„Reichssammelschiene" – Versionsunterschied
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Die Reichssammelschiene ist eine zwischen 1939 und 1941 durch die Elektrowerke AG errichtete Drehstrom-Hochspannungs freileitung für 220 kV Spannung, die von Helmstedt über Magdeburg, Halle und Nürnberg nach Ernsthofen in Niederösterreich führte. Ihr ursprünglicher Zweck war der Austausch elektrischer Energie zwischen dem mitteldeutschen Braunkohlerevier und den bayerischen und österreichischen Pumpspeicherkraftwerken in den Alpen.
Neben der von 1924 bis 1930 gebauten Nord-Süd-Leitung des RWE war sie somit als eine zweite im Verbundbetrieb geführte Fernleitung konzipiert und zunächst auch als Ergänzung zu ihr gedacht. Die Planung und Trassenführung wurde unter dem NS-Regime allerdings auch nach militärischen Gesichtspunkten ausgearbeitet, so sollten bevorzugt als kriegswichtig erachtete Industrieanlagen mit Strom versorgt werden.
Im Zuge der Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg wurden einzelne Abschnitte, die die Zonengrenze querten, stillgelegt und als Reparationsleistung von der Sowjetunion demontiert, während andere Teilstücke nach wie vor Bestandteil des west- (PreussenElektra , Bayernwerk ) bzw. ostdeutschen (VEB Energieversorgung bzw. ab 1963 VEB Verbundnetz) Übertragungsnetzes waren. Seit der Wende 1989/90 wurden viele dieser Teilstücke aus Altersgründen demontiert oder durch 380-kV-Leitungen ersetzt.
Zwischen Elsenberg nördlich von Nürnberg und dem Umspannwerk Ernsthofen ist die Leitung noch heute in Betrieb und verwendet nach wie vor größtenteils Originalmasten. Im Abschnitt auf österreichischem Staatsgebiet wurden bis 2020 die Originalmasten durch Neukonstruktionen ersetzt.
Vorgeschichte
Entwicklung der Verbundnetze
Seit den 1910er Jahren entstanden in Deutschland die ersten Verbundnetze, zunächst, um Großkraftwerke einer Region – meist Kohle- oder im süddeutschen Raum Pumpspeicherkraftwerke – mit den großen Städten und Industriezentren zu verbinden. Hervorzuheben sind etwa die Leitung Lauchhammer–Riesa der Aktiengesellschaft Lauchhammer zwischen dem Kraftwerk Lauchhammer und den Stahlwerken in Riesa und Gröditz, 1911 als erste 110-kV-Leitung der Welt in Betrieb genommen, sowie die 1918 fertiggestellte Golpa-Leitung, die das Kraftwerk Zschornewitz mit Berlin verband. Letztgenanntes Kraftwerk wurde ab 1915 vom 1892 gegründeten Braunkohlenwerk Golpa-Jeßnitz AG gebaut, zu dieser Zeit nannte sich das Unternehmen in Elektrowerke A.G. um und verlegte seinen Firmensitz von Halle nach Berlin. Im Ersten Weltkrieg wurde das Unternehmen 1917 aufgrund der Aufgabe, für die Rüstungsindustrie als bedeutsam geltende Anlagen (u. a. Stickstoffwerke Piesteritz) zu versorgen, verstaatlicht und war nun auch unter dem Namen Reichselektrowerke bekannt.
Im März 1923 wurde die Vereinigte Industrieunternehmungen AG (VIAG) als Dachgesellschaft mehrerer Energieerzeugungs- und Industrieunternehmen, an denen das Deutsche Reich Anteile besaß, gegründet. Neben der (Reichs-)Elektrowerke AG und einigen bayerischen Energieversorgern waren mehrere mitteldeutsche und bayerische Aluminium- und Stickstoffhersteller unter dem Dach der VIAG vereinigt.
In den 1920er Jahren erweiterten hauptsächlich die Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG (RWE) im gesamten Rheinland und Teilen des Ruhrgebiets sowie die Elektrowerke AG im mitteldeutschen und schlesischen Kohlerevier ihr Versorgungsgebiet durch den Bau neuer Kraftwerke. Das RWE begann sogar mit dem Bau eines Verbundnetzes mit 220 kV Spannung. Die 1927 aus der Fusion mehrerer Unternehmen aus dem Raum Hannover entstandene Preußische Elektrizitäts-Aktiengesellschaft (PreussenElektra) beanspruchte neben großen Teilen Norddeutschlands auch hessisches Gebiet, das vom Kraftwerk Borken des Vorgängerunternehmens Gewerkschaft Großkraftwerk Main-Weser AG bereits über ein Verbundnetz versorgt wurde.
Nachdem zwischen RWE und PreussenElektra Streitigkeiten um die Aufteilung des Rhein-Main-Gebietes, das sowohl von der in Bau befindlichen Nord-Süd-Leitung als auch durch zwei Leitungen von Borken nach Frankfurt am Main versorgt wurde, 1927 im Ersten Elektrofrieden gelöst wurden, schlossen sich im Zweiten Elektrofrieden Elektrowerke und PreussenElektra mit dem Bayernwerk zur Aktiengesellschaft für deutsche Elektrizitätswirtschaft mit Sitz in Berlin zusammen.[1] Als Gegenreaktion entstand unter Führung des RWE zusammen mit einigen meist kleineren Versorgungsunternehmen die Westdeutsche Elektrizitäts AG mit Sitz in Frankfurt am Main.
Erster Entwurf und Aufbau des 220-kV-Netzes
Oskar von Miller, der nach dem Ersten Weltkrieg den Bau des Walchenseekraftwerkes und die Gründung des Bayernwerks vorangetrieben hatte, entwarf 1930 im Auftrag der Reichsregierung ein Gutachten über ein reichsweites Verbundnetz. Dieses sollte über Leitungen mit 220 kV Spannung dem Energieaustausch zwischen den einzelnen regionalen Energieversorgern ermöglichen.[2] Im Wesentlichen war es als Ring konzipiert, mit der seit April 1930 im Vollbetrieb befindlichen Verbindung Brauweiler–Bludenz (Nord-Süd-Leitung) als westliche Teilstrecke. Von Brauweiler war eine Leitung durch das Ruhrgebiet bis in den Raum Hannover zur bestehenden Umspannanlage in Lehrte geplant, von dort eine Leitung durch das Mitteldeutsche Braunkohlerevier nach Bayern und weiter bis in die österreichischen Alpen. Später entwarf Miller im Rahmen dieses Auftrages sogar ein gesamteuropäisches Verbundnetz.[3]
Viele dieser Pläne wurden seitens der wichtigsten Energieversorger in Westdeutschland – RWE, VEW und PreussenElektra – tatsächlich aufgegriffen. Motivation dieser Vorhaben war aber zunächst kein landesweites Koppelnetz, sondern der Verbundbetrieb von Wasser- und Wärmekraftwerken. Das RWE stieg mit der Nord-Süd-Leitung Ende der 1920er Jahre erstmals in diesen Verbundbetrieb ein, dem schließlich ein weiträumiges Netz an 220-kV-Leitungen im Versorgungsgebiet des RWE folgte – zum einen bis Tiengen im Südschwarzwald an der schweizerischen Grenze, sowie zum anderen über Wesel und Ibbenbüren bis Paderborn.
