf der Konsole ausgibt.[3]
usingSystem; usingSystem.Collections.Generic; // Deklariert die Klasse für die Knoten des Graphen classNode { publicintindex; publicstringvalue; publicHashSet<Node>adjacentNodes=newHashSet<Node>();// Menge der Nachbarknoten } // Deklariert die Klasse für den ungerichteten Graphen classUndirectedGraph { publicHashSet<Node>nodes=newHashSet<Node>(); // Diese Methode verbindet die Knoten node1 und node2 miteinander. publicvoidConnectNodes(Nodenode1,Nodenode2) { node1.adjacentNodes.Add(node2); node2.adjacentNodes.Add(node1); } // Diese Methode trennt die Knoten node1 und node2 voneinander. publicvoidDisconnectNodes(Nodenode1,Nodenode2) { node1.adjacentNodes.Remove(node2); node2.adjacentNodes.Remove(node1); } } classProgram { // Diese Methode gibt die Eulerpfad, die als Liste von Knoten übergeben wird, in der Form (A, B), (B, C), (C, D), ... als Text zurück. publicstaticstringEulerPathToString(List<Node>nodeList) { stringtext=""; for(inti=0;i<nodeList.Count-1;i++)// for-Schleife, die die Knoten durchläuft { text+="("+nodeList[i].value+", "+nodeList[i+1].value+"), "; } text=text.Substring(0,text.Length-2); returntext; } // Diese Methode gibt die Liste der durchlaufenen Knoten zurück publicstaticList<Node>GetEulerPathByFleury(UndirectedGraphundirectedGraph,NodestartNode) { // Behandelt den Fall, dass es zwei Knoten mit ungeradem Grad gibt und sucht einen Knoten mit ungeradem Grad foreach(NodenodeinundirectedGraph.nodes)// foreach-Schleife, die alle Knoten des Graphen durchläuft { if(node.adjacentNodes.Count%2==1)// Wenn der Grad des aktuellen Knoten ungerade ist { startNode=node;// Knoten als Startknoten auswählen und foreach-Schleife verlassen break; } } List<Node>nodeList=newList<Node>();// Initialisiert die Liste der durchlaufenen Knoten NodenextNode=null;// Referenz auf den jeweils nächsten Knoten der Eulerpfad, die gegebenenfalls nach dem vollständigen Durchlaufen der Kanten für den letzten Knoten (Zielknoten) benötigt wird. AddNextEulerPathNode(undirectedGraph,startNode,refnextNode,nodeList);// Aufruf der rekursiven Methode, die jeweils den nächsten Knoten hinzufügt if(nextNode!=null) { nodeList.Add(nextNode);// Wenn Referenz nicht null, Zielknoten hinzufügen } returnnodeList; } // Rekursive Methode, die jeweils den nächsten Knoten hinzufügt privatestaticvoidAddNextEulerPathNode(UndirectedGraphundirectedGraph,NodestartNode,refNodenextNode,List<Node>nodeList) { HashSet<Node>adjacentNodes=newHashSet<Node>(startNode.adjacentNodes); foreach(NodenodeinadjacentNodes) { if(startNode.adjacentNodes.Contains(node)&&IsValidNextEdge(undirectedGraph,startNode,node)) { nextNode=node; nodeList.Add(startNode); undirectedGraph.DisconnectNodes(startNode,node); AddNextEulerPathNode(undirectedGraph,node,refnextNode,nodeList);// Rekursiver Aufruf der Methode } } } // Diese Methode prüft, ob sich mit der aktuellen Kante die Eulerpfad vervollständigen lässt privatestaticboolIsValidNextEdge(UndirectedGraphundirectedGraph,Nodenode1,Nodenode2) { if(node1.adjacentNodes.Count==1&&node1.adjacentNodes.Contains(node2)) { returntrue; } HashSet<Node>visitedNodes=newHashSet<Node>(); DepthFirstSearch(node1,visitedNodes); intcount1=visitedNodes.Count; undirectedGraph.DisconnectNodes(node1,node2); visitedNodes.Clear(); DepthFirstSearch(node1,visitedNodes); intcount2=visitedNodes.Count; undirectedGraph.ConnectNodes(node1,node2); returncount1==count2; } // Diese