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Gerichtswesen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]Für den Großteil der ländlichen Bevölkerung waren bis ins 16. Jahrhundert Gogerichte für alle zivil- und strafrechtlichen Verfahren zuständig. Die Gerichtskompetenzen gingen in einem längeren Prozeß, der sich zum Teil bis ins 17. Jahrhundert hinzog, zum Großteil auf die Ämter und auf das Kanzleigericht in Celle über. Den ursprünglichen Gogerichten verblieb lediglich die niedere Strafgerichtsbarkeit, die sogenannte Wrogengerichtsbarkeit. Seit dieser Zeit wurden sie überwiegend als Landgerichte bezeichnet. [1]
In den Städten lag die Gerichtsherrschaft ursprünglich beim Stadtherren, im Fürstentum Lüneburg damit bei den Lüneburger Herzögen. Im Laufe des späten Mittelalters gelang es den Städten jedoch, in unterschiedlichem Maße, die Gerichtsherrschaft durch Privilegienverleihung sowie durch Kauf oder Verpfändung an sich zu bringen.[2] Der zum Großteil aus dem unfreien Stand hervorgegangene Ministerialenadel hatte seinen Gerichtsstand ursprünglich, wie die bäuerliche Bevölkerung auch, vor den Gogerichten.[3] , erlangte jedoch in den folgenden Jahrhunderten die Exemtion von diesen. Seitdem hatte der Adel seinen Gerichtsstand vor den obersten Gerichten im Fürstentum.[4]
Seit dem 16. Jahrhundert [5] waren für den Großteil der Einwohner des Fürstentums in erster Instanz in zivilrechtlichen Fragen die Ämter, in niederen Strafgerichtsprozessen die Landgerichte zuständig, in höheren Strafgerichtsprozessen wurde die Untersuchung von den Ämtern geleitet und das Urteil, nach Fällung durch das Kanzleigericht in Celle, von diesen umgesetzt. Für die Einwohner der Städte, die über die niedere oder höhere Gerichtsbarkeit verfügten, waren die städtischen Gerichte zuständig, für die Einwohner der adeligen Gerichte die jeweiligen Gutsherren bzw. die von diesen eingesetzten Richter. Für den Adel sowie die meisten höheren Beamten war das Kanzleigericht erste Instanz in allen Zivil- und Strafrechtsfällen. [6]
Im Fürstentum Lüneburg existierten neben den geschlossenen adeligen Gerichten in Gartow [7] und in Wathlingen 18 sogenannte ungeschlossene adelige Gerichte.[8] Diese besaßen die niedere und zum Teil auch die höhere Gerichtsbarkeit, nahmen aber im Gegensatz zu den geschlossenen Gerichten keine hoheitlichen Verwaltungsaufgaben wahr. Daneben existierten zahlreiche adelige Patrimonialgerichte, deren Zuständigkeiten sich jedoch auf einzelne Einwohner und einzelne Bereiche der Gerichtsbarkeit beschränkten. So gab es die Binnen-, Pfahl-, Zaun-, Dorf-, Straßen- und Feldgerichte.[9]
Eine eigenständige Gerichtstätigkeit der Ortschaften, die unabhängig von den landesherrlichen Ämtern, Land- und Gogerichten ausgeübt wurde, existierte im Fürstentum Lüneburg nur in Einzelfällen in Form der sogenannten Bauernköhr. In den wendländischen Ämtern zählten dazu die sogenannten Tuchten. Diese waren eine Vereinigung von mehreren Ortschaften und besaßen das Recht in niederen Straffällen selber Gericht zu halten und Geldstrafen zu verhängen.[10]
Berufungsgericht war das Kanzleigericht und seit 1535 das ständisch besetzte Hofgericht in Uelzen bzw. seit 1563 in Celle.[11] Eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten gab es nicht, die Wahl des Gerichts war dem Kläger überlassen. Lediglich in peinlichen Sachen war ausschliesslich das Kanzleigericht zuständig.[12] Seit 1495 bestand die Möglichkeit, das Reichskammergericht anzurufen. 1566 wurde den lüneburgischen Herzögen erstmals ein kaiserliches Appellationsprivileg erteilt. Durch dieses wurde festgelegt, dass das Reichskammergericht erst ab einem bestimmten Streitwert angerufen werden durfte. Die genaue Summe wurde mehrfach erhöht, seit 1648 betrug sie 2000 rheinische Gulden.[13] [14]
Für alle zivilen Rechtsstreitigkeiten und Strafrechtsfälle, die im Zusammenhang mit der Forstnutzung standen, waren die Holzungsgerichte zuständig, die ein- bis zweimal jährlich tagten und deren Grenzen unabhängig von denen der Ämter waren. Unter Vorsitz des Holzgrefen wurden die Urteile von den an der Holzmark Berechtigten, der Erbexen oder Erben, entschieden. Neben der Bestrafung von Waldfreveln wurde unter anderem über Pflanzmassnahmen, die Holznutzung oder den Beginn der Mast entschieden. Seit dem 16. Jahrhundert verloren diese Gerichte an Einfluss, Forststreitigkeiten wurden dann auch von anderen Gerichten entschieden. Durch die Polizeiordnung von 1618 wurde schließlich der Großteil der Kompetenzen der Holzgerichte auf die landesherrlichen Ämter übertragen. Lediglich dort, wo nicht der Landesherr, sondern die Kirche oder einzelne Adelige Inhaber der Holzherrschaft waren, konnten sich die Holzgerichte auch darüber hinaus erhalten.[15]
Bis zur Reformation im 16. Jahrhundert wurde die geistige Gerichtsbarkeit durch die kirchlichen Sendgerichte ausgeübt. Das Fürstentum Lüneburg gehörte kirchenrechtlich zu den Bistümern Minden, Verden, Hildesheim, Bremen und Halberstadt. Diese waren ihrerseits in Archidiakonate gegliedert, in denen ein Großteil der Sendgerichte abgehalten wurden. Neben der archidiakonalen Sendgerichte existierten auch bischöfliche Sendgerichte, die sich jedoch auf einzelne Bereiche der kirchlichen Rechtssprechung beschränkten. Neben Prozessen zwischen Klerikern untereinander und zwischen Klerikern und Laien, wurden unter anderem auch Eheprozessen durch die geistigen Gerichte entschieden. Daneben wurde aber auch von vielen Nichtklerikern die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte in Rechtsverträgen ausdrücklich vereinbart, da sich die Parteien hierdurch Vorteile bei der Durchsetzbarkeit etwaiger Urteile versprachen. [16] . Seit 1562 existierte als oberstes geistliches Gericht das Konsistorium in Celle. Es war für alle Ehesachen, Prozesse zwischen Kirchen und zwischen Laien und Geistlichen zuständig.[17] Für religiöse Straftaten, wie zum Beispiel die Hexerei oder dem Fernbleiben vom Gottesdienst, war hingegen die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig.
Die genauen Zuständigkeiten der Gerichte wurden seit dem 16. Jahrhundert zunehmend durch Verordnungen geregelt, so unter anderem durch die Hofgerichtsordnungen von 1535 und 1564, der Regimentsordnung von 1618 sowie den Polizeiordnungen von 1564 und 1618. Als Rechtsquellen dienten das römische, das kanonische und das heimische Recht. Letzteres bestand aus gesetztem Recht, wie zum Beispiel den Stadtrechten oder landes- bzw. reichsherrlichen Verordnungen, sowie aus zumeist nur mündlich tradiertem Gewohnheitsrecht. Bis ins Spätmittelalter hatte im weltlichen Bereich ausschliesslich das heimische Recht, in der kirchlichen Gerichtsbarkeit das kanonische Recht Anwendung gefunden. Seit dem 14. Jahrhundert gewann das römische Recht im weltlichen Bereich zunehmend an Bedeutung, galt allerdings nur als subsidäres Recht, d. h. es kam nur dann zur Anwendung, wenn das heimische Recht zu einer Frage keine Regelung bereit hielt. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde der Gebrauch des Gewohnheitsrechtes zurück gedrängt und es kam schliesslich nur noch zur Anwendung, wenn dessen frühere Geltung vor Gericht nachgewiesen werden konnte.[18]
- ↑ Zur Geschichte der Gogerichte siehe: Götz Landwehr: Die althannoverschen Landgerichte, Hildesheim 1964, S. 155–188.
- ↑ Zur Entwicklung der städtischen Gerichtsbarkeit im Mittelalter, insbesondere Lüneburgs, siehe Otto Jürgens:Landeshoheit im Fürstentum Lüneburg bei Beginn des Erbfolgekrieges (1371), 1888, S. 38 - S. 46
- ↑ Götz Landwehr: Die althannoverschen Landgerichte, Hildesheim 1964, S. 160
- ↑ In der Literatur wird auf diese obersten Gerichte im späten Mittelalter nur vereinzelt eingegangen, dies zudem widersprüchlich. Wilhelm Havemann (Wilhelm Havemann: Geschichte der Lande Braunschweig und Lüneburg. 3 Bände, Nachdruck. Hirschheydt, Hannover 1974/75, ISBN 3-7777-0843-7 (Originalausgabe: Verlag der Dietrich’schen Buchhandlung, Göttingen 1853–1857), Band II, S. 509) schreibt von einem älteren Landgericht in bzw. bei Uelzen, welches bis ins 16. Jahrhundert als oberstes Gericht für alle Einwohner des Fürstentums gedient haben soll. Zwar bestand bereits 1506 ein ständisch besetztes Landgericht in Uelzen. Johannes Merkel (Johannes Merkel: Der Kampf des Fremdrechtes mit dem einheimischen Rechte in Braunschweig-Lüneburg. Eine historische Skizze, 1904, S. 41) schreibt aber, dass sich nicht feststellen liesse ob das Gericht in Uelzen bereits vor dem 16. Jahrhundert existiert habe. Auch Karl Kroeschell (Karl Kroeschell: Recht unde Unrecht der Sassen. Rechtsgeschichte Niedersachsens. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-36283-8) schreibt nichts von einem älteren Gericht in Uelzen. Otto Jürgens (Otto Jürgens:Landeshoheit im Fürstentum Lüneburg bei Beginn des Erbfolgekrieges (1371), 1888) geht auf die ältere Gerichtsverfassung ausführlich ein, schreibt aber ebenfalls nichts von einem älteren Gericht in Uelzen. Dafür nennt er ein Hofgericht in dem die Herzöge bzw. ihre Mannen als Stellvertreter im Spätmittelalter Recht gesprochen hätten. Jürgens führt mehrere Urkunden an, in denen vor den Herzögen Güterübertragungen stattgefunden hatten, die Herzöge als Schiedrichter fungierten oder in einem Strafprozess gegen einen Knappen Recht gesprochen wurde. Mit Ausnahme von Günther Franz (Günther Franz: Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirkes Lüneburg, Bremen 1955), der sich auf Jürgens zu beziehen scheint, wird in der übrigen Literatur auf ein Hofgericht zu dieser Zeit jedoch nicht eingegangen.
- ↑ Der Prozeß der Verlagerung von den Gogerichten hin zu den landesherrlichen Ämtern zog sich über einen längeren Zeitraum hin und war zum Teil erst im 17. Jahrhundert abgeschlossen
- ↑ Zur Entwicklung der Gerichtswesens seit dem 16. Jahrhundert siehe: Martin Krieg: Die Entstehung und Entwicklung der Amtsbezirke im ehemaligen Fürstentum Lüneburg, Göttingen 1922, ISBN 3-87898-089-2, S. 89–107.
- ↑ Gartow wurde jedoch erst im 18. Jahrhundert als geschlossenes Gericht anerkannt, also erst nachdem das Fürstentum Lüneburg seine Selbständigkeit verloren hatte
- ↑ Die Zahlen beziehen sich auf die Topographischen Sammlungen von Scharf, siehe hierzu: Martin Krieg: Die Entstehung und Entwicklung der Amtsbezirke im ehemaligen Fürstentum Lüneburg, Göttingen 1922, ISBN 3-87898-089-2, S. 110. In der Literatur werden zum Teil auch andere Zahlen genannt, je nachdem welche Kriterien der jeweilige Autor anlegt. Brosius, der sich dabei auf das Statistische Repertorium des Königreichs Hannover von W. Ubbelohde von 1823 bezieht, nennt zum Beispiel acht geschlossene und 23 ungeschlossene Gerichte, also eine deutlich höhere Anzahl. Siehe hierzu Ulrike Hindersmann, Dieter Brosius: Die Rittergüter der Lüneburger Landschaft. ISBN 978-3-8353-1680-5, S. 44
- ↑ Zu den Patrimonialgerichten siehe: Martin Krieg: Die Entstehung und Entwicklung der Amtsbezirke im ehemaligen Fürstentum Lüneburg, Göttingen 1922, ISBN 3-87898-089-2, S. 108–113.
- ↑ Zur Gerichtstätigkeit der Tuchten siehe Götz Landwehr: Die althannoverschen Landgerichte, Hildesheim 1964, S. 132 - 139. Neben den Tuchten erwähnt Landwehr lediglich noch Bauernköhren in Bergen und in Hänigsen.
- ↑ Zur Umgestaltung des Gerichts in Uelzen und dessen Verlegung nach Celle siehe Johannes Merkel: Der Kampf des Fremdrechtes mit dem einheimischen Rechte in Braunschweig-Lüneburg. Eine historische Skizze, 1904,S. 41 - S. 42.
- ↑ Karl Kroeschell:Recht unde Unrecht der Sassen. Rechtsgeschichte Niedersachsens. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-36283-8, S. 214
- ↑ Karl Kroeschell:Recht unde Unrecht der Sassen. Rechtsgeschichte Niedersachsens. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-36283-8, S. 216-217
- ↑ Zur Geschichte der obersten Gerichten seit dem 16. Jahrhundert siehe: Günther Franz: Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirkes Lüneburg, S. 13–25
- ↑ Zu den Forstgerichten siehe: Alexandra Brück: Die Polizeiordnung Herzog Christians von Braunschweig-Lüneburg vom 6. Oktober 1618, ISBN 978-3-631-51422-1, S. 178–191.
- ↑ Karl Kroeschell:Recht unde Unrecht der Sassen. Rechtsgeschichte Niedersachsens. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-36283-8, S.137-144
- ↑ Zum Konsistorium siehe: Günther Franz: Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirkes Lüneburg, S. 13–25.
- ↑ Zum Verhältnis der Rechtsquellen untereinander siehe Karl Kroeschell:Recht unde Unrecht der Sassen. Rechtsgeschichte Niedersachsens. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-36283-8, S. 73 - 98 Zur Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert siehe: Johannes Merkel: Der Kampf des Fremdrechtes mit dem einheimischen Rechte in Braunschweig-Lüneburg. Eine historische Skizze, 1904 S.65 - 69