Die PreussenElektra errichtete 1929 eine 220-kV-Leitung zwischen Lehrte und Borken, um die elektrische Energie aus dem Pumpspeicherkraftwerk Waldeck am Edersee sowie dem Kraftwerk Borken in den Großraum Hannover zu transportieren. Diese Leitung sollte in Richtung Norden bis Hamburg und in Richtung Süden bis Frankfurt am Main verlängert werden. Als das Kraftwerk Harbke der Braunschweigischen Kohlenbergwerke im Zuge einer Leistungssteigerung 1935 durch eine zweikreisige 220-kV-Leitung mit dem Umspannwerk Lehrte verbunden wurde, war im Zuge der Errichtung dieser Leitung bereits eine Weiterführung nach Osten angedacht, um die Kohlekraftwerke der Provinz Sachsen anzubinden.[4] [5] Zwischen dem Gersteinwerk in Hamm und Lehrte baute das VEW bis 1938 eine 220-kV-Leitung, die allerdings nicht durchgängig geführt wurde, sondern über das Umspannwerk Lüstringen in Osnabrück verlief.[6] Der Knotenpunkt dieser Leitungen bildete das damals Hauptumspannwerk genannte Umspannwerk Lehrte, an dem sich die Hauptschaltleitung der PreußenElektra befand.
Die Provinz Sachsen mit ihren Braunkohlekraftwerken, die mit ihren 110-kV-Leitungen unter anderem Berlin mit Strom versorgte, gehörte wie der größte Teil Mitteldeutschlands zum im Ersten Elektrofrieden 1927/28 vertraglich abgesteckten Gebiet der reichseigenen Elektrowerke AG (EWAG). Es war demzufolge naheliegend, die dortigen EWAG-Kraftwerke mit dem restlichen deutschen 220-kV-Verbundnetz zu verbinden.
Realisierung
Energiewirtschaftsgesetz 1935
Mit der Machtergreifung Adolf Hitlers wurde ab 1933 systematisch mit der Errichtung einer Diktatur unter alleiniger Führung der NSDAP begonnen. Ein Produkt dieser Gleichschaltung des politischen und wirtschaftlichen Lebens war das Energiewirtschaftsgesetz, das im Dezember 1935 unter Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht verabschiedet wurde. Mit diesem Gesetz wurde die gesamte Elektrizitätswirtschaft unter Aufsicht des Reichswirtschaftsministeriums gestellt – im Unterschied zu vorher konnten Planung, Betrieb und Finanzierung des Energieversorgungsnetzes nun nach den politischen Vorstellungen des NS-Regimes gestaltet werden. Vorrangig spielten militärische Gesichtspunkte eine Rolle, so wurde eine möglichst autarke Energieerzeugung in Kombination mit der Versorgung von als kriegswichtig erachteten Industrieanlagen, etwa Aluminiumwerken, forciert.[7] [8] Die dezentrale Energieversorgung, wie sie bereits bestand, wurde beibehalten und für weiteren Ausbau vorgesehen, da bei einer zentralen Energieversorgung Großkraftwerke militärisch verwundbare Ziele, etwa bei Luftangriffen, darstellen können.[9]
Wiederaufnahme der Planungen
Basierend auf den Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes 1935 entwarf Walther Funk – ab 1938 als Nachfolger des im November 1937 zurückgetretenen Reichswirtschaftsministers Hjalmar Schacht – schon 1937 einen ersten Plan der später realisierten zweiten Nord-Süd-Leitung. Dabei sollte diese Teil eines überregionalen, auf die Großkonzerne zugeschnittenen Verbundnetzes sein, das unter Führung der reichseigenen VIAG die deutsche Energiewirtschaft bündeln sollte. Zunächst protestieren RWE und PreussenElektra gegen die zur Gleichschaltung gehörenden Pläne, obwohl gerade der RWE-Vorstand schon im Mai 1933 geschlossen in die NSDAP eintrat.
Zu erwähnen ist auch, dass das vorgeschlagene Verbundsystem keine NS-Erfindung war, sondern in nahezu derselben Form zum einen in den 1920er Jahren durch das RWE im Rheinland realisiert wurde, zum anderen die zweite Nord-Süd-Schiene nach Mitteldeutschland auf den schon 1930 von Oskar von Miller entworfenen Plänen basierte.[10] Hierbei waren militärische Aspekte, gerade auch aufgrund des vergangenen Ersten Weltkrieges, nicht ausschlaggebend für die Planung.
Mit dem Anschluss Österreichs im März 1938 fand das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 auch dort Anwendung. Stark forciert wurde unter dem NS-Regime nun die Nutzung der Wasserkräfte in den österreichischen Alpen. Wichtigstes Projekt war der Bau einer Reihe von Pumpspeicherkraftwerken in den Hohen Tauern, das Kraftwerk Kaprun, für deren Bau eine Tochtergesellschaft der VIAG, die Alpen-Elektrowerke, gegründet wurde. Zusätzlich entstanden nach dem Anschluss zahlreiche neue Industrieanlagen, etwa das Mattigwerk, ein Aluminiumwerk der Vereinigten Aluminium-Werke in Ranshofen, sowie die Stickstoffwerke Ostmark und Reichswerke Hermann Göring in Linz, letztere zusammengelegt mit dem bereits bestehenden Hüttenwerk Donawitz in Leoben.
