Modern Monetary Theory

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 13. April 2019 um 09:26 Uhr durch Cathschu (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Bei der Modern Monetary Theory (auch: Modern Money Theory, oft abgekürzt: MMT) handelt es sich um eine Strömung des Postkeynesianismus, in der die Analyse des Geldsystems zentral ist.

Zur Anwendung kommt die Methode der doppelten Buchführung, mit deren Hilfe u. a. die Kreditschöpfung, die Instrumente der Zentralbank und die fiskalischen Operationen analysiert werden. Grundpfeiler sind die Theorie der sog. endogenen Kredit- oder auch Geldschöpfung , nach der Banken gegen Sicherheiten Kredite gewähren, ohne dass sie dafür auf Ersparnisse zurückgreifen, sowie die Theorie des von Georg Friedrich Knapp begründeten Chartalismus, nach der ein Staat erst Geld in Umlauf bringt, bevor er es durch Steuern wieder vernichtet. Ebenfalls wesentlich ist die Bilanzsichtweise mit T-Konten und die auf die Arbeiten von Wynne Godley zurückgehende Aufteilung der Wirtschaftssektoren in staatlich, privat (Haushalte und Unternehmen) und extern (Rest der Welt).[1]

Führende Vertreter der MMT sind Warren Mosler, Bill Mitchell,[2] Randall Wray, Stephanie Kelton,[3] Pavlina Tcherneva, James K. Galbraith [4] und Michael Hudson. Auch Scott Fullwiler, Fadhel Kaboub, Mathew Forstater und in Europa Dirk Ehnts, Andrea Terzi, Günther Grunert und Paul Steinhardt werden der Schule zugerechnet. Viele dieser ÖkonomInnen sind oder waren am Bard College in New York oder an der University of Missouri–Kansas City tätig. In Deutschland schreibt eine kleine Gruppe von MMT'lern für das Online-Magazin Makroskop, das von Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt herausgegeben wird. Zu den Autoren von Makroskop zählt auch Bill Mitchell, einer der Begründer der MMT.

Geschichte

Mit Full Employment and Price Stability veröffentlichte Warren Mosler 1997 den ersten genuinen MMT-Aufsatz in einer referierten Fachzeitschrift, dem Journal of Post Keynesian Economics (JPKE).[5] [6] In diesem Artikel argumentiert Warren Mosler, dass erstens Arbeitslosigkeit bedingt sei durch ein zu geringes Defizit des Staates (als Steuern minus Staatsausgaben) und zweitens der „Wert" der Währung durch die Preise des Staates gesetzt werde. Die heutige Wirtschaftspolitik sei darauf ausgerichtet, durch die Zinspolitik der Zentralbank in Zeiten zu hoher Inflationsraten Arbeitslosigkeit zu schaffen. Dies kritisiert Mosler. Der Staat könne jederzeit Arbeitslosigkeit beseitigen durch ein Handeln als „Employer of Last Resort" (Beschäftiger der letzten Instanz). Diese Politikmaßnahme wird heute als „Job Guarantee" bezeichnet und u. a. von Bernie Sanders befürwortet.[7] Keine Krise ist diesem Ansatz zufolge so tief, dass sie nicht durch Geldschöpfung des Staates und Steuerreduzierung überwunden werden könne. Fundamental ist die Einsicht, dass der Staat als Monopolist über die Währung seine Ausgaben nicht „finanziert", sondern der Schöpfer der Währung ist. Seine Ausgaben sind es, die den privaten Sektor (Haushalte und Unternehmen) erst in die Lage versetzen, ihre Steuern zu zahlen.

Diese Einsicht wurde u. a. bereits 1905 von Georg Friedrich Knapp vertreten. Er eröffnete seine Staatliche Theorie des Geldes mit der Argumentation, dass Geld – im Gegensatz zur Geldwerttheorie des Metallismus – seinen Wert aus der Rechtsordnung des Geld ausgebenden Staates (also aus der sogenannten Charta) schöpfe:

„Das Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung. Es ist im Laufe der Geschichte in den verschiedensten Formen aufgetreten. Eine Theorie des Geldes kann daher nur rechtsgeschichtlich sein."

