Kristallnacht ist eine Weiterleitung auf diesen Artikel. Weitere Bedeutungen sind unter Kristallnacht (Begriffsklärung) aufgeführt.
Der Begriff Novemberpogrome 1938 bezieht sich hauptsächlich auf die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, die ursprünglich Reichskristallnacht oder Kristallnacht genannt wurde. Jahrzehnte später wurde vorwiegend der Ausdruck Reichspogromnacht verwendet. Diese Pogrome waren vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden im Deutschen Reich.
Dabei wurden zwischen dem 7. und 13. November im ganzen Reichsgebiet mehrere hundert Juden ermordet, Schätzungen beziffern die Gesamtzahl der jüdischen Todesopfer der Pogrome auf 1000 bis 2000. Um die 1400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume jüdischer Menschen sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden gestürmt und zerstört. Ab dem 10. November folgten Deportationen jüdischer Menschen in Konzentrationslager. Mindestens 30.000 Menschen wurden dabei interniert, Hunderte starben an den Folgen der mörderischen Haftbedingungen oder wurden hingerichtet.
Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden ab 1933 hin zu ihrer systematischen Vertreibung und Unterdrückung. Inwieweit sie eine Vorstufe zu dem drei Jahre später beginnenden Holocaust darstellen, der Vernichtung allen jüdischen Lebens, ist in der Geschichtswissenschaft umstritten.
Bis heute werden zum Teil die zynischen und euphemistischen Bezeichnungen Kristallnacht oder Reichskristallnacht für die Übergriffe genutzt, welche auch Eingang in andere Sprachen fanden. Diese Begriffe entstanden aus dem Glitzern der vielen Glasscherben, die nach der exzessiven Gewalt die Straßen säumten.
Die Novemberpogrome 1938 steigerten den staatlichen Antisemitismus zur Existenzbedrohung für die Juden im ganzen Deutschen Reich. Entgegen der NS-Propaganda waren sie keine Reaktion des „spontanen Volkszorns" auf die Ermordung eines deutschen Diplomaten durch einen Juden.[1] Sie sollten vielmehr die seit Frühjahr 1938 begonnene gesetzliche „Arisierung", also die Enteignung jüdischen Besitzes und jüdischer Unternehmen planmäßig beschleunigen, mit der auch die Aufrüstung der Wehrmacht finanziert werden sollte.
Daraufhin ließ die antisemitische Gewalt von unten nach. Jüdische Unternehmen wurden zeitweise ausdrücklich nicht benachteiligt, um sensible Wirtschaftszweige nicht zu schädigen.[3] 1935 folgte eine zweite Welle antijüdischer Gewalt: Im März forderte Julius Streicher im NS-Hetzblatt Der Stürmer die Todesstrafe für „Rassenschande". Im Juli 1935 kam es zum zweiten Kurfürstendamm-Krawall. Wieder reagierte der Staat auf den Druck der Parteibasis: Am 8. August 1935 verbot Hitler „wilde Aktionen" gegen Juden, im September wurden die Nürnberger Gesetze erlassen.[4] Im Februar 1936 wollte ReichspropagandaministerJoseph Goebbels das Attentat des jüdischen Studenten David Frankfurter auf den NSDAP-Funktionär Wilhelm Gustloff für „Aktionen" gegen Juden ausnutzen, doch unterblieb dies, weil das NS-Regime die bevorstehenden Olympischen Sommerspiele zur NS-Propaganda benutzen wollte.[5]
1937 zeichnete sich ein Kurswechsel von der schleichenden Verdrängung der Juden aus der deutschen Privatwirtschaft zu ihrer schnellen Zwangsenteignung durch den Staat ab. Im Januar forderte der „Reichsführer SS" Heinrich Himmler erstmals öffentlich die „Entjudung Deutschlands", die das 25-Punkte-Programm der NSDAP 1920 als Ziel benannt hatte. Sie könne am besten durch Mobilisierung des „Volkszorns" und Ausschreitungen erreicht werden.[6] Im Oktober wies das „Kampfblatt" der SS, Das Schwarze Korps, auf die angeblich ungeschmälerte Macht der Juden in Handel und Industrie hin. Diese sei nicht länger zu dulden: „Heute brauchen wir keine jüdischen Betriebe mehr."[7]
Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht hatte bereits 1934 gegen Streichers Boykottkampagnen protestiert, weil sie das Weihnachtsgeschäft zu stören drohten.[8] Er wurde am 27. November 1937 abgelöst. Kurz darauf organisierte Streicher erneut einen Weihnachtsboykott gegen jüdische Geschäfte.[9]
