Kadenz (Harmonielehre)
In der Harmonielehre bezeichnet Kadenz (italienisch cadenza, von lateinisch cadere ‚fallen, enden‘) meist eine Akkordfolge, die den Abschluss eines Abschnitts oder eines ganzen Stückes bewirkt. In einem allgemeinen Sinn wird der Begriff auch für klischeehafte, oftmals ostinate Kadenzformeln verwendet (z. B. Andalusische Kadenz).
Seit dem 18. Jahrhundert ist der Begriff allerdings mehrdeutig und wird in der Musiktheorie auch für Akkordfolgen verwendet, die einigen Autoren als Grundelement musikalischer Harmonik gelten und nicht notwendigerweise einen Abschluss darstellen. Großen Einfluss hatten hierbei die musiktheoretischen Schriften von Jean-Philippe Rameau. Im späten 19. Jahrhundert hat Hugo Riemann „Kadenz" zum Prinzip von musikalischer Form insgesamt erklärt. Vor diesem Hintergrund haben sich Begriffe wie „erweiterte Kadenz" und „Vollkadenz" etabliert.
Kadenz als Schlussformel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Als Bezeichnung für Schlusswendungen löste das Wort Kadenz im späten 15. Jahrhundert zuerst in Italien die ältere Bezeichnung clausula (Klausel) ab.[1] Die Akkordfolgen vieler Kadenzen in diesem Sinne sind aus der Kombination solcher Klauseln verständlich. Heutzutage verbreitete Unterkategorien des Begriffs Kadenz als Schlussformel, die vor allem zur Beschreibung von Musik des 18. und 19. Jahrhunderts verwendet werden, sind u. a.:
- vollkommener und unvollkommener authentischer (Ganz-)Schluss
- Plagalschluss
- Halbschluss
- Trugschluss
Die Kadenz (etwa als Schlussbildung und Tonartbestätigung) besteht aus der Folge Tonika (I), Subdominante (IV), Dominante (V) und wieder Tonika (I):[2]
- I – IV – V – I
Typische Schlussformeln im Jazz sind u. a. die Stufenfolgen:
- II – V – I
- V – IV – I
- ♭VII – V7 – I
Bezeichnungen von Schlussformeln aus historischen Lehrwerken oder aus der Forschungsliteratur zu älteren Repertoires sind u. a.:
Kadenz als Grundbaustein von Harmonik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Die Übertragung des Begriffs Kadenz auf Akkordfolgen, die nicht als Schlusswendungen dienen, geht zurück auf Jean-Philippe Rameau (1683–1764). Er verfolgte die Idee, dass in der Musik seiner Zeit Akkordverbindungen vor einem Abschnittsende im Grunde die gleichen sind wie die in den üblichen Schlussformeln. Deshalb versuchte er alle Akkordverbindungen (außer Akkordwechseln nach einer abschließenden Tonika) auf vier Arten von „cadences" zurückzuführen:
« Excepté le passage d’une tonique à quelque note que ce soit, tout est cadence, parfaite, rompue, interrompue ou irrégulière, en y comprenant leur imitation. »
„Abgesehen vom Übergang von einer Tonika zu egal welcher Note ist alles Kadenz, vollkommene, gebrochene, unterbrochene oder irreguläre, ihre Nachahmungen mit eingeschlossen."
Hierbei bedeutet:
- cadence parfaite: Quintfall im Fundamentalbass nach einem Dominantseptakkord
- cadence rompue: Sekundanstieg im Fundamentalbass nach einem Dominantseptakkord
- cadence interrompue: Terzfall im Fundamentalbass nach einem Dominantseptakkord
- cadence irrégulière: Quintanstieg im Fundamentalbass
Ein musikalischer Abschnitt ist demnach im Hinblick auf seine Harmonik eine Aneinanderreihung solcher „Kadenzen" bzw. von Akkordfolgen, die nach deren Vorbild gestaltet sind („imitation"). So besteht z. B. eine Quintfallsequenz aus einer Kette von vermiedenen oder „vorgetäuschten" cadences parfaites.[3]
Lars Ulrich Abraham definiert „Kadenz" als „eine Akkordgruppe von Tonika zu Tonika"[4] und sieht in ihr „mehr als eine harmonische Schlußwendung, nämlich ein Ordnungsprinzip aller Harmonik".[5] (Er leitet dies allerdings streng aus der Monodie ab, also innewohnender Schlusswendungen einzelner Stimmen.) Dies zwingt ihn zu Unterscheidungen wie die zwischen „Kadenz" und „Schlußkadenz" oder „Schlußkadenz" und „Binnenkadenz", sowie zu Präzisierungen wie Kadenz „als Schlußwendung".[6] Seine Bezeichnung der „Vollkadenz" als „die für die Bachzeit wichtigste Kadenz" ist vor diesem Hintergrund missverständlich. Entweder kann sie bedeuten, dass Abschnitte in spätbarocker Musik in der Regel mit der Abfolge T-S-D-T schließen, was ohne wesentliche Modifikationen dieser Akkordfolge nicht zutrifft. Oder sie bedeutet ganz allgemein, dass diese Musik dem „Urbild" der Abfolge T-S-D-T, also wie bei den von Abraham nicht unkritisch geteilten Prinzipien der Riemannschen Funktionstheorie, entspreche, anders als etwa die Musik von Palestrina oder Claude Debussy.
Vollkadenz
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Seit Riemann ist die „vollständige Kadenz",[7] „einfache Kadenz",[8] „Haupt-"[9] bzw. „Vollkadenz"[10] , also die Abfolge der Akkordstufen I IV V I bzw. der Funktionen T S D T ein Ausgangspunkt zahlreicher, vor allem deutscher Harmonielehren (siehe Beispiel: Vollkadenz in C-Dur).
Tonika Subdominante Dominante Tonika (I IV V I) in allen drei Lagen.