Hedwig Richter

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Hedwig Richter (2017)

Hedwig Richter (* 1973) ist eine deutsche Historikerin. Sie ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München.

Leben

Nach dem Abitur absolvierte Richter ein Freiwilliges Soziales Jahr in Israel. Danach studierte sie Geschichte, deutsche Literatur und Philosophie an der Universität Heidelberg, der Queen’s University Belfast und der FU Berlin. Im Jahr 2008 wurde sie an der Universität zu Köln promoviert. Im selben Jahr war sie Postdoktorandin an der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Von 2009 bis 2011 war sie „Postdoctoral Fellow" an der „Bielefeld Graduate School in History and Sociology" der Universität Bielefeld. Von 2011 bis 2016 war sie wissenschaftliche Assistentin an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 2005 und 2011 war sie Fellow am Deutschen Historischen Institut Washington. Nach der Habilitation 2016 in Greifswald wurde sie zur Privatdozentin ernannt. Sie arbeitete ab 2016 als Historikerin am Hamburger Institut für Sozialforschung und vertrat im Sommersemester 2018 den Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Universität Heidelberg. 2019 erfolgte der Ruf auf die Professur für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München zum 1. Januar 2020.[1]

Ihre Forschung konzentriert sich auf die europäische Geschichte, die Geschichte der Vereinigten Staaten, Demokratie- und Diktaturforschung, Geschlecht, Migration und die Geschichte der Religion.[2]

Hedwig Richter schreibt unter anderem für die Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung ,[3] Süddeutsche Zeitung [4] und die taz sowie für die Wochenzeitung Die Zeit .[5]

Demokratieforschung

Demokratie ist in vielerlei Hinsicht ein Elitenprojekt, so eine von Hedwig Richters zentralen Thesen, die sie in ihrer Habilitationsschrift „Moderne Wahlen" und weiteren Veröffentlichungen[6] entfaltet. Insbesondere zu Beginn der Demokratiegeschichte um 1800 seien demokratische Praktiken wie Wahlen eher „von oben oktroyiert als von unten eingefordert [worden], und auch im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts erwiesen sich moderne Wahlen zwar nicht immer, aber immer wieder als Elitenprojekt".[7] In „Moderne Wahlen" führt Richter aus, dass sich die Demokratiegeschichte nicht als eine Erzählung einiger weniger Länder wie den USA oder Großbritannien schreiben lässt, sondern nur als eine gemeinsame und transnationale Geschichte. Wahlen dienten in allen nordatlantischen Ländern häufig nicht nur der Legitimationsstiftung, sondern auch der Disziplinierung der Bevölkerung oder als Ritus der Zustimmung oder gar Unterwerfung der Bürger unter die Staatsmacht.[8]

Lob und Kritik

Richters Habilitationsschrift ist auf breites Lob gestoßen. "Hedwig Richter hat mit 'Moderne Wahlen' ein voluminöses Werk über die Praktiken des Wählens vorgelegt", schreibt die Leiterin des Göttinger Instituts für Demokratieforschung in dem renommierten Organ Soziopolis, Richter sei "mit der Arbeit das geglückt, was gegenwärtig nicht mehr vielen auf Peer-review getrimmten und auf den Zitationsindex schielenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelingt: Richter schreibt äußerst anschaulich und erzeugt damit ein großes Lesevergnügen. Geschickt verwebt sie Quellen und Argumentation, reichert den Text durch zahlreiche Grafiken an und gibt durch eine Vielzahl von Beispielen tiefe Einblicke in die konkrete Durchführung des Wahlvorgangs." Weiter heißt es: „'Moderne Wahlen' von Hedwig Richter ist nicht nur aus historischer, sondern auch aus aktueller politikwissenschaftlicher Perspektive ein lesenswertes Buch, das über die Entwicklung der Wahlpraxis und die Historizität vermeintlich tragender Säulen der gegenwärtigen demokratischen Prinzipien umfassend und farbig informiert".[9] Die Historikerin Heidi Mehrkens bemerkt in ihrer Rezension, dass eine "große Stärke des Buches" darin liege, dass es Wahlen in eine breite politische Kulturgeschichte einbettet.[10] Im Rezensionsjournal sehepunkte hat allerdings der Historiker Hartwin Spenkuch von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften massive Kritik an Richters Thesen geübt, „weil ihnen Verkürzungen realhistorischer Zusammenhänge zugrunde" lägen.[11] Darüber hinaus bemängelt Spenkuch die „Zahl der Widersprüche, Sachfehler und kontrafaktischen Behauptungen"; zahlreiche Formulierungen Richters seien „gedankenlos oder gar grotesk". In der Gesamtschau kennzeichne eine „widersprüchliche Uneindeutigkeit" die Arbeit Richters, welche Spenkuch „bei einem wissenschaftlichen Werk für grundsätzlich unangemessen" hält.

Migrationsforschung

Hedwig Richter spricht mit Blick auf Diskurse über die Arbeitsmigration nach Deutschland von einem „Opfer-Plot". Er ist nicht nur blind für die transnationalen Verwicklungen des Migrationsprozesses, sondern er entmündigt auch die Migrantinnen und Migranten, denn diese ließen sich keineswegs naiv nach Deutschland locken.[12] Die Mehrheit der Arbeitsmigranten und -migrantinnen erhoffte sich schnelles Geld für einen sozialen Aufstieg in der Heimat – und zeigte sich empört, wenn jemand erwartete, dass sie länger als geplant in Deutschland bleiben sollte. Tatsächlich kehrten von 14 Millionen eingereisten Arbeitsmigranten 12 Millionen wieder zurück. Bis heute prägen der Opfer-Plot und die Konzentration auf die Integration die Diskussion über Migration und verbiegen die Perspektive, so Richter.[13]

Auszeichnungen

Hedwig Richters Dissertation Pietismus im Sozialismus wurde von der Universität Köln mit dem Offermann-Hergarten-Preis ausgezeichnet. Im Jahr 2018 erhielt sie für ihr Buch Moderne Wahlen den Preis der Demokratie-Stiftung.[14] 2020 ist Richters Sachbuch Demokratie. Eine deutsche Affäre für den Bayerischen Buchpreis nominiert.[15]

Hedwig Richter ist die Anna-Krüger-Preisträgerin 2020 des Wissenschaftskollegs zu Berlin.[16]

Publikationen (Auswahl)

Monographien

  • Demokratie. Eine deutsche Affäre. C.H. Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-75479-1.
  • Moderne Wahlen. Eine Geschichte der Demokratie in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert. Hamburger Edition, Hamburg 2017, ISBN 978-3-86854-313-1 (zugleich Habilitation, Univ. Greifswald 2016).
  • Die DDR (= UTB. Band 3252). Schöningh, Paderborn 2009, ISBN 978-3-8252-3252-8.
  • Pietismus im Sozialismus. Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft. Band 186). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-525-37007-0 (zugleich Dissertation, Univ. Köln 2008).
  • mit Ralf Richter: Die Gastarbeiter-Welt. Leben zwischen Wolfsburg und Palermo. Schöningh, Paderborn 2012, ISBN 3-506-77373-9.

Herausgeberschaften

  • mit Tim B. Müller: Demokratiegeschichten (= Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft. Band 44, Heft 3). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018, ISSN 0340-613X.
  • mit Kerstin Wolff: Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa. Hamburger Edition, Hamburg 2018, ISBN 978-3-86854-323-0.
  • mit Hubertus Buchstein: Kultur und Praxis der Wahlen. Eine Geschichte der modernen Demokratie. Springer VS, Wiesbaden 2017, ISBN 3-658-16097-7.
  • mit Luise Güth, Niels Hegewisch, Dirk Mellies und Knut Langewand: Wo bleibt die Aufklärung? Aufklärerische Diskurse in der Postmoderne. Festschrift für Thomas Stamm-Kuhlmann (= Historische Mitteilungen. Band 84). Steiner Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-515-10423-4.
  • mit Claudia Christiane Gatzka und Benjamin Schröder: Wahlen in der transatlantischen Moderne (= Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und Vergleichende Gesellschaftsforschung. Band 23, Heft 1). Leipziger Universitätsverlag Leipzig 2013, ISBN 978-3-86583-778-3.
  • mit Ralph Jessen: Voting for Hitler and Stalin. Elections under 20th Century Dictatorships. Campus Verlag, Frankfurt am Main u. a. 2011, ISBN 978-3-593-39489-3.
  • mit Susanne Muhle, Juliane Schütterle: Die DDR im Blick. Ein zeithistorisches Lesebuch. Metropol, Berlin 2008, ISBN 978-3-940938-04-6.
  • mit Sibylle Berg, Simone Meier, Margarete Stokowski: Diese Frauen müssen sie kennen, in: Spiegel Online und Watson.ch .
Commons: Hedwig Richter  – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Professur an der Universität der Bundeswehr München. Abgerufen am 1. Januar 2020. 
  2. Forschung und Lehrschwerpunkte. Abgerufen am 1. Januar 2020. 
  3. Vgl. etwa Wir Untertanen. Deutscher Sonderweg?, in: FAZ vom 22. Juni 2018.
  4. Vgl. etwa Streitbar. Das Ende der Demokratie droht?, in: SZ vom 13. August 2018.
  5. Vgl. etwa Schnaps für die Wähler , in: Die Zeit vom 7. November 2016.
  6. Hedwig Richter: Desinteresse und Disziplinierung. In: Geschichte und Gesellschaft. Band 44, Nr. 3, 5. September 2018, ISSN 0340-613X , S. 336–366 (vandenhoeck-ruprecht-verlage.com [abgerufen am 18. September 2018]). 
  7. Moderne Wahlen. Eine Geschichte der Demokratie in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert. Hamburger Edition, Hamburg 2017, S. 10.
  8. Transnatioal reform and democracy: Election Reforms in New York City and Berlin around 1900, in: Journal of the Gilded Age and Progressive Era 15 (2016), S. 149–175. auf academia.edu, abgerufen am 28. Februar 2018.
  9. Stine Marg, Frei, gleich, geheim?, in: Soziopolis
  10. Rezension von Heidi Mehrkens, in Francia recensio, hg. vom Deutschen Historischen Institut Paris, 6.6.2019.
  11. SEHEPUNKTE - Rezension von: Moderne Wahlen - Ausgabe 18 (2018), Nr. 5. Abgerufen am 29. August 2018. 
  12. Hedwig Richter, Die Komplexität von Integration. Arbeitsmigration in die Bundesrepublik Deutschland von den fünfziger bis in die siebziger Jahre, in: Zeitgeschichte-Online, November 2015.
  13. Hedwig Richter u. Ralph Richter, Der Opfer-Plot. Probleme und neue Felder der deutschen Arbeitsmigrationsforschung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1 (2009), S. 61–97.
  14. Stiftungspreis der Demokratie-Stiftung der Universität zu Köln. Abgerufen am 1. Januar 2020. 
  15. Bayerischer Buchpreis 2020 - Die nominierten Bücher: Sachbuch. Abgerufen am 4. September 2020. 
  16. Das Wissenschaftskolleg zu Berlin verleiht den Anna Krüger Preis für Wissenschaftssprache an Hedwig Richter. Abgerufen am 4. September 2020. 
Personendaten
NAME Richter, Hedwig
KURZBESCHREIBUNG deutsche Historikerin
GEBURTSDATUM 1973
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