Methode verwendet Tiefensuche, um alle erreichbaren Knoten des Graphen zu durchlaufen privatestaticvoidDepthFirstSearch(NodestartNode,HashSet<Node>visitedNodes) { visitedNodes.Add(startNode);// Fügt den aktuellen Knoten der Menge der markierten Knoten hinzu foreach(NodenodeinstartNode.adjacentNodes)// foreach-Schleife, die alle benachbarten Knoten des Knotens durchläuft { if(!visitedNodes.Contains(node))// Wenn der Knoten noch nicht markiert wurde { DepthFirstSearch(node,visitedNodes);// Rekursiver Aufruf der Methode mit dem Nachbarknoten als Startknoten } } } // Hauptmethode, die das Programm ausführt publicstaticvoidMain() { // Deklariert und initialisiert 5 Knoten Nodenode1=newNode{index=0,value="A"}; Nodenode2=newNode{index=1,value="B"}; Nodenode3=newNode{index=2,value="C"}; Nodenode4=newNode{index=3,value="D"}; Nodenode5=newNode{index=4,value="E"}; // Deklariert und initialisiert ein Array mit den Knoten Node[]nodes={node1,node2,node3,node4,node5}; // Erzeugt einen ungerichteten Graphen UndirectedGraphundirectedGraph=newUndirectedGraph(); intnumberOfNodes=nodes.Length; for(inti=0;i<numberOfNodes;i++)// for-Schleife, die alle Knoten durchläuft { undirectedGraph.nodes.Add(nodes[i]);// Fügt die Knoten dem Graphen hinzu } // Verbindet Knoten des Graphen miteinander undirectedGraph.ConnectNodes(node2,node1); undirectedGraph.ConnectNodes(node1,node3); undirectedGraph.ConnectNodes(node3,node2); undirectedGraph.ConnectNodes(node1,node4); undirectedGraph.ConnectNodes(node4,node5); undirectedGraph.ConnectNodes(node4,node3); undirectedGraph.ConnectNodes(node4,node2); undirectedGraph.ConnectNodes(node3,node5); List<Node>eulerPath=GetEulerPathByFleury(undirectedGraph,node1);// Aufruf der Methode, die die Liste der durchlaufenen Knoten zurückgibt if(eulerPath.Count==9)// Wenn die Anzahl der durchlaufenen Knoten um 1 größer als die Anzahl aller Kanten ist { stringeulerPathText=EulerPathToString(eulerPath);// Aufruf der Methode Console.WriteLine(eulerPathText);// Ausgabe auf der Konsole } else { Console.WriteLine("Es existiert kein Eulerpfad.");// Ausgabe auf der Konsole } Console.ReadLine(); } }
Hinweise: Sowohl für das Referenzieren der Knoten des ungerichteten Graphen als auch für das Referenzieren der Nachbarknoten jedes Knoten wird ein HashSet (Menge) als Datentyp verwendet und mit foreach-Schleifen durchlaufen. Der Vorteil des HashSet für die Nachbarknoten im Vergleich zu einer Liste ist, dass dann meist viel schneller, nämlich mit konstanter Laufzeit, geprüft werden kann, ob ein bestimmter Knoten Nachbarknoten eines anderen Knoten ist (siehe Hashtabelle – Vorteile). Ein Nachteil ist, dass dann die Reihenfolge der durchlaufenen Knoten in den foreach-Schleifen und damit auch die Reihenfolge der ausgegebenen Knoten des Eulerpfads nicht eindeutig oder teilweise zufällig ist.
Im Programmbeispiel wird nur einer der möglichen Eulerpfade bestimmt und ausgegeben, falls einer existiert.
