Die US-Regierung und beteiligte Soldaten haben den Verlauf des Einsatzes in Details unterschiedlich dargestellt. Umstritten ist auch, ob Pakistaner den Wohnort Bin Ladens an die USA verrieten und in die Aktion eingeweiht waren.
Nach Zeugenaussagen von Bin Ladens Familienmitgliedern, pakistanischen Geheimdienstmitarbeitern und den Angaben der Frau des Kuriers al-Kuwaiti wohnte Bin Laden mit seinen Frauen und Kindern sowie der Familie des Kuriers seit August 2005 in einem Anwesen in der nordpakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Vorort Bilal Town der Militärgarnisonsstadt Abbottabad, die etwa 50 Kilometer nordöstlich von der Hauptstadt Islamabad entfernt liegt.[1] Erste Angaben in der Presse aus 2011 hatten den 6. Januar 2006 als Einzugstermin benannt.[2]
Der Gebäudekomplex wurde regional Waziristan Haveli genannt, weil ein Verbindungsmann Bin Ladens, der den Bau des Gebäudes organisierte, aus der Region Wasiristan kam.[3] Das Anwesen wurde von 2003 bis 2005 gebaut. Als Bauunternehmer gilt Noor Mohammed, als Statiker Gul Mohammed. Eigentümer des Gebäudes war Bin Ladens persönlicher Kurier Abu Ahmad al-Kuwaiti. Die US-Regierung ging zuerst von etwa einer Million US-Dollar an Wert aus. Diese Einschätzung wurde später korrigiert und die Anlage auf 250.000 US-Dollar herabgestuft.[4]
Das Grundstück war etwa 3.500 m2 groß und vollständig von einer 3 bis 5,5 Meter hohen, mit Stacheldraht gekrönten Mauer umgeben. Diese hatte zwei Tore, die als Sicherheitsschleusen dienten. Ferner gab es eine Reihe von Überwachungskameras sowie mehrere Satellitenschüsseln.[5] Auf dem Grundstück waren mehrere Gebäude errichtet worden, das Hauptgebäude bestand aus drei Stockwerken. Es unterschied sich von außen aufgrund seiner Größe und Sicherheitsvorrichtungen von den Gebäuden der Umgebung,[6] etwa durch besonders kleine Fenster und einen mit einer etwa 2,10 Meter hohen Mauer als Sichtblende umgebenen Balkon im obersten Stock. Das Haus hatte keinerlei Telefonleitungen und Internetverbindungen.[7]
Am 1. Mai 2011 befand sich ein etwa 1000 m2 großer, sorgfältig gepflegter Gemüsegarten mit Kohl, Kartoffeln und Cannabis auf dem Gelände. Ferner wurden eine Kuh und Hühner gehalten. Man nimmt an, dass es auch eine autarke Wasserversorgung mit einem Brunnen gab.[8] Anders als bei den Nachbarn wurde sämtlicher Müll im Haus Bin Ladens auf dessen Grundstück verbrannt und nicht zur Abholung auf die Straße gestellt.[5]
Das Gebäude wurde im Februar 2012 von pakistanischen Sicherheitskräften abgerissen.[9]
Aussagen von Zeugen, die angeblich Bin Laden oder ihm ähnlich scheinende Personen gesehen hatten, brachten keine konkreten Ergebnisse. Daher verfolgten die Fahnder der Central Intelligence Agency (CIA) ab 2006 solche Spuren nicht weiter, sondern konzentrierten sich auf mögliche Kuriere Bin Ladens. 2007 erfuhren sie schließlich durch Aussagen des im Irak gefangenen al-Qaida-Mitglieds Hassan Ghul, Bin Laden habe einen persönlichen Kurier mit dem DecknamenAbu Ahmad al-Kuwaiti. Die danach befragten hochrangigen al-Qaida-Mitglieder Abu Faradsch al-Libi und Chalid Scheich Mohammed, der als Hauptplaner der Terroranschläge vom 11. September 2001 gilt, bestritten jedoch, diesen Namen zu kennen. Unter anderem dieser Widerspruch bestärkte die Fahnder in der Annahme, al-Kuwaiti könne tatsächlich ein Vertrauter Bin Ladens sein. Monate später gab Chalid zwar schließlich zu, al-Kuwaiti zu kennen, behauptete jedoch zugleich, dieser sei kein al-Qaida-Mitglied mehr und für Bin Laden unwichtig.
