Rudolph Bauer
Rudolph Bauer (* 1939 in Amberg/Oberpfalz) war bis 2002 Professor für Sozialpädagogik / Sozialarbeitswissenschaft an der Universität Bremen. Er ist wissenschaftlicher und literarischer Autor, Essayist, Publizist und Bildender Künstler.
Leben
Nach dem Abitur 1959 am Humanistischen Gymnasium in Amberg studiert Bauer – mit Unterbrechungen, u. a. durch ein Volontariat bei der Amberger und der Sulzbach-Rosenberger Zeitung – an den Universitäten in München, Erlangen, Frankfurt am Main und Konstanz. Neben Germanistik (bei Hans Schwerte in Erlangen) belegt er Soziologie (bei Georg Weippert, Erlangen, sowie bei Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas und Claus Offe in Frankfurt am Main), Philosophie (bei Wilhelm Kamlah, Paul Lorenzen, Kuno Lorenz und Jürgen Mittelstraß) und Politikwissenschaft. Im letztgenannten Fach promoviert er 1967 bei Waldemar Besson und Wolf-Dieter Narr mit einer Arbeit über den Kulturpolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestages 1949-1965.
Stationen seiner beruflichen Laufbahn sind die Studiengruppe für Systemforschung in Heidelberg und Bonn, das Paritätische Bildungswerk in Frankfurt/Main, ein Forschungsauftrag der Stadt Offenbach/Main zur Erstellung eines Sozialen Entwicklungsplans für den Stadtteil Marioth (heute Lohwald; siehe die spätere Buchveröffentlichung „Obdachlos in Marioth. Von der Notunterkunft zum ‚modernen Asyl’", Weinheim und Basel 1980) und das Psychologische Institut der Universität Gießen, wo Bauer in einem Projekt unter der Leitung von Karl Herrmann Wewetzer arbeitet. 1970 wird er als Vertretungsprofessor auf den Giessener Lehrstuhl des Interessenverbände-Forschers Heinz Josef Varain berufen.
1972 erfolgt seine Berufung als Professor (zunächst Assistenzprofessor) an die neu gegründete „Reformuniversität" Bremen. Hier engagiert er sich in den Anfangsjahren bei der Konzipierung des (in dieser Form neuen) universitären Studiengangs Sozialpädagogik. Er ist ferner in einer Reihe fächerübergreifender sozialwissenschaftlicher Projekte aktiv. Hochschulpolitisch wirkt er in der Gründungszeit in zentralen Gremien der Universität (u. a. im Konvent und im Akademischen Senat). 1979/80 wird er beurlaubt und arbeitet ein Jahr lang als „ausländischer Experte" bei der Vorbereitung des Deutsch-Chinesischen Lexikons am Fremdsprachen-Institut Nr. 1 in Beijing - heute: Fremdsprachenuniversität Peking - (mit anschließender Veröffentlichung von „China lacht. Zeitgenössische Karikaturen", Wien 1983).
In den 1980er und 1990er Jahren ist Bauer während mehrerer Legislaturperioden Fachbereichssprecher (Dekan). Zusammen mit Jürgen Blandow und Manfred Max Wambach gründet er das Institut für Lokale Sozialpolitik und Nonprofit-Organisationen, dem er als Sprecher (Direktor) vorsteht.
Wissenschaftliche Arbeitsschwerpunkte
In den 30 Jahren seiner Tätigkeit als Lehrender und Forscher positioniert sich Bauer auf drei Themengebieten: erstens auf dem Feld der Soziologie gesellschaftlicher Minderheiten und der Methoden der sog. „Randgruppenarbeit"; zweitens bei der Analyse von historischen, aktuellen und vergleichenden Fragen der Sozial- und Wohlfahrtspolitik im lokalen, gesamtstaatlichen und europäischen Kontext; drittens auf dem Gebiet der Analyse Sozialer Bewegungen (siehe Soziale Bewegung) bzw. ihrer Institutionalisierung in Form von intermediären Organisationen (siehe Intermediäres System]. Hierbei gilt sein Interesse vor allem den Wohlfahrtsverbänden (siehe Freie Wohlfahrtspflege und – allgemeiner – dem „Dritten Sektor" (sieheDritter Sektor zwischen Staat/Politik, Markt/Ökonomie und Lebenswelt) sowie unterschiedlichen Handlungsansätzen im Bereich der Selbstorganisation.
Im Rahmen seiner Arbeit zu gesellschaftlichen Randgruppen und den Fragen der darauf gerichteten Politik und Hilfemaßnahmen thematisiert er die Situation von Wohnungs- und Obdachlosen (siehe Obdachlose), worüber er zusammen mit einer Autorengruppe eine „Denkschrift und Materialien zum UNO-Jahr für Menschen in Wohnungsnot" (Bremen 1987) veröffentlicht, von Sinti und Roma (Herausgabe der Reihe „Veröffentlichungen zur Situation der ‚Zigeuner’ in der Bundesrepublik Deutschland / Pressespiegel I – III", Bremen 1980-1982), von Heimzöglingen (mit Cord Bösenberg „Heimerziehung in der DDR", Frankfurt am Main und New York 1979) sowie von Behinderten, alten Menschen, Migranten, Strafgefangenen und -entlassenen.
Im Gegenstandsbereich Freie Wohlfahrtspflege veröffentlicht Bauer die erste (und damit bahnbrechende) Monographie über „Wohlfahrtsverbände in der Bundesrepublik" (Weinheim und Basel 1978). Zur Thematisierung dieses speziellen Forschungsfeldes an der Schnittstelle von Soziologie, Politikwissenschaft und Sozialarbeit/Sozialpädagogik trägt er maßgeblich bei als Organisator von Wissenschaftlichen Tagungen (1. Wohlfahrtsverbände-Tagung 1984 in Bremen) sowie als Autor und Herausgeber von Aufsatzsammlungen („Die liebe Not", Weinheim und Basel 1984; mit Hartmut Dießenbacher „Organisierte Nächstenliebe", Opladen 1984; mit Anna-Maria Thränhardt „Verbandliche Wohlfahrtspflege im internationalen Vergleich", Opladen 1987; „Sozialpolitik in deutscher und europäischer Sicht. Rolle und Zukunft der Freien Wohlfahrtspflege zwischen EG-Binnenmarkt und Beitrittsländern", Weinheim 1992; „Intermediäre Nonprofit-Organisationen in einem Neuen Europa", Rheinfelden und Berlin 1993).
Beim 23. Deutschen Soziologentag 1986 in Hamburg und auch in der Folgezeit ist Bauer Initiator der Ad-hoc-Gruppe „Soziologie der Wohlfahrtsverbände" (siehe Beiträge vom 25. Soziologentag in: Wolfgang Glatzer, Hrsg., „Die Modernisierung moderner Gesellschaften", Opladen 1991: 724-747 | ISBN 3-531-12184-7). Internationale Anerkennung erfährt seine Arbeit durch die Berufung 1988 als Senior Fellow in Philanthropy an das Institute for Policy Studies (heute: Center for Civil Society) der Johns Hopkins University in Baltimore/MD (siehe die dort erstellte Studie „The Private Social Welfare System in the United States and the Federal Republic of Germany: A General Comparison", Baltimore/MD 1989) 1990 wird er als deutsches Mitglied in das Editorial Board von „Voluntas", dem „International Journal of Voluntary and Non-Profit Organisations", berufen.
Bauers Verständnis der Wohlfahrts- und Sozialpolitik ist nicht eingeschränkt auf die klassische Soziale Sicherungs- und Sozialhilfepolitik, sondern umfasst ebenso die Gesundheits-, die (Aus-)Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Strafrechts-, Familien- und Wohnungspolitik. Auf diesen Gebieten gilt sein Erkenntnisinteresse vor allem der lokalen Ebene (Kommune, Gemeinde)sowie Fragen der Gemeinwesenarbeit und des Community Organizing. Ein Teil seiner zum Thema Lokale Sozialpolitik veröffentlichten Beiträge verdankt sich der Kooperation mit Rolf-Richard Grauhan (siehe Veröffentlichungen in Grauhan’s „Lokale Politikforschung 1", Frankfurt am Main 1975: 131-150 | ISBN 3-585-32510-6, und „Krise des Steuerstaats?", Opladen 1978).
Anfang der 1990er Jahre - im Umbruch der Wiedervereinigung und an der Schwelle zur neoliberalen Umsteuerung von Staat und Gesellschaft - gibt Bauer ein dreibändiges „Lexikon des Sozial- und Gesundheitswesens" (München und Wien 1992) heraus. Das Handwörterbuch – gleichsam ein sozialpolitisches Fazit des 20. Jahrhunderts in Deutschland – umfasst fachterminologische Erläuterungen, Kurzbiografien bedeutender Persönlichkeiten und Angaben über Organisationen und Institutionen, all dies sowohl mit aktuellem Bezug, als auch den jeweiligen geschichtlichen Hintergrund einbeziehend.
Gemeinsam mit Hans Pfaffenberger (Trier) und Franz Hamburger (Mainz) fungiert Bauer als Herausgeber der Reihe „Sozialpädagogik / Sozialarbeit im Sozialstaat" (LitVerlag, Münster und Hamburg 1993 ff.). Der in Zusammenarbeit mit Sigrid Betzelt verfasste Forschungsbericht „Nonprofit-Organisationen als Arbeitgeber" (Opladen 2000) und die Monographie „Personenbezogene Soziale Dienstleistungen. Begriff, Qualität und Zukunft" (Wiesbaden 2001) sind weitere Beispiele für Bauers interdisziplinäre Sicht- und Arbeitsweise bzw. seine Intention, den sozialwissenschaftlichen Kenntnisstand und die kritische Theorie fruchtbar zu machen für die Sozialarbeitswissenschaft. Seit 2006 befasst er sich in einer Reihe von Aufsatz-Veröffentlichungen mit dem Medienkonzern Bertelsmann AG und der Bertelsmann Stiftung (jüngste Veröffentlichung: „Bürgergesellschaft als Bertelsmann-Projekt", in Bode/Evers/Klein, Bürgergesellschaft als Projekt, Wiesbaden 2009: 265-291 | ISBN 978-3-531-16266-9).
Wissenschaftliche Buchveröffentlichungen (Auswahl)
Personenbezogene Soziale Dienstleistungen. Begriff, Qualität und Zukunft. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2001 | ISBN 3-531-13599-6
(gemeinsam mit Sigrid Betzelt) Nonprofit-Organisationen als Arbeitgeber. Opladen: Leske + Budrich 2000 | ISBN 3-8100-2912-2
(Hrsg.) Lexikon des Sozial- und Gesundheitswesens. 3 Bände (A-F; G-O; P-Z). 2. Auflage (1. Aufl. 1992). München, Wien: R. Oldenbourg Verlag 1996 | ISBN 3-486-21227-3
(Hrsg.): Intermediäre Nonprofit-Organisationen in einem Neuen Europa. Rheinfelden, Berlin: Schäuble Verlag 1993 (= Studien zur Vergleichenden Sozialpädagogik und Internationalen Sozialarbeit, Bd. 7) | ISBN 3-87718-594-0 | ISSN 0937-7727
(Hrsg.) Sozialpolitik in deutscher und europäischer Sicht. Rolle und Zukunft der Freien Wohlfahrtspflege zwischen EG-Binnenmarkt und Beitrittsländern. Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1992 | ISBN 3-89-271-349-9
(Hrsg.) Intermediarität und Modernisierung. Zur Soziologie von Wohlfahrtsorganisationen. Bremen: Universität 1991
(gemeinsam mit Anna-Maria Thränhardt; Hrsg.) Verbandliche Wohlfahrtspflege im internationalen Vergleich. Opladen: Westdeutscher Verlag 1987 | ISBN 3-531-11847-1
(gemeinsam mit Hartmut Dießenbacher; Hrsg.) Organisierte Nächstenliebe. Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfe in der Krise des Sozialstaats. 2. Auflage (1. Aufl. 1984). Opladen: Westdeutscher Verlag 1986 | ISBN 3-531-11702-5
Die liebe Not. Zur historischen Kontinuität der "Freien Wohlfahrtspflege". Weinheim, Basel: Beltz Verlag 1984 | ISBN 3-407-55628-4
(gemeinsam mit Josef Bura und Klaus Lang; Hrsg.) Sinti in der Bundesrepublik. Beiträge zur sozialen Lage einer verfolgten Minderheit. Bremen: Universität 1984 (= Veröffentlichungen zur Situation der 'Zigeuner' in der Bundesrepublik Deutschland, Nr. 4) | ISBN 3-88722-068-4 | ISSN 0720-8138
China lacht. Zeitgenössische Karikaturen. Wien: Europa Verlag 1982 (= Berichte des Ludwig Boltzmann Instituts für China- und Südostasienforschung, Nr. 16) | ISBN 3-203-50810-9
Obdachlos in Marioth. Von der Notunterkunft zum "modernen Asyl". Weinheim, Basel: Beltz Verlag 1980 | ISBN 3-407-55628-4
(gemeinsam mit Cord Bösenberg) Heimerziehung in der DDR. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag 1979 | ISBN 3-593-32382-6
Wohlfahrtsverbände in der Bundesrepublik. Materialien und Analysen zu Organisation, Programmatik und Praxis. Ein Handbuch. Weinheim, Basel: Beltz Verlag 1978 | ISBN 3-407-52500-1
Bundestag und Kulturpolitik. Untersuchung und Darstellung der Entwicklung, Zusammensetzung und Arbeit des Kulturpolitischen Ausschusses des Bundestages 1949-1965. Inaugural-Dissertation der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität zu Erlangen-Nürnberg, veröffentlicht als Dissertationsdruck
Kunstausstellungen (Auswahl)
eldorado '68 und andere paradiesgärtlein | bremen, atelierhof-galerie, 2007
tanger und anderorts | amberg, galerie "bilderbücher", 2007
glimpses of auroville | auroville (indien), center guest house, 2005
position und poesie: kunst bezieht stellung | bremen, galerie conelius hertz, 2005
bauer und bauer: dead and alive | bremen, atelierhof galerie 2004
frühjahrsausstellung 2004 | berlin, adverta medienetage, 2004
tradition und gegenwart | bremen, galerie afro asiatica, im schnoor, 2002
hinter-glas-bilder | bremen, galerie café grün, 2000
neue bilder | ostseebad baabe auf rügen, strandpavillon, 1994
masuren-bilder | burg rezel (polen), 1991
raum- und ausseninstallation im rahmen von „gezeiten III – kunst im unterweserraum"| meyenburg, gutshof lüder anton von wersebe, 1991
gezeiten III | schwanewede, begegnungsstätte, 1991
malerei auf packpapier | bremerhaven, kulturetage, 1988
arbeiten auf leinwand, holz und papier | helmstedt kloster st. marienberg, 1987
installation „die heiligen des friedens und der vereinigung" | bremen, café grün, 1987
texte und bilder | göttingen, galerie apex, 1987
arbeiten auf leinwand und holz | bremen, kunstforum walle, 1986
waste news papers | bremen, focus werkstatt, 1985
materie - aktion – form | bremen, kunstforum walle, 1984
Literarische Veröffentlichungen (Auswahl)
tanger und anderorts. Gedichte 2002 - 2006 | Bremen: Atlantik Verlag 2006 | ISBN 3-926529-99-7
Ätze terra. Literarische Texte | Gießen: Focus Verlag, Edition Literarischer Salon 1989 | ISBN 3-88349-380-5
Ittinger Vignetten. Gedichte | Warmbronn: Verlag Ulrich Keicher 1988 (Roter Faden 15) | ISBN 3-924316-24-4
Widerton. Gedichte | St. Ingbert: Werner J. Röhrig Verlag 1986 | ISBN 3-924555-11-7