Verlorener Sohn

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„Die Rückkehr des verlorenen Sohnes." (Rembrandt)

Das heute sprichwörtlich gewordene Bild des verlorenen Sohnes hat seinen Ursprung in einem biblischen Gleichnis (Lukas, Kap. 15, V. 11-32). In neueren Übersetzungen wird es auch als "Gleichnis von den beiden Söhnen" bzw. "Von der Liebe des Vaters" bezeichnet.

Inhalt des Gleichnisses

Christiaen van Couwenbergh: Der verlorene Sohn

Der Jüngere Sohn verlangt von seinem reichen Vater sein Erbteil. Sobald er sein Geld erhalten hat, geht er ins Ausland und verprasst es. Zum Bettler herabgesunken, verdingt er sich als Schweinehirt und hungert dabei so, dass er reumütig zum Vater zurückkehren will, um sich zu seiner Sünde zu bekennen und ihn um eine Stelle als Tagelöhner zu bitten. Der Vater ist jedoch so froh über die Rückkehr des verlorenen Sohnes, dass er ihn festlich einkleidet und für ihn ein großes Fest veranstaltet. Als sich der ältere Sohn über das Verhalten des Vaters beklagt, entgegnet dieser: „Du bist immer bei mir gewesen, was mein ist, ist dein. Freue dich über die Rückkehr deines Bruders, der tot war und wieder lebendig geworden ist."

Interpretationsaspekte

Sebald Beham: : Der verlorene Sohn verprasst seine Habe.

Das Gleichnis gehört zum Lukanischen Sondergut. Es ist das dritte in einer Serie von Gleichnissen ähnlicher Thematik (Das verlorene Schaf (Lk. 15,3-7), Der verlorene Groschen (Lk. 15,8-10), Der verlorene Sohn (Lk. 15,11-32)) und nimmt mit den Themen Verlorengehen und Wiedergefundenwerden ein wesentliches Motiv des Lukasevangeliums auf.

Das Gleichnis bei den jüdischen Zuhörern Jesu

Gerard van Honthorst: Der verlorene Sohn

Für die damaligen jüdischen Zuhörer enthielt das Gleichnis einige Informationen, die dem heutigen Leser in der Regel entgehen: Das Gleichnis schildert rechtliche Verhältnisse der damaligen Zeit: bei zwei Söhnen bekam der ältere zwei Drittel des Vermögens, in der Regel den Hof, der jüngere ein Drittel. Jüngere Söhne hatten die Möglichkeit, sich ihr Erbteil auszahlen zu lassen, um damit im Ausland eine Existenz zu gründen. Manche Exegeten, beispielsweise Blomberg, sind der Ansicht, dass ein jüngerer Sohn es damals nicht gewagt hätte, den Vater zu Lebzeiten um sein Erbteil zu bitten. Schmid-Grether sieht nichts Ungewöhnliches in einem solchen Verlangen eines jüngeren Sohns, sofern es der Existenzgründung diente. Dass er sein Erbteil mit einem wilden Leben durchbringt, wird ihm später im Gleichnis vom älteren Bruder angekreidet, was sicher der Sichtweise der Zuhörer entsprach. Schmid-Grether erwähnt dann jedoch noch zwei Aspekte, die besonders jüdischen Zuhörern auffallen mussten: alle jüdischen Gemeinden hatten damals ein Armenfürsorgesystem, aber als der Sohn in der Fremde in Not geriet, wandte er sich nicht an seine Glaubensgenossen, sondern an einen Bürger jenes Landes - damit wird für jüdische Zuhörer ausgesagt, dass er sich vom jüdischen Glaubensleben entfernt hatte. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das Schweinehüten, was ein religiöses Leben als Jude unmöglich machte, da der Schweinehirt durch seinen ständigen Kontakt mit Schweinen kultisch unrein war. Damit war für den zuhörenden Juden klar, inwiefern der Sohn nicht nur gegen den Vater sondern "gegen den Himmel" gesündigt hat. Auch die Johannisbrotschoten hatten für damalige jüdische Zuhörer eine konkrete Bedeutung: sie waren das Brot der Armen. So stand im Midrasch Rabbi Acha hat gesagt: "Wenn die Israeliten Johannisbrot nötig haben, dann tun sie Buße."[1] Auch bei der Rückkehr gibt es Einzelheiten, die für jüdische Zuhörer konkrete Bedeutung hatten: Kuss und Umarmung gab es nur unter Gleichgestellten, das Obergewand versetzt ihn sichtbar in den Stand eines vornehmen Juden. Mit dem Ring ist ein Siegelring gemeint, wodurch er als Sohn des Hauses im Namen der Familie Verträge abschließen kann, und die Schuhe an den Füssen waren das Zeichen des freien Mannes: Sklaven gingen barfuss. Auch das Kalb ist nicht irgendein Kalb, sondern es wird betont, dass es sich um das gemästete Kalb handelt, das also für eine besonders festliche Gelegenheit im Stall bereitstand[2]

Das Gleichnis bei den Kirchenvätern

Immanuelskirken Kopenhagen: Der verlorene Sohn

Schon früh war das Gleichnis ein beliebter Predigttext. Die älteste erhaltene Predigt, welche das Gleichnis enthält, stammt von Clemens von Alexandria aus dem 2. Jahrhundert [3] . Weiter sind Predigten von Athanasius, Augustinus von Hippo und Johannes Chrysostomos erhalten. Augustinus von Hippo

In der allegorischen Auslegung wurde beispielsweise das Kleid zur Gerechtigkeit Christi (nach Jesaja 61,10: Er hat mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet), der Ring das Siegel des Heiligen Geists, die Schuhe die Fähigkeit, auf den Wegen Gottes zu wandeln.

Nach Cyril von Jerusalem sagten manche, der ältere Sohn sei Israel nach dem Fleisch, aber der jüngere die Menge der Heiden.[4]

Augustinus von Hippo sah sich selbst in der Rolle des verlorenen Sohns, der erst ein ausschweifendes Leben führt und dann zu Gott heimkehrt.[5] Er interpretiert den "Bürger jenes Landes" als einen gewissen Fürsten der Lüfte, der zu den Heerscharen des Teufels gehört, und die Schweine als unreine Geister unter ihm.[6]

Das Gleichnis in der Kirche

Sebald Beham: Der verlorene Sohn als Schweinehirt

Die Orthodoxen Kirchen kennen einen Sonntag des Verlorenen Sohns unmittelbar vor der vierzigtägigen vorösterlichen Fastenzeit. [7]

Johannes Paul II. legt das Gleichnis in seiner Enzyklika Dives in Misericordia (Über das göttliche Erbarmen) aus. [1]

Moderne Aspekte

Enghave Kirke, Kinderaltartafel: Der verlorene Sohn

Nach Rienecker nehmen manche liberalen Theologen das Gleichnis als einen Grund, in Golgatha kein Sühnegeschehnis zu sehen, da im Gleichnis ja auch kein Sühneopfer erwähnt ist. Rienecker führt dagegen an, dass Gleichnisse immer nur gewisse theologische Aspekte beleuchten und nie eine Gesamtsicht der Theologie geben.

Soziologie

Max Slevogt: Der verlorene Sohn

In der Familie gilt der verlorene Sohn als Sorgenkind und erhält somit aufgrund der Elternsorge mehr offene oder heimliche (finanzielle) Zuneigung als üblich, was von den Geschwistern langfristig nicht verstanden wird. Dieses kann zur offenen oder unterdrückten Auseinandersetzung innerhalb der Familie führen. Das Ergebnis ist dann die Ablehnung des verlorenen Sohnes durch die Geschwister und dessen Ausgrenzung. Hierdurch verstärkt sich wiederum die Elternsorge. Durch diesen Teufelskreis kann der Weggang des Sorgenkindes, bzw. dessen Flucht die Problematik auf einen Höhepunkt treiben und die Familie zerstören, also die sozialen Bindungen zerbrechen. Besondere Extreme sind im Verhältnis zum verlorenen Sohn heutzutage die neuzeitlichen Drogensucht und im Gegensatz auch der Ehrenmord.

Bearbeitungen

Zu den frühen Bearbeitungen des Motivs gehört das lateinische Schauspiel des Gnaphäus (1534). Deutsche Komödien „Vom verlorenen Sohn" dichteten Burkard Waldis (1527), Johann Ackermann (1537), Johannes Salat (1537), Jörg Wickram (1540), Hans Sachs (1557), Nikolaus Loccius (1619). Unter den Komödien der „englischen Komödianten" scheint die „Vom verlornen Sohn" (1620) besonders beliebt gewesen zu sein.

Das Gleichnis wurde von den älteren deutschen Dichtern in kleineren Erzählungen vielfach moralisierend angewendet und ausgeschmückt. Als Nebenmotiv findet es sich beispielsweise bei Johanna Spyri am Ende des ersten Heidi-Bands.

Im 20. Jahrhundert war es der französische Literatur-Nobelpreisträger André Gide, der das Thema in Die Heimkehr des verlorenen Sohnes (Le Retour de l'enfant prodigue) individualistisch-emanzipatorisch abwandelte und 1907 veröffentlichte.

1998 veröffentlichte Hans-Ulrich Treichel seinen Nachkriegsroman Der Verlorene.

Das Gleichnis ist auch Thema des Kindermusicals „Der verlorene Sohn" von Dagmar Heizmann-Leuke und Klaus Heizmann, erschienen im Musikverlag Klaus Gerth (1999).

Die Parabel vom verlorenen Sohn ist in der damaligen Zeit mit vielen Bildern begleitet Das Werk „Die Heimkehr des verlorene Sohnes", das Rembrandt in seinem Todesjahr malte, zeigt z.B. die Ankunft des Sohnes nach seiner Reise wieder beim Vater.

Anmerkungen

  1. Leviticus Rabbah 35
  2. So bei Schmid-Grether und bei Fritz Rienecker, Wuppertaler Studienbibel, Evangelium des Lukas
  3. Philip Schaff: Anti-Nicene Fathers: Fathers of the Second Century
  4. Catena aurea
  5. Albert Raffelt: Das Gleichnis vom „verlorenen Sohn" in den Confessiones des Aurelius Augustinus
  6. Catena aurea
  7. www.orthodoxfrat.de

Literatur

Guckkastenbild: Der verlorene Sohn als Schweinehirt
  • Kenneth E. Bailey: Der ganz andere Vater - Die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn aus nahöstlicher Perspektive in Szene gesetzt. Neufeld Verlag, Schwarzenfeld 2006, ISBN 3-937896-23-6, ISBN 978-3-937896-23-6
  • Benedikt XVI. [Joseph Ratzinger]: Jesus von Nazareth, Teil 1: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Herder, Freiburg 2007, ISBN 978-3-451-29861-5
  • Derrett J. Duncan: Law in the New Testament: The Parable of the Prodigal Son. In: New Testament Studies 14 (1967), S. 56-74
  • Derrett J. Duncan: The Parable of the Prodigal Son: Patristic Allegories and Jewish Midrashim. In: Studia Patristica 10 (1970), S. 219-224
  • Wolfgang Fenske: Ein Mensch hatte zwei Söhne. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn in Schule und Gemeinde. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 3-525-61552-3
  • Robert Baldwin: A Bibliography of the Prodigal Son Theme in Art and Literature. In: Bulletin of Bibliography, 44,3 (1987), S. 167-171 (Online-Version [2])
  • Henri J. M. Nouwen: Nimm sein Bild in dein Herz: geistliche Deutung eines Gemäldes von Rembrandt, Herder, Freiburg im Breisgau 1995, ISBN 3-451-22404-6
  • Manfred Siebald: Der verlorene Sohn in der amerikanischen Literatur. Winter, Heidelberg 2003 (= American studies, 100), ISBN 3-8253-1302-6
  • Franz Spengler: Der verlorene Sohn im Drama des 16. Jahrhunderts. Wagner, Innsbruck 1888
  • Das Evangelium des Lukas erklärt von Fritz Rienecker , Wuppertaler Studienbibel, 10. Aufl. 1985, S 367-377, ISBN 3-417-25003-x
  • Susanne Schmid-Grether: Jesus der Jude oder warum Nikodemus bei Nacht kam: Neutestamentliche Texte auf dem jüdischen Hintergrund neu gelesen und verstanden, 2. Aufl. 1997 ISBN 3-952-16223-X
  • Craig Blomberg: Die Gleichnisse Jesu. Ihre Interpretation in Theorie und Praxis, S 146-152, ISBN 3-417-29428-2
Commons: Der verlorene Sohn  – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien


Gleichnisse in den synoptischen Evangelien:
Gleichnisse im engeren Sinn: Großes Abendmahl | Arbeiter im Weinberg | Bittender Freund | Blindensturz | Dieb in der Nacht | Ehrenplätze bei der Hochzeit | Feigenbaum | Feigenbaum ohne Früchte | Fischnetz | Haus auf Felsen und auf Sand gebaut | Herr und Knecht | Kluge und törichte Jungfrauen | Kostbare Perle | Licht unter dem Scheffel | Nadelöhr und Kamel | Neue Flicken auf dem alten Kleid | Neuer Wein in alten Schläuchen | Selbstwachsende Saat | Schatz im Acker | Pharisäer und Zöllner | Reicher Kornbauer | Spielende Kinder | Anvertraute Talente | Treuer Haushalter | Ungleiche Söhne | Ungerechter Richter | Ungerechter Haushalter | Unkraut unter dem Weizen | Böse Weingärtner | Sauerteig | Schalksknecht | Senfkorn | Turmbau und Kriegführen | Verlorener Groschen | Verlorenes Schaf | Verlorener Sohn | Vierfaches Ackerfeld | Wachsame Knechte | Zwei Schuldner
Weitere Bildreden und Beispielerzählungen: Barmherziger Samariter | Henne und Küken | Reicher Mann und armer Lazarus | Salz der Erde | Weltgericht

Bildreden bei Johannes:
Ich-bin-Worte : Ich bin das Brot des Lebens | Ich bin das Licht der Welt | Ich bin die Tür | Ich bin der gute Hirte | Ich bin die Auferstehung und das Leben | Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben | Ich bin der wahre Weinstock
Weitere Bildreden: Vom Weizenkorn | Die gebärende Frau

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