Hausbesetzung
Eine Hausbesetzung ist die Inanspruchnahme von leerstehendem Wohnraum ohne ausdrückliches Einverständnis oder gegen den Willen des Eigentümers oder Berechtigten.
Begriff
Hausbesetzungen werden aus verschiedenen, sich oftmals überlappenden Motiven durchgeführt: Darunter sind der Wunsch nach kostenlosem Wohnraum, eigener Wohnungsmangel oder sogar Obdachlosigkeit und Protest gegen spekulativen Leerstand und Wuchermieten. Hausbesetzer grenzen sich meist bewusst von gesellschaftlichen Normen ab und versuchen, alternative Formen des Zusammenlebens zu entwickeln. Hausbesetzungen werden auch als „Instandbesetzungen" bezeichnet, da nicht mehr bewohnbare oder vom Abriss bedrohte Häuser in manchen Fällen wieder instandgesetzt und bewohnbar gemacht werden.
Bei den Hausbesetzungen gibt es grundsätzlich zwei Klassen:
- „offene besetzte Häuser", bei denen die Öffentlichkeit wissen darf – und soll – dass das Haus besetzt ist. Häufig hängen Transparente an der Fassade, es werden Flugblätter verteilt, etc.
- so genannte „stille Besetzungen", hierbei ziehen die Menschen einfach ein und versuchen, die Besetzung nicht öffentlich zu machen.
Das Symbol der Hausbesetzerbewegung ist ein Kreis, durch den ein N-förmiger Blitz von links unten nach rechts oben verläuft. Das Symbol soll in der niederländischen Hausbesetzerszene der 1970er-Jahre entstanden und einem Zinken nachempfunden worden sein, der ebenfalls aus einem Kreis mit einem Blitz bestanden und so viel wie „hier kann man gut eine Nacht bleiben" bedeutet haben soll. Der Buchstabe N, als der sich der Blitz lesen lässt, wird als Abkürzung für „neemt" interpretiert, dem niederländischen Wort für „genommen" oder im übertragenen Sinn „besetzt".
In der Schweiz wurde die Zürcher Hausbesetzerszene in dem umstrittenen Spielfilm Blutgeil (1993) filmisch dargestellt.
Geschichtliche Entwicklung
Die Hausbesetzerszene Westdeutschlands war insbesondere Ende der 1970er und in den 1980ern aktiv. Anfang der 1980er fand in Münster der erste bundesweite Kongress der Hausbesetzer statt. In der Wendezeit wurden viele Häuser in der ehemaligen DDR besetzt (weil dort ein Machtvakuum herrschte, die Ostberliner Polizei war nicht mehr und die Westberliner Polizei noch nicht befugt einzugreifen). Die Besetzung von Häusern war oft ein „politischer Protestakt gegen das politische System" des jeweiligen Staates. Es kam nicht selten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Dies geschah v. a. bei Demonstrationen und Räumungen.
Viele der in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren in Deutschland und den Niederlanden besetzten Häuser sind heute legalisiert. Dies bedeutet, dass die Bewohner mit den Eigentümern Duldungs-, Miet- oder Nutzungsverträge abgeschlossen haben. Es gibt aber auch Häuser, die formell nicht legalisiert sind und einen inoffiziellen Status haben, nach dem sie als geduldet gelten. In der Schweiz haben besetzte Häuser häufig einen „Gebrauchsleihevertrag", der sichert, dass die Hausbesetzer auch Strom und Wasser bezahlen.
Bekannte besetzte Häuser waren oder sind das Georg-von-Rauch-Haus (Berlin-Kreuzberg), die Häuser in der Mainzer Straße (Berlin-Friedrichshain), die Hafenstraße (Hamburg-St. Pauli) oder die Rote Flora (Hamburg). Aber auch in kleineren Städten gab es spektakuläre und erfolgreiche Hausbesetzungen. In Tübingen sind dies etwa das Richard-Epple-Haus und das ehemalige Polizeihauptquartier im Stadtzentrum, das zum Studentenwohnheim wurde, in Leipzig die Häuser in der Stockartstraße in der Nähe des Conne Islands , in Potsdam das Boumans.