Ausschlaggebend für Oberösterreich als Standort von militärisch relevanten Industrieanlagen war zum einen die relative Nähe zum Kohlerevier in Schlesien und zum anderen die Möglichkeit, diese Anlagen mit Energie aus den projektierten Wasserkraftwerken der Alpen-Elektrowerke im Verbund mit weiteren Kraftwerken im nun „Altreich" genannten Deutschen Reich betreiben zu können. Zudem wäre mit der Donau und den geplanten Reichsautobahnen Nürnberg–Passau–Linz und Salzburg–Wien eine gute Verkehrsanbindung vorhanden.[11]
Der Reichslastverteiler entsteht
Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Realisierung einer reichsweiten Energieversorgung war die Gründung der Reichsstelle für die Elektrizitätswirtschaft, auch als Reichslastverteiler bezeichnet, auf Grundlage der Verordnung zur Sicherstellung der Elektrizitätsversorgung vom 3. September 1939.[12] Die von Reichswirtschaftsminister Walther Funk als Folge des Energiewirtschaftsgesetzes 1935 initiierte Behörde wurde in Brauweiler am Standort des RWE-Hauptumspannwerkes angesiedelt und sollte die Stromverteilung im gesamten Reichsgebiet zentral regeln.[13] [14] [15] Hauptgrund war die jederzeitige Sicherstellung der Energieversorgung für als kriegswichtig erachtete Betriebe, die entweder bereits bestanden oder, wie in Oberösterreich, erst in der NS-Zeit entstanden.
Knapp ein Jahr zuvor wurde Ende 1938 mit den Bauarbeiten für zwei neue 220-/110-kV-Umspannwerke im mitteldeutschen Braunkohlerevier begonnen. Die Anlagen in Marke und Dieskau sollten vom Kraftwerk Harbke her durch eine 220-kV-Leitung miteinander verbunden werden.
Bau der Leitung
Zwischen der Aktiengesellschaft Sächsische Werke (ASW) sowie der EWAG einerseits und dem Bayernwerk andererseits wurde 1939 ein Stromlieferungsvertrag abgeschlossen, der vorsah, ab 1940 über eine 220-kV-Verbindung von Dieskau über Remptendorf nach Ludersheim elektrische Energie aus den mitteldeutschen Braunkohlekraftwerken nach Bayern zu transportieren.[16] Zugleich begann ein Prozess der Anlehnung des Bayernwerks an die VIAG, dieses wurde, anders das 1943 die EWAG, allerdings nicht vollständig übernommen.
Schließlich wurde noch 1939 mit den Bauarbeiten für die Leitung und die restlichen geplanten Umspannwerke begonnen. Es entstanden weitere 220/110-kV-Umspannwerke im thüringischen Remptendorf, im mittelfränkischen Ludersheim, im oberösterreichischen St. Peter (damals als Reichsgau Oberdonau bezeichnet) und im niederösterreichischen Ernsthofen (damals Reichsgau Niederdonau ). Der im Oktober 1939 hierzu vorgestellte Plan sah vor, die 220-kV-Leitung als Eigentum der EWAG in einem reicheigenen Höchstspannungs-Verbundnetz zu führen. Im Zuge eines Vierjahresplanes sollte dieses Netz stark ausgebaut werden – unter anderem bis nach Norwegen.[11]
Im Laufe des Jahres 1940 konnten die Umspannwerke Remptendorf und Ludersheim in Betrieb genommen werden, gleichzeitig wurde zwischen Dieskau und Ludersheim die Leitungstrasse gebaut, die im Oktober 1940 erstmals in Betrieb gehen konnte. Zu diesem Zeitpunkt war Bayern am Umspannwerk Ludersheim erstmals an das 220-kV-Netz angeschlossen.[17] [18] Bereits im April 1941 konnte erstmals Strom aus mitteldeutschen Braunkohlekraftwerken ins bayerische Netz eingespeist werden. Tatsächlich dauerte es noch bis Dezember 1941, als die Fortsetzung von Ludersheim über St. Peter (fertiggestellt im Januar 1941)[19] bis Ernsthofen (fertiggestellt im November 1941)[20] in Betrieb gehen konnte. Somit waren die Standorte der oberösterreichischen Aluminium-, Eisen- und Stahlwerke an das reichseigene Höchstspannungsnetz angeschlossen.
Das Umspannwerk Helmstedt wurde 1942 fertiggestellt und war ein gemeinschaftliches Projekt zwischen der PreußenElektra und den Elektrowerken. Das neue Umspannwerk wurde von der Schaltanlage des Kraftwerks Harbke, die an die 220-kV-Leitung der PreußenElektra nach Lehrte angeschlossen war, her angebunden und wies außerdem auch eine 110-kV-Anlage auf.[21] In östliche Richtung markierte es den Beginn der neuen 220-kV-Leitung der Reichssammelschiene.
Bis die gesamte Leitung in Betrieb genommen wurde, dauerte es bis 1943, da erst zu diesem Zeitpunkt der Leitungs- und Stationsbau im Raum Magdeburg abgeschlossen wurde und der Abschnitt Helmstedt–Magdeburg–Dieskau in Betrieb ging.[22] Zugleich wurde die reichseigene EWAG Eigentum der ebenfalls reichseigenen VIAG. Diese übernahm ebenfalls 40 Prozent der Anteile am Bayernwerk.[16] Weiterhin war sie Eigentümerin mehrerer Kraft-, Aluminium- und Chemiewerksbetreiber. Energieerzeugung, -versorgung und -nutzung waren somit unter einem Dach vereint, was eine absolute Kontrolle über die Elektrizitätswirtschaft ermöglichte. Wohl aus diesen kriegswirtschaftlichen Gründen – die Leitung sollte jene bestehende und geplante Rüstungsbetriebe und Schwerindustrie versorgen – kam es, trotz des ausgebrochenen Zweiten Weltkrieges, dennoch zu keinem Baustopp.
Geplante Fortsetzung
Nach Annexion des Sudetenlandes und Besetzung der übrigen tschechischen Landesteile (Zerschlagung der „Rest-Tschechei") sowie Polens im Jahr 1939 war vorgesehen, die Industriegebiete Mährens und Oberschlesiens mit in das Netz der Reichssammelschiene einzubeziehen. Auch der Großraum Wien und die Werksanlagen der Donau Chemie AG mit der Raffinerie Moosbierbaum lagen an der Leitungstrasse.[23]
Mitte 1943 war ein Erweiterungsbau des Umspannwerke Ernsthofen, die neuen 220-/110-kV-Umspannwerke Moosbierbaum, Bisamberg, Gänserndorf und Rohrau sowie Teile der Freileitungstrasse im Bau. Auf der Baustelle eingesetzt wurden hauptsächlich Zwangsarbeiter in Form von KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen. Ende 1944 war die Erweiterung des Umspannwerks Ernsthofen in Betrieb, der Leitungsbau war bereits weit fortgeschritten – auf der 221 km langen Strecke von Ernsthofen bis Rohrau war der größte Teil der Masten schon aufgestellt.[23] [24]
Nach Kriegsende wurde in den 1950er Jahren die Leitung in der vorbereiteten Trasse von Ernsthofen bis zum tschechischen Umspannwerk Sokolnice fertiggestellt und 1958 in Betrieb genommen.
Technische Aspekte
Masten
Ursprünglich war die Leitung bis auf wenige Ausnahmen durchgehend auf Donaumasten verlegt, die über eine zusätzliche Traverse für die Aufnahme von zwei Erdseilen verfügten. Vor dem Umspannwerk Magdeburg befanden sich auch einige Tonnenmasten mit Erdseiltraverse. Auf österreichischem Gebiet wurden in den 1980er-Jahren im letzten Abschnitt zum Umspannwerk Ernsthofen ab dem Umspannwerk Hausruck bei Lambach bis Wolfern die Erdseiltraversen abgebaut und die Masten mit einfacher Erdseilspitze versehen.
Donaumasten mit Erdseiltraverse waren zur damaligen Zeit im Versorgungsgebiet der EWAG auf der 110-kV-Ebene verbreitet und entwickelten sich in den 1940er Jahren zur Standardbauform. Die Masten der Reichssammelschiene können als eine Modifikation der 110-kV-Masten angesehen werden. Bei mehreren noch heute existierenden Leitungen um das oberschlesische Kraftwerk Chorzów im heutigen Polen wurde diese Bauform verwendet.[25] Weitere Leitungen auf derartigen Masten fand und findet man teilweise noch um die Stahlwerke in Peine und Salzgitter, um das Kraftwerk Vockerode und zwischen den Stahlwerken Linz und Ernsthofen.
So nutzt die um 1941 errichtete 220-kV-Leitung zwischen dem Umspannwerk Lehrte und dem Umspannwerk Hallendorf dieselbe Mastbauform wie die Reichssammelschiene. Über das Umspannwerk Hallendorf wurde damals wie heute das Stahlwerk Salzgitter, in der NS-Zeit als Reichswerke Hermann Göring gegründet und nach dem Krieg als Salzgitter AG neu errichtet, mit Energie versorgt.
Für die vor dem Zweiten Weltkrieg in Bau befindliche und in Teilen bereits fertiggestellte Fortsetzung von Ernsthofen in Richtung Wien und weiter nach Mähren wurden keine Donaumasten, sondern Tonnenmasten mit einfacher Erdseilspitze eingesetzt. Dieser Masttyp ist bis heute in Österreich am weitesten verbreitet. Die Donauschiene, an die zahlreiche österreichische Donaukraftwerke angebunden sind, entwickelte sich aus dieser Leitung.
Stromkreise
Die Leitung war durchgehend mit zwei Stromkreisen für eine Nennspannung von 220 kV belegt, die mit Einfachseilen ausgeführt waren. Diese Spannungsebene wird bereits seit den 1920er Jahren für die Nord-Süd-Leitung des RWE verwendet, weshalb man bereits auf Erfahrungen mit dem Betrieb überregionaler Verbundleitungen zurückgreifen konnte. Bis 1947 wurde der Abschnitt von St. Peter nach Ernsthofen noch provisorisch mit 110 kV betrieben und erst später umgestellt.
Für die Kennzeichnung jedes aufgelegten Stromkreises verwendete die EWAG eine dreistellige Ziffer. Auf der Reichssammelschiene wurden folgende Bezeichnungen angewendet:
- 291/292 (Helmstedt–Magdeburg),
- 293/294 (Magdeburg–Marke),
- 295/296 (Marke–Dieskau),
- 297/298 (Dieskau–Remptendorf),
- 299/300 (Remptendorf–Ludersheim),
- 301/302 (Ludersheim–St. Peter) sowie
- 303/304 (St. Peter–Ernsthofen).[1]
Ursprünglicher Leitungsverlauf
Die Reichssammelschiene begann am Umspannwerk Helmstedt, das aus den Kraftwerken des Helmstedter Braunkohlerevieres, die ihren Brennstoff aus den unmittelbar benachbarten Tagebauen bezogen, gespeist wurde. Zusätzlich bestand eine 220-kV-Verbindung vom Umspannwerk Lehrte über Braunschweig. In südöstliche, dann östliche Richtung führte die Leitung am Kraftwerk Harbke vorbei, durch die Magdeburger Börde bis zum Umspannwerk Magdeburg im Stadtteil Diesdorf. Nach Verlassen des Umspannwerks Magdeburg führte der nächste Leitungsabschnitt nach Süden, schließlich nach Südosten über die Saale zum Umspannwerk Marke nördlich von Bitterfeld.
Von Marke aus führte die Leitung dann nach Südwesten zum Umspannwerk Dieskau östlich von Halle (Saale). Anschließend umging die Leitung, weiter nach Südwesten verlaufend, die Stadt Halle, querte erneut die Saale, das Unstruttal und verlief über die Finne nach Thüringen, wo die Richtung zunächst nach Süden und schließlich nach Südosten drehte. Zwischen Weimar und Jena erreichte sie den östlichen Thüringer Wald und überquerte mehrere seiner Höhenzüge, ehe das Umspannwerk Remptendorf erreicht wurde.
Hinter Remptendorf führte die Leitung wieder nach Südwesten, querte die Grenze nach Bayern, verließ bei Kronach den Thüringer Wald und durchquerte das Maintal. Zwischen Lichtenfels und Weismain folgte dann der Aufstieg auf die Fränkische Alb, über deren westliches Randgebiet sie verlief. Bei Forchheim drehte sie dann in östliche und bei Schnaittach in südliche Richtung, um Nürnberg weiträumig zu umgehen. Bei Altdorf führte sie in das Umspannwerk Ludersheim.
Südlich von Ludersheim führte die Leitung an Neumarkt vorbei und durchquerte bei Dietfurt das Altmühltal. Nach Verlassen der Fränkischen Alb folgte ein Verlauf nach Osten, an Abensberg vorbei und bei Landshut über die Isar. Anschließend wurde das ländliche Niederbayern der Länge nach durchquert, ehe bei Simbach der Inn und damit die Grenze zu Österreich (bis 1945 zum Reichsgau Oberdonau) überquert wurde. Direkt hinter der Grenze führte die Leitung in das Umspannwerk St. Peter. Danach folgte ein Abschnitt durch das Innviertel, an Ried im Innkreis und am Hausruck vorbei. Östlich von Lambach wurde die Traun überquert, ehe bei Steyr die Enns zu überqueren und ins Umspannwerk Ernsthofen zu führen.