Statt dem HashSet (Menge) visitedNodes kann auch eine Liste oder ein Array vom Typ bool (Boolesche Variable) verwendet werden, wie im Einzelnachweis gezeigt.[3]
Vermutung von Hajos
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Nach der im Allgemeinen ungelösten Zyklenvermutung von György Hajós über Kreiszerlegung von Eulergraphen von 1968 können Eulergraphen mit {\displaystyle n} Knoten in höchstens {\displaystyle {\frac {1}{2}}(n-1)} Kreise zerlegt werden. Die Vermutung wurde für kleine Graphen ({\displaystyle n\leq 12}) 2017 bewiesen[4] und für Pfadweite kleiner oder gleich 6.[5]
Anwendungsbeispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Das Königsberger Brückenproblem
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Das Königsberger Brückenproblem lässt sich in folgendem Graphen ausdrücken:
Die Kreise (Knoten) sind die jeweiligen Stadtteile bzw. Standpunkte. Die Linien (Kanten) sind die Brücken. Durch Probieren wird herausgefunden, dass es nicht möglich ist, einen Rundgang durch die Stadt zu finden, bei dem jede Brücke genau ein einziges Mal benutzt wird. Es gibt also keinen Eulerweg und demzufolge auch keinen Eulerkreis. Warum ist das so?
Euler hat die folgende Gesetzmäßigkeit entdeckt: Wenn in einem Graphen G ein Eulerweg existiert, dann haben maximal 2 Knoten ungeraden Grad. Beim Königsberger Brückengraphen gibt es vier Knoten mit ungeradem Grad. Die Zahlen neben den Knoten geben in der Abbildung deren Grad an. Deshalb ist der Stadtrundgang mit dem nur einmaligen Benutzen jeder Brücke unmöglich.
Ein ungerader Knoten ist entweder Anfang oder Ende des Weges über die Brücken: null ungerade Knoten würde bedeuten, dass Anfang und Ende des Weges in Königsberg identisch sind. Ein Weg mit Anfang und Ende hätte maximal zwei ungerade Knoten. Ergo ist es in Königsberg nicht möglich gewesen, alle Brücken in einem Wege nur jeweils einmal zu begehen.
Das Haus vom Nikolaus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Das beliebte Kinderrätsel „Das ist das Haus vom Nikolaus" hingegen enthält einen Eulerweg, aber keinen Eulerkreis, da sein Graph zwei Knoten vom Grad 3 enthält.
Solch ein Eulerweg ist 1-2-4-3-1-4-5-3-2. Knoten 1 und 2 haben jeweils 3 Nachbarn, ihr Grad ist also ungerade. Um das Haus in einem Zug zeichnen zu können, muss daher an einem dieser beiden Punkte begonnen werden. Ein Quadrat mit Diagonalen enthält keinen Eulerweg, da alle seine Knoten den Grad 3 haben. Im Bild sind das nur die Punkte 1, 2, 3, 4 mit den verbindenden Kanten.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]- Wladimir Velminski: Leonhard Euler. Die Geburt der Graphentheorie. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2008, ISBN 978-3-86599-056-3.
- Reinhard Diestel: Graphentheorie. 3. Auflage. Springer, 2006, ISBN 3-540-21391-0, S. 23–24
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]- ↑ Brian Hopkins, Robin J. Wilson: The Truth about Königsberg. In: The College Mathematics Journal. Band 35, Nr. 3, 2004, Paragraphen 20 und 21, doi:10.1080/07468342.2004.11922073 .
- ↑ Hierholzer Über die Möglichkeit, einen Linienzug ohne Wiederholung und ohne Unterbrechung zu umfahren, Mathematische Annalen, Bd. 6, 1873, S. 30–32, Online
- ↑ a b GeeksforGeeks: Fleury’s Algorithm for printing Eulerian Path or Circuit
- ↑ Irene Heinrich, Marco Natale, Manuel Streicher, Hajós' cycle conjecture for small graphs, Arxiv 2017
- ↑ Elke Fuchs, Laura Gellert, Irene Heinrich: Cycle decompositions of pathwidth-6 graphs, Arxiv 2017