Im Juni 2009 beauftragte Präsident Barack Obama den CIA-DirektorLeon Panetta, innerhalb von dreißig Tagen eine detaillierte Planung zur Lokalisierung und Ergreifung Osama Bin Ladens vorzulegen. Obama gab der Angelegenheit eine höhere Priorität, nachdem er Panetta bereits bei seinem Amtsantritt angewiesen hatte, die Suche nach Bin Laden wieder zu intensivieren.[10]
Aus einem durch Edward Snowden bekannt gewordenen Dokument der National Security Agency vom Juni 2010 ging hervor, dass es unter anderem den Vorschlag gab, Bin Laden anhand seines medizinischen Profils zu lokalisieren. Bin Laden litt bereits seit längerem unter Erkrankungen des Harntraktes und war auf medizinische Behandlung angewiesen, daher wurde unter anderem auch überlegt, Peilsender in medizinischen Hilfsmitteln zu verstecken, um ihn damit aufzuspüren.[11]
Etwa zu diesem Zeitpunkt konnte die CIA Bin Ladens Kurier al-Kuwaiti identifizieren und bis nach Abbottabad in Pakistan verfolgen. Al-Kuwaitis Versuche, eventuelle Beschatter abzuschütteln, deuteten darauf hin, dass er nach wie vor als Kurier für al-Qaida tätig war. Dieser Verdacht wurde zusätzlich durch ein abgehörtes Telefonat erhärtet, in dem Al-Kuwaiti unter anderem erwähnte, er sei „mit denselben Leuten wie früher zusammen".[10]
CIA-Direktor Panetta berichtete dem Präsidenten im August 2010 über die neuen Erkenntnisse und erklärte, dass man Bin Ladens Kurier im pakistanischen Abbottabad lokalisiert habe. Daraufhin verlangte Obama, ständig auf dem Laufenden gehalten zu werden. Im September wurde in einem CIA-Bericht namens Anatomy of a Lead (engl. für ‚Analyse einer Spur‘) das Anwesen in Abbottabad beschrieben und vermutet, dass Osama Bin Laden sich dort aufhalte. In einem weiteren Briefing im Dezember 2010 konnte Panetta Präsident Obama zusätzliche Videos und Beschreibungen des Anwesens in Abbottabad zeigen. Allerdings waren die Geheimdienste zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher, ob sich Bin Laden auch tatsächlich dort aufhielt.[10] Wegen der Größe und Abschirmung vermutete der Geheimdienst, dort müsse zumindest eine von al-Qaidas Führungspersonen wohnen.[12] Es ist unklar, inwiefern die NSA dabei Amtshilfe leistete, allerdings erwähnte Jon Darby (damals stellvertretender Direktor für Terrorismusbekämpfung der NSA) in einem Interview am 17. Mai 2011, seine Behörde habe eine Schlüsselrolle beim Identifizieren des Anwesens gespielt.[13]
Medienberichten zufolge versuchte die CIA, unter dem Deckmantel einer kostenlosen Impfkampagne in Abbottabad, an DNA-Proben der Bewohner des Anwesens zu kommen, um Bin Laden zu identifizieren und seine Anwesenheit nachzuweisen. Diese Impfaktion wurde von dem pakistanischen Arzt Shakil Afridi im März 2011 durchgeführt. Dabei soll eine von Afridi angestellte Krankenschwester Zugang zu Bin Ladens Anwesen erhalten haben. Allerdings ist nicht bekannt, ob sie tatsächlich DNA-Proben erhalten konnte.