In Berlin-Kreuzberg richtete sich die Bewegung v. a. gegen die Flächensanierungspläne des Senats, welche im einzelnen den Abriss von Altbauten und den Neubau von Trabantensiedlungen zum Ziel hatten. Dazu ließen die Hauseigentümer die meist noch gut erhaltenen Altbauten durch niedrige Investitionen oftmals gezielt verfallen. Berlins erste Bewegung endete im Jahre 1981, als der Senat die „Berliner Linie" verkündete, welche keine Neubesetzungen mehr möglich machte. Zuvor hatten sich die Besetzer über die Legalisierung der Häuser in zwei Lager gespalten: Die einen wollten ihr neues Wohn- und Lebensverhältnis sichern, während die anderen den Besetzerstatus und ihre damit verbundenen politischen Ziele nicht aufgeben wollten.
Juristische Bewertung
Deutschland
Hausbesetzungen gegen den Willen des Eigentümers sind in Deutschland strafrechtlich gesehen Hausfriedensbruch nach § 123 des Strafgesetzbuchs (StGB); wird Einrichtung oder die Bausubstanz verschlechtert, liegen Sachbeschädigungen nach § 303 StGB vor. Ist der Wille des Eigentümers nicht erforschbar oder stellt er sich sogar ausdrücklich nicht gegen die Besetzung, so liegt hingegen keine strafbare Handlung vor. Oft finden im Umfeld einer Hausbesetzung auch andere Straftaten statt, zum Beispiel Entziehung elektrischer Energie nach § 248c StGB; bei Widerstand gegen polizeiliche Räumungen kommt es manchmal zu Körperverletzungen (§ 223 StGB) oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB). Zivilrechtlich hat der Eigentümer gegen die Besetzer Ansprüche auf Schadensersatz oder auf Herausgabe der Nutzungen.
Österreich
Eine Zusammenkunft in einem öffentlichen Gebäude stellt in Österreich weder einen strafrechtlichen Tatbestand noch eine Verwaltungsübertretung dar. Die Teilnehmer an einer solchen Zusammenkunft können daher kaum belangt werden. Handelt es sich bei der Zusammenkunft nicht um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts, gehen selbst die Initiatoren straffrei aus. Darüber hinaus können die Behörden eine derartige Zusammenkunft nur unter den in §37 Sicherheitspolizeigesetz niedergelegten Voraussetzungen auflösen, also nur dann, wenn sie als „schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Besitzers" gesehen werden muss und der Besitzer die Auflösung beantragt. Für Gebäude in Privatbesitz gelten jedoch sehr ähnliche Bestimmung wie in Deutschland, unter anderem insofern, als Hausbesetzer wegen Hausfriedensbruchs belangt werden können.
Kontroverse zur juristischen Bewertung
Die Hausbesetzerbewegung interpretierte diese Strafmaßnahmen beständig als Kriminalisierung. Mitunter bildete sich eine Solidarisierung mit den Hausbesetzern, die durch Öffentlichkeitsarbeit und Demonstrationen die Hausbesetzung unterstützte und sich gegen angebliche Repression und für den Erhalt der Häuser einsetzte. Für die Kosten der Prozesse gegen Hausbesetzer wurde Geld gesammelt und für die von der Repression Betroffenen wurde sich um Anwälte und rechtliche Betreuung gesorgt. In den Gerichtsverhandlungen waren Hausbesetzer darum bemüht, das politische Anliegen der Besetzung gegenüber der Straftat deutlich zu machen. Hausbesetzer sahen sich oft durch die jeweilige soziale Situation, der städtepolitischen Entwicklung und den Leerstand des Eigentums dazu legitimiert, Gebäude wieder einer „sinnvollen Nutzung" zuzuführen. Oft wurden empfundene Grundrechte, wie ein Recht auf Wohnung, versucht geltend zu machen. Strafverfahren gegen Hausbesetzer wurden oft wegen geringer Schuld eingestellt.
Slogans
- Die Häuser denen, die drinnen wohnen!
- Eigentum ist Diebstahl
- Miete verweigern, Kündigung ins Klo, Häuser besetzen sowieso
- Jeder Stein, der abgerissen, wird von uns zurückgeschmissen
- Wir holen uns das was uns gehört!
- Besetzt, bewohnt, belebt
- Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran! (Fehlfarben)
- We don't want just one cake - we want the whole fuckin' bakery!
- Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom
Besetzte Häuser
Eine Auswahl von bekannten Häusern, die zur Zeit besetzt sind oder früher besetzt waren und mittlerweile geräumt oder legalisiert wurden:
Dänemark
- Freistadt Christiania, Kopenhagen
- Ungdomshuset, Kopenhagen
Deutschland
- Ex-Steffi, Karlsruhe (bis April 2006)
- Georg-von-Rauch-Haus (Gebäude des Bethanien), Berlin
- Hafenstraße, Hamburg
- Köpi, Berlin
- KTS Freiburg, Freiburg im Breisgau
- Rote Flora Hamburg
- J. A. Topf und Söhne, Rudolstädter Straße. 1, Erfurt
- Yorck59 und New Yorck59, Berlin (bis Juni 2005)
- Barmer-Viertel, Köln
- TWH, Bielefeld
- Grevenerstr. 31 und Frauenstr. 24, Münster
- Kronenburg, Münster
Großbritannien
- Sealand, ehemalige Militärstation vor der britischen Küste
Niederlande
- Entrepotdok/Kalenderpanden, Amsterdam
- Op Drift, Groningen
- Vrankrijk, Amsterdam
- Poortgebouw, Rotterdam
Österreich
- Arena, Wien
- Ernst-Kirchweger-Haus (EKH), Wien
- Meldemannstraße, Wien
- Villa Kuntabunt, Innsbruck
- Bomba Clab, Klagenfurt
- Stadtwerkstatt, Linz
Schweiz
- Rote Fabrik, grösstes alternatives Kulturzentrum der Schweiz, ging in den 80er-Jahren aus einer Haus(Fabriks-)besetzung hervor
- Cabaret Voltaire, dada-Haus, Zürich
- Sidi, Winterthur
- Kulturzentrum Reithalle, Bern
- Wohlgroth-Areal, Zürich
- Kalkbreite (Gebäude der VBZ am gleichnamigen Tramdepot in Zürich; soll abgerissen werden)
- Dreieck, Wohngemeinschaft in Vereinsform in einem dreieckigen Strassenblock in Zürich, ging aus einer Hausbesetzung hervor.
Literatur
- Autonome Lupus-Gruppe: Die Hunde bellen ... Von A-RZ. Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre. Unrast, Münster 2001, ISBN 3-89771-408-6
- Geronimo: Feuer und Flamme. 6. Auflage. ID-Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-89408-004-3
- Geronimo: Glut und Asche. Reflexionen zur Politik der autonomen Bewegung. Unrast, Münster 1997, ISBN 3-928300-63-6
- Matthias Manrique: Marginalisierung und Militanz. Jugendliche Bewegungsmilieus im Aufruhr. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-593-34598-6
- Autonomie-Kongress der Undogmatischen Linken Bewegungen: Autonomie-Kongress der Undogmatischen Linken Bewegungen, Standpunkte - Provokationen - Thesen / hrsg. und remixed unter wissenschaftlicher Betreuung des Instituts für Elbvertiefung, Bewegungslehre und Politikberatung, Hamburg - Berlin - New York. Unrast, Münster 1997, ISBN 3-928300-59-8
- Ingrid Müller-Münch (Hrsg.): Besetzung: weil das Wünschen nicht geholfen hat. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1981, ISBN 3-499-14739-4
- Susan Arndt (Hrsg.): Berlin, Mainzer Strasse: „wohnen ist wichtiger als das Gesetz". Basis-Druck, Berlin 1992, ISBN 3-86163-020-6
Filme
- Blutgeil
- Was tun wenn's brennt - Spielfilm - D - 2002 [1]
- Sag niemals nie - Die Räumung der Mainzer Straße Download über indypeer.org
Weblinks
- Squat.net, bekannteste Seite in Europa zum Thema Hausbesetzungen
- Chronologie einiger Hausbesetzungen in der Schweiz, Deutschland, den Niederlanden und Italien in den 1980ern
- Politische Aktionen gegen Wohnungsnot und Umstrukturierung und die HausbesetzerInnenbewegung in Düsseldorf von 1972 bis heute – Diplomarbeit von Volker Rekittke und Klaus Martin Becker
- Soziale Bewegungen in Österreich: Die Autonomen – Artikel von Robert Foltin mit einigen Daten zur Hausbesetzungen in Österreich
- Anmerkungen zur Rechtslage in Österreich
- www.freibesetzt.tk Ausstellungsreihe über verschiedene Besetzungen
- www.kiefern.de Homepage der Kiefernstraße in Düsseldorf