Nico Hübner
Nico Hübner (nach manchen Quellen Niko Hübner) (* 5. Februar 1955 in Berlin) ist ein DDR-Regimekritiker und Kriegsdienstverweigerer. Weil er sich in der DDR auf den entmilitarisierten Status Berlins berief, erregte sein Fall großes Aufsehen. SED-Generalsekretär Erich Honecker zeichnete den Prozessvorschlag des Ministeriums für Staatssicherheit persönlich ab.
Leben
Sein Vater, Erwin Hübner, war Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland (SED) und wissenschaftlicher Mitarbeiter der SED-Parteihochschule „Karl Marx". Seine Mutter, Lilo Hübner, geb. Erbstößer, war ebenfalls SED-Mitglied und Mitarbeiterin beim Staatlichen Rundfunkkomitee der DDR, als leitende Redakteurin beim Kinderfunk.
Nico Hübner verließ 1972 nach zehn Klassen die Schule. Wenig später trat er aus der Freien Deutschen Jugend (FDJ) aus und wurde Mitglied der Evangelischen Studentengemeinde. Im Dezember 1972 wurde Nico Hübner in einen Jugendwerkhof eingewiesen, um dort „sozialistisch erzogen" zu werden. Aus dem Jugendwerkhof wurde er erst 1974 entlassen. Anschließend jobbte er als Komparse am Deutschen Theater Berlin. Er stellte im Frühjahr 1977 einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik. Als das Kreiskommando der Nationalen Volksarmee ihn im März 1978 zur Musterung für den Wehrdienst vorlud, verweigerte er. Er erklärte, der entmilitarisierte Status Berlins, nach dem in West-Berlin keine Wehrpflicht existierte und der nach Auffassung der Westalliierten für Gesamt-Berlin zutraf, gelte auch für den Ostteil der Stadt. Die DDR und die UdSSR hatten das immer bestritten. [1] Er wurde daraufhin verhaftet.
Hübner stand in Kontakt mit der West-Berliner Arbeitsgruppe für Menschenrechte, einer Abspaltung der Gesellschaft für Menschenrechte, die ihn unterstützte und der er Material zur Veröffentlichung in westlichen Medien zusandte. Der Fall fand in der bundesdeutschen Öffentlichkeit große Beachtung. Berlins Regierender Bürgermeister Dietrich Stobbe nannte ihn in einer Gedenkrede zum 20. Juli 1978 als Beispiel für die Unterdrückung von Freiheit und Menschenrechten in der DDR. [2] Der Verleger Axel Springer setzte sich in Briefen an Bundeskanzler Helmut Schmidt, den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl, US-Präsident Jimmy Carter und die Vereinten Nationen für ihn ein. [3] Rudi Dutschke, Marxist und Wortführer der Studentenbewegung der 1960er Jahre, drückte Hübner seine Solidarität aus und forderte ihn auf, sich geistig "nicht den Rücken brechen" zu lassen. [4] Die Junge Union startete eine Unterschriftensammlung für seine Freilassung.
Der Prozess gegen Hübner wurde vom Ministerium für Staatssicherheit gesteuert. SED-Generalsekretär Erich Honecker erhielt einen detaillierten Prozessvorschlag. Er zeichnete die Anklagepunkte gegen den Wehrdienstverweigerer persönlich ab. Zugleich bearbeitete er die dazugehörige Meldung der DDR-Nachrichtenagentur Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (ADN). Der Prozess fand im Sommer 1978 unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, die Zeugen wurden zu Stillschweigen verpflichtet. [5] Am 7. Juli 1978 wurde Hübner vom 1. Strafsenat des Stadtgerichtes Berlin zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach der Urteilsbegründung hatte er die Wehrpflicht verletzt, Nachrichten gesammelt (§ 98 StGB [DDR]) und staatsfeindliche Hetze (§ 106 StGB [DDR]) betrieben. [6] 13 Monate war Hübner Gefangener in der Justizvollzugsanstalt Bützow. Am 11. Oktober 1979 wurde er gleichzeitig mit Rudolf Bahro amnestiert [7] und von der DDR in den Westen abgeschoben. Auch seine erste Frau und sein Sohn durften mit ihm ausreisen.
1980 trat Hübner gemeinsam mit 30 ehemaligen DDR-Häftlingen, darunter der Ex-DDR-Schriftsteller Siegmar Faust, in die Freie Demokratische Partei (FDP) ein. [8] Dort unterstützte die Gründung der Jungen Liberalen. [9] 1986 konvertierte er zum orthodoxen Judentum, emigrierte 1988 nach Israel und leistete den Grundwehrdienst in den Israelischen Streitkräften. Er nahm den Vornamen Naphtali an, besuchte eine Rabbinerschule und arbeitete als Bauhandwerker. [10] Sieben Jahre lebte er mit der Schriftstellerin Rachel Abraham [11] , später heiratete er in zweiter Ehe eine aus Sankt Petersburg stammende Germanistin. [12]
Ehrungen
Hübner wurde 1979 mit dem Konrad-Adenauer-Freiheitspreis der Deutschland-Stiftung ausgezeichnet. Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß überreichte ihn in der Bayerischen Staatskanzlei.[13]
Einzelnachweise
- ↑ Mitteldeutscher Rundfunk: Damals im Osten: Der Wehrdienstverweigerer Nico Hübner wird verurteilt
- ↑ Dietrich Stobbe: Berlin war die Hauptstadt des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, 20. Juli 1978
- ↑ Jochen Staadt, Tobias Voigt, Stefan Wolle: Feind-Bild Springer
- ↑ Rudi Dutschke: "... und geistig Dir nicht den Rücken brechen läßt": An Nico Hübner, 1. Mai 1978
- ↑ Mitteldeutscher Rundfunk: Damals im Osten: Der Wehrdienstverweigerer Nico Hübner wird verurteilt
- ↑ RIAS Berlin: Bericht über die Verurteilung von Rudolf Bahro und Nico Hübner, 7. Juli 1978
- ↑ jugendopposition.de: 1979 in der DDR...
- ↑ Der Spiegel: Parteien: Nico Hübner, 21. April 1980
- ↑ Der Spiegel: FDP: Tamtam im Flohzirkus, 2. Juni 1980
- ↑ Horst Buder: Was macht eigentlich Niko Hübner, in: Monika Zimmermann (Hg.): Was macht eigentlich ...? 100 DDR-Prominente heute
- ↑ P.E.N. Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland: Rachel Abraham
- ↑ Horst Buder: Was macht eigentlich Niko Hübner, in: Monika Zimmermann (Hg.): Was macht eigentlich ...? 100 DDR-Prominente heute
- ↑ Stadtarchiv München: Oktober anno dazumal: Bemerkenswertes, Kurioses und Alltägliches aus der Münchner Stadtchronik, 22. Oktober 1979
Personendaten | |
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NAME | Hübner, Nico |
ALTERNATIVNAMEN | Hübner, Niko |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Kriegsdienstverweigerer |
GEBURTSDATUM | 5. Februar 1955 |
GEBURTSORT | Berlin |