1938 folgte die dritte Welle antisemitischer Gewalt:[10] Mit dem „Anschluss Österreichs" kamen 192.000 Juden zu den noch 350.000 Juden im „Altreich" hinzu, so dass nun 542.000 Juden im „Großdeutschen Reich" lebten. Vor allem in Wien mit neun Prozent jüdischem Bevölkerungsanteil kam es zu wochenlangen Ausschreitungen. SA-Schlägertrupps prügelten tausende jüdische Geschäftsinhaber aus ihren Läden, Betrieben und Wohnungen. Mittelständische NSDAP-Mitglieder ergriffen als „Kommissare" die Leitung geraubter Geschäfte. Sie sahen dies als „Wiedergutmachung" für Nachteile vor der „Reichseinung" und versuchten auch, Aufkäufen jüdischer Firmen durch kapitalkräftige deutsche Großkonzerne zuvorzukommen. Um die „wilden Enteignungen" zu stoppen, erklärte „Reichskommissar" Josef Bürckel die „Kommissare" am 13. April per Gesetz zu neuen Eigentümern, die nun ihr Betriebsvermögen anmelden mussten.[11]
Am 26. April 1938 erließ Göring ein Gesetz, das alle Juden des Reiches zwang, ursprünglich bis zum 30. Juni, später bis 31. Juli verlängert, ihr gesamtes Vermögen, sofern es 5.000 Reichsmark überstieg, detailliert beim Finanzamt offenzulegen. Man schätzte ihr Gesamtvermögen auf 8,5 Milliarden, den Anteil an liquiden Wertpapieren auf 4,8 Milliarden Reichsmark. Das NS-Regime plante deren Zwangsumtausch in deutsche Staatsanleihen, um diese gegen Devisen im Ausland zu verkaufen. So sollte das Haushaltsdefizit verringert und die Vertreibung der Beraubten ins Ausland finanziert werden.[12]
Viele „Alte Kämpfer" bewerteten die Judenpolitik des Regimes als zu zögerlich. Der Berliner Polizeipräsident Wolf-Heinrich von Helldorff etwa legte auf Goebbels’ Anregung im Mai 1938 eine Denkschrift vor, die die radikale Heraustrennung der Berliner Juden aus Wirtschaft und Gesellschaft forderte. Goebbels nutzte im Juni 1938 die Juni-Aktion der Kampagne „Arbeitsscheu Reich", die eigentlich gegen sogenannte Asoziale gerichtet war, zu Krawallen gegen jüdische Geschäftsinhaber in Berlin.[13] Vor Polizeioffizieren verkündete er: „Nicht Gesetz ist die Parole, sondern Schikane. Die Juden müssen aus Berlin heraus."[14] Dadurch geriet er in Konflikt mit dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, der erkannt hatte, dass eine Pauperisierung der Juden dem übergeordneten Ziel im Weg stand, sie zur Auswanderung zu drängen. Auf Einwirken Hitlers wurden weitere antijüdische Aktionen mit Wirkung vom 21. Juni 1938 verboten.[15] Im September kam es zu neuen antisemitischen Überfällen in Kassel, Rothenburg an der Fulda, Frankfurt am Main, Magdeburg, Hannover und Wien. Die unter Teilen der NSDAP-Mitglieder vorherrschende Pogromstimmung wird von dem Historiker Hans Mommsen mit der Kriegsgefahr in Zusammenhang gebracht, deren scheinbare Beilegung durch das Münchner Abkommen sich in vermehrtem antisemitischen Aktionismus entladen habe.[16]
Angesichts der auf Auswanderung der Juden abzielenden Politik des NS-Regimes befürchteten die europäischen Nachbarstaaten eine Flüchtlingsflut und waren bestrebt, diese abzuwenden. Bei der internationalen Konferenz von Évian (Frankreich) im Juli 1938 erklärte sich keines der 32 teilnehmenden Länder zur Aufnahme der bedrohten Juden bereit. Vielmehr protestierte die Schweiz, in die viele Juden aus Österreich flohen, gegen die „Verjudung" und drohte eine allgemeine Visumspflicht an. Daraufhin entzog das NS-Regime deutschen Juden die Reisepässe und ersetzte sie durch Sonderausweise mit dem neu eingeführten Judenstempel. Auch Luxemburg hielt am 9. November 1938 auf Beschluss seiner damaligen christlich-sozialistischen Regierung die Grenzen fest geschlossen und verstärkte die Grenzkontrollen.[17]Adolf Eichmann richtete schließlich im Auftrag von Reinhard Heydrich im August in Wien die erste Zentralstelle für jüdische Auswanderung ein. Eine Flüchtlingswelle setzte ein: Bis Herbst verließen etwa 54.000 Juden das Reich.
Am 14. Oktober kündigte Göring im Reichsluftfahrtministerium ein gigantisches Rüstungsprogramm an. Dieses sei jedoch durch das Staatsdefizit und begrenzte Produktionskapazitäten erschwert. Die Privatwirtschaft müsse daran mitwirken, da man andernfalls zur staatlich gelenkten Planwirtschaft übergehen werde. Die „Arisierung" sei nun unumgänglich und allein Sache des Staates; sie dürfe auf keinen Fall wie in Österreich anarchisch als „Versorgungssystem untüchtiger Parteigenossen" ablaufen.[18]
Am 9. Oktober 1938 erließ Polen eine Verordnung, nach der die Pässe aller länger als fünf Jahre im Ausland lebenden Polen ohne Sondervisum eines zuständigen Konsulats am 30. Oktober ablaufen sollten. Das betraf vor allem bis zu 18.000 von geschätzten 70.000 polnischen, meist verarmten Juden, die vielfach illegal im Großdeutschen Reich lebten.[19] Die deutsche Regierung stellte Polen daraufhin am 26. Oktober ein Ultimatum, die Rückkehrmöglichkeit der Staatenlosen zu garantieren, andernfalls werde man sie sofort ausweisen. Nach der erwarteten Ablehnung befahl die Gestapo allen Städten und Gemeinden am 27. Oktober, die Betroffenen sofort festzunehmen. In der Nacht zum 29. Oktober wurden sie aus ihren Wohnungen geholt, in schwer bewachten Zügen und Lastwagen zur deutsch-polnischen Grenze bei Zbąszyń (deutsch: Bentschen) abtransportiert und hinübergejagt.
Die unvorbereiteten polnischen Grenzbeamten verweigerten den Abgeschobenen zunächst mit Waffengewalt den Übertritt, die Deutschen wiederum die Rückkehr. Sie mussten tagelang ohne Nahrung in den überfüllten Grenzbahnhöfen oder im Niemandsland warten, bis die polnischen Behörden sie passieren ließen. Ein Teil kam in den nächsten Tagen bei jüdischen Gemeinden in Polen unter, etwa 7.000 Personen mussten aber zum Flüchtlingslager Zbąszyń in der Woiwodschaft Poznań marschieren, wo die polnische Regierung sie bis August 1939 internierte. Im Januar durften sie für kurze Zeit in ihre deutschen Heimatorte zurückkehren, um ihre Geschäfte zu verkaufen, Haushalte aufzulösen und so ihre erzwungene „Auswanderung" zu regeln.[20]
Attentat als Vorwand
Am 3. November erfuhr der in Paris lebende siebzehnjährige polnische Jude Herschel Grynszpan, dass auch seine ganze Familie nach Zbąszyń vertrieben worden war. Er besorgte sich einen Revolver und schoss damit am 7. November 1938 in der Deutschen Botschaft, damals im Palais Beauharnais, auf den der NSDAP angehörenden Legationssekretär Ernst Eduard vom Rath. Dieser erlag am 9. November seinen Verletzungen.
1938 nutzten Teile der NS-Führung das Attentat als willkommenen Vorwand, um der unzufriedenen Parteibasis Gelegenheit zum Handeln gegen jüdisches Eigentum zu geben und die Juden beschleunigt dann auch gesetzlich aus dem deutschen Wirtschaftsleben auszuschalten. Bevor die französische Polizei die Hintergründe untersucht hatte, ließen Goebbels und sein Mitarbeiter Wolfgang Diewerge die Verschwörungstheorie verbreiten, Grynszpan habe im Auftrag des Weltjudentums gehandelt, das das nationalsozialistische Deutschland vernichten wolle. Zu diesem Zweck arbeite es an einer Vergiftung der deutsch-französischen Beziehungen, um so einen Krieg zu provozieren. Die Deutsche Allgemeine Zeitung wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Grynszpan sein Attentat am Jahrestag der Oktoberrevolution begangen hatte.[21] Noch am 7. November gab das Deutsche Nachrichtenbüro (DNB), eine zentrale Institution der Presselenkung im NS-Staat, eine Anweisung heraus, die Meldung über das Attentat sei in allen Zeitungen „in groesster Form herauszustellen" und es sei besonders „darauf hinzuweisen, dass das Attentat die schwersten Folgen fuer die Juden in Deutschland haben muss".[22] Am darauffolgenden Tag schrieb Diewerge im Leitartikel des Völkischen Beobachters, betitelt Verbrecher am Frieden Europas:
„Es ist klar, daß das deutsche Volk aus dieser neuen Tat seine Folgerungen ziehen wird. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß in unseren Grenzen Hunderttausende von Juden noch ganze Ladenstraßen beherrschen, Vergnügungsstätten bevölkern und als ‚ausländische‘ Hausbesitzer das Geld deutscher Mieter einstecken, während ihre Rassegenossen draußen zum Krieg gegen Deutschland auffordern und deutsche Beamte niederschießen. [...] Die Schüsse in der deutschen Botschaft in Paris werden nicht nur den Beginn einer neuen deutschen Haltung in der Judenfrage bedeuten, sondern hoffentlich auch ein Signal für diejenigen Ausländer sein, die bisher nicht erkannten, daß zwischen der Verständigung der Völker letztlich nur der internationale Jude steht."[23]
Ähnliche Kommentare finden sich am 8. und 9. November in anderen Parteizeitungen der NSDAP, etwa im Westdeutschen Beobachter.[24]
Verlauf
Erste Übergriffe
Die Nachricht vom Attentat auf den zuvor weitgehend unbekannten Diplomaten vom Rath erreichte die deutsche Öffentlichkeit erst am 8. November 1938 durch die Tagespresse. Bereits am Spätnachmittag des 7. November begannen jedoch in Kurhessen und Magdeburg-Anhalt die ersten Übergriffe gegen Juden, ihre Wohnungen, Geschäfte, Gemeindehäuser und Synagogen. Die Täter waren Angehörige von SA und SS. Sie traten in Zivilkleidung auf, um wie normale Bürger zu wirken und die übrige Bevölkerung zum „Volkszorn" wegen des Attentats in Paris aufzuhetzen. Am Abend des 7. November wurden die Synagoge und andere jüdische Einrichtungen in Kassel, in derselben Nacht auch jene umliegender Orte wie Bebra, Rotenburg an der Fulda und Sontra verwüstet.[25] Am 8. November brannte in Bad Hersfeld die erste Synagoge. In den Landkreisen Fulda und Melsungen, u. a. den Orten Baumbach, Eschwege, Fritzlar, Witzenhausen, wurden fast alle jüdischen Wohnungen und Geschäfte demoliert.[26] Im Laufe des Abends und der Nacht wurden zahlreiche Juden misshandelt. In Felsberg gab es dabei das erste jüdische Todesopfer in Kurhessen.[27]
Am Nachmittag des 9. November wurden ab 15 Uhr die Synagoge und das jüdische Gemeindehaus in Dessau angezündet. Ab 19 Uhr begannen die Ausschreitungen in Chemnitz. Die Brandstiftungen betrafen allesamt nur Synagogen und Geschäfte, deren Brände die Nachbarhäuser nicht gefährden konnten. Nichtjüdische Häuser und Wohnungen blieben überall verschont.
Von wem die Initiative zu den Ausschreitungen in Kurhessen kam, ist umstritten. Der Historiker Wolf-Arno Kropat glaubt, Gaupropagandaleiter Heinrich Gernand sei „offensichtlich" vom Reichspropagandaministerium dazu beauftragt worden.[28] Alan E. Steinweis sieht dafür keine Belege. Höchstwahrscheinlich habe Gernand die Berliner Propaganda als Signal verstanden, seine Parteigenossen gegen die örtlichen Juden losschlagen zu lassen.[29] Angela Hermann hingegen schließt eine Anstiftung der kurhessischen Exzesse durch Goebbels aus und hält auch die Gernand zugeschriebene Rolle als Anstifter für fragwürdig.[30] Die Aktionen wurden von örtlichen Parteiführern – darunter einem Kreisleiter – und SA-Parteiaktivisten gesteuert; teilweise wurden sie von auswärtigen Parteimitgliedern dazu aufgefordert.[31] Der Historiker Hans-Jürgen Döscher geht davon aus, dass sich hier das „gewalttätige Potential der antisemitischen Parteibasis" zeigte.[32]
Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938
Adolf Hitler hatte seinen Begleitarzt Karl Brandt und den angesehenen Unfallchirurgen Georg Magnus nach Paris an vom Raths Krankenbett beordert und diesen um drei Klassen zum Gesandtschaftsrat I. Klasse befördert.[33] Am 9. November nahm er nach dem Gedenkmarsch für den Hitlerputsch an einem Essen bei einem Kameradschaftsabend der Parteiführung mit „alten Kämpfern" im Alten Rathaus in München teil. Dort erfuhr er vom Tod des Diplomaten. Sofort besprach er sich während des Essens mit Goebbels, der ihn über bereits anlaufende Ausschreitungen informierte, und entschied: „Die Demonstrationen weiterlaufen lassen. Polizei zurückziehen. Die Juden sollen einmal den Volkszorn zu verspüren bekommen."[34] Entgegen seiner Gewohnheit verzichtete er auf eine Rede und verließ die Versammlung nach dem Essen.[35]
