Konjunkturpolitik

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Unter Konjunkturpolitik versteht man die Summe wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die darauf zielen, die Konjunkturschwankungen auszugleichen und ein möglichst gleichmäßiges Wirtschaftswachstum zu erreichen.

Theoretische Grundlagen

Wie schon der DIW-Zeitschriftentitel Applied Economics Quarterly. Konjunkturpolitik andeutet, ist Konjunkturpolitik für Ökonomen eine angewandte Theorie. Einer jeden bestimmten Politik liegt demnach eine bestimmte Konjunkturtheorie zugrunde.

Bei der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik (basierend auf Keynesianismus und antizyklischer Finanzpolitik nach Keynes) kommt dem Staat die Aufgabe zu, in konjunkturellen Rezessionen die Wirtschaft durch "Konjunkturimpulse" anzukurbeln, ggf. auch durch staatliche Schuldenaufnahme (Deficit Spending).

Hierzu können Steuern gesenkt und/oder zeitlich begrenzte Investitionsanreize für Unternehmen gesetzt oder die staatlichen Investitionen in Infrastrukturprojekte getätigt werden. Nicht alle Arten von Ausgaben sind rasch oder in gleicher Höhe nachfragewirksam. So werden bei einer Senkung der Einkommenssteuer oder der Unternehmenssteuern nicht sofort diese betreffenden Geldbeträge in derselben Höhe für wachstumsfördernden Konsum oder Investitionen ausgegeben, sondern werden angespart oder zur Schuldentilgung eingesetzt.[1] Schneller und zu einem größeren Teil (Multiplikator (Volkswirtschaft)) nachfragewirksam werden Erhöhungen des verfügbaren Einkommens der einkommensschwachen Privathaushalte sowie schnell umsetzbare Infrastrukturinvestitionen.

Zinssenkungen durch die Zentralbank werden als "antizyklische Geldpolitik", insbesondere von der Lehre des Monetarismus nach Milton Friedman, bevorzugt. Doch gilt: Je näher die Zinssätze gegen Null gehen, desto schwieriger wird Geldpolitik, schließlich bis zu dem Punkt, wo die geldpolitischen Instrumente überhaupt versagen.[2]

Konjunktureller Impuls

Der Begriff "Konjunkturimpuls", auch "fiskalischer Impuls" genannt, bezieht sich auf die erhöhten Staatsausgaben, die gezielt zur Bekämpfung des konjunkturellen Abschwungs beschlossen werden.[3] Im Hintergrund steht die Überlegung, dass die staatlichen Ausgaben den Nachfrage-Ausfall am Markte kurzfristig ersetzen sollen. Die Produktionslücke (die Differenz zwischen dem Sozialprodukt, das mit dem vorhandenen Potenzial produziert werden könnte, und dem, was tatsächlich aufgrund der zurückbleibenden Nachfrage produziert wird) soll möglichst geschlossen werden. So schätzt Paul Krugman zum Beispiel die Output-Lücke der US-Wirtschaft auf derzeit ca. 2.000 Milliarden Dollar und hält daher die Höhe des vom künftigen US-Präsidenten Obama vorgeschlagenen Konjunkturimpulses für noch zu niedrig.[4]

Dezember 2008 hat der Europäische Rat ein EU-weites Konjunkturpaket von ca. 200 Milliarden Euro beschlossen, ohne indes die Aufteilung auf die Mitgliedstaaten genau festzulegen. Eine Größenschätzung der in der Europäischen Union insgesamt beschlossenen konjunkturpolitischen Maßnahmen[5] stellt fest, dass die geographische Verteilung sowie die Aufteilung zwischen Investitionsausgaben, Steuererleichterungen und Kredithilfen entscheidend sind für die Wirksamkeit als Konjunkturhilfen. Diesbezüglich gibt es zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sehr starke Unterschiede. Das deutsche sog. "Konjunkturpaket II" von Januar 2009 wird den Konjunkturstimulus bezogen auf das EU-Bruttosozialprodukt um 0,2% anheben. In Vergleich hierzu werden sowohl China als auch die USA einen weitaus höheren Anteil ihres jeweiligen Bruttosozialprodukts zur Konjunkturstützung und Krisenbekämpfung einsetzen.

Konjunkturelles Defizit

Hierdurch wird der Teil des Gesamtdefizites von öffentlichen Haushalten beschrieben, der eindeutig konjunkturell entstanden ist. Zum einen durch konjunkturbedingte Steuerausfälle, da die Menschen aus Unsicherheit vor einer etwaigen schlechten wirtschaftlichen Zukunft weniger konsumieren. Aber auch durch Mehrausgaben von staatlichen Einrichtungen, wie die Agentur für Arbeit in Form von Arbeitslosengeld 1 bzw. Arbeitslosengeld 2, da man erwarten kann, dass in der Abschwung- bzw. Rezessionsphase die Arbeitslosenzahl steigen wird.

Konjunkturgerechter Haushalt

Hierdurch wird auf den konjunkturellen Impuls von öffentlichen Haushalten abgezielt. Die aufgrund des konjunkturneutralen Haushaltes ermittelten tatsächlichen expansiven oder kontraktiven Impulse werden mit denjenigen verglichen, die notwendig gewesen wären, wenn bei einer gegebenen Abweichung vom Gleichgewichtspfad der Haushaltspolitik ein Nachfragedefizit oder ein Nachfrageüberschuss ausgeglichen werden sollte. Es werden hier die quantitativen Effekte der jeweiligen Haushaltspläne aufgezeigt.

Konjunkturneutraler Haushalt

Es handelt sich um ein Budgetkonzept des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Erstmals hat der Sachverständigenrat 1967/68 den konjunkturneutralen Haushalt in seinen Jahresgutachten entwickelt und angewandt. Das Haushaltsvolumen ist in diesem Konzept konjunkturneutral, wenn es unmittelbar keine Abweichung der Auslastung des Produktionspotenzials von dem bewirkt, was mittelfristig als normal angesehen wird. Die Regeln des konjunkturneutralen Haushaltes sind:

  • Konjunkturneutral sind die öffentlichen Ausgaben, wenn sie auf ein Basisjahr bezogen proportional zum Produktionspotenzial zu- oder abnehmen.
  • Basisjahr ist der Zeitraum, in dem die öffentlichen Ausgaben eine allokative und distributive Zielinhalt gemäß Quote aufweisen.
  • Steuereinnahmen, die den gleichen prozentualen Zuwachs wie das Volkseinkommen haben.
  • Wenn die öffentliche Verschuldung den gleichen Zuwachs aufweist wie den des Produktionspotenzials.

Konjunkturrisiken

Konjunkturrisiken stellen ein allzeit gegenwärtiges Phänomen von Marktwirtschaften dar, denen alle Wirtschaftssubjekte mehr oder minder ausgesetzt ist; besonders auffällig in Zeiten einer Rezession, wenn die Unternehmensgewinne schrumpfen, Firmen schließen und ihre Mitarbeiter entlassen.

Als Lösungsversuch durch Risikomanagement wird vorgeschlagen, den Wirtschaftssubjekten die Option verfügbar zu machen, Konjunkturrisiken durch eine Hedgetransaktion zu begegnen, indem Derivate auf Makroindices begeben werden, welche den Konjunkturzyklus abbilden. Durch den Kauf oder Verkauf dieser Makroderivate könnte so auf dem Konjunkturzyklus investiert werden. Dies kann aber durch die Komplexität wieder neue Risiken erzeugen (siehe Hedgegeschäft). [6]

Teilbereiche

Wichtige Beiträge zur Konjunkturpolitik können die Fiskalpolitik, die Geldpolitik, die Außenwirtschaftspolitik und die Lohnpolitik leisten.