Georg Friedrich Knapp: Staatliche Theorie des Geldes[8]

Der Wert einer staatlich ausgegebenen Goldmünze liege also nicht im inhärenten Wert des Goldes, aus dem die Münze geprägt wurde. Münzen seien vielmehr die „entseelten Überreste" des Geldwesens.[8] Dies werde schon bei Papiergeld klarer, das nicht einmal mehr einen nennenswerten materiellen Wert innehat. Entgegen der Metallismus-Argumentation, dass Papiergeld durch Edelmetalle gedeckt sei, sei alles staatlich ausgegebene (chartalistische) Geld Fiatgeld, und „[s]taatliches Geld wird daran erkannt, dass es vom Staate angenommen wird".[8] Eine Folge dieser Sicht ist die Erkenntnis, dass auf Bundesebene (auf Länderebene ist es anders) die Steuern keine Staatsausgaben finanzieren, sondern umgekehrt die Emission staatlichen Geldes Steuerzahlungen erst ermöglicht. Da die MMT diese Einsicht übernommen hat, wird die Schule auch als chartalistisch beschrieben. Ihre Vertreter heben hervor, dass die Regelungen der Eurozone die nationalen Regierungen auf den Status von Bundesstaaten zurücksetzen, die sich nicht ohne Probleme selbst finanzieren können.[9]

Fachkonferenzen zu Modern Monetary Theory fanden in den 2000er Jahren an der University of Kansas City in Missouri statt, zuletzt 2016 als 1. International MMT conference, bevor die Konferenz 2018 an die renommierte New School for Social Research umzog.[10] Die erste europäische MMT-Konferenz fand am 1. und 2. Februar 2019 in Berlin an der EBC-Hochschule statt und wurde von der Samuel-Pufendorf-Gesellschaft für politische Ökonomie e. V. organisiert.[11]

In Disziplinen wie der Soziologie, den Politikwissenschaften und den Rechtswissenschaften wird MMT auch in Deutschland wahrgenommen. So schrieb unter anderen der Hamburger Soziologe Aaron Sahr ein Buch zum „Keystroke-Kapitalismus",[12] der Bremer Politikwissenschaftler Wolfgang Krummbein ein Buch über Staatsfinanzierung durch die Zentralbank,[13] und die Würzburger Juristin Isabel Feichtner einen Aufsatz über eine mögliche Untersuchung des Geldes aus der Perspektive des Rechts.[14]

Rezeption

Der US-amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman kritisiert die Modern Monetary Theory als „Rezept für sehr hohe Inflation, vielleicht sogar Hyperinflation", sobald die Situation der „Liquiditätsfalle" nicht mehr vorliegt: Eine ständig steigende Geldmenge führt, so Krugman, zu einer massiven, d. h. jedenfalls überproportionalen Verringerung der Nachfrage nach dieser Währung, letztlich zur Zerstörung dieser Währung.[15] [16]

In einem Working Paper der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung wird die Modern Monetary Theory als „polemische Politik für Depressionszeiten" bezeichnet, der die ökonomische Fundierung fehle. Insbesondere fehle eine Begründung für die Annahme, dass Vollbeschäftigung und stabile Verbraucherpreise durch MMT gleichzeitig garantiert werden können.[17]

Literatur

  • Bill Mitchell, Randall Wray: Modern Monetary Theory and Practice: An Introductory Text. CreateSpace Independent Publishing Platform, 2016, ISBN 978-1-5303-3879-5.
  • Dirk Ehnts: Modern Monetary Theory and European Macroeconomics. Routledge, London 2016, ISBN 978-1-138-65477-8.
  • Dirk Ehnts: Modern Monetary Theory und europäische Makroökonomie, Berlin 2017, in: Berliner Debatte Nr. 3, S. 89–102, online hier abrufbar
  • Randall Wray: Modern Money Theory: A Primer on Macroeconomics for Sovereign Monetary Systems. Palgrave Macmillan, London/ New York 2014, ISBN 978-1-137-26514-2.
  • Randall Wray: Modernes Geld verstehen: Der Schlüssel zu Vollbeschäftigung und Preisstabilität. Lola Books, 2018, ISBN 978-3944203355

Einzelnachweise

  1. Gesamtwirtschaftliche Buchhaltung: Finanzierungssalden – Was-ist-Geld.de. Abgerufen am 19. Dezember 2018 (deutsch). 
  2. