Hilbertwürfel
Der Hilbertwürfel, auch Hilbertquader oder hilbertscher Fundamentalquader genannt, englisch Hilbert cube, ist ein nach dem Mathematiker David Hilbert benannter topologischer Raum, der den aus dem Anschauungsraum bekannten Würfel {\displaystyle [0,1]^{3}} auf unendlich viele Dimensionen verallgemeinert.
Definition
Der Hilbertwürfel {\displaystyle W} ist der Produktraum {\displaystyle [0,1]^{\aleph _{0}}}, versehen mit der Produkttopologie. Das bedeutet im Einzelnen:
- {\displaystyle W} ist die Menge aller Folgen {\displaystyle x=(\xi _{n})_{n}} mit {\displaystyle 0\leq \xi _{n}\leq 1} für alle {\displaystyle n}.
- Eine Folge {\displaystyle (x_{m})_{m}} in {\displaystyle W}, wobei {\displaystyle x_{m}=(\xi _{n}^{(m)})_{n}}, konvergiert genau dann gegen ein {\displaystyle x=(\xi _{n})_{n}\in W}, wenn {\displaystyle \lim _{m\to \infty }\xi _{n}^{(m)}=\xi _{n}} für alle Indizes {\displaystyle n\in \mathbb {N} }.
Eigenschaften
- Der Hilbertwürfel ist zusammenhängend und wegzusammenhängend, denn diese Eigenschaften übertragen sich auf Produkträume.
- Der Hilbertwürfel ist ein kompakter Hausdorffraum, wie unmittelbar aus dem Satz von Tychonoff folgt.
- Der Hilbertwürfel ist metrisierbar, eine die Topologie definierende Metrik ist durch
- {\displaystyle d((\xi _{n})_{n},(\eta _{n})_{n}):=\sum _{n=1}^{\infty }{\frac {|\xi _{n}-\eta _{n}|}{2^{n}}}}
- gegeben.
- Wie alle kompakten, metrisierbaren Räume ist der Hilbertwürfel separabel und genügt dem Zweiten Abzählbarkeitsaxiom (und damit auch dem Ersten Abzählbarkeitsaxiom). Hierbei ist die Menge
- {\displaystyle D=\{(\xi _{n})_{n}\in W;,円\xi _{n}\in \mathbb {Q} {\mbox{ und }}\xi _{n}=0{\mbox{ für fast alle }}n\}}
- eine abzählbare dichte Teilmenge von {\displaystyle W}. Die Menge aller {\displaystyle {\tfrac {1}{m}}}-Kugeln (bzgl. obiger Metrik) um die Punkte aus {\displaystyle D} ist dann eine abzählbare Basis.
- Die lebesgue'sche Überdeckungsdimension des Hilbertwürfels {\displaystyle W} ist unendlich, denn für jedes {\displaystyle m} enthält der Hilbertwürfel den zu {\displaystyle [0,1]^{m}} homöomorphen Unterraum {\displaystyle W_{m}:=\{(\xi _{n})_{n}\in W;,円\xi _{n}=0{\mbox{ für alle }}n>m\}}, muss daher eine Dimension {\displaystyle \geq m} haben für alle {\displaystyle m\in \mathbb {N} } und das heißt {\displaystyle \dim W=\infty }.
Universelle Eigenschaft
Kompakte Räume mit abzählbarer Basis
Der Hilbertwürfel {\displaystyle W} ist nach obigen Eigenschaften ein kompakter Hausdorffraum mit abzählbarer Basis. {\displaystyle W} ist universell bzgl. dieser Eigenschaften in dem Sinne, dass er von jedem solchen Raum eine Kopie enthält. Es gilt:[1]
- Jeder kompakte Hausdorffraum mit abzählbarer Basis ist homöomorph zu einem abgeschlossenen Unterraum des Hilbertwürfels.
Polnische Räume
Auch polnische Räume lassen sich in den Hilbertwürfel einbetten. Es gilt:[2]
- Die polnischen Räume sind bis auf Homöomorphie genau die {\displaystyle G_{\delta }}-Mengen im Hilbertwürfel.
- Die kompakten, polnischen Räume sind bis auf Homöomorphie genau die abgeschlossenen Mengen im Hilbertwürfel.
Der Hilbertwürfel im l2
Eine homöomorphe Kopie des Hilbertwürfels findet sich im Hilbertraum {\displaystyle \ell ^{2}} der quadratsummierbaren Folgen. Definiere
- {\displaystyle {\tilde {W}}:=\{(\xi _{n})_{n}\in \ell ^{2};,円|\xi _{n}|\leq {\tfrac {1}{n}}{\mbox{ für alle }}n\}}.
Dann ist {\displaystyle \textstyle \varphi \colon W\rightarrow {\tilde {W}},(\xi _{n})_{n}\mapsto ({\frac {2\xi _{n}-1}{n}})_{n}} ein Homöomorphismus, wenn man {\displaystyle {\tilde {W}}} mit der Teilraumtopologie der Normtopologie des Hilbertraums {\displaystyle \ell ^{2}} versieht. Beachte, dass {\displaystyle {\tilde {W}}} keine Nullumgebung in {\displaystyle \ell ^{2}} ist, denn {\displaystyle {\tilde {W}}} enthält keine Normkugel. Ferner fallen auf {\displaystyle {\tilde {W}}} die relative Normtopologie und die relative schwache Topologie zusammen.
Alternative Definitionen des Hilbertwürfels wären {\displaystyle \textstyle W:=\prod _{n=1}^{\infty }[0,{\frac {1}{2^{n}}}]} oder {\displaystyle \textstyle W:=\prod _{n=1}^{\infty }[-{\frac {1}{n}},{\frac {1}{n}}]} oder {\displaystyle \textstyle W:=\prod _{n=1}^{\infty }[0,{\frac {1}{n}}]}, versehen mit der Produkttopologie. Bei einer solchen Definition wäre {\displaystyle W} selbst eine Teilmenge des Hilbertraums {\displaystyle \ell ^{2}}. Die erste Variante wird in[3] verwendet, dort spricht der Autor wegen der unterschiedlichen Seitenlängen auch nicht vom Hilbertwürfel, sondern vom Hilbertquader, ebenso in,[4] wo die dritte Variante zur Definition herangezogen wird.
Literatur
- Lutz Führer: Allgemeine Topologie mit Anwendungen. Vieweg Verlag, Braunschweig 1977, ISBN 3-528-03059-3.
- Horst Schubert: Topologie. 4. Auflage. B. G. Teubner Verlag, Stuttgart 1975, ISBN 3-519-12200-6 (MR0423277).
- Stephen Willard: General Topology (= Addison-Wesley Series in Mathematics). Addison-Wesley, Reading, Massachusetts (u. a.) 1970 (MR0264581).
Einzelnachweise
- ↑ Johann Cigler, Hans-Christian Reichel: Topologie. Eine Grundvorlesung (= BI-Hochschultaschenbücher. 121). Bibliographisches Institut, Mannheim u. a. 1978, ISBN 3-411-00121-6 Kapitel 5.2, Satz 8.
- ↑ Oliver Deiser: Reelle Zahlen. Das klassische Kontinuum und die natürlichen Folgen. 2., korrigierte und erweiterte Auflage. Springer, Berlin u. a. 2008, ISBN 978-3-540-79375-5, Korollar auf S. 335.
- ↑ Wolfgang Franz: Topologie. Band 1: Allgemeine Topologie (= Sammlung Göschen. Bd. 6181). 4., verbesserte und erweiterte Auflage. de Gruyter, Berlin u. a. 1973, ISBN 3-11-004117-0, S. 14.
- ↑ Klaus Jänich: Topologie. 8. Auflage. Springer, Berlin u. a. 2005, ISBN 3-540-21393-7, S. 199.