Leitungsbetrieb in zwei deutschen Staaten
Trennung der Leitungsverbindung
Mit der Kapitulation der Wehrmacht und der Einrichtung der alliierten Besatzungszonen nach 1945 kam es zu Reparationsforderungen seitens der Sowjetunion. Neben Industrie- und Bahnanlagen betrafen diese auch Einrichtungen zur Energieversorgung. Der Leitungsabschnitt zwischen dem Umspannwerk Remptendorf und der Zonengrenze zur amerikanischen Besatzungszone, zu der Bayern damals größtenteils gehörte, wurde im April 1946 daher demontiert.[22] Eine herausragende Bedeutung hatte die Leitung, weil sie die einzige auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone war, die mit einer Spannung oberhalb der 110 kV betrieben wurde und damit zum Höchstspannungs-Verbundnetz gehörte. Eine ab 1941 gebaute und fertiggestellte HGÜ-Verbindung zwischen dem Kraftwerk Vockerode und Berlin ging aufgrund des Krieges nicht mehr in Betrieb, die bereits verbauten Komponenten gingen als Reparationsleistung an die Sowjetunion.
Weitere Reparationen betrafen das komplette Umspannwerk Marke sowie einzelne Transformatoren aus weiteren Umspannwerken, wodurch es zu Problemen bei der Bereitstellung von Transformatorenleistung kam. Auch wurde an vielen Doppelleitungen ein Stromkreis abmontiert. Dies betraf auch die innerhalb der sowjetischen Zone verlaufenden Teilstücke der Reichssammelschiene (Magdeburg–Marke, Marke–Dieskau, Dieskau–Remptendorf). Im Zuge der Beseitigung von Kriegsschäden, die im Wesentlichen bis 1947 andauerte, als die Sowjetunion demontierte Anlagen in Teilen wieder zurückgab, erneuerte man auch die genannten Teilstücke der Reichssammelschiene. Statt der vorher verwendeten Kappenisolatoren wurden erstmals neu entwickelte Langstabisolatoren auf der 220-kV-Ebene eingesetzt, was sich positiv auf die Versorgungssicherheit auswirkte.[26]
Auf bayerischem Gebiet befand sich nach Demontage des zonenüberschreitenden Abschnitts ein ca. 300 km langer, vom restlichen westdeutschen 220-kV-Netz abgetrennter Strang, der vom Umspannwerk Ludersheim über Altheim nach Österreich führte. Der in Österreich gelegene Abschnitt bis Ernsthofen war zu diesem Zeitpunkt, noch bis ins Jahr 1947, mit 110 kV in Betrieb.[27] Da die Elektrowerke ihr Versorgungsgebiet in Österreich, der sowjetischen Besatzungszone sowie den unter polnische bzw. sowjetische Verwaltung gestellten Ostgebieten verloren hatte, beschränkte sich ihr verbliebener Besitz auf Anlagen in den westlichen Besatzungszonen, darunter auch den bayerischen Abschnitt der Reichssammelschiene und das Umspannwerk Ludersheim.[10]
Seitens des Bayernwerks gab es daher schon im Jahr 1946 Pläne für eine auf westdeutschem Gebiet verlaufene 220-kV-Verbindung, um die Leitung der Elektrowerke mit dem Netz des RWE bzw. der Preußenelektra wieder zu verbinden. Im Zuge des Baus des Kraftwerks Aschaffenburg entstanden bis 1950 schließlich die Leitungen Ludersheim–Aschaffenburg, Aschaffenburg–Kelsterbach und Aschaffenburg–Borken, die eine Verbindung mit dem Netz des RWE bzw. der Preußenelektra wiederherstellten.
Im Zuge der fortschreitenden Abriegelung der sowjetischen Zone bzw. der 1949 gegründeten DDR wurde 1952 die Trennung vom West-Berliner, 1954 dann die Trennung vom westdeutschen Stromnetz veranlasst. Die Netze zwischen der BRD und der DDR waren anschließend, mit Ausnahme einiger Nieder- und Mittelspannungsleitungen zwischen Hessen/Niedersachsen und Thüringen, voneinander getrennt. Der Abschnitt zwischen Helmstedt und Magdeburg wurde im Bereich der Zonengrenze daher ebenfalls demontiert.[28]
Trasse im DDR-Leitungsnetz
Die noch verbliebenen Abschnitte der Reichssammelschiene auf dem Gebiet der DDR wurden in den Ausbau des landesweiten Hochspannungsnetzes mit einbezogen. Mit der Verwaltungsreform 1952 befanden sich die Abschnitte in den Bezirken Magdeburg, Halle und Gera. Im Zuge der Bezirkseinteilung wurden die 1948 aus der EWAG und den regionalen Energieversorgungsunternehmen gegründeten Energiekombinate in Energiebezirke umgewandelt. Die 15 Energiebezirke (alle 14 Bezirke der DDR plus Ost-Berlin) waren als formal eigenständige Betriebe in der Vereinigung Volkseigener Betriebe VEB Energieversorgung zusammengefasst. Der Betrieb des gesamten DDR-Verbundnetzes wurde mit der Verordnung über die Leitung der Energiewirtschaft vom 18. April 1963 (GBl. II/46) durch den zentralen VEB Verbundnetz übernommen.
In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre entstanden die ersten Leitungsneubauten auf der 220-kV Ebene. Die erste neu gebaute Leitung der DDR dieser Spannungsebene war als Stichleitung vom Strang der Reichssammelschiene ausgeführt. Sie verlief vom Umspannwerk Dieskau zu einem neuen 220-kV-Umspannwerk bei Zwönitz, das der Versorgung des Bergbaugebiets der SAG Wismut diente.[29] Von strategischer Bedeutung war das Unternehmen, da es Uran unter Tage förderte, das als Rohstoff dem sowjetischen Atomwaffenprojekt diente.
Im Energiebezirk Halle entstand nach Marke und Dieskau ein drittes 220-kV-Umspannwerk in Bad Lauchstädt, außerdem wurde in Erfurt ein weiteres 220-kV-Umspannwerk gebaut. Das Umspannwerk Bad Lauchstädt wurde an die in unmittelbarer Nähe verlaufende Reichssammelschiene angebunden, zur Versorgung des Umspannwerks Erfurt wurde die Reichssammelschiene nördlich von Apolda und bei Magdala geteilt und zwei separate Leitungsneubauten nach Westen errichtet.[30]
Trasse in Bayern
Bedingt durch die Demontage des Abschnitts auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone (Freistaat Thüringen bzw. ab 1952 Bezirk Gera) war die Leitung zwischen der Zonengrenze nördlich von Redwitz und Ludersheim nicht mehr betriebsbereit, da sie blind ohne jeglichen Anschluss an eine Schaltanlage endete. Nachdem man einige Jahre lang die Leitung in diesem Zustand stehen ließ, beschloss man in den 1950er Jahren schließlich, auf oberfränkischem Gebiet eine zusätzliche 220-kV-Umspannanlage zu bauen. Hinzu kam, dass eine weitere Leitung, die dem Stromaustausch zwischen Bayernwerk und Thüringenwerk diente, von der sowjetischen Besatzungsmacht demontiert wurde – dies war die ehemalige Leitung von Neuhaus-Schierschnitz nach Kulmbach. Diese 1927 gebaute Leitung wurde als Fortsetzung der 1927 errichteten Leitung Bamberg–Kulmbach konzipiert, womit eine Verbindung des Thüringenwerks mit dem Ringleitungsnetz des Bayernwerks gekoppelt war.
