Walter Lübcke
Walter Lübcke (* 22. August 1953 in Bad Wildungen; † 2. Juni 2019 in Wolfhagen) war ein deutscher Politiker (CDU), Abgeordneter des Hessischen Landtags und von 2009 bis zu seinem Tod Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel.
Ausbildung, Beruf und Privates
Walter Lübcke absolvierte eine Berufsausbildung zum Bankkaufmann. Es folgten acht Jahre als Zeitsoldat und eine Aufstiegsfortbildung zum Personalfachkaufmann.
Er arbeitete als Assistent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der documenta 7 und studierte Wirtschaftswissenschaften an der Gesamthochschule Kassel mit Schwerpunkt Personalwirtschaft und Arbeitsökonomie.
Parallel zu seiner Tätigkeit als freier Referent für wirtschaftspolitische Themenstellungen erfolgte 1991 die Promotion mit dem Titel Die frühen wirtschaftlichen Planungsversuche in der Sowjetunion: 1924–1928; Sozialismus zwischen Utopie und Pragmatismus. Später arbeitete er als Studienleiter in der beruflichen und politischen Bildung sowie als Direktor der Jugendbildungsstätte Haus Mühlberg in Ohrdruf in Thüringen.
Gleichzeitig war er Nebenerwerbslandwirt in Wolfhagen-Istha. Lübcke war evangelisch, verheiratet und hinterlässt zwei erwachsene Söhne sowie einen Enkel.
Politik
Lübcke war seit 1986 Mitglied der CDU und von 1987 bis 2009 stellvertretender Stadtverbandsvorsitzender in Wolfhagen, von 1994 bis 2009 Kreisvorsitzender der CDU Kassel-Land und von 1997 bis 2009 stellvertretender Bezirksvorsitzender der CDU Kurhessen-Waldeck. Kommunalpolitisch war Walter Lübcke von 1989 bis 2009 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Wolfhagen und dort von 1997 bis 2006 als stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher aktiv.
Im Hessischen Landtag war er vom 5. April 1999 bis 2009 Abgeordneter. Während er bei den Landtagswahlen 1999 und 2008 über die Landesliste gewählt wurde, gelang es ihm 2003 den Wahlkreis Kassel-Land I zu gewinnen. Im Landtag war er verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion. Er war seit dem 5. April 2003 stellvertretender Vorsitzender im Unterausschuss für Heimatvertriebene, Aussiedler, Flüchtlinge und Wiedergutmachung und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr, Kulturpolitischer Ausschuss, Kuratorium der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, Landeskuratorium für Weiterbildung in Hessen sowie dem Verwaltungsausschuss beim Staatstheater Kassel.
Bei der Landtagswahl in Hessen 2009 unterlag Walter Lübcke seiner SPD-Mitbewerberin und schied gleichzeitig aus dem Landtag aus, da die CDU so viele Direktmandate gewonnen hatte, dass kein CDU-Abgeordneter über die Landesliste gewählt wurde. Im Mai 2009 wurde er von Innenminister Volker Bouffier als Nachfolger von Lutz Klein zum Regierungspräsidenten des Regierungspräsidiums Kassel ernannt.[1]
Am 14. Oktober 2015 fand in Lohfelden bei Kassel eine Bürgerversammlung zur dortigen Erstaufnahmeunterkunft des Landes Hessen statt. Empörten Zwischenrufern, die nach Angaben der HNA zum Teil aus dem Pegida-Umfeld stammten, entgegnete Lübcke, das Zusammenleben in Deutschland beruhe auch auf christlichen Werten wie etwa der Hilfe für Menschen in Not, und ergänzte:[2] [3]
„Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen."
Im Internet wurde laut HNA-Angaben daraufhin in zahlreichen Schreiben Lübckes Rücktritt als Regierungspräsident gefordert. Lübcke erklärte, bei seiner Aussage bleiben zu wollen. Sie sei an „jene gerichtet, die durch Zwischenrufe ihre Verachtung unseres Staates artikuliert oder diesen Schmähungen applaudiert haben". In Bezug auf gerufene Parolen wie etwa „Scheiß Staat!" habe er darauf hinweisen wollen, „dass in diesem Land für jeden und für jede, die diese Werte und die Konsequenzen aus unseren Werten so sehr ablehnen und verachten, die Freiheit besteht, es zu verlassen; im Gegensatz zu solchen Ländern, aus denen Mensch nach Deutschland fliehen, weil sie diese Freiheit dort nicht haben".[3]
Der rechtspopulistische Schriftsteller Akif Pirinçci bezog sich während einer Pegida-Demonstration am 19. Oktober 2015 in Dresden auf Lübckes Aussage und meinte dazu, die „Macht" in Deutschland scheine „die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er [sic!] gefälligst nicht pariert". Sie habe zwar auch andere Alternativen, aber „die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb".[4] [5] In Folge seiner Rede vom 19. Oktober 2015 wurde Pirinçci vom Amtsgericht Dresden wegen Volksverhetzung verurteilt.[6]
Lübcke erhielt im Anschluss an die Bürgerversammlung und an die Pegida-Veranstaltung Morddrohungen und stand zwischenzeitlich unter Polizeischutz.[7] Laut Hermann-Josef Klüber, dem stellvertretenden Regierungspräsidenten, erhielt Lübcke unter anderem auch Drohungen von sogenannten Reichsbürgern.[8]
Tod
