Maurice Bavaud
Maurice Bavaud (* 15. Januar 1916 in Neuenburg, Schweiz; † 14. Mai 1941 in Berlin-Plötzensee; heimatberechtigt in Bottens) war ein Schweizer Seminarist, der 1938 plante, Adolf Hitler zu erschießen. Der Anschlag auf Hitler scheiterte, und nach seiner Festnahme wurde Bavaud in einem Geheimprozess vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Leben
Kindheit und Ausbildung
Maurice Bavaud wurde am 15. Januar 1916 in Neuenburg als erstgeborener Sohn des Postangestellten Alfred Bavaud und der Geschäftsfrau Hélène Bavaud-Steiner geboren. Zusammen mit seinen fünf jüngeren Geschwistern wuchs er in Neuenburg auf. Nach dem Besuch einer katholischen Privatschule absolvierte der sensible und musisch begabte Maurice Bavaud auf Druck des Vaters eine Lehre als technischer Zeichner. Danach besuchte er ein katholisches Gymnasium im Internat des katholischen Seminars Saint-Ilan bei Saint-Brieuc in der Bretagne, um eine Ausbildung zum Missionar bei dem Orden Pères du Saint-Esprit zu machen und später vielleicht in Afrika zu wirken. Nach drei Jahren brach der 22-Jährige Bavaud aber überraschend die Ausbildung ab und kehrte im Jahr 1938 in die Schweiz zurück.
Attentatsversuch auf Hitler
Wann genau er den Plan zum Attentat auf Hitler fasste, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall hatte Bavaud den Plan schon in dem französischen Internat mit einem Freund, dem Franzosen Marcel Gerbohay, besprochen. Im Oktober 1938 war Bavaud jedenfalls zum Handeln entschlossen. Am 9. Oktober 1938 reiste Bavaud nach Deutschland, wo er sich abwechselnd in München und Berchtesgaden aufhielt, dem Aufenthaltsort seines Zielobjektes Hitler nach aktueller Nachrichtenlage folgend. Bavaud wollte Hitler beim Gedenkmarsch am 9. November 1938 zur Münchner Feldherrnhalle erschießen. Dazu gab er sich als begeisterter Nazi aus, um als Zuschauer einen Platz auf der Ehrentribüne zu bekommen. In der Tasche seines Mantels versteckte er eine Pistole, mit der er zuvor Schiessübungen gemacht hatte. Das Attentat scheiterte, da Hitler von Bavaud zu weit entfernt war. Ausserdem versperrten umstehende Zuschauer die Sicht, da sie die Hände zum Hitlergruss ausgestreckt hatten. Auch in den nächsten Tagen konnte Bavaud nicht nahe genug an Hitler herantreten, so dass er aufgab und mit dem Zug nach Paris reisen wollte. Da sein Geld nicht mehr ausreichte, fuhr er ohne Fahrschein und geriet dabei in eine Kontrolle. Zuerst wurde er vom Amtsgericht in Augsburg am 6. Dezember 1938 wegen Fahrkartenbetrugs und unbefugten Waffentragens zu zwei Monaten und einer Woche Gefängnis verurteilt.
Bavaud in den Händen der Gestapo
Dann wurde Bavaud wegen der Pistole und auffälliger bei ihm gefundener Dokumente an die Gestapo übergeben, wo er in Berlin unter Folter die Attentatspläne gestand.
In einem Prozess vor dem Volksgerichtshof am 18. Dezember 1939 gab Bavaud als Motiv an, Hitler töten zu wollen, da jener eine Gefahr für die Menschheit, für die Unabhängigkeit der Schweiz und für den Katholizismus in Deutschland sei. Bavaud wurde nach kurzer Verhandlung zum Tode verurteilt. Das Verfahren blieb aber geheim und Bavaud blieb nahezu ohne Aussenkontakt. Nach dem Urteil wurde Bavaud ins Gefängnis Plötzensee transportiert.