Auf dem Würgauer Berg, auf dem sich die beiden Leitungen kreuzten, errichtete die EWAG bis 1958 eine Umspannanlage für 220 kV und 110 kV, das Umspannwerk Würgau. Auch im Hinblick auf eine mögliche Wiedervereinigung beider deutscher Staaten wollte die EWAG vorbereitet sein, so hielt man an der nördlich von Würgau zur Zonengrenze führenden Leitungstrasse fest.[31] [32]
Nach dem Krieg entstand außerdem ein drittes bayerisches 220-kV-Umspannwerk in Altheim bei Landshut. Zwischen Matzenhof und Simbach am Inn läuft auf dem gleichen Gestänge die 220-kV-Leitung St. Peter–Pirach mit, daher werden hier keine Originalmasten mehr verwendet. Im Jahr 1988 ging die Betriebsführung der bayerischen Abschnitte der Reichssammelschiene mitsamt den 220-kV-Umspannwerken von der EWAG zum Bayernwerk über.
Betrieb und Demontagen seit 1990
Die politische Wende 1989/90 änderte die Verhältnisse in Europa schlagartig – die vorher durch den Eisernen Vorhang geteilten und nahezu strikt voneinander abgeschotteten Blöcke begannen erst sehr langsam, wieder zusammenzuwachsen. Insbesondere galt dies für das ostdeutsche Verbundnetz, das erst am 8. September 1995 mit dem westdeutschen synchronisiert wurde. Nötig war hierzu im Vorhinein die Inbetriebnahme zusätzlicher Höchstspannungsverbindungen. Im Laufe der 1990er Jahre entstanden zunächst drei innerdeutsche Verbundleitungen – zwischen Remptendorf und Redwitz, Mecklar und Vieselbach sowie Wolmirstedt und Berlin-Teufelsbruch.
380-kV-Leitungsneubau Remptendorf–Redwitz–Würgau
Als erstes Leitungs-Neubauprojekt nach der Wiedervereinigung – die grenzüberschreitende Leitung Helmstedt–Wolmirstedt ging noch 1989 zu DDR-Zeiten in Betrieb und sollte ursprünglich per HGÜ-Kurzkupplung mit dem DDR-Netz gekoppelt werden – entstand in den Jahren 1990 bis 1991 die 380-kV-Leitung Remptendorf–Redwitz. Im Zusammenhang mit diesem Leitungsprojekt stand außerdem die Umstellung einiger bayerischer Leitungsverbindungen von 220 kV auf 380 kV.
Beim Bau dieser Leitung zwischen Bayern und Thüringen nutzte man größtenteils den Trassenraum der ehemaligen Reichssammelschiene, lediglich auf etwa 20 km Thüringer Gebiet musste eine neue Trassenführung gesucht werden. Hieraus resultiert auch die relativ kurze Bauzeit, da die Leitung bereits am 20. Dezember 1991 – rund ein Jahr nach der Wiedervereinigung und auf den Tag genau 51 Jahre nach Inbetriebnahme des Abschnitts Remptendorf–Ludersheim der Reichssammelschiene – mit zunächst 220 kV in Betrieb genommen wurde.[33]
Im selben Jahr wurde die neue 380-kV-Leitung Grafenrheinfeld–Redwitz fertiggestellt und die schon in den 1970er Jahren gebaute Leitung Redwitz–Mechlenreuth–Etzenricht–Schwandorf mit einem Stromkreis auf 380 kV umgestellt. Trotzdem blieb die Leitung Remptendorf–Redwitz zumindest die erste Hälfte der 1990er Jahre nur mit 220 kV in Betrieb. Erst mit dem Sychronschluss des west- und ostdeutschen Netzes am 8. September 1995 und der Umstellung der Leitung Remptendorf–Röhrsdorf von 220 kV auf 380 kV wurde auch die Leitung Remptendorf–Redwitz auf 380 kV umgestellt.
Auch die neue Leitung von Redwitz nach Grafenrheinfeld nutzt in einem Abschnitt, zwischen den Umspannwerken Redwitz und Würgau, die ehemalige Trasse der Reichssammelschiene. In diesem Bereich wurden Masten errichtet, die für vier 380-kV-Stromkreise ausgelegt sind. Nach Inbetriebnahme waren zunächst ein 380-kV-Stromkreis und drei 220-kV-Stromkreise in Betrieb, erst mit der Inbetriebnahme der neuen Leitung von Würgau nach Raitersaich wurde ein 220-kV-Stromkreis auf 380 kV umgestellt. Die beiden restlichen Stromkreise wurden 2003 mit Umstellung des Umspannwerks Kriegenbrunn auf 380 kV und 2014 mit Inbetriebnahme des neuen 380-kV-Umspannwerks Eltmann auf diese Spannungsebene geschaltet.
Neu- und Umbauten in der Bestandstrasse in Bayern
Zwischen dem Umspannwerk Würgau und Elsenberg östlich von Forchheim wurde die ursprüngliche Leitung in den 1990er Jahren demontiert. In derselben Trasse wurde im Zuge der Erweiterung des bayerischen Höchstspannungsnetzes eine 380-kV-Leitung gebaut, die weiter bis zum Umspannwerk Raitersaich westlich von Nürnberg führt. Beide von Ludersheim her kommenden 220-kV-Stromkreise wurden bei Elsenberg auf die jeweils östliche Seite der neuen Leitung gelegt, sodass ein Trassendreieck entstand.[32] Mit der Umstellung des Umspannwerks Kriegenbrunn von 220 kV auf 380 kV im September 2003 stellte man den Abschnitt Elsenberg–Ludersheim der Reichssammelschiene letztlich auf 110 kV um und verband die Stromkreise mit dem untergeordneten 110-kV-Netz. Das Umspannwerk Würgau selbst wurde bis 2014, als der letzte 220-kV-Stromkreis zwischen Redwitz und Grafenrheinfeld auf 380 kV geschaltet wurde, ebenfalls komplett auf 380 kV umgerüstet.