Goebbels machte anschließend gegen 22 Uhr vor den versammelten Partei- und SA-Führern die Nachricht bekannt. Er benutzte den Tod zu einer antisemitischen Auslegung des Attentats, in der er „die Jüdische Weltverschwörung" für den Tod vom Raths verantwortlich machte. Er lobte die judenfeindlichen Aktionen im ganzen Reich, bei denen auch Synagogen in Brand gesetzt worden seien, und verwies dazu auf Kurhessen und Magdeburg-Anhalt. Er äußerte, dass die Partei nicht als Organisator antijüdischer Aktionen in Erscheinung treten wolle, aber diese dort, wo sie entstünden, auch nicht behindern werde. Die anwesenden Gauleiter und SA-Führer verstanden dies als indirekte, aber unmissverständliche Aufforderung, die „spontanen" Aktionen des „Volkszorns" zu organisieren.[36]
Nach Goebbels’ Rede telefonierten sie gegen 22:30 Uhr mit ihren örtlichen Dienststellen. Danach versammelten sie sich im Hotel „Rheinischer Hof", um von dort aus weitere Anweisungen für Aktionen durchzugeben. Goebbels selbst ließ nach Abschluss der Gedenkfeier nachts Telegramme von seinem Ministerium aus an untergeordnete Behörden, Gauleiter und Gestapostellen im Reich aussenden. Diese wiederum gaben entsprechende Befehle an die Mannschaften weiter, in denen es etwa hieß (SA-Stelle „Nordsee"):
„Sämtliche jüdische Geschäfte sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören. Nach der Zerstörung hat eine SA-Wache aufzuziehen, die dafür zu sorgen hat, dass keinerlei Wertgegenstände entwendet werden können. [...] Die Presse ist heranzuziehen. Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken, jüdische Symbole sind sicherzustellen. Die Feuerwehr darf nicht eingreifen. Es sind nur Wohnhäuser arischer Deutscher zu schützen, allerdings müssen die Juden raus, da Arier in den nächsten Tagen dort einziehen werden. [...] Der Führer wünscht, dass die Polizei nicht eingreift. Sämtliche Juden sind zu entwaffnen. Bei Widerstand sofort über den Haufen schießen. An den zerstörten jüdischen Geschäften, Synagogen usw. sind Schilder anzubringen, mit etwa folgendem Text: ‚Rache für Mord an vom Rath. Tod dem internationalen Judentum. Keine Verständigung mit Völkern, die judenhörig sind.‘ Dies kann auch erweitert werden auf die Freimaurerei."[37]
Himmler nahm in der Nacht gemeinsam mit Hitler an einer Vereidigung von SS-Anwärtern am Odeonsplatz teil und instruierte den Chef der Gestapo-Abteilung für Regimegegner, Heinrich Müller. Dieser sandte um 23:55 Uhr ein Telex an alle Leitstellen der Staatspolizei im Reich: Die Sicherheitsdienste sollten sich heraushalten. Sie sollten aber für den „Schutz" des jüdischen Eigentums vor Plünderung sorgen. Punkt 3 lautete: „Es ist vorzubereiten die Festnahme von etwa 20–30.000 Juden im Reiche. Es sind auszuwählen vor allem vermögende Juden. Nähere Anordnungen ergehen noch im Laufe dieser Nacht."[38] Anschließend erteilte er Heydrich „nähere Anordnungen", der diese um 1:20 Uhr seinerseits als Telex an alle Untergebenen sandte. Darin bekräftigte er das Verbot zu plündern, den Schutz für Nachbargebäude vor Bränden und ergänzte, dass – auch jüdische – Ausländer nicht zu belästigen seien. Die Zahl der Festzunehmenden ließ er offen:
„Sobald der Ablauf der Ereignisse dieser Nacht die Verwendung der eingesetzten Beamten hierfür zulässt, sind in allen Bezirken so viele Juden – insbesondere wohlhabende – festzunehmen, als in den vorhandenen Hafträumen untergebracht werden können."[39]
Der Zweck dieser Verhaftungen war es, Gestapo und SS, die durch Goebbels’ Rede vor vollendete Tatsachen gestellt worden waren, an den Enteignungen partizipieren zu lassen und Geldmittel zur Förderung jüdischer Auswanderung akquirieren.[40]
Polizei und SS waren offenkundig von den Pogromen überrascht worden, die eine Stunde, bevor man sie informiert hatte, begonnen hatten. Darauf deutet nicht zuletzt die Tatsache hin, dass zwei Anordnungen an identische Empfänger gesandt wurden, Müllers Telex war offenkundig hastig formuliert worden und musste deshalb durch Heydrichs Schreiben ergänzt und konkretisiert werden.[41] Die Leitung der Zerstörungen oblag nicht ihnen, sondern den örtlichen Propagandaämtern der NSDAP. Sie beriefen die SA-Ortsgruppen ein, die ihre Mitglieder instruierten und in Marsch setzten, um die Befehle auszuführen. In Nürnberg z. B. wurden sie wie in den meisten deutschen Städten nach Augenzeugenberichten wie folgt umgesetzt:
„Zuerst kamen die großen Ladengeschäfte dran; mit mitgebrachten Stangen wurden die Schaufenster eingeschlagen, und der am Abend bereits verständigte Pöbel plünderte unter Anführung der SA die Läden aus. Dann ging es in die von Juden bewohnten Häuser. Schon vorher informierte nichtjüdische Hausbewohner öffneten die Türen. Wurde auf das Läuten die Wohnung nicht sofort geöffnet, schlug man die Wohnungstür ein. Viele der ‚spontanen‘ Rächer waren mit Revolver und Dolchen ausgestattet; jede Gruppe hatte die nötigen Einbrecherwerkzeuge wie Äxte, große Hammer und Brechstangen dabei. Einige SA-Leute trugen einen Brotbeutel zur Sicherstellung von Geld, Schmuck, Fotos und sonstigen Wertgegenständen, die auf einen Mitnehmer warteten. Die Wohnungen wurden angeblich nach Waffen durchsucht, weil am Tage vorher ein Waffenverbot für Juden veröffentlicht worden war. Glastüren, Spiegel, Bilder wurden eingeschlagen, Ölbilder mit den Dolchen zerschnitten, Betten, Schuhe, Kleider aufgeschlitzt, es wurde alles kurz und klein geschlagen. Die betroffenen Familien hatten am Morgen des 10. November meistens keine Kaffeetasse, keinen Löffel, kein Messer, nichts mehr. Vorgefundene Geldbeträge wurden konfisziert, Wertpapiere und Sparkassenbücher mitgenommen. Das schlimmste dabei waren die schweren Ausschreitungen gegen die Wohnungsinhaber, wobei anwesende Frauen oft ebenso misshandelt wurden wie die Männer. Eine Anzahl von Männern wurde von den SA-Leuten unter ständigen Misshandlungen und unter dem Gejohle der Menge zum Polizeigefängnis getrieben. [...] Am anderen Morgen wurden gegen 4 Uhr morgens alle [der zuvor inhaftierten] Personen unter 60 Jahren nach Dachau abtransportiert."[42]
Doch nicht nur Synagogen und jüdische Geschäfte wurden zerstört, die Gewalt machte auch vor Kinder- und Altenheimen nicht halt. In Emden wurden die Bewohner eines Altersheims aus ihren Betten geholt, in Nachtkleidung an der brennenden Synagoge vorbeigeführt und dann gezwungen, Kniebeugen und andere Freiübungen zu machen.[43] Im Zuge der Ausschreitungen und des Chaos, in dem sie stattfanden, wurden zahlreiche Juden ermordet. In Lesum, einem Vorort von Bremen, glaubte zum Beispiel der Bürgermeister und Chef des örtlichen SA-Sturms aufgrund eines Übermittlungsfehlers, es sollten alle Juden getötet werden. Die Weitergabe dieses irrigen Befehls führte zur Ermordung eines Lesumer Arztes und seiner Frau.[44] In Österreich erlaubten SA-Leute einem jungverheirateten Paar nicht, ihr wenige Monate altes Kind bei der Verhaftung mitzunehmen. Das Baby blieb unversorgt in der Wohnung zurück und starb.[45] Wie viele Juden bei den Pogromen umkamen, ist nicht sicher zu ermitteln. Das Oberste Parteigericht der NSDAP bezifferte ihre Zahl auf 91. In der Fachliteratur wird sie deutlich höher geschätzt. Der britische Historiker Richard J. Evans geht davon aus, dass die Zahl der jüdischen Todesopfer der Novemberpogrome, insbesondere wenn man die mindestens 300 aus Verzweiflung begangenen Suizide berücksichtigt, wahrscheinlich zwischen 1000 und 2000 lag.[46]
Die Ereignisse der Folgetage
Am 10. November ließ Goebbels über das DNB die Pogrome als „berechtigte und verständliche Empörung des deutschen Volkes über den feigen Meuchelmord an einem Diplomaten" rechtfertigen. Er verband damit „die strenge Aufforderung, von allen Demonstrationen und Aktionen gegen das Judentum, gleichgültig welcher Art, sofort abzusehen".[47] Am selben Tag verbot Rudolf Heß in seiner Eigenschaft als „Stellvertreter des Führers" in einer Weisung an die Gauleitungen strikt alle weiteren „Brandlegungen an jüdischen Geschäften oder dergleichen".[48]
Die Pogrome wurden dennoch fortgesetzt. In Österreich begannen sie erst am 10. November; sie verliefen dort noch heftiger. Sie dauerten im ganzen Reich, besonders in ländlichen Gebieten, bis in den Nachmittag hinein. In Harburg-Wilhelmsburg etwa begannen die Pogrome erst am Abend des 10. November. Hier wurde die Leichenhalle auf dem Jüdischen Friedhof in Brand gesteckt. Die Synagoge wurde geplündert, blieb aber stehen.[49] Nationalsozialisten in der Freien Stadt Danzig begannen ihre Angriffe auf die örtlichen Juden sogar erst am 12. November.[50] In kleineren Orten kam es bis zum 11., vereinzelt sogar bis zum 12. und 13. November noch zu Ausschreitungen.
Die befohlene Trennung von SA-Maßnahmen und SS-„Begleitschutz" wurde in vielen Regionen missachtet, zumal der Befehl dazu erst Stunden nach Beginn der Pogrome ausgegeben worden war. In Bensheim, im Bodenseeraum, am Niederrhein, in Oberschlesien und Wien u. a. führten die Sicherheitskräfte die Zerstörungen selbst an; dort wo die Brandstiftung nicht ausreichte, halfen sie mit Sprengsätzen nach.[51] Die Vorgänge dokumentiert beispielsweise ein Bericht aus Baden-Baden:
„Ehe die SS die Synagoge in Brand steckte, zwang sie die Männer der jüdischen Gemeinde, sich dort zu versammeln. Entgegen dem jüdischen Brauch mussten sie ihre Hüte abnehmen. Das Gemeindeglied Herr Dreyfus wurde gezwungen, von der Kanzel herab aus dem nationalsozialistischen Hetzblatt Der Stürmer vorzulesen. Die Gemeinde hatte im Chor zu antworten: ‚Wir sind ein dreckiges, filziges Volk.‘ Die SS zwang die Männer, im Gotteshaus Nazilieder zu singen und Turnübungen vorzuführen."[52]
Direkt im Anschluss an die Zerstörungen begann am 10. November gegen vier Uhr morgens die befohlene Inhaftierung (sogenannte Schutzhaft) von etwa 30.000 männlichen, meist jüngeren und wohlhabenderen Juden. Diese so genannten Aktionsjuden machten rund ein Zehntel der in Deutschland verbliebenen Juden aus.[53] Sie wurden gesammelt und vielfach in Formation durch die Städte getrieben.[54] In den Tagen darauf wurden sie von Gestapo und SS in die drei deutschen Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt, um sie zur Emigration zu nötigen und ihr Vermögen zu arisieren.[55] Laut Bericht eines Berliner Juden ließen die Wachmannschaften beim „Hofappell", dem nächtelangen Strammstehen bei Eiseskälte auf dem Lagerplatz, keinen Zweifel daran, dass sie die Insassen dezimieren wollten: „Ihr seid nicht in einem Sanatorium, sondern in einem Krematorium. [...] Die SS hat das Recht, auf Euch zu schießen, wann sie will".[56]
Die barbarische Behandlung der in das KZ Buchenwald Eingelieferten beschrieb detailliert z. B. der Augenzeuge Eugen Kogon.[57] Sie mussten etwa im Winter 1938/39 mit bloßen Händen den Schnee im Lager räumen; Notamputationen der erfrorenen Gliedmaßen verweigerte der SS-Lagerarzt: Für Juden stelle ich nur Totenscheine aus.[58]
Die Pogrome waren keine Artikulation des „Volkszorns", sondern gingen auf die NSDAP und ihre angeschlossenen Verbände zurück. Propagandaminister Goebbels hatte die Mitglieder zwar aufgefordert, in Zivil aufzutreten, doch wurde dies nur teilweise befolgt. Seine Hoffnung, mit den Aktionen eine breite Volksbewegung gegen die Juden auszulösen, erfüllte sich nicht.[59] Gleichwohl waren durchaus nicht alle, die sich an den Ausschreitungen beteiligten, SA-Männer: Im Laufe des 10. Novembers, eines normalen Schultags, griffen zahlreiche Jugendliche, die von der Hitlerjugend oder der Schule mobilisiert worden waren, Juden und ihr Eigentum an. Auch viele Unternehmer stachelten ihre Arbeiter zu antisemitischen Ausschreitungen an und beteiligten sich auch selbst daran. Auf den Vandalismus folgten vielerorts spontane Plünderungen, an denen sich besonders viele Frauen beteiligten. Der Historiker Alan E. Steinweis nennt „die Bereitschaft Zehntausender Deutscher, Gewalttaten gegen ihre jüdischen Nachbarn zu begehen," als Erklärung für die reichsweite Destruktivität der Pogrome.[60]
Folgen
Das Treffen im Reichsluftfahrtministerium
Am 12. November trafen sich 100 hochrangige Vertreter des NS-Regimes auf Einladung Görings im Reichsluftfahrtministerium, um in einer vierstündigen Sitzung das weitere Vorgehen in der Judenpolitik zu besprechen und die Konflikte beizulegen, die innerhalb der nationalsozialistischen Polykratie aufgetreten waren.[61] Vier der ursprünglich sieben Teile des Sitzungsprotokolls sind als wortgetreue Kopie erhalten.[62]
Bereits am 10. November hatte Hitler nach Görings Aussage ihm und Goebbels befohlen, die Juden nun vollends aus der deutschen Wirtschaft auszuschließen. Wie dies geschehen könne, diskutierten die Anwesenden am 12. November 1938. Ein Ergebnis war die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben, die Göring am selben Tag erließ: Danach sollten alle reichsdeutschen Juden weitgehend enteignet, aus dem Kulturleben entfernt, aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verbannt und zur Auswanderung gezwungen werden. Das erklärte Ziel war, das Deutsche Reich „judenfrei" zu machen. Die Bestandsaufnahme zeigte, dass ein Großteil der zerstörten „jüdischen" Geschäftsräume und Wohnungen „Ariern" gehörte und von Juden nur gemietet war; die Versicherungsgesellschaften mussten diese Schäden ersetzen. Allein der Glasbruch kostete annähernd drei Millionen, die gesamten Versicherungsschäden wurden auf 225 Millionen Reichsmark beziffert.[63]
Göring zeigte sich mit den Pogromen und implizit auch mit Goebbels sehr unzufrieden: „[D]iese Demonstrationen habe ich satt. Sie schädigen nicht den Juden, sondern schließlich mich, der ich die Wirtschaft als letzte Instanz zusammenzufassen habe."[64] Goebbels’ Einwurf, „der Jude" müsse den Schaden bezahlen, tat Göring als ökonomisch sinnlos ab: Deutschland habe keine Rohstoffe, weshalb all das Schaufensterglas gegen Devisen im Ausland eingekauft werden müsse.[65] Heydrich warf er vor: „Mir wäre lieber gewesen, ihr hättet 200 Juden erschlagen und hättet nicht solche Werte vernichtet".[66] Göring schlug vor, den Juden des Reiches eine Milliarde Reichsmark als „Sühneleistung" für „die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk" abzufordern. Die Entschädigungen der zahlungswilligen Versicherungen sollten direkt an den Staat gehen; betroffene Juden sollten leer ausgehen. Dies hatte Hitler bereits mit Goebbels am 10. November bei einem gemeinsamen Mittagessen in der Osteria Italiana beschlossen, als die Pogrome noch liefen.[67] Die Idee dieser kollektiven Strafsteuer für sie, die nun eine doppelte Enteignung darstellte, stammte aus Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan vom August 1936. Alle Anwesenden stimmten Görings Vorschlag zu, ohne Widerspruch und ohne den Zweck zu diskutieren. Göring bekräftigte diesen noch in einer internen Rede am 18. November: „Sehr kritische Lage der Reichsfinanzen. Abhilfe zunächst durch die der Judenschaft auferlegte Milliarde und durch die Reichsgewinne bei der Arisierung jüdischer Unternehmen." Tatsächlich war die öffentliche Finanzlage im Herbst 1938 katastrophal. Es bestand die reale Möglichkeit, dass das Reich zahlungsunfähig wurde. Doch mit der „Judenbuße", die eine schlagartige Erhöhung der Reichseinnahmen um sechs Prozent bedeutete, konnte die Krise überwunden werden.[68] Goebbels versuchte vergeblich, diese „Sühneleistung" von den Gauleitungen erheben zu lassen. Göring setzte aber durch, dass das Geld nicht der Partei zufloss, sondern allein dem Vierjahresplan. Auch wurde festgelegt, dass es künftig keine „wilden" Aktionen gegen die Juden mehr geben sollte:[69] Im weiteren Verlauf schlug Goebbels immer neue antisemitische Maßnahmen vor, wie die Auflösung der Synagogen oder ein Betretungsverbot für Wälder und Parks. Göring machte sich offen über ihn lustig: Man könne den Juden ja das Betreten einiger Wäldern gestatten, in die man Elche ansässig mache, denn beide hätten ähnliche Nasen.[70]
Im Ergebnis des Treffens wurde festgelegt, dass für die Judenpolitik von nun an nicht mehr die NSDAP zuständig sein sollte, sondern die Gestapo. Heydrich verwies auf die guten Erfahrungen, die Eichmann mit seiner Wiener Auswanderungsstelle gemacht habe, und schlug eine ähnliche Einrichtung für das ganze Reich vor. Diese solle eine „Auswanderungsaktion" für alle in Deutschland verbliebenen Juden organisieren, für die er „mindestens 8 bis 10 Jahre" veranschlagte. Damit wurde sein in den letzten Jahren entwickeltes Vertreibungskonzept zur offiziellen Politik des NS-Regimes.[71] Göring drohte „eine große Abrechnung an den Juden" für den Fall eines außenpolitischen Konfliktes an.[72] Hitler plane eine außenpolitische Initiative, um den Madagaskarplan umzusetzen, das heißt, eine Aussiedlung der deutschen Juden in die französische Kolonie im Indischen Ozean.[73] Goebbels zeigte sich trotz allem in seinem Tagebuch mit dem Ergebnis hoch zufrieden: „Ich arbeite großartig mit Göring zusammen. Er geht auch scharf ran. Die radikale Meinung hat gesiegt."[74]