Von den Diplomaten des damaligen Eidgenössischen Politischen Departements EPD, dem „Außenministerium" der Schweiz, wurde Bavaud im Stich gelassen. Hans Frölicher, Schweizer Botschafter in Berlin, verurteilte die Attentatspläne als verabscheuungswürdig. Er lehnte es ab, Bavaud die übliche Hilfe einer Auslandsvertretung zuteilwerden zu lassen. Wegen des fehlenden Druckes der Diplomaten auf die deutschen Behörden hatte Bavaud keinen Anwalt seines Vertrauens. Die Schweizer Diplomaten leiteten sogar eine Anfrage der deutschen Gestapo an die Schweizer Polizei weiter, in der nach Angaben über die privaten Verhältnisse gefragt wurde. Die Schweizer Polizei beantwortete diese Fragen heimlich und belastete damit Bavaud teilweise anstatt sie zurückzuweisen.[1] [2] Sie verletzte auch die Rechte der Familie von Bavaud. Die Diplomaten erfuhren erst nachträglich von dem Todesurteil gegen Bavaud. Selbst von der Hinrichtung wurden sie verspätet unterrichtet. Das Schweizer Politische Departement hatte es auch abgelehnt, den Vorschlag zu machen, Bavaud gegen einen deutschen Saboteur auszutauschen. Fragen des Vaters Alfred Bavauds nach seinem Sohn und Bitten um Unterstützung wurden von den Beamten des EPD nicht wahrheitsgemäß beantwortet.
Bavaud wurde am 14. Mai 1941 in dem Strafgefängnis Berlin-Plötzensee um sechs Uhr früh durch die Guillotine enthauptet.
Marcel Gerbohay
Bavaud hatte in seiner Haft zuerst behauptet, dass er von seinem Freund Marcel Gerbohay angestiftet worden sei. Das veranlasste die Gestapo, nach der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen nach Gerbohay zu fahnden. Gerbohay konnte sich zuerst verstecken und wurde erst nach Bavauds Hinrichtung am 1. Januar 1942 verhaftet.[3] Auch ihm wurde der Prozess gemacht und er wurde am 1. Januar 1943 zum Tode verurteilt und am 9. April 1943 in Berlin-Plötzensee geköpft.[4]
Rehabilitation
Ein erster durch seinen Vater angestrengter Versuch zur Rehabilitation endete am 12. Dezember 1955 mit einem Urteil des Landgerichts Berlin-Moabit, in dem die Strafe Maurice Bavaud postum reduziert wurde. Aber es blieb immer noch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes zu fünf Jahren Zuchthaus und zu fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Ehre bestehen. In der Urteilsbegründung hieß es: „Das Leben Hitlers ist [...] in gleicher Weise als geschütztes Rechtsgut anzuerkennen, wie das Leben eines jeden anderen Menschen. Ein Rechtfertigungsgrund im Sinne einer etwa erlaubten Diktatorentötung ist dem Strafrecht fremd."
Ein zweites Urteil hob 1956 das ursprüngliche auf. Die Bundesrepublik Deutschland sprach den Hinterbliebenen eine Wiedergutmachung in Höhe von 40.000 Schweizer Franken zu.
In der Schweizer Öffentlichkeit und auch in Deutschland geriet der Fall Bavaud in Vergessenheit. Erst in den 1970er Jahren begann durch die Publikationen von Peter Hoffmann, Rolf Hochhuth, Niklaus Meienberg und Klaus Urner eine neue Diskussion über den Schweizer Hitler-Attentäter. Auch im Film Es ist kalt in Brandenburg (Hitler töten) wurde der Fall aufgegriffen.
Der schweizerische Bundesrat räumte 1989 und erneut 1998[5] ein, dass sich die schweizerischen Behörden 1938–1941 nicht genügend für Bavaud eingesetzt hätten.
Aus Anlass des 70. Jahrestags des Attentats im Jahr 2008 forderte der Nationalrat Paul Rechsteiner in einer Motion den Bundesrat erneut zu einer Erklärung auf.[6] Bundespräsident Pascal Couchepin beantwortete diese Motion am 7. November 2008 mit einer öffentlichen schriftlichen Erklärung, die in der NZZ mit den Worten betitelt wurde: Couchepin gedenkt Hitler-Attentäter Maurice Bavaud.[7] Couchepin schrieb wörtlich: „Aus heutiger Sicht hatten sich die Schweizer Behörden damals zu wenig für den Verurteilten eingesetzt (...) Er hatte wohl das Verhängnis, das Hitler über die ganze Welt brachte, vorausgeahnt, und er verdient damit unsere Erinnerung und Anerkennung."[6]
Zum 70. Todestag veranstaltete die Universität Neuchâtel am 13. Mai 2011 ein Maurice-Bavaud-Symposium. Gleichzeitig wurde in Hauterive eine Gedenkstele für Bavaud eingeweiht.[8]
Zum 75. Jahrestag des gescheiterten Attentats von Bavaud auf Hitler und zum ebenfalls 75-jährigen Jahrestag der Reichspogromnacht, die auf das Attentat Herschel Grynszpans vom 7. November 1938 auf einen deutschen Botschaftsangehörigen in Paris folgte, fand am 9. November 2013 eine Gedenkveranstaltung in München statt. Das Comité Maurice Bavaud, die Georg Elser Gedenkstätte Königsbronn und die Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit luden zu einem Gedenknachmittag mit mehreren Veranstaltungen ein.[9]
Dabei waren unter anderem Adrien Bavaud, Bruder von Maurice, und der schweizerische Parlamentarier Paul Rechsteiner anwesend.[10]
Der Grüne Zürcher Gemeinderat Simon Kälin kämpft dafür, dass die Stadt Zürich einen Platz nach Bavaud benennt. Ob diesem Anliegen Erfolg beschieden sein wird, ist derzeit noch offen.[11]
Sonstiges
Als Reaktion auf die Attentatspläne Maurice Bavauds wurde auf persönlichen Befehl Hitlers die Aufführung von Friedrich Schillers Drama Wilhelm Tell in Deutschland sowie dessen Behandlung im Schulunterricht verboten. Eine Assoziation zwischen dem Schweizer Freiheitskämpfer und dem Attentäter sollte so vermieden werden.[12] [13]
Literatur
- Dokumente über die Kollaboration von Behörden der Demokratie Schweiz mit dem verbrecherischen Staat der Nationalsozialisten. Einsehbar auf der Homepage des Eidgenössischen Diplomatischen Dienstes Dodis. Der missglückte Attentäter.
- Der Stimme des Gewissens verpflichtet - bis zum Letzten: Maurice Bavaud: Theologiestudent und Hitler-Attentäter; Requiem wider das Vergessen vom 19. November 2009 (= Romero-Haus-Protokolle, Band 121), RomeroHaus, Luzern 2010, DNB 1007936312 .
- Otmar Hersche, Peter Spinatsch (Redaktion): Maurice Bavaud: ein 22jähriger Schweizer versucht 1938 Hitler aufzuhalten, Dokumentation zum 60. Todestag, übersetzt von Bertrand Schütz, Comité Maurice Bavaud, Bern 2001, DNB 967632129 .
- Rolf Hochhuth: Tell 38. Dankrede für den Basler Kunstpreis 1976 am 2. Dezember in der Aula des Alten Museums. Anmerkungen und Dokumente. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1979, ISBN 3-498-02849-9.
- Rolf Hochhuth: „Tell 38". Er wollte Hitler töten. Der Fall des Theologie-Studenten Maurice Bavaud. , in: Die Zeit , Nr. 52/1976, 17. Dezember 1976 (6 Seiten).
- Rolf Hochhuth: Tell gegen Hitler. Historische Studien. Mit einer Rede von Karl Pestalozzi. Insel, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-458-19119-4.
- Peter Hoffmann: Maurice Bavaud’s Attempt to Assassinate Hitler in 1938. In: George L. Mosse (Hrsg.): Police Forces in History. Sage Publications, London / Beverly Hills 1975, ISBN 0-8039-9934-8, S. 173–204.
- Niklaus Meienberg: Es ist kalt in Brandenburg. Ein Hitler-Attentat. Limmat, Zürich 1980; Wagenbach, Berlin 1990, ISBN 3-8031-2186-8.
- Martin Steinacher: Maurice Bavaud - verhinderter Hitler-Attentäter im Zeichen des katholischen Glaubens? (= Anpassung, Selbstbehauptung, Widerstand, Band 38). Lit, Münster / Berlin 2015, ISBN 978-3-643-12932-1.