Durchführung

Die Durchführung von Konjunkturpolitik ist in Deutschland im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz geregelt.

Zu ihrem Konjunkturpaket 2008 sagt die Bundesregierung in ihrem Jahreswirtschaftsbericht 2009, sie habe gemeinsam mit Ländern und Kommunen "in einem finanziellen Kraftakt ein Impulspaket auf den Weg gebracht, wie es so konzentriert und koordiniert noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik geschehen ist. Wichtig ist, dass die Maßnahmen früh greifen, um Vertrauen wiederherzustellen, den Abschwung in seiner sich selbst verstärkenden Dynamik zu bremsen, strukturelle Verkrustungen zu verhindern und Arbeitsplatzverluste zu vermeiden." (S. 12)

Beschäftigungspolitik als nationale Wirtschaftspolitik war von Keynes in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise 1929 entwickelt worden. Unter heutigen Umständen müssen solche Konzepte neu auf die Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft ausgerichtet werden.[7] Unvermeidlich kommt hierbei dem Staat eine größere Bedeutung zu; die Gefahr eines Staatsversagens kann nur durch die verschiedensten Formen von Bürgerbeteiligung und Kontrolle der verantwortlichen Regierung durch die Wähler begegnet werden.

Maßnahmen

Drei Fragen müssen an ein Konjunkturprogramm gerichtet werden:[8]

1. Ist das Konjunkturprogramm notwendig?

2. Ist das Konjunkturprogramm richtig zusammengesetzt?

3. Hat das Konjunkturprogramm die richtige Größe?

Mehrere einzelne konjunkturpolitische Maßnahmen können zu einem Konjunkturprogramm zusammengefasst werden.

Konjunkturpolitische Maßnahmen können zum Beispiel sein:[9]

Beispiele

Kritik

Der Monetarismus nach Milton Friedman vertraut demgegenüber auf die Selbstregulierung des Marktes; konjunkturpolitische Maßnahmen durch den Staat werden grundsätzlich für schädlich gehalten.

Ein wesentlicher Kritikpunkt an der Konjunkturpolitik ist der sogenannte Crowding-Out-Effekt: So würde eine expansive Neuverschuldung des Staates die Kreditmärkte austrocknen, wodurch zu wenige Kredite für die Privatwirtschaft und privaten Konsum zur Verfügung stünden, die gerade in einer Rezession wichtig wären.

Außerdem hat keiner der modernen Industriestaaten das Keynessche Forderung eingehalten, die in der Krise aufgenommenen Schulden während einer wirtschaftlich guten Phase wieder zu tilgen, weshalb Konjunkturpolitik in der Vergangenheit einer der wichtigsten Gründe für die immer weiter ansteigende Verschuldung der Industrienationen war.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Lawrence Mishel: Tax cut approach has already been tried and failed as stimulus
  2. Harold James: Deflation und Demokratie
  3. Elmendorf, D.W./Furman, J. (2008): If, when, how: A primer on fiscal stimulus, The Brookings Institution, Washington, D.C.
  4. Paul Krugman: The Obama Gap. New York Times 8.1.2009
  5. David Saha, Jakob von Weizsäcker: Michael Durica (2006). Product Development for Electronic Derivative Exchanges: The case of the German ifo business climate index as underlying for exchange traded derivatives to hedge business cycle risk. Pro Business. Berlin. ISBN 393953305X.
  6. Peter Kalmbach, Michael Schumann: Finanzkrise als Schocktherapie. WSI-Mitteilungen 11+12/2008
  7. Richard Posner:The Obama "Stimulus" (Deficit Spending) Plan
  8. Siehe Achim Truger und Dieter Vesper, „Öffentliche Haushalte 2008/2009: Spielräume für ein Konjunkturprogramm unzureichend genutzt", IMK-Report Nr. 33, November 2008, Tabelle 6, S. 9 Pdf-Datei
  9. Abgerufen von „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Konjunkturpolitik&oldid=56190158"