Neda Agha-Soltan
Neda Agha-Soltan (persisch ندا آقا سلطان; * 1982; † 20. Juni 2009) war eine Iranerin aus Teheran. Sie wurde durch ein im Internet verbreitetes Video weltweit bekannt, das augenscheinlich ihr rasches blutiges Sterben zeigt. Sie soll nach Augenzeugenberichten während der Proteste nach den iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 durch den Pistolenschuss eines Mitglieds der Basij-Milizen getötet worden sein.[1]
Der Vorname Neda, der auf Persisch „Stimme" oder „Ruf" bedeutet, wurde in den Folgetagen von Protestierern gegen die angenommene Wahlfälschung in Teheran und auf Solidaritätsdemonstrationen in Europa und den USA skandiert und damit zum Symbol für den Widerstand der iranischen Opposition.[2]
Darstellung von Zeugen
Das knapp 40 Sekunden dauernde Video zeigt eine junge Frau, die rückwärts zu Boden einer belebten, mit Demonstranten gefüllten Straße fällt, während sich eine Blutlache unter ihrem Körper ausbreitet. Zwei Männer versuchen ihr zu helfen, pressen ihre Hände auf ihren Brustkorb. Nach wenigen Sekunden rollen ihre Augen zur Seite, Blut quillt aus ihrem Mund und ihrer Nase; die Augen brechen, während die Männer schreien. Dann bricht das Video ab.[3]
Der wahrscheinlich mit einer Handykamera aufgenommene Clip wurde zuerst über die Webseiten Facebook und Twitter hochgeladen und dann über You Tube massenhaft weiterverbreitet. Auf den ersten Versionen gibt ein sich als Augenzeuge vorstellender Kommentator 19:05 Uhr am 20. Juni 1009 als Zeitpunkt und den Karekar-Boulevard, Ecke Khosravi-Straße und Salehi-Straße in Teheran, als Ort des gezeigten Geschehens an. Er sei als Arzt zu Hilfe geeilt. Sie sei von der Kugel eines Scharfschützen der Revolutionsgarde ins Herz getroffen worden. Die Kugel sei wohl im Brustkorb der Frau explodiert, so dass sie in weniger als zwei Minuten tot gewesen sei. Ein beistehender Freund habe den Film aufgenommen. Er bat um dessen Verbreitung.
Spätere Versionen mit englischen Untertiteln übersetzen die Schreie der Männer wie folgt:
- Hab keine Angst Neda! Bleib bei mir, Neda, mein Kind, mein Kind, bleib bei mir!
- Such jemanden, der sie im Auto mitnimmt!
Als Rufer des ersten Satzes wurde zunächst der Vater der jungen Frau vermutet.[4]
Ein Iraner, der sich als Nedas Verlobter Caspian Makan bezeichnete, berichtete dem persischen Sender der BBC am 21. Juni 2009: Sie habe sich mit ihrem Musiklehrer in einem PKW einige Straßen entfernt vom Zentrum des Protestes befunden, des Amir-Abad-Bereichs. Der PKW sei in einem Verkehrsstau stecken geblieben, und sie wegen der Hitze ausgestiegen. Dann sei sie in die Brust geschossen worden, sehr wahrscheinlich durch den gezielten Schuss eines Basij-Milizen. In wenigen Minuten sei sie tot gewesen. Man habe versucht, sie in das nächste Krankenhaus zu bringen, doch es sei zu spät gewesen.
Die Behörden hätten das Einverständnis der Angehörigen verlangt, Teile ihres Leichnams zur Transplantation freizugeben, ohne mitzuteilen, was genau man damit tun wolle. Die Familie habe dem schließlich zugestimmt, um sie rasch bestatten zu können. Der engste Kreis ihrer Angehörigen habe sie am Nachmittag desselben Tages auf dem Behesht-e-Zahra-Friedhof in Süd-Teheran beerdigt. Er habe dort eine Reihe frisch ausgehobene Gräber gesehen und den Eindruck gehabt, diese seien für mögliche weitere Todesopfer der Proteste bestimmt gewesen. Einen für den 22. Juni geplanten Gedenkgottesdienst der Familie in einer Moschee und alle weiteren Versammlungen hätten die Behörden verboten, um unerwünschte Demonstrationen zu verhindern. Sie seien sich darüber im Klaren, dass die ganze Welt vom Tod der jungen Frau wisse.[5]
Nach weiteren Aussagen Makans vom 21. Juni 2009 stammte Neda Agha-Soltan aus einer Familie der iranischen Mittelschicht in Ost-Teheran und hatte zwei Brüder. Sie habe islamische Philosophie studiert und Gesangsunterricht genommen, obwohl iranischen Frauen das Singen in der Öffentlichkeit verboten sei. Sie sei bis zu der Präsidentenwahl 2009 nicht politisch interessiert gewesen und habe für keinen der Präsidentschaftskandidaten votiert, sich dann aber gegen die angenommene Wahlfälschung ausgesprochen. [6]
Nach einem unbestätigten Korrespondentenbericht der britischen Zeitung The Guardian vom 25. Juni 2009 sollen Sicherheitskräfte die Familie Soltan bereits am Abend des 20. Juni 2009 zum Auszug aus ihrer Wohnung in der Meshkini-Straße genötigt haben. Nach Aussagen von Nachbarn habe die Familie nicht einmal die Leiche Nedas zurückerhalten. Sie sei ohne Benachrichtigung der Familie bestattet, die übliche Trauerzeremonie in einer Moschee und Traueranzeige am Haus seien verboten worden. Die Nachbarn seien durch anonyme Anrufe gewarnt worden, anderen von ihrer Erschießung zu erzählen.[7]
Am 25. Juni 2009 veröffentlichte die BBC ein Interview mit Arash Hedjazi, einem in Oxford, Großbritannien, wohnhaften iranischen Arzt. Er habe sich zur Tatzeit beruflich in Teheran aufgehalten, sich am Abend des 20. Juni unter die Demonstranten gemischt und nur wenige Meter von Frau Agha-Soltan entfernt gestanden, als sie der tödliche Schuss traf. Er habe das Schussgeräusch gehört, aber ein Freund habe ihn beruhigt: Die Teheraner Polizei verwende nur Plastikgeschosse. Dann habe er das Blut aus dem Oberkörper der Frau strömen gesehen. Er habe Erste Hilfe zu leisten versucht und vermutet, dass die Kugel von vorn die Aorta und Lunge getroffen habe. Sie sei im PKW auf dem Weg zum nächsten Krankenhaus in seinen Armen gestorben.
Der andere Mann neben ihm auf dem Video sei nicht der Vater, sondern der Musiklehrer der Frau gewesen. Die Demonstranten hätten den mutmaßlichen Schützen kurz nach dem Vorfall entdeckt, entwaffnet, ihm seinen Ausweis abgenommen und ihn fotografiert. Es sei ein der Miliz angehörender Motorradfahrer gewesen, kein Scharfschütze auf einem Dach, wie man zuerst angenommen habe. Er habe ihn sagen gehört: Ich wollte sie nicht töten. Einige hätten ihn lynchen wollen, andere hätten dies verhindert und gesagt: Wir sind keine Mörder. Sie hätten überlegt, ihn der Polizei auszuliefern; da diese aber selbst gegen die Demonstranten vorging, habe man ihn laufen lassen. Wegen der Fälschungsvorwürfe der iranischen Medien habe er sich entschlossen, mit diesen Details an die Öffentlichkeit zu gehen, damit Neda nicht umsonst gestorben sei.[8]
Der brasilianische Dichter Paulo Coelho bestätigt Hedjazis Darstellung. Er identifizierte diesen am 20. Juni 2009 als einen der beiden Männer auf dem Video und nahm durch e-mails Kontakt mit ihm auf, um seinen Aufenthaltsort herauszufinden. Am 23. Juni 2009 habe Hedjazi ihm geantwortet, er halte sich versteckt und wolle so bald wie möglich aus dem Iran ausreisen, um sich in Sicherheit zu bringen. Er werde sich nach Ankunft in Großbritannien wieder melden. Dies sei dann geschehen. Coelho veröffentlichte diesen Briefwechsel in seinem Blog.[9]
Darstellung von Regierungsvertretern
Der iranische Staatssender Khabar behauptete am 23. Juni 2009, das Video von Neda Agha-Soltans Erschießung sei gefälscht worden. Später hieß es in offiziellen Berichten, sie sei von unbekannten Terroristen getötet worden.[10] Nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Fars vom 24. Juni 2009 bestreitet die Teheraner Polizei, scharfe Schusswaffen gegen Demonstranten eingesetzt zu haben. Ein Kundgebungsteilnehmer habe wild um sich geschossen und die Frau dabei zufällig in den Hinterkopf getroffen. Dies hätten Zeugenbefragungen und gerichtsmedizinische Untersuchungen ergeben. Die Waffe des Schützen sei aus dem Ausland eingeschmuggelt worden.[11]
Der iranischen Regierungszeitung Javan zufolge soll Neda Agha-Soltan selbst zu den Basij-Milizen gehört haben. Der britische BBC-Journalist Jon Leyne, der zuvor wegen seiner aktuellen Iran-Berichterstattung ausgewiesen wurde, habe Mörder beauftragt, sie zu erschießen, um ihren Tod filmen zu können und so die iranische Regierung zu beschuldigen.[12]
Ayatollah Mohammad Chātami behauptete in seiner Freitagspredigt am 26. Juni 2009, die Frau sei bewusst von Demonstranten erschossen worden, um Propaganda gegen die Regierung des Iran machen zu können: Sie wurde getötet, damit jemand wie Obama Krokodilstränen vergießen kann.[13]
Am 29. Juni 2009 berichtete die iranische Website PressTV.ir, der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad habe eine eingehende Untersuchung des Todes der jungen Frau angeordnet. Ihm erscheine der Vorfall „ganz und gar verdächtig". Inmitten „überwältigender Propaganda und anderer Beweise" zu dem „tief empfundenen" Vorfall scheine es eindeutig zu sein, dass „die Gegner der iranischen Nation sich zu Zwecken des politischen Missbrauchs in die inneren Angelegenheiten des Iran einmischen." Dem Bericht zufolge wurde sie mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen, die iranische Sicherheitskräfte nicht verwendeten.[14]
Reaktionen des Auslands
In einer internationalen Pressekonferenz in Washington D.C. nahm US-Präsident Barack Obama am 23. Juni 2009 zu der Erschießung Neda Agha-Soltans Stellung: Er habe das Video ihres Todes gesehen, es sei „herzzerreißend". Zugleich lobte er an ihrem Beispiel „den Mut und die Würde" der iranischen Demonstranten, besonders der Frauen.[15] Ihr Verlust sei „brutal und außergewöhnlich schmerzlich":[16]
„Aber wir wissen auch: Diejenigen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, sind immer auf der richtigen Seite der Geschichte."
Weblinks
- Jennie Yabroff: The Woman in the Picture (Newsweek.com, 24. Juni 2009)
- Los Angeles Times (23. Juni 2009): Family, friends mourn ‚Neda‘, Iranian woman who died on video
Einzelnachweise
- ↑ Die Zeit (22. Juni 2009): Neda, das Symbol des Widerstands
- ↑ die tageszeitung (23. Juni 2009): „Neda" wird zum Protestruf der Iraner
- ↑ You-Tube-Video, 20. Juni 2009: Iranian Girl killed (englische Untertitel; anmeldepflichtig)
- ↑ Ulrike Putz (Der Spiegel, 21. Juni 2009): Tote Iran-Demonstrantin: Neda, die Ikone des Protests
- ↑ BBC, 22. Juni 2009: Death video woman 'targeted by militia'
- ↑ Der Spiegel (21. Juni 2009): Tote Iran-Demonstrantin
- ↑ The Guardian, 25. Juni 2009: Neda Soltan's family 'forced out of home' by Iranian authorities
- ↑ BBC, 25. Juni 2009: The man who tried to save Neda; The Times (26. Juni 2009): Doctor tells how Neda Soltan was shot dead by Ahmadinejad's basij; Der Spiegel, 26. Juni 2009: Unruhen im Iran: „Neda starb in meinen Armen"
- ↑ Paulo Coelho ́s Blog vom 26. Juni 2009: Arash Hejazi Interview for BBC
- ↑ Ulrike Putz (Der Spiegel, 23. Juni 2009): Propagandaschlacht um die Heldin des neuen Iran
- ↑ Der Spiegel, 24. Juni 2009: Spionagevorwurf: Iran will Beziehungen zu Großbritannien einfrieren
- ↑ The Guardian, 24. Juni 2009: Neda Soltan's family 'forced out of home' by Iranian authorities
- ↑ Ajatollah fordert Todesstrafe für Demonstranten Die Zeit online vom 26. Juni 2009
- ↑ PressTV.ir, 29. Juni 2009: Ahmadinejad orders probe into Neda's 'suspicious' death
- ↑ Helene Cooper, David E. Sanger (New York Times, 23. Juni 2009): Obama Condemns Iran’s Iron Fist Against Protests
- ↑ Netzeitung, 23. Juni 2009: Obama legt sich mit dem Iran an
Personendaten | |
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NAME | Agha-Soltan, Neda |
KURZBESCHREIBUNG | iranisches Todesopfer, erschossen während der Proteste nach den iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 |
GEBURTSDATUM | 1982 |
STERBEDATUM | 20. Juni 2009 |
STERBEORT | Teheran, Iran |