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Gerichtswesen
Für den Großteil der ländlichen Bevölkerung waren bis ins 16. Jahrhundert die Gogerichte für alle zivil- und strafrechtlichen Verfahren zuständig. Die Gerichtskompetenzen gingen seit dem 16. Jahrhundert zum Großteil auf die Ämter und auf das Kanzleigericht in Celle über. Den ursprünglichen Gogerichten verblieb lediglich die niedere Strafgerichtsbarkeit, die sogenannte Wrogengerichtsbarkeit. Seit dieser Zeit wurden sie überwiegend als Landgerichte bezeichnet.[1]
Seit dem 16. Jahrhundert waren für den Großteil der Einwohner des Fürstentums in erster Instanz in zivilrechtlichen Fragen die Ämter, in niederen Strafgerichtsprozessen die Landgerichte zuständig, in höheren Strafgerichtsprozessen wurde die Untersuchung von den Ämtern geleitet und das Urteil, nach Fällung durch das Kanzleigericht in Celle, von diesen umgesetzt. Für die Einwohner der Städte, die über die niedere oder höhere Gerichtsbarkeit verfügten, waren die städtischen Gerichte zuständig, für die Einwohner der adeligen Gerichte die jeweiligen Gutsherren bzw. die von diesen eingesetzen Richter.
Für den Adel sowie die meisten höheren Beamten war grundsätzlich das Kanzleigericht erste Instanz in allen Zivil- und Strafrechtsfällen.[2]
Berufungsgericht war das Kanzleigericht und seit 1536 das ständisch besetzte Hofgericht in Uelzen bzw. seit 1563 in Celle.[3] Eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten gab es nicht, die Wahl des Gerichts war dem Kläger überlassen. Seit 1495 bestand die Möglichkeit, das Reichskammergericht anzurufen. 1566 wurde den lüneburgischen Herzögen erstmals ein kaiserliches Appellationsprivileg erteilt. Durch dieses wurde festgelegt, dass das Reichskammergericht erst ab einem bestimmten Streitwert angerufen werden durfte. Die genaue Summe wurde mehrfach erhöht, seit 1648 betrug sie 2000 Gulden rheinisch. [4] [5]
Für alle zivilen Rechtsstreitigkeiten und Strafrechtsfälle, die im Zusammenhang mit der Forstnutzung standen, waren die Holzungsgerichte zuständig, die ein- bis zweimal jährlich tagten und deren Grenzen unabhängig von denen der Ämter waren. Unter Vorsitz des Holzgrefen wurden die Urteile von den an der Holzmark Berechtigten, der Erbexen oder Erben, entschieden. Neben der Bestrafung von Waldfreveln wurde unter anderem über Pflanzmassnahmen, die Holznutzung oder den Beginn der Mast entschieden. Seit dem 16. Jahrhundert verloren diese Gerichte an Einfluss, Forststreitigkeiten wurden dann auch von anderen Gerichten entschieden. Durch die Polizeiordnung von 1618 wurde schließlich der Großteil der Kompetenzen der Holzgerichte auf die landesherrlichen Ämter übertragen. Lediglich dort, wo nicht der Landesherr, sondern die Kirche oder einzelne Adelige Inhaber der Holzherrschaft waren, konnten sich die Holzgerichte auch darüber hinaus erhalten.[6]
Im Fürstentum Lüneburg existierten neben den geschlossenen adeligen Gerichten in Gartow und in Wathlingen 18 sogenannte ungeschlossene adelige Gerichte.[7] Diese besaßen die niedere und zum Teil auch die höhere Gerichtsbarkeit, nahmen aber im Gegensatz zu den geschlossenen Gerichten keine hoheitlichen Verwaltungsaufgaben wahr. Daneben existierten zahlreiche adelige Patrimonialgerichte, deren Zuständigkeiten sich jedoch auf einzelne Einwohner und einzelne Bereiche der Gerichtsbarkeit beschränkten. So gab es die Binnen-, Pfahl-, Zaun-, Dorf-, Straßen- und Feldgerichte.[8]
Bis zur Reformation im 16. Jahrhundert wurde die geistige Gerichtsbarkeit durch die kirchlichen Sendgerichte ausgeübt. Das Fürstentum Lüneburg gehörte kirchenrechtlich zu den Bistümern Minden, Verden, Hildesheim, Bremen und Halberstadt. Diese waren ihrerseits in Archidiakonate gegliedert, in denen ein Großteil der Sendgerichte abgehalten wurden. Neben der archidiakonalen Sendgerichte existierten auch bischöfliche Sendgerichte, die sich jedoch auf einzelne Bereiche der kirchlichen Rechtssprechung beschränkten. Neben Prozessen zwischen Klerikern untereinander und zwischen Klerikern und Laien, wurden unter anderem auch Eheprozessen durch die geistigen Gerichte entschieden. Daneben wurde aber auch von vielen Nichtklerikern die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte in Rechtsverträgen ausdrücklich vereinbart, da sich die Parteien hierdurch Vorteile bei der Durchsetzbarkeit etwaiger Urteile versprachen. [9] . Seit 1562 existierte als oberstes geistliches Gericht das Konsistorium in Celle. Es war für alle Ehesachen, Prozesse zwischen Kirchen und zwischen Laien und Geistlichen zuständig.[10] Für religiöse Straftaten, wie zum Beispiel die Hexerei oder dem Fernbleiben vom Gottesdienst, war hingegen die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig.
Die genauen Zuständigkeiten der Gerichte wurden seit dem 16. Jahrhundert zunehmend durch Verordnungen geregelt, so unter anderem durch die Hofgerichtsordnungen von 1535 und 1564, der Regimentsordnung von 1618 sowie den Polizeiordnungen von 1564 und 1618. Als Rechtsquellen dienten das römische, das römisch-kanonische und das heimische Recht. Letzteres bestand aus gesetztem Recht, wie zum Beispiel den Stadtrechten oder landes- bzw. reichsherrlichen Verordnungen, sowie aus zumeist nur mündlich tradiertem Gewohnheitsrecht. Bis ins Spätmittelalter hatte im weltlichen Bereich ausschliesslich das heimische Recht, in der kirchlichen Gerichtsbarkeit das römisch-kanonische Recht Anwendung gefunden. Seit dem 14. Jahrhundert gewann das römische Recht auch im weltlichen Bereich zunehmend an Bedeutung, galt allerdings nur als subsidäres Recht, d. h. es kam nur dann zur Anwendung, wenn das heimische Recht zu einer Frage keine Regelung bereit hielt. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde der Gebrauch des Gewohnheitsrechtes zurück gedrängt und kam schliesslich nur noch zur Anwendung, wenn dessen frühere Geltung vor Gericht nachgewiesen werden konnte.[11]
- ↑ Zur Verfahrensablauf der Gogerichte siehe: Götz Landwehr: Die althannoverschen Landgerichte, Hildesheim 1964, S. 155–188.
- ↑ Zur Rechtsprechung durch die Gogerichte siehe: Ernst Schubert (Hrsg.), in: Ernst Schubert (Hrsg.): Geschichte Niedersachsens. Band 2. Teil 1. Politik, Verfassung, Wirtschaft vom 9. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert. Hannover 1997, ISBN 3-7752-5900-7, S. 3–904, hier S. 593–603.
Zur Entwicklung der Gerichtswesens siehe: Martin Krieg: Die Entstehung und Entwicklung der Amtsbezirke im ehemaligen Fürstentum Lüneburg, Göttingen 1922, ISBN 3-87898-089-2, S. 89–107. - ↑ Zur Umgestaltung des Gerichts in Uelzen und dessen Verlegung nach Celle siehe Merkel S. 41 - S. 42. Er widerspricht mit seinen Ausführungen Havemann, der den Umzug nach Celle ins Jahr 1535 datiert hat. Havemann sieht in diesem Gericht zudem ein älteres Landgericht, welches bis ins 16. Jahrhundert als oberstes Gericht für alle Einwohner des Fürstentums gedient haben soll. Merkel schreibt hingegen, dass sich nicht feststellen liesse ob das Gericht in Uelzen bereits vor dem 16. Jahrhundert existiert habe. Auch Kroeschell schreibt nichts von einem älteren Gericht in Uelzen. Siehe Merkel S. 41 und Kroeschell
- ↑ Kroeschell216-217
- ↑ Zu den Berufungsgerichten siehe: Günther Franz: Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirkes Lüneburg, S. 13–25
- ↑ Zu den Forstgerichten siehe: Alexandra Brück: Die Polizeiordnung Herzog Christians von Braunschweig-Lüneburg vom 6. Oktober 1618, ISBN 978-3-631-51422-1, S. 178–191.
- ↑ Die Zahlen beziehen sich auf die Topographischen Sammlungen von Scharf, siehe hierzu: Martin Krieg: Die Entstehung und Entwicklung der Amtsbezirke im ehemaligen Fürstentum Lüneburg, Göttingen 1922, ISBN 3-87898-089-2, S. 110. In der Literatur werden zum Teil auch andere Zahlen genannt, je nachdem welche Kriterien der jeweilige Autor anlegt. Brosius, der sich dabei auf das Statistische Repertorium des Königreichs Hannover von W. Ubbelohde von 1823 bezieht, nennt zum Beispiel acht geschlossene und 23 ungeschlossene Gerichte, also eine deutlich höhere Anzahl. Siehe hierzu Ulrike Hindersmann, Dieter Brosius: Die Rittergüter der Lüneburger Landschaft. ISBN 978-3-8353-1680-5, S. 44
- ↑ Zu den Patrimonialgerichten siehe: Martin Krieg: Die Entstehung und Entwicklung der Amtsbezirke im ehemaligen Fürstentum Lüneburg, Göttingen 1922, ISBN 3-87898-089-2, S. 108–113.
- ↑ Kroeschell niedersächsische rechtsgeschichte S.137-144
- ↑ Zum Konsistorium siehe: Günther Franz: Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirkes Lüneburg, S. 13–25.
- ↑ Zum Verhältnis der Rechtsquellen untereinander siehe Kroeschell S. 73 - S. 98 Zur Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert siehe: Merkel S. 65 - S. 69