Walter Lübcke wurde am 2. Juni 2019 kurz nach Mitternacht leblos auf der Terrasse seines Hauses im Wolfhagener Ortsteil Istha von einem Angehörigen aufgefunden; er verstarb trotz Reanimationsversuchen. Etwa zwei Stunden später bestätigte die Kreisklinik Wolfhagen seinen Tod. Anschließend wurde eine Obduktion angeordnet, bei der in seinem Kopf ein Projektil einer Kurzwaffe gefunden wurde, das aus kurzer Distanz abgeschossen worden war.[9] Da die Tatwaffe bislang nicht gefunden wurde und es keine Hinweise auf einen Suizid gibt, wird von einem Tötungsdelikt ausgegangen.[10] [11] [12] [13] Eine Sonderkommission des LKA Hessen und des Polizeipräsidiums Nordhessen ermittelt gegen unbekannt.[14]
Im Kontext mit der Ermordung Lübckes wies Patrick Gensing darauf hin, dass im Jahr 2015 auf dem islamkritischen Blog PI-News explizit auf die private Adresse Lübckes hingewiesen worden war. Der BR-Journalist Robert Andreasch dokumentierte danach auf Twitter, dass dort in Kommentaren dazu aufgerufen worden war, bei Lübcke „vorbeizuschauen". Ein Kommentar lautete: „Der Kasper aus Kassel macht es nicht mehr lange."[8]
Die Tötung Lübckes wurde in sozialen Netzwerken von Nutzern des rechten Spektrums vielfach wohlwollend kommentiert.[8] Laut Staatsanwaltschaft werden Postings in diesem Zusammenhang auf strafrechtliche Relevanz überprüft.[15] In diesem Kontext fiel auch der Kreisverband Dithmarschen der Alternative für Deutschland (AfD) auf, der Lübckes Tod mit dem mutmaßlichen Suizid Jürgen Möllemanns verglich.[16]
Sonstige Ämter
Lübcke war Mitglied des Kuratoriums der Landeszentrale für politische Bildung in Wiesbaden, des Verwaltungsausschusses des Staatstheaters Kassel sowie Beiratsmitglied der Flughafen Kassel GmbH.
Weblinks
- Dr. Walter Lübcke. In: Website des Regierungspräsidiums Kassel. Abgerufen am 3. Juni 2019
Einzelnachweise
- ↑ RP: „Regierungswechsel" in Kassel. In: Waldeckische Landeszeitung. 20. Mai 2009, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 3. Juni 2019.@1 @2 Vorlage:Toter Link/www.wlz-fz.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
- ↑ Boris Naumann: Info-Abend zu Flüchtlingen: 800 Besucher in Lohfelden. In: HNA. 15. Oktober 2015, abgerufen am 21. Januar 2016.
- ↑ a b Peter Ketteritzsch: Walter Lübcke im Interview: „Ich bleibe bei meiner Aussage". In: HNA. 16. Oktober 2015, abgerufen am 21. Januar 2016.
- ↑ Eklat bei Pegida-Demo: „Die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb". In: Spiegel Online. 20. Oktober 2015, abgerufen am 21. Januar 2016.
- ↑ Benjamin Maack: Hetzredner Pirinçci: Mitleid mit dem Demagogen. In: Spiegel Online. 20. Oktober 2015, abgerufen am 4. Juni 2019.
- ↑ Jost Müller-Neuhof: Akif Pirincci wegen Volksverhetzung verurteilt. In: Der Tagesspiegel. 25. September 2017, abgerufen am 3. Juni 2019.
- ↑ Christoph Sydow: Morddrohungen gegen Regierungspräsident Lübcke. 16. Oktober 2015, abgerufen am 3. Juni 2019.
Jonas Mueller-Töwe, Patrick Diekmann: CDU-Politiker Lübcke aus nächster Nähe erschossen. In: t-online.de. 3. Juni 2019, abgerufen am 3. Juni 2019. - ↑ a b c Patrick Gensing: Rechtsextreme verhöhnen Getöteten. In: tagesschau.de. 4. Juni 2019, abgerufen am 4. Juni 2019.
- ↑ Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde erschossen In: Frankfurter Rundschau , 3. Juni 2019.
- ↑ Frank Thonicke, Kathrin Meyer: Kassels Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke erschossen: Ermittlungen laufen. In: HNA. 2. Juni 2019, abgerufen am 4. Juni 2019.
- ↑ Christian P. Stadtfeld: Regierungspräsident von Kassel: CDU-Politiker Dr. Walter Lübcke ist tot – Region geschockt. In: Focus Online. 2. Juni 2019, abgerufen am 4. Juni 2019.
- ↑ Rainer Janke: LKA informiert über Stand der Ermittlungen im Fall Lübcke. In: hessenschau. 3. Juni 2019, abgerufen am 4. Juni 2019.
- ↑ Susanne Höll, Philipp von Nathusius: Tod eines Politikers. In: Süddeutsche Zeitung , 3. Juni 2019.
- ↑ Tod auf der Terrasse In: Spiegel Online , 3. Juni 2019.
- ↑ Staatsanwaltschaft überprüft Hassbotschaften gegen Lübcke, auf hessenschau.de
- ↑ Dithmarscher AfD ätzt über Tod von CDU-Politiker – Quelle: https://www.shz.de/24132832 ©2019, auf shz.de
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Personendaten | |
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NAME | Lübcke, Walter |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Politiker (CDU), MdL |
GEBURTSDATUM | 22. August 1953 |
GEBURTSORT | Bad Wildungen |
STERBEDATUM | Juni 2019 |
STERBEORT | Wolfhagen |
- Politiker (21. Jahrhundert)
- Regierungspräsident (Kassel, Hessen)
- Landtagsabgeordneter (Hessen)
- CDU-Mitglied
- Träger des Bundesverdienstkreuzes (Verdienstmedaille)
- Mordopfer eines ungeklärten Kriminalfalls
- Kriminalfall in Deutschland
- Kriminalfall 2019
- Person (Wolfhagen)
- Person (Bad Wildungen)
- Deutscher
- Geboren 1953
- Gestorben 2019
- Mann