Euler-Maruyama-Verfahren
Das Euler-Maruyama-Verfahren, oft auch Euler-Maruyama-Schema oder stochastisches Euler-Schema genannt, ist das einfachste Verfahren zur numerischen Lösung von stochastischen Differentialgleichungen. Es wurde erstmals in den 1950er-Jahren durch den japanischen Mathematiker Gisiro Maruyama untersucht und basiert auf dem von Leonhard Euler stammenden expliziten Euler-Verfahren zur Lösung gewöhnlicher (deterministischer) Differentialgleichungen.
Während das explizite Euler-Verfahren seit seiner Erfindung ständig verbessert und weiterentwickelt wurde (implizites Euler-Verfahren, Runge-Kutta-Verfahren, Mehrschrittverfahren) und selbst dadurch an praktischer Bedeutung verloren hat, ist Euler-Maruyama mangels entsprechender Alternativen noch immer das in der Praxis dominierende Verfahren.
Formulierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Gegeben sei ein Wiener-Prozess {\displaystyle (W_{t})_{t\geq 0}} sowie dazu folgendes stochastisches Anfangswertproblem (S-AWP):
- {\displaystyle \mathrm {d} S_{t}=a(t,S_{t}),円\mathrm {d} t+b(t,S_{t}),円\mathrm {d} W_{t},\quad S_{0}=A}.
Zur Berechnung einer numerischen Näherungslösung auf dem Intervall {\displaystyle [0,T]} mit {\displaystyle T>0} werden wie beim gewöhnlichen Euler-Verfahren diskrete Zeitpunkte
- {\displaystyle 0=t_{0}<t_{1}<\dots <t_{n}=T}
mit {\displaystyle t_{k}=kh} und Schrittweite {\displaystyle h={\tfrac {T}{n}}}, {\displaystyle n\in \mathbb {N} } gewählt. Zusätzlich wird das stochastische Differential {\displaystyle \mathrm {d} W_{t}} durch die Zuwächse
- {\displaystyle \Delta W_{k}:=W_{t_{k+1}}-W_{t_{k}},\quad k=0,\ldots ,n-1}
ersetzt. Aus den Eigenschaften des Wiener-Prozesses folgt, dass die {\displaystyle \Delta W_{k}} unabhängig und normalverteilt mit Erwartungswert {\displaystyle 0} und Varianz {\displaystyle h} sind.
Das Euler-Maruyama-Verfahren berechnet damit eine Approximation {\displaystyle {\hat {S}}} von {\displaystyle S} folgendermaßen:
- {\displaystyle {\begin{aligned}{\hat {S}}_{0}&=A,,円\\{\hat {S}}_{k+1}&={\hat {S}}_{k}+a(t_{k},{\hat {S}}_{k})\cdot h+b(t_{k},{\hat {S}}_{k})\cdot \Delta W_{k}\quad k=0,\ldots ,n-1,円.\end{aligned}}}
Dann ist {\displaystyle {\hat {S}}_{k}} eine Näherung für {\displaystyle S_{t_{k}}}.
Konvergenz des Verfahrens
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Das wichtigste theoretische Resultat bezüglich des Maruyama-Schemas beschreibt dessen starke Konvergenz (oder stochastische Konvergenz) gegen die gesuchte Lösung {\displaystyle S}: Eine Folge von stochastischen Prozessen {\displaystyle \left(S_{t}^{(n)}\right),\;0\leq t\leq T,\;n\in \mathbb {N} } auf einem gemeinsamen Wahrscheinlichkeitsraum konvergiert definitionsgemäß stark mit Ordnung {\displaystyle q} gegen einen Prozess {\displaystyle (S_{t}),\;0\leq t\leq T}, wenn es eine Konstante {\displaystyle c} gibt, so dass für alle {\displaystyle t\in [0,T]}:
- {\displaystyle E(|S_{t}^{(n)}-S_{t}|)\leq cn^{-q}\;\;\forall t\in [0,T]}.
