Fachkräftemangel

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 11. Juni 2011 um 13:15 Uhr durch 77.180.179.99 (Diskussion). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Eine gesichtete Version dieser Seite, die am 11. Juni 2011 freigegeben wurde, basiert auf dieser Version.
Dieser Artikel oder nachfolgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen (beispielsweise Einzelnachweisen) ausgestattet. Angaben ohne ausreichenden Beleg könnten demnächst entfernt werden. Bitte hilf Wikipedia, indem du die Angaben recherchierst und gute Belege einfügst.

Als Fachkräftemangel bezeichnet man den Zustand einer Wirtschaft, in dem eine signifikante Anzahl von Arbeitsplätzen für Mitarbeiter mit bestimmten Fähigkeiten nicht besetzt werden kann, weil auf dem Arbeitsmarkt keine entsprechend qualifizierten Mitarbeiter (Fachkräfte) zur Verfügung stehen.

Ein Fachkräftemangel schwächt das mögliche Wachstum einer Wirtschaft. Insbesondere in Ländern der Dritten Welt, früher auch in den Staaten des Realsozialismus, stellt er auch ein Problem für die Entwicklung der Gesellschaft dar, weil wesentliche Funktionen der Gesellschaft nicht besetzt werden können. In diesen Ländern führt die Auswanderung qualifizierter Arbeitnehmer („Braindrain") zu einem Fachkräftemangel.

In Deutschland etwa ist der Begriff "Fachkräftemangel" primär ein interessengeleitetes Schlagwort. Im Jahr 2011 etwa scheint es nur Engpässe bei Ärzten, Vulkaniseuren und Elektroinstallateuren zu geben.[1]

Fachkräftemangel als ökonomisches Problem

Die Bildung von Humankapital, also die Bildung von wirtschaftlich nutzbaren Fähigkeiten und Kenntnissen, entspricht nicht immer dem gesellschaftlichen Bedarf. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sowohl der gesellschaftliche Bedarf (die Nachfrageseite), wie auch das Angebot an Qualifikationen keine feste Größe darstellen, sondern über den Lohn von der jeweils anderen Marktseite mitbeeinflusst werden. Daher muss Fachkräftemangel als Marktungleichgewicht aufgefasst werden, dem eine Störung des Preismechanismusses zugrunde liegt.

Ausbildungszyklen

Ausbildungen benötigen eine gewisse Ausbildungsdauer. Ein Fachkräftemangel führt daher erst mit einer zeitlichen Verzögerung zu einer Erhöhung der Zahl der Arbeitnehmer mit geforderter Qualifikation. Beispielsweise stieg im Vorfeld der Dotcom-Blase die Zahl der benötigten IT-Spezialisten mit Internet-Knowhow kurzfristig massiv an. Dieser Fachkräftemangel führte zu politischem Aktionismus wie dem Sofortprogramm zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs. Dieser Fachkräftemangel löste sich jedoch mit dem Platzen der Blase auf.

Auch im Bereich der Berufsausbildung bestehen Konjunkturzyklen. Die subjektive Wahrnehmung eines Fachkräftemangels führt zu einer verstärkten Ausbildungsleistung in den nachgefragten Bereichen (z. B. Ingenieure [2] ). So führte der genannte Internet-Hype zu einer deutlich steigenden Zahl von Informatikern mit Spezialisierung auf Internet-Technologien. Daher verwandelte sich der Fachkräftemangel schnell in einen Überschuss so qualifizierter Informatiker.

Fehlqualifikation

Nicht jede Ausbildung ist ökonomisch sinnvoll. Die Wahl eines Ausbildungsganges ist durch verschiedene Einflussfaktoren, etwa durch persönliche Interessengebiete, sozialem Status, (möglicherweise fehlerhaften) Einschätzungen der Arbeitsmarktentwicklung durch die Auszubildenden oder durch die unterschiedliche Kostenbeteiligung der Auszubildenden und Studenten beeinflusst. Diese Wahl erfüllt somit nicht notwendigerweise die Anforderungen künftiger Arbeitsnachfrager. Exemplarisch kann die Beeinflussung durch die Kostenbeteiligung an den Ausbildungsgänge verdeutlicht werden: Während Piloten die Kosten der Ausbildung vollständig tragen müssen, müssen die Kosten der Weiterbildung zum Meister zu einem erheblichen Teil vom Gesellen getragen, während die Kosten des Studiums (selbst nach Einführung von Studiengebühren) weitgehend von der Allgemeinheit getragen werden. Hinzu kommt, dass eine Reihe von Studiengängen und Ausbildungen als schwierig und arbeitsintensiv gilt; bei anderen, beispielsweise Lehramt und Medizin, schrecken eingeschränkte Karrieremöglichkeiten und/oder ungünstige Arbeitsbedingungen im späteren Beruf ab. Hierdurch kann es zu einem Mangel in bestimmten Berufszweigen kommen und einem Überschuss in anderen.

Fachkräftemangel als langfristige Arbeitsmarktprognose

Bei der Diskussion von Fachkräftemangel ist es sinnvoll, einen eventuellen aktuellen Fachkräftemangel von Fachkräftemangel als langfristigem Arbeitsmarktungleichgewicht zu unterscheiden. Einer Diagnose von Fachkräftemangel als langfristigem Arbeitsmarktungleichgewicht liegen dabei typischer Weise die folgenden Argumente zugrunde.

  • Das Angebot an Fachkräften wird aus demografischen Gründen zurückgehen. Dabei wird angenommen, dass Veränderungen in der Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung und Veränderungen in der Bildungsbeteiligung nicht ausreichen, um den demographischen Rückgang auszugleichen.
  • Die Nachfrage nach Fachkräften wird steigen oder aber zumindest weniger stark sinken als das Angebot an Fachkräften. Das Verhältnis von Nachfrage und Angebot an Fachkräften wird also aus Sicht der Fachkräfte günstiger. Eine steigende Nachfrage nach Fachkräften kann dabei entweder dadurch zustande kommen, dass Sektoren mit hohem Fachkräfteeinsatz an Bedeutung gewinnen oder aber dadurch, dass technologische Entwicklungen den Einsatz von Fachkräften begünstigen.
  • Schließlich wird der Marktmechanismus, also die Anpassung des Lohnes von Fachkräften an die veränderten Marktbedingungen, nicht ausreichend funktionieren. Mithin sollten die beschriebenen Änderungen zu einer Anhebung des Lohnes von Fachkräften führen, was aus Sicht der Firmen den Einsatz an Fachkräften weniger lohnend erscheinen lässt und aus Sicht der Individuen einen Anreiz darstellt, in ihre Qualifikationen zu investieren.

Einige wissenschaftliche Studien, wie Zimmermann u.a. 2002 und Bonin u.a. 2007 sehen die Bedingungen eines langfristigen Fachkräftemangels für Deutschland offenbar als erfüllt an. Für die Vereinigten Staaten konstatiert Richard B. Freeman 2006, dass Fachkräftemangel ein unwahrscheinliches Phänomen ist.

Missbräuchliche Nutzung des Begriffs

Während qualifizierte Fachkräfte aus Arbeitgebersicht zweifelsohne eine wertvolle, wenn nicht sogar die wertvollste, Ressource darstellen, mangelt es diesen nicht nur ausnahmsweise an der Bereitschaft, die Nutzung dieser Ressource angemessen zu entgelten, solange ein entsprechendes Überangebot existiert. Mit dem Ziel der Sicherung und/oder des Ausbaus des jeweiligen Überangebots ist es daher für Arbeitgeber ökonomisch zumeist sinnvoll, entgegen der ökonomischen Realität einen Fachkräftemangel zu konstatieren.

Aus diesem Grund fehlt es in der marktwirtschaftlichen Praxis regelmässig an nachvollziehbaren Indikationen für einen realen Fachkräftemangel. Diese können z. B. überdurchschnittliche Gehaltsentwicklungen einer Fachrichtung sein.

Politische Diskussion in Deutschland

In Beiträgen, die bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen sind, wird vor Fachkräftemangel gewarnt (s.u.). Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vertritt in seinen bisherigen Veröffentlichungen zu diesem Thema überwiegend die Meinung, dass Fachkräftemangel sich zu einem ernst zu nehmenden Problem entwickeln könne [3] [4] , obgleich nach Ansicht derzeit nicht von einem allgemeinen Fachkräftemangel gesprochen werden kann, aber selbst unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung prognostiziert die Studie von Fuchs und Zika[5] eine deutliche Unterbeschäftigung für die nächsten Jahre. Auch Branchenverbände, wie der Verband der Chemischen Industrie, sehen derzeit keinen generellen Fachkräftemangel [6] .

In der Diskussion sind auch immer wieder zusätzliche Anwerbungeanstrengungen für Fachkräfte aus dem Ausland, wobei viele eingewanderte Hochqualifizierte in Deutschland bereits in Niedriglohnjobs arbeiten und keine ihrer Qualifikation entsprechende Position erlangen.[7] Eine Studie des Arbeitsmarktexperten Karl Brenke des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung [8] , der Fachkräftemangel unter anderem als „Fata Morgana" bezeichnete, wurde vor der Veröffentlichung durch seinen Arbeitgeber Klaus F. Zimmermann redigiert. So sollen ganze Sätze und Passagen in der Neufassung weggefallen sein.[9] Im Februar 2011 wurden weitere Details bekannt:

Eine erste Fassung verließ das Haus, ohne dass Zimmermann sie abgesegnet hatte. Der DIW-Chef zog sie daraufhin zurück, weil ihm Teile des Papiers nicht schmeckten und änderte sie gemeinsam mit Brenke um. Pikant daran: In der ersten Fassung der Studie wurde der Fachkräftemangel noch als "Fata Morgana" bezeichnet, in der zweiten Fassung wurde das Urteil deutlich abgemildert. Zimmermann selbst ist ein überzeugter Anhänger der These vom Fachkräftemangel.[10] "

Lars Niggemeyer sieht die Diskussion über den angeblichen Fachkräftemangel eine Phantomdebatte, die dem Interesse der Arbeitgeber nach einem Überangebot an Arbeitskräften, längerer Lebensarbeitszeit, Wochenarbeitszeit, Ausweitung der Zuwanderung und niedrigen Löhnen dient. Im Interesse der Arbeitnehmer sollten ganz andere Punkte diskutiert werden: die Umverteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung und der Ausbau der Beschäftigung im öffentlichen Dienstleistungssektor, bei Gesundheit, Pflege, Bildung und Erziehung.[11]


Daneben gibt es Tendenzen, die verstärkt den Einsatz heimischer Arbeitskräfte empfehlen. Meinungsführer wie Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt fordern die Wirtschaft auf, Fachkräfte auszubilden und heimische Quereinsteiger einzusetzen.[12] [13]

Einzelnachweise

  1. http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2011/mai/die-propaganda-vom-fachkraeftemangel
  2. Fachkräftemangel: Milliardenverluste mangels Ingenieuren. In: Focus Online. 15. Mai 2007, abgerufen am 8. April 2010. 
  3. Alexander Reinberg, Markus Hummel: Steuert Deutschland langfristig auf einen Fachkräftemangel zu?, IAB Kurzbericht, No.9, Nürnberg, 2003.
  4. [1] Martin Dietz/Ulrich Walwei(2007): Fachkräftebedarf in der Wirtschaft. Wissenschaftliche Befunde und Forschungsperspektiven, Aug. 2007
  5. [2] Johann Fuchs/Gerd Zika(2010): IAB Kurzbericht: Arbeitsmarktbilanz bis 2025 - Demografie gibt die Richtung vor, Juni 2010
  6. VCI Fakten und Standpunkte: Naturwissenschaftliche Fachkräfte in der Chemie. In: VCI Online. 1. August 2010, abgerufen am 7. März 2010. 
  7. Stefan Dietrich: Die Illusion des Fachkräftemangels, FAZ, 3. August 2010
  8. DIW-Experten bezweifeln Mangel an Fachkräften Spiegel Online vom 16. November 2010
  9. Was nicht passt, wird passend gemacht Spiegel Online vom 18. November 2010
  10. zeit.de vom 1. Februar 2011 (Philip Faigle): Abschied ohne Rosen. - DIW-Chef Klaus Zimmermann tritt ab – und hinterlässt viele Feinde. Sein Nachfolger könnte ein Keynesianer werden.
  11. Lars Niggemeyer: Die Propaganda vom Fachkräftemangel http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2011/mai/die-propaganda-vom-fachkraeftemangel
  12. Dann soll die Wirtschaft gefälligst Fachkräfte ausbilden Welt Online vom 15. Dezember 2010
  13. ManagerSeminare - Auf die Vermittlung von Quereinsteigern konzentrieren ManagerSeminare Heft 153 - Dezember 2010

Literatur

  • Holger Bonin, Marc Schneider, Hermann Quinke, Tobias Ahrens: Zukunft von Bildung und Arbeit. Perspektiven von Arbeitskräftebedarf und -angebot bis 2020. IZA Research Report, No.9, Bonn, 2007.
  • Richard B. Freeman: Is a great labor shortage coming? Replacement demand in the global economy. NBER working papers, No. 12541, Cambridge, 2006.
  • Alexander Reinberg, Markus Hummel: Steuert Deutschland langfristig auf einen Fachkräftemangel zu? IAB Kurzbericht, No.9, Nürnberg, 2003.
  • Klaus F. Zimmermann, Thomas Bauer, Holger Bonin, Rene Fahr, Holger Hinte: Arbeitskräftebedarf bei hoher Arbeitslosigkeit. Ein ökonomisches Zuwanderunsgkonzept für Deutschland. Springer-Verlag, 2002.
Abgerufen von „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Fachkräftemangel&oldid=89907860"