- Klaus Urner: Der Schweizer Hitler-Attentäter. Drei Studien zum Widerstand und seinen Grenzbereichen. Systemgebundener Widerstand, Einzeltäter und ihr Umfeld, Maurice Bavaud und Marcel Gerbohay. Huber, Frauenfeld 1980, ISBN 3-7193-0634-8.
Weblinks
- Literatur von und über Maurice Bavaud im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Luc Weibel: Bavaud, Maurice. In: Historisches Lexikon der Schweiz .
- Homepage des Comité Maurice-Bavaud, das sich für die Erinnerung an Maurice Bavaud einsetzt.
- Stefan Keller: Grüezi, Herr Reichskriminaldirektor! Neue Dokumente im Fall Bavaud. Die WochenZeitung (WoZ), Nachdruck in Jungle World, 11. November 1998
- Klaus Urner. Ein Schweizer Held oder zwei Opfer der Nazijustiz? Zum Gedenken an Maurice Bavaud und Marcel Gerbohay. Neue Zürcher Zeitung, 7. November 1998, Nr. 259, S. 81 (Zeitfragen). (PDF-Datei; 44 kB)
- Todesurteil gegen Maurice Bavaud auf der Homepage Potsdamer Platz von Jochen Ziegelmann, Berlin
- www.cyranos.ch
- Peter Maxwill: Hitler-Attentäter Maurice Bavaud: Der Theologe, der den Tyrannen jagte. Spiegel Online, 7. November 2013.
Einzelnachweise
- ↑ http://jungle-world.com/artikel/1998/46/33077.html
- ↑ http://www.dodis.ch/~temp-cache/public/pdf/32000/dodis-32458.pdf.
- ↑ Peter Hoffmann: Maurice Bavaud’s Attempt to Assassinate Hitler in 1938. In: George L. Mosse (Hrsg.): Police Forces in History. Sage Publications, London 1975, ISBN 0-8039-9934-8, S. 204
- ↑ Klaus Urner. Ein Schweizer Held oder zwei Opfer der Nazijustiz? Zum Gedenken an Maurice Bavaud und Marcel Gerbohay. (PDF; 45 kB) Neue Zürcher Zeitung, (Zeitfragen) 7. November 1998, Nr. 259, S. 81.
- ↑ Maurice Bavaud. Rehabilitierung. Einfache Anfrage von Paul Rechsteiner vom 19. Juni 1997 und Stellungnahme des Bundesrates vom 1. April 1998.
- ↑ a b Erklärung zum 70. Jahrestag des Attentats von Maurice Bavaud auf Adolf Hitler. Motion von Paul Rechsteiner vom 3. Oktober 2008.
- ↑ Couchepin gedenkt Hitler-Attentäter Maurice Bavaud: Kritik am mangelnden Einsatz der Schweizer Behörden. NZZ, 7. November 2008.
- ↑ Gemeinsam einsam gegen Hitler
- ↑ Am 9. November 2013 fanden verschiedene Gedenkveranstaltungen statt, s. Homepage Maurice Bavaud CH unter aktuelles
- ↑ Rede des St. Galler Ständerats Paul Rechsteiner am 9. November 2013, in: SP-Pressediensthttp://www.sp-ps.ch/ger/Medien/Pressedienst/Pressedienst-Aktuelle-Ausgabe/Maurice-Bavaud-Es-gibt-Dinge-die-werden-mit-zunehmender-Entfernung-nicht-kleiner-sondern-groesser
- ↑ Kaspar Surber in: WochenZeitung/Zürich, 14. November 2013 http://www.woz.ch/1346/hitler-attentaeter-bavaud/alles-andere-als-verwirrt
- ↑ Berthold, Will: Die 42 Attentate auf Adolf Hitler. München-Breitbrunn 2008, S. 145.
- ↑ Peter Koblank: Adolf Hitler, Wilhelm Tell und Georg Elser , Online-Edition Mythos Elser 2008
Personendaten | |
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NAME | Bavaud, Maurice |
KURZBESCHREIBUNG | Schweizer Hitler-Attentäter |
GEBURTSDATUM | 15. Januar 1916 |
GEBURTSORT | Neuchâtel, Kanton Neuenburg, Schweiz |
STERBEDATUM | 14. Mai 1941 |
STERBEORT | Berlin-Plötzensee, Deutschland |