Im Falle des Maruyama-Schemas kann nun gezeigt werden: Die Diskretisierung {\displaystyle ({\hat {S}}_{t})} konvergiert für {\displaystyle n\to \infty } stark mit Ordnung {\displaystyle {\tfrac {1}{2}}} gegen die Lösung {\displaystyle S} des S-AWP, wenn für alle reellen Zahlen {\displaystyle x} und alle positiven {\displaystyle s,t} die folgende Schranke gilt:
- {\displaystyle |a(s,x)-a(t,x)|+|b(s,x)-b(t,x)|\leq K(1+|x|){\sqrt {(|t-s|)}}}.
Von schwacher oder Verteilungskonvergenz mit Ordnung {\displaystyle q} spricht man hingegen, wenn für eine Konstante {\displaystyle c} gilt:
- {\displaystyle |E(f(S_{t}^{(n)}))-E(f(S_{t}))|\leq cn^{-q}\;\;\forall t\in [0,T]}
für alle Funktionen {\displaystyle f}, die mindestens {\displaystyle (2q+2)}-mal stetig differenzierbar sind und deren sämtliche Ableitungen durch Polynome beschränkt sind.
Für hinreichend glatte Koeffizientenfunktionen {\displaystyle a} und {\displaystyle b} hat das Euler-Maruyama-Verfahren typischerweise die schwache Konvergenzordnung {\displaystyle q=1}.
Bemerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]- Es gibt auch Lösungsverfahren höherer starker Ordnung als das Euler-Maruyama-Verfahren, etwa das Milstein-Verfahren, das meist Ordnung 1 erreicht. Diese Verfahren sind aber numerisch aufwändiger und resultieren nicht immer in einer schnelleren Konvergenz.
- Die oben angeführte Bedingung für die starke Konvergenz mit Ordnung 0,5 ist nur wenig strenger als die Bedingung an a und b, die die Existenz der Lösung S sicherstellt. Sie ist also beinahe immer erfüllt.
- An starker Konvergenz ist man in der Praxis nur sehr selten interessiert, da zumeist nicht eine spezielle Lösung zu einem speziellen Wiener-Prozess gesucht wird, sondern vielmehr eine Stichprobe aus der Wahrscheinlichkeitsverteilung des Prozesses, wie man sie beispielsweise für Monte-Carlo-Verfahren benötigt.
- Ein implizites Maruyama-Schema als Analogon zum impliziten Euler-Verfahren ist nicht möglich; dies liegt an der Definition des (stochastischen) Ito-Integrals, über das stochastische Differentialgleichungen definiert sind und das Funktionen immer am Anfang eines Intervalls auswertet (siehe dort). Implizite Verfahren konvergieren also hier gegen teilweise völlig falsche Ergebnisse.
- Die übliche Simulation einer brownschen Bewegung durch eine Gaußsche Irrfahrt kann als Anwendung des Euler-Maruyama-Schemas auf die triviale Differentialgleichung {\displaystyle \mathrm {d} S_{t}=1,円\mathrm {d} W_{t},\;\;S_{0}=0} interpretiert werden.
Beispiel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Der folgende Beispielcode zeigt die Implementierung des Euler-Maruyama-Verfahrens zur Berechnung des Ornstein-Uhlenbeck-Prozesses als Lösung des Anfangswertproblems {\displaystyle dY_{t}=\theta \cdot (\mu -Y_{t})dt+\sigma dW_{t},\;\;Y_{0}=IC} in Python (3.x):
import numpy as np import matplotlib.pyplot as plt tBegin=0 tEnd=2 dt=.00001 t = np.arange(tBegin, tEnd, dt) N = t.size IC=0 theta=1 mu=1.2 sigma=0.3 sqrtdt = np.sqrt(dt) y = np.zeros(N) y[0] = IC for i in range(1,N): y[i] = y[i-1] + dt*(theta*(mu-y[i-1])) + sigma*np.random.normal(loc=0.0,scale=sqrtdt) fig, ax = plt.subplots() ax.plot(t,y) ax.set(xlabel='t', ylabel='y', title='Euler-Maruyama-Verfahren zur Berechnung eines \n Ornstein-Uhlenbeck-Prozesses mit $\\theta=1,ドル $\mu=1.2,ドル $\sigma=0.3$') ax.grid() plt.show()
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]- Paul Glasserman: Monte Carlo Methods in Financial Engineering. Springer 2003, ISBN 0-387-00451-3