Seitdem im Jahr 2007 die 220-kV-Anlage im Umspannwerk Ludersheim stark reduziert wurde, wird der Abschnitt Ludersheim–Sittling, obwohl nach wie vor mit 6 Leitern belegt, nur einkreisig betrieben. Zwischen Tann und Simbach verläuft die Leitung heute auf Masten für vier 220-kV-Kreise, da die zweikreisige Leitung von St. Peter nach Pirach auf dem selben Gestänge mitverläuft.
Ersatz durch 380 kV zwischen Halle und Remptendorf
Ende der 1990er Jahre wurde das Umspannwerk Marke von 220 kV auf 380 kV umgestellt und per Einschleifung an die 380-kV-Leitung Lauchstädt–Ragow angebunden. Die nun nicht mehr gebutzte 220-kV-Anbindung entfiel somit, weshalb der Abschnitt der Reichssammelschiene zwischen den Umspannwerken Förderstedt und Marke bzw. zwischen Marke und Dieskau bis ins Jahr 2000 abgebaut wurden. Zwischen Köthen und Marke verläuft im Trassenraum der Reichssammelschiene heute eine 110-kV-Leitung. Auch das Umspannwerk Dieskau selbst wurde im Zuge dieser Netzumstrukturierung entbehrlich, weshalb die noch aus dem Jahr 1937/38 stammende Freiluftanlage mit den zuführenden Leitungen abgerissen wurde. Die Werkssiedlung mit der Straße Am Umspannwerk erinnern allerdings noch heute an die ehemalige Anlage.[34]
Im Zuge der Energiewende sehen der Netzentwicklungsplan Strom wie auch das 2009 verabschiedete Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) den Neu- und Ausbau von Höchststpannungsverbindungen zwischen Nord- und Süddeutschland vor, um die in Norden erzeugte Windenergie zu den großen Verbrauchern im Süden zu transportieren. Das EnLAG-Projekt Nr. 4 sieht den Neubau einer Höchststpannugnsleitungen zwischen den Umspannwerken Lauchstädt und Redwitz vor. Mit dem Bau des ersten Abschnitts zwischen Lauchstädt und Vieselbach wurde nach Abschluss des Raumordnungsverfahrens zum 30. Dezember 2005 begonnen.[35] Die neue Leitung ging dann schließlich im Dezember 2008 in Betrieb. Im Zuge des Leitungsneubaus wurde die alte 220-kV-Leitung zwischen Lauchstädt und Vieselbach, die in großen Teilen der Reichssammelschiene folgte, abgebaut.
Schon Mitte der 1990er Jahre ging die neue 380-kV-Leitung Vieselbach–Großschwabhausen–Remptendorf in Betrieb, die ebenfalls die vorherige 220-kV-Leitung im Zuge der Reichssammelschiene ersetzt.
Abbau des letzten Teilstücks bei Magdeburg
Der seit Inbetriebnahme der neuen Leitung Lauchstädt–Vieselbach im Jahr 2008 letzte verbliebene Abschnitt der Reichssammelschiene auf Originalmasten nördlich von Bayern verlief zwischen den Umspannwerken Magdeburg und Förderstedt in Sachsen-Anhalt. Das Umspannwerk Förderstedt wurde bis 2014 um eine 380-kV-Schaltanlage erweitert und durch eine Stichleitung, die eine Einschleifung der vormaligen 380-kV-Leitung Wolmirstedt–Ragow bildet, an das Höchstspannungsnetz des Betreibers 50Hertz Transmission angebunden. Die 220-kV-Anlage wurde somit entbehrlich.
Zwischen Oktober 2016 und März 2017 wurde schließlich der bereits vorher außer Betrieb genommene Abschnitt der Reichssammelschiene ersatzlos demontiert, sodass die Leitungstrasse, die auch von der ebenfalls demontierten 220-kV-Leitung Wolmirstedt–Förderstedt genutzt wurde, verschwindet und wieder anderweitig genutzt werden kann.[36]
Heute
Ein Großteil der Originalmasten auf der einstigen Reichssammelschiene ist heute demontiert, die Leitung ist hier meist durch 380-kV-Leitungen ersetzt. Einzig das Teilstück von Forchheim über Ludersheim bis Ernsthofen existiert noch heute und wird bis zur Staatsgrenze von TenneT betrieben, weiter bis Ernsthofen von APG. Von Forchheim bis Ludersheim ist sie mit 110 kV in Betrieb, von Ludersheim bis Ernsthofen mit 220 kV.
Tabellarische Übersicht der Leitungsabschnitte
Abschnitt | Stromkreise (ursprüngliche Bezeichnung) |
Inbetriebnahme | Originaler Masttyp | Demontage |
---|---|---|---|---|
Helmstedt–Magdeburg | 291 292 |
1943 | Donaumast mit Erdseiltraverse | 1946 |
Magdeburg–Marke | 293 294 |
1943 | Donaumast mit Erdseiltraverse | 1990er (Förderstedt–Marke, Ersatz durch 380-kV-Abzweig) 2016–17 (Magdeburg–Förderstedt) |
Marke–Dieskau | 295 296 |
1943 | Donaumast mit Erdseiltraverse | 1990er (Ersatz durch 380-kV-Abzweig) |
Dieskau–Remptendorf | 297 298 |
1940 | Donaumast mit Erdseiltraverse | 1950er (Apolda–Magdala, Anschluss UW Erfurt) 1990er (Magdala–Remptendorf, Ersatz durch 380 kV) 2007–08 (Dieskau–Apolda, Ersatz durch 380 kV) |
Remptendorf–Ludersheim | 299 300 |
1940 | Donaumast mit Erdseiltraverse | 1946 (Remptendorf–Würgau) 1991 (Würgau–Elsenberg, Ersatz durch 380 kV) |
Ludersheim–St. Peter | 301 302 |
1941 | Donaumast mit Erdseiltraverse | |
St. Peter–Ernsthofen | 303 304 |
1941 | Donaumast mit zwei Erdseilen | Ersatzneubau in gleicher Trasse 2018 - 2020 [1] |
Projekte im Trassenraum
Ludersheim–Altheim
Zwischen Ludersheim und Altheim ist der Ersatzneubau mit 380 kV in Planung (Bundesbedarfsplangesetz-Vorhaben Nr. 41). Dabei soll auch das Teilstück der 220-kV-Leitung Ludersheim–Aschaffenburg–Borken zwischen Ludersheim und Raitersaich mit einbezogen werden.[37] Der Netzbetreiber Tennet spricht[38] hier von der „Juraleitung".[39]
Altheim–St. Peter
Derzeit ist geplant, den noch bestehenden Abschnitt zwischen den Umspannwerken Altheim (bei Landshut) und St. Peter durch eine grenzüberschreitende vierkreisige 380-kV-Leitung (sog. „380-kV-Deutschlandleitung") zu ersetzen. Diese soll den Energieaustausch zwischen den österreichischen alpinen Wasserkraftwerken und den norddeutschen Windparks ermöglichen. Die Ausführung der Planung liegt bei den jeweiligen Übertragungsnetzbetreibern Austrian Power Grid (Österreich) und TenneT (Deutschland). Der Neubau wird nötig, da die derzeitige Leitung an ihrer Kapazitätsgrenze betrieben wird. Geplant war auch ein Abzweig bei Simbach nach Haiming, dort war auf dem Gelände der OMV-Raffinerie der Bau eines GuD-Kraftwerkes geplant.[40] [41] [42] Das Projekt wurde 2016 eingestellt.[43]
Da die Masten der Leitung statisch nicht für den Betrieb mit 380 kV ausgelegt sind, wird ein kompletter Leitungsneubau in der Bestandstrasse nötig. Der Mast 256A kurz vor der Innquerung ist darüber hinaus mit einer Höhe von 21,7 m der niedrigste Mast im Hoch- und Höchstspannungsnetz des Betreibers.[44]
St. Peter–Ernsthofen
Der 111 km lange Abschnitt in Österreich von St. Peter am Hart nahe dem Grenzfluss Inn bis Ernsthofen wurde zwischen Frühjahr 2018 und Oktober 2020 mit neuen Masten und Leiterseilen ausgestattet, wobei die 433 Masten durch Neubauten ersetzt wurden, die Spannungshöhe aber gleich blieb. Schlankere höhere Masten kommen mit derselben Aufstandsfläche wie bisher aus. Die Spannung blieb mit 220 kV gleich, die Übertragungskapazität wurde mehr als verdoppelt. Der Mindestabstand vom Boden wurde auf 11 m erhöht um landwirtschaftlichen Geräten 7,5 m Durchfahrtshöhe zu gewähren – beispielsweise Mähdreschern mit Auswurfförderschnecke.[45]
Begonnen wurde mit dem Abschnitt von St. Peter zum Leitungsabzweig des Kraftwerkes Aschach bei Weibern.[46] Im Herbst 2019 folgte der Abschnitt von Weibern bis zum Umspannwerk Hausruck bei Lambach sowie anschließend der Abschnitt von Lambach bis zum Umspannwerk Sattledt. Im März 2020 begann schließlich die Erneuerung der Leitung im Abschnitt zwischen Sattledt und dem Umspannwerk Ernsthofen.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ a b Udo Leuschner: Der "Elektrofrieden" ermöglichte den weiteren Ausbau des Verbundsystems. (PDF) Abgerufen am 20. Juli 2019.
- ↑ Industrieanzeiger: Von der Insellösung zum Stromverbund. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 30. September 2016; abgerufen am 30. September 2016.
- ↑ Walter Schossig, VDI Bezirksverein Thüringen, Ausgabe Januar bis März 2010, Seite 19f: Aus der Geschichte der Elektrizität. (PDF) Abgerufen am 30. September 2016.
- ↑ H. Kirchhoff: Unternehmungsform und Verkaufspolitik der Stromversorgung. Verlag von Julius Springer, Berlin 1933, S. 88
- ↑ Wilhelm Taenzer: Stahlmaste für Starkstrom-Freileitungen: Berechnung und Beispiele. Springer-Verlag Berlin Göttingen Heidelberg 1952, S. 22
- ↑ Hans Witte: Die Konzentration in der deutschen Elektrizitätswirtschaft. Dissertation, Springer Verlag Berlin Heidelberg 1932, S. 17
- ↑ T. Horstmann, K. Kleinekorte: Strom für Europa – 75 Jahre RWE-Hauptschaltleitung Brauweiler 1928–2003. Klartext-Verlag, Essen 2003, ISBN 978-3-898-61255-5, S. 57f
- ↑ Historisches Lexikon Bayerns: Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG (VIAG). Abgerufen am 30. September 2016.
- ↑ Udo Leuschner: Das Energiewirtschaftsgesetz von 1935. Abgerufen am 22. Juli 2019.
- ↑ a b Antiquariat „Schöne Aktien": Die VIAG Aktiengesellschaft. Abgerufen am 30. September 2016.
- ↑ a b Günter Bayerl, Dirk Maier: Die Niederlausitz vom 18. Jahrhundert bis heute: Eine gestörte Kulturlandschaft? Abgerufen am 25. Juli 2017.
- ↑ Udo-Leuschner.de: Von der dezentralisierten Stromversorgung zum länderübergreifenden Verbundnetz. Abgerufen am 30. September 2016.
- ↑ Der Spiegel: „Eine Mischung aus Allmacht und Filz". 24. Februar 1986, abgerufen am 30. September 2016.
- ↑ Deutsche Digitale Bibliothek / Bundesarchiv: Reichsstelle für Elektrizitätswirtschaft (Reichslastverteiler) (Bestand). Abgerufen am 30. September 2016.
- ↑ Udo Leuschner: Kurzschluß: wie unsere Stromversorgung teurer und schlechter wurde, Seite 141. Abgerufen am 30. September 2016.
- ↑ a b Company-Histories.com: Bayernwerk AG. Abgerufen am 20. August 2019.
- ↑ Architektur im Verbund, Springer: Umspannwerke. Abgerufen am 1. Oktober 2016.
- ↑ Kapitel 2 Aufbau der Netze von Niederspannung (NS) bis Höchstspannung (HöS), Seite 18. Abgerufen am 30. September 2016.
- ↑ Architektur im Verbund: Umspannwerk. Abgerufen am 25. Juli 2017.
- ↑ Austrian Power Grid: Austrian Power Grid AG feierte 70 Jahre Umspannwerk Ernsthofen. Abgerufen am 25. Juli 2017.
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- ↑ Foto
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- ↑ Schwabacher Tagblatt: Schwabach: Widerstand gegen neue "Juraleitung". Abgerufen am 25. Januar 2019.
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- ↑ OMV Deutschland gibt Immobilien aus dem ehemaligen Kraftwerksprojekt Haiming ab. Abgerufen am 6. Juni 2020.
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- ↑ nachrichten.at vom 12. Februar 2017: 433 neue Hochspannungsmasten werden aufgestellt. Abgerufen am 19. Februar 2017.