Karl X. (Frankreich)
Karl X. (* 9. Oktober 1757 in Versailles; † 6. November 1836 in Görz) war der letzte König von Frankreich aus dem Haus Bourbon. Er regierte von 1824 bis zur Julirevolution 1830.
Karl war ein Enkel Ludwigs XV. und Bruder von Ludwig XVI.. Vor seiner Thronbesteigung trug er den Titel eines Grafen von Artois. Mit sechzehn heiratete er Maria Theresa von Savoyen, die Schwägerin seines Bruders, des Grafen der Provence, des späteren Königs Ludwig XVIII.. Seine Jugend verbrachte Karl mit Ausschweifungen, die von vielen als skandalös empfunden wurden und ihm und seiner Clique den Abscheu der Pariser Bevölkerung zuzogen. Obwohl es dem Prinzen an militärischer Neigung fehlte, schloss er sich zur Ablenkung der französischen Armee bei der Belagerung Gibraltars 1772 an. Innerhalb weniger Jahre hatte er Schulden von 56 Millionen Francs angehäuft, eine Belastung, die der finanziell ohnehin ausgelaugte französische Staat übernahm.
Vor der Revolution von 1789 spielte Karl in der Politik nur eine geringe Rolle. Nach dem Sturm auf die Bastille aber wurde er zusammen mit der Königin zum Anführer des reaktionären Flügels am Hof. Im Juli 1789 verließ er Frankreich. Als ranghöchster Prinz von Geblüt im Ausland wurde er zum Führer der antirevoliutionären Emigranten. Er besuchte verschiedene europäische Höfe, um für die royalistischen Interessen zu werben. Im August 1791 gehörte er zu den Initiatoren und Mitunterzeichnern der Pillnitzer Konvention, die zum auslösenden Moment des 1. Koalitionskrieges wurde.
Nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. im Januar 1793 verlieh ihm sein älterer Bruder, der mittlerweile ebenfalls emigrierte Graf der Provence, den Titel eines Generalleutnants des Königreichs. Nach dem Tod des Dauphins, der von den Monarchisten als Ludwigs XVII. gezählt wurde, beanspruchte der Graf der Provence als Ludwig XVIII. den Königstitel. Karl wurde von den Royalisten nun als Monsieur bezeichnet, ein Titel, der traditionell dem ältesten Bruder des Königs von Frankreich und präsumptiven Thronerben zustand. 1795 versuchte Karl, den Royalistenaufstand in der Vendée zu unterstützen. Er weigerte sich aber, die Sache voranzutreiben und sich selbst an die Spitze der Aufständischen zu stellen, obwohl er von ihnen anerkannt wurde. Stattdessen kehrte er nach England zurück und blieb dort bis 1813. Erst im Februar 1814 kehrte er im Gefolge der alliierten Truppen nach Frankreich zurück und zog im April in Paris ein.
Während der nun folgenden Regierungszeit seines Bruders Ludwig XVIII. war Karl der Führer der Ultraroyalisten, der Partei der extremen Reaktionäre. Als er nach Ludwigs Tod im September 1824 selbst den Thron bestieg, gewann er durch die Würde seiner Ansprache und seine umgängliche Herablassung eine flüchtige Popularität. Seine Krönung in Reims, mit dem prunkvollen Zeremoniell des alten Regimes, verdeutlichte jedoch, dass er sich als König von Gottes Gnaden betrachtete und nicht als konstitutionellen Monarchen wie sein Bruder. Seine ersten Amtshandlungen beruhigten noch die schlimmen Befürchtungen der Liberalen; bald aber wurde offenbar, dass Karl X. das Gewicht seiner Krone konsequent in die Waagschale der reaktionären Kräfte werfen würde. Die Emigranten wurden für ihr konfisziertes Land entschädigt; Gallikaner und Liberale waren gleichermaßen erregt wegen der Maßnahmen, die den Jesuiten und Ultramontanen Macht zuspielten. Die königlichen Prinzessinen wurden auf offener Straße beleidigt; und als Karl am 29. April 1825 die Nationalgarde inspizierte, sah er sich mit Rufen "Nieder mit den Ministern!" konfrontiert. Als Erwiderung erließ er am nächsten Tag ein Dekret, das die Bürgerarmee auflöste.