Laut CIA-Chef Panetta beschaffte Afridi „äußerst hilfreiche Informationen" für die spätere Operation Neptune Spear.[14] Afridi wurde nach der Tötung Bin Ladens von pakistanischen Sicherheitsbehörden festgenommen[15], in Pakistan wegen Zusammenarbeit mit der CIA angeklagt und am 23. Mai 2012 wegen Hochverrats zu 33 Jahren Haft verurteilt.[16] Als Reaktion darauf kürzte der Bewilligungsausschuss des US-Senats amerikanische Finanzhilfen für Pakistan in einem symbolischen Akt um 33 Millionen US-Dollar. Der demokratische Senator Dick Durbin befand, es sei „ungeheuerlich, dass Pakistan den Mann, der uns half, Osama Bin Laden zu finden, einen Verräter nennt."[17]
Im Januar 2011 empfahlen CIA-Analytiker während eines Beratungsgesprächs mit Panetta rasches Handeln, da sich die Aufklärungslage nicht verbessern werde. Danach kündigte Panetta Präsident Obama an, dass al-Kuwaiti verschwinden könnte und es dann weiterer Ermittlungen bedürfe. Obama forderte, bis April Aktionspläne zu entwickeln. Daraufhin entstanden vier mögliche Handlungsszenarien, darunter auch Operation Neptune Spear, die auf den Schlüsselprinzipien des Vizeadmirals William H. McRaven für Special Operations beruhten – Wiederholbarkeit, Überraschungseffekt, Sicherheit, Schnelligkeit, Einfachheit und Zweck.[10] Zeitgleich sammelten die Fahnder der USA bis Februar 2011 weitere Indizien und beobachteten das Anwesen; so fanden sie heraus, dass der Kurier und seine Frau das Nebengebäude bewohnten, weitere Familien die oberen beiden Stockwerke des Hauptgebäudes. Sie sahen einmal auch einen großen Mann im Innenhof spazieren gehen.[18]
Am 14. März wurde Präsident Obama beim Zusammentreffen des United States National Security Council über die vier Aktionspläne unterrichtet. Es standen zur Wahl: erstens die Bombardierung des Anwesens durch B-2 Tarnkappenbomber, zweitens ein Drohnenangriff, drittens ein Helikopterangriff auf den Gebäudekomplex mit Absetzen von US-Spezialkräften und viertens eine gemeinsame Operation der Vereinigten Staaten mit Pakistan.[19] McRaven bemerkte bei dem Treffen, dass er die dritte Option auf ihre Durchführbarkeit prüfen und bald berichten werde, ob das durchführbar sei. Dafür brauche er drei Wochen Übungszeit. Die Aktion selbst sei nicht schwer ausführbar, jedoch wäre es eine Herausforderung, die Einheiten abzusetzen ohne einen Schusswechsel mit Pakistan auszulösen. Die Mission sei „sportlich, aber machbar", so McRaven.[10]
Am 29. März kristallisiert sich die Operation Neptune Spear als von Obama bevorzugt heraus. Die Bombardierung wurde verworfen, da sie wertvolle Beweise zerstört hätte und zu viele Zivilisten umgekommen wären[20]. Auch die Einbeziehung Pakistans wurde ausgeschlossen, da kein Vertrauensverhältnis bestand. Zu dieser Zeit hatten Analytiker die Wahrscheinlichkeit, dass Osama Bin Laden sich im Unterschlupf aufhalte, bewertet: Die Hauptanalytiker der CIA nahmen eine 95-prozentige Wahrscheinlichkeit an, eine weitere Gruppe veranschlagte 80 Prozent, während eine dritte Gruppe von einer Wahrscheinlichkeit zwischen 30 und 40 Prozent ausging.[10]
Am 12. April unternahm Panetta Neubewertungen der Aufklärungslage, die aber keine eindeutige Identifizierung Osamas erbrachten. Zugleich übten von Anfang bis Mitte April Soldaten der DEVGRU (SEAL Team Six) in North Carolina und Nevada auf einer dem Anwesen nachgebauten Anlage. Der Übungsaufbau vermittelte den Marinesoldaten die Größe und Umgebungsbedingungen. Nachdem die technischen Details praktisch nachempfunden waren, unterrichtete McRaven den Präsidenten über die gesammelten Übungsergebnisse. Der Einsatz erscheine wie eine Routineoperation in Afghanistan und Irak. Die Herausforderung sei nach wie vor der Flug durch den pakistanischen Luftraum, weil man die Souveränität dieses Luftraums verletze.[10] Im späten April wurde die DEVGRU-Einheit auf die Bagram Air Base in Afghanistan verlegt. Am dortigen Nachbau des Komplexes setzte sie die Einsatzübungen fort.[21]
Am 19. April erörterte das National Security Council der USA Bedenken gegen den Einsatz. US-VerteidigungsministerRobert Gates fürchtete das Risiko eines Fehlschlags ähnlich dem Raymond-Davis-Zwischenfall und den damit verbundenen steigenden Antiamerikanismus in Pakistan. Alle Beteiligten stimmten überein, dass der Schutz der Einsatzkräfte über die Interessen Pakistans gehe. Am Ende wurde die Entscheidung getroffen, der Mission zusätzliche MH-47-Hubschrauber zuzuteilen.[10]
Die CIA befürchtete Ende April die Enttarnung wegen möglicher durchsickernder Informationen. Am 25. April gab sie daher eine letzte Einschätzung zur Wahrscheinlichkeit, dass sich Osama Bin Laden im Anwesen aufhalte, mit 40 bis 60 Prozent. Für Obama reduzierte sich dies zu einer Fünfzig-Fünfzig-Entscheidung. Kurz darauf fand am 28. April die letzte Beratung des National Security Council statt; erst ein Folgegespräch am Nachmittag zwischen McRaven und Obama veranlasste den Präsidenten dazu, am Folgetag seine endgültige Entscheidung für die Operation Neptune Spear bekanntzugeben. Den Startbefehl gab Obama an McRaven am 30. April 2011 via Telefon. Am 1. Mai versendete CIA-Direktor Panetta die endgültige Autorisierung durch Präsident Obama für die Ausführung der Operation.[10]
Als Gründe für den Termin gaben Beteiligte später die mondlose Nacht – die einen unbemerkten Anflug erleichtern sollte – sowie die Furcht vor dem Durchsickern des Aktionsplans an, das den Plan vereitelt und Bin Laden dauerhaft jedem Zugriff in Pakistan entzogen hätte.[18]
Karte von Pakistan, Abbottabad ist 55 km von der Hauptstadt Islamabad entfernt, 269 km von dem Militärflugplatz in Dschalalabad und 373 km von der Bagram Air Base
Die Einsatzkräfte wurden mit vier Hubschraubern – zwei MH-47 Chinook und zwei modifizierten MH-60 „Black Hawk" – in das Einsatzgebiet geflogen. Die Lufttemperatur war um 8,3 °C (17 °F) höher als angenommen und erschwerte die Flugbedingungen. Die MH-47 warteten auf Abruf in der Nähe von Bin Ladens Anwesen, die zwei anderen Hubschrauber flogen das Hauptgebäude an.[28]
Ursprünglich war geplant, dass ein Black Hawk auf dem Hausdach und der andere auf dem Grundstück landen sollte, um das Hauptgebäude gleichzeitig von oben und unten zu erstürmen und so die Bewohner besser zu überraschen.[18] Einer der Hubschrauber geriet jedoch während des Schwebefluges in ein Wirbelringstadium. Er musste auf dem Grundstück notlanden, prallte mit dem Heckrotor gegen eine Umfassungsmauer und wurde dabei so schwer beschädigt, dass er von den Einsatzkräften zurückgelassen und gesprengt werden musste.[29] Anhand von Fotografien seines intakten Heckrotors erklärten Experten von Hubschrauberherstellern, es handele sich um eine öffentlich nicht bekannte Version eines Black Hawks mit Tarnkappentechnik. Damit wird auch erklärt, dass der Anflug durch Pakistan gelang, ohne von der pakistanischen Luftüberwachung bemerkt zu werden.[30]
Die MH-60 waren mit jeweils einem Team aus etwa zwölf Mann besetzt, die sich aus den Hubschraubern abseilten, Breschen in die Mauern sprengten und die zwei Gebäude im Innenhof stürmten. Abu Ahmad al-Kuwaiti hielt sich im Erdgeschoss eines Nebengebäudes auf, eröffnete das Feuer auf die erste Gruppe, als diese in das Gebäude eindrang, und wurde anscheinend im Verlauf des Gefechts zusammen mit seiner Frau erschossen. Es gibt Hinweise darauf, dass al-Kuwaiti möglicherweise der einzige Bewaffnete in dem Anwesen war.[31] Nach anderen Angaben soll er seine Frau als Schutzschild benutzt haben, so dass beide erschossen wurden.[32]
Die zweite Gruppe stürmte das Hauptgebäude. Im Treppenhaus erschossen die Soldaten Kuwaitis Bruder, der die Hand verdächtig hinter dem Rücken gehalten haben soll, sich aber als unbewaffnet herausstellte.[33] Auch ein Sohn Bin Ladens wurde erschossen, als er die Treppe hinunterschaute, die die Soldaten hinaufstürmten.[32] Nach anderen Berichten befand sich der Sohn mit Bin Laden in dessen Schlafzimmer und wurde dort gemeinsam mit seinem Vater getötet.[34]
Bin Laden soll sich zusammen mit seiner jüngsten Ehefrau und einer Tochter in einem Raum im zweiten Stock befunden haben. Nach ersten Angaben des Präsidentenberaters John O. Brennan soll er sich an einem von seinen Begleitern eröffneten Feuergefecht beteiligt und seine Frau als Schutzschild benutzt haben; dabei sei sie mit ihm getötet worden. CIA-Direktor Leon Panetta gab an, Bin Laden habe bedrohliche Bewegungen gemacht und sei deshalb erschossen worden.[32] Laut Panetta waren Bargeld im Wert von 500 Euro sowie zwei Telefonnummern in Bin Ladens Kleidung eingenäht: Demnach sei er auf eine Flucht vorbereitet gewesen.[35]
Einige dieser Angaben korrigierte Jay Carney, Sprecher des Weißen Hauses am 2. Mai: Bin Laden sei unbewaffnet gewesen, die vermeintlich getötete Frau sei nicht seine Ehefrau gewesen und diese sei nur verletzt worden. Bin Laden sei durch je einen Schuss in die Brust und den Kopf getötet worden, ob und wie er Widerstand geleistet haben soll, ließ Carney offen.[36] Nach Aussage eines ungenannten Regierungssprechers soll die Frau Bin Ladens Namen gerufen und sich zwischen ihm und den Soldaten postiert haben, bevor sie verletzt und er erschossen wurde.[37] Nach am 4. Mai 2011 veröffentlichten Aussagen einzelner Beteiligter soll Bin Laden mit einem Gewehr und einer Pistole in Reichweite angetroffen und mit einem HK416 erschossen worden sein, nachdem er kein Anzeichen gezeigt habe, sich zu ergeben.[38][39] Am 17. Mai veröffentlichte Angaben offizieller Beobachter der Operation berichten, dass drei US-Soldaten Bin Laden am Ende des Flures im zweiten Stock antrafen, ihn erkannten und ihm in sein Schlafzimmer folgten. Dort hätten zwei Frauen versucht, Bin Laden zu schützen, und wurden vom ersten Soldaten beiseite geschoben, während der nächste Soldat hinter ihm Bin Laden sofort erschossen habe. Nach dieser Darstellung habe man erst nach dem Fotografieren des Toten zwei Waffen in einem Regal nahe der Zimmertür gefunden.[18] Die US-Regierung räumte fehlerhafte Details der ersten Darstellungen ein und korrigierte sie mehrfach.[40]
Nach US-Regierungsangaben hatte Obama der Sicherheit der beteiligten Soldaten Vorrang gegeben: Sie sollten Bin Laden keine Gelegenheit zu tödlichen Schüssen geben. Keiner von ihnen wurde verletzt.[41] Nach Aussagen eines Sicherheitsberaters der US-Regierung war ihnen eine gezielte Tötung befohlen worden und sie hätten keine Gefangennahme Bin Ladens beabsichtigt.[42] Dem widersprachen Regierungssprecher insofern, dass man zwar angenommen habe, dass die Aktion mit Bin Ladens Tötung enden könne, diese wurde aber nicht von vornherein angestrebt, sondern auch seine Festnahme eingeplant. Der bei derartigen Antiterroraktionen übliche Auftrag Töten oder Fangen verlangt jedoch keine bestimmten Vorkehrungen für das Überleben der Zielperson.[43]
Insgesamt töteten die US-Soldaten bei der Aktion fünf Personen in dem Anwesen. Neben Bin Ladens Leichnam stellten sie drei AK-47-Sturmgewehre, zwei Pistolen, mehrere Mobiltelefone,[44] über 100 Speichermedien wie USB-Sticks, DVDs und Computerdisketten sowie zehn Festplatten, fünf Computer und große Mengen Schriftstücke im Haus sicher. Die ganze Operation auf dem Gelände dauerte 38 Minuten.[31] Die gewonnenen Daten erlaubten eine Untersuchung der internen Kommunikation von al Qaida von den Jahren 2000 bis 2011. Nach und nach wurden die Dokumente für die Öffentlichkeit deklassifiziert, so allein im November 2017 470.000 Datensätze. Außer der Kommunikation mit al-Qaida-Mitgliedern enthalten sie persönliche Notizen bin Ladens sowie Aufzeichnungen von Gesprächen innerhalb des engsten Familienkreises sowie Briefe von Angehörigen.[45]
Die Aktion wurde mit Helmkameras der beteiligten Soldaten über Satellit direkt in das Weiße Haus übertragen. Neben Obama beobachteten VizepräsidentJoe Biden, AußenministerinHillary Clinton, VerteidigungsministerRobert Gates, der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, Admiral Michael G. Mullen sowie der stellvertretende Kommandeur des JSOC, Brigadegeneral Marshall B. Webb, den Einsatz. CIA-Direktor Leon Panetta war aus Langley per Konferenzschaltung anwesend.[46] Entgegen ersten Meldungen empfingen sie nach der Landung der Hubschrauber zunächst etwa 23 Minuten lang keine Live-Bilder von der Erstürmung des Hauses und Tötung Bin Ladens, hörten aber den Funkspruch „Geronimo EKIA" (engl.: „Enemy killed in action", dt.: „Feind im Kampf getötet").[47] Darauf habe Obama gesagt: Wir haben ihn.[48]
Bin Ladens Leichnam wurde nach US-Regierungsangaben am Tatort fotografiert und dann nach Afghanistan ausgeflogen, wo eine DNA-Analyse und deren Vergleich mit DNA-Proben seiner in den USA verstorbenen Schwester seine Identität bestätigte.[49] Danach wurde er an Bord des Flugzeugträgers Carl Vinson gebracht und dort laut Aussage John Brennans in strikter Übereinstimmung mit muslimischen Bestattungsvorschriften gegen 11:00 Uhr Ortszeit an unbekannter Stelle im Arabischen Meer auf See bestattet.[50]
Nach ersten Darstellungen der pakistanischen Regierung seien pakistanische Kampfflugzeuge kurz nach dem Abzug der US-Soldaten in Abbottabad eingetroffen, so dass sie nach erster Berichterstattung die Helikopter beinahe abgefangen hätten. Nach Dokumenten, die aus dem späteren Bericht der pakistanischen Abbottabad-Kommission zur Tötung Bin Ladens stammen sollen, soll die pakistanische Luftwaffe jedoch erst über das Fernsehen auf den Vorgang aufmerksam geworden sein; daraufhin wurden die Kampfflugzeuge ausgesandt. Die Operation sei unerwartet gewesen und der Luftraum nicht durch Radar abgedeckt, so dass die pakistanischen Streitkräfte die amerikanischen Hubschrauber nicht hätten vorher entdecken können.[51]
Nach ersten Berichten seien Polizeikräfte erst nach dem Abzug der amerikanischen Einheiten eingetroffen. Jedoch sei die Abbottabader Polizei durch konstantes Klingeln der Telefone ab dem Eintreffen der US-Hubschrauber auf den Vorfall aufmerksam geworden. Nach Angaben des Polizeichefs Muhammad Nazir seien Streifen der Nawan-Shehr-Polizeistation ausgesandt worden. Er selbst habe mit zwei anderen Polizisten beim Eintreffen das Areal von Militärs umringt vorgefunden. Diese baten darum, einen Sicherheitskorridor errichten zu können. Ein ungenannter Polizeibeamter sagte gegenüber der BBC, dass er eine pakistanische Militäroperation wahrnahm. Sie seien davon abgehalten worden, das Anwesen zu betreten.[52]
Nach verschiedenen Aussagen pakistanischer Beamter fand die pakistanische Polizei dort am frühen Morgen des 2. Mai zwei Witwen Bin Ladens und neun bzw. 14 Kinder im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren gefesselt – einige mit leichten Verletzungen – vor und nahm sie in Gewahrsam. Drei männliche und eine weibliche Tote wurden geborgen: Dabei soll es sich um den Kurier Abu Ahmed al-Kuwaiti, seine Frau, seinen Bruder (zugleich ein Leibwächter Bin Ladens) und Bin Ladens Sohn Ibrahim (Alter 21) gehandelt haben.[53] Spätere Berichte nannten 17 lebende und zurückgelassene Personen, darunter drei Witwen, zwei Söhne, eine Tochter und vier Enkelkinder Bin Ladens.[54] Andere berichten von 27 Personen, davon 18 Kinder und neun Frauen.[18]
Den Tathergangsversionen der US-Regierung widersprachen pakistanische Berichte vom 5. Mai 2011: Danach soll Bin Ladens zwölfjährige Tochter Safia in pakistanischen Verhören ausgesagt haben, Bin Laden sei erst nach seiner Festnahme und erst beim Transport zum Hubschrauber im Erdgeschoss am Boden liegend aus nächster Distanz exekutiert worden.[53] Nach anderen Angaben des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence soll sie dagegen nur gesagt haben, sie habe die Erschießung ihres Vaters aus nächster Nähe beobachtet.[32]
Chuck Pfarrer, ehemaliger SEAL, bestritt in seinem im August 2011 erschienenen Buch SEAL Target Geronimo: The Inside Story of the Mission to Kill Osama Bin Laden die Darstellung der US-Regierung. Er gibt an, im Rahmen der Recherche mit beteiligten SEALs gesprochen zu haben. Laut Pfarrer sei das SEAL-Team auf dem Gebäudedach gelandet; nur 90 Sekunden nach dem Beginn der Erstürmung sei Bin Laden erschossen worden, und zwar in einem Akt der Selbstverteidigung, behauptete Pfarrer, weil er nach einer Waffe gegriffen habe.[55] Es habe keine langen Schusswechsel gegeben, insgesamt hätten die US-Soldaten nur zwölf Schüsse abgegeben.[56] Die Operation der Spezialkräfte sei kein Tötungsauftrag gewesen, sagten die interviewten SEALs aus, denn dafür hätte man kein SEAL-Team benötigt.[55] Dass die SEALs auf einer Tötungsmission waren, hatte ein Sicherheitsberater der US-Regierung vor einem späteren Dementi von Präsident Barack Obama verkündet.[56]
Nach Angaben in dem Buch ’No Easy Day,’ Bin Laden Raid Book: Osama Was Unarmed (geschrieben von Matt Bissonnette – der als beteiligter SEAL bei der Erstürmung gilt – unter dem Pseudonym Mark Owen), welches keine Freigabe durch das US-Verteidigungsministerium oder das Weiße Haus erhalten hatte, schossen einige Soldaten schon von der Treppe aus auf Bin Laden. Dieser sei in den Raum verschwunden, aus dem er kam. Als die SEALs den Raum betraten, habe er unbewaffnet am Boden gelegen und mit dem Tode gerungen. Die SEALs hätten weitere Schüsse auf seinen Brustkorb abgegeben und ihn so getötet. Anschließend habe man zwei ungeladene Waffen im Raum gefunden; somit habe Bin Laden sich in keiner Weise bewaffnet verteidigen können. Entgegen früheren Darstellungen, schrieb Matt Bissonnette, seien sie bei der Landung auf dem Anwesen nicht beschossen worden, auch habe es kein 40-minütiges Feuergefecht gegeben. Vor der Aktion habe ein Justizvertreter der Regierung alle beteiligten Soldaten instruiert, dass zwar niemand sage, wie die Spezialeinheit ihre Arbeit zu machen habe, Bin Laden aber festzunehmen sei, falls er keine Gefahr darstelle.[57]
Im Oktober 2014 erklärte der ehemalige SEAL Robert O’Neill, er habe sofort, als er in das Schlafzimmer eintrat, in dem Bin Laden sich hinter seiner jüngsten Frau verborgen habe, Bin Laden mit einem Kopfschuss getötet.[58] Nach Informationen der Basler Zeitung gilt es als gesichert, dass drei US-Soldaten zuerst in den Raum vordrangen, darunter O’Neill und Matt Bissonnette. Jedoch sei der dritte, unbenannte „Point Man" der Todesschütze Bin Ladens. Er werde seine Identität nicht enthüllen und sich damit an die Vorgaben des United States Naval Special Warfare Command halten.[59]