Erst 1829, als das Ergebnis der Wahlen die Sinnlosigkeit von Villèles Repressionspolitik bewiesen hatte, stimmte Karl unwillig zu, eine Politik des Kompromisses zu versuchen. Inzwischen war es jedoch zu spät. Villèles Nachfolger war der Vicomte de Martignac, der sich Decazes zum Vorbild nahm; und in seiner Thronrede verkündete Karl, dass das Glück Frankreichs von der aufrichtigen Union der königlichen Autorität mit den in der Verfassungsurkunde verankerten Freiheiten abhänge. Aber Karl hatte nicht die Geduld und den gesunden Menschenverstand, der Ludwig XVIII. erlaubt hatte, mit Anstand die Rolle eines konstitutionellen Königs zu spielen. "Ich würde lieber Holz hacken", rief er aus, "als ein König unter den Bedingungen des Königs von England zu sein". Als die liberale Opposition alle Maßnahmen blockierte, die von einem Ministerium vorgeschlagen wurden, das nicht von der Parlamentsmehrheit gewählt worden war, verlor er die Geduld. Martignac wurde entlassen, und Prinz Jules de Polignac, geradezu die Inkarnation von Klerikalismus und Reaktion, wurde ans Ruder des Staates berufen.
Das unausweichliche Ergebnis war für die ganze Welt offenbar. "So etwas wie politische Erfahrung gibt es nicht", schrieb Wellington, sicherlich kein Freund des Liberalismus. Das warnende Beispiel von James II. vor Augen, stellte Karl X. eine Regierung zusammen aus Priestern, durch Priester, für Priester. Ein gewaltiger Aufruhr ging durch Frankreich, was den König nur noch starrsinniger machte. Bei der Eröffnung der Sitzungsperiode des Parlaments 1830 erklärte er, dass er die Stärke finden werde, die Hindernisse zu überwinden, die ihm in seinen Weg gestellt worden seien. Die Antwort der Kammern war ein Protest gegen das ungerechtfertigte Misstrauen gegenüber den Ansichten und dem Verstand Frankreichs; daraufhin wurden sie zunächst vertagt und am 16. Mai aufgelöst. Das Ergebnis der Neuwahlen war voraussehbar: eine große Zunahme der Opposition. Auf Anraten seiner Minister beschloss Karl eine praktische Suspendierung der Konstitution. Am 25. Juli wurden die berühmten vier Ordonnanzen ausgestellt, die der unmittelbare Auslöser der folgenden Revolution waren.
Die Vorkehrungen, die Karl für den Fall von gewalttätigen Ausschreitungen getroffen hatte, waren völlig unzulänglich: Marschall Marmont, der die verstreuten Truppen in Paris kommandierte, hatte keine Befehle erhalten außer einer scherzhaften Anweisung des Herzogs von Angoulême, sie zu bewaffnen, für den Fall dass ein paar Fenster zu Bruch gingen. Zu Beginn der Revolution hielt sich Karl in St. Cloud auf, von wo er sich bei Erhalt der Nachricht von den Aufständen erst nach Versailles, dann nach Rambouillet zurückzog. Er verstand so wenig von der Ernsthaftigkeit der Situation, dass er, als die lakonische Meldung "Alles ist vorbei!" eintraf, glaubte, dass der Aufstand niedergeschlagen sei. Als er die Wahrheit erkannte, dankte er eilig zugunsten seines Enkels Henri, des Herzogs von Bordeaux und Grafen von Chambord ab und ernannte Louis-Philippe, Herzog von Orléans, zum Generalleutnant des Königreichs (30. Juli). Als aber Louis-Philippe die Krone annahm, nahm er von einem Wettstreit Abstand und begann einen würdevollen Rückzug mit seinem Gefolge zur Seeküste, begleitet von Infanterie, Kavallerie und Artillerie. Abgesehen von einer Beobachtung seiner Bewegungen tat die neue Regierungs nichts, um seine Flucht aufzuhalten. Bei Maintenon trennte sich Karl vom Großteil seiner Truppen und ging mit einer Eskorte von 1200 Mann weiter nach Cherbourg, wo er sich am 16. August nach England einschiffte. Für eine Zeitlang kehrte er in den Holyrood Palace bei Edinburgh zurück, der zu seiner Verfügung stand. Er starb in Görz, wohin er sich wegen seiner Gesundheit begeben hatte.
Das Beste, was man über Karl X. sagen kann, ist, dass er, wenn er auch nicht zu herrschen verstand, so doch zumindest wusste, wie man zu herrschen aufhört. Die Würde seines Auszugs entsprach der alten Pracht des Königshauses mehr als die theatralische Demut von Louis-Philippes Einzug. Aber Karl war für das 19. Jahrhundert und vielleicht für jedes andere Jahrhundert ein unmöglicher Monarch. Er war ein typischer Bourbone, unfähig zu lernen oder zu vergessen. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in religiöser Entsagung, nicht um sein Versagen, sondern um die vergleichsweise lässlichen Exzesse seiner Jugend zu sühnen.
Karl hatte 1774 Maria Theresia von Savoyen geheiratet, mit der er folgende Kinder hatte:
- Louis-Antoine, duc d'Angoulême (* 6. August 1775),
- Sophie (* 5. August 1776)
- Charles-Ferdinand, duc de Berry (* 24. Januar 1778; † 14. Februar 1820)
- Marie-Therèse (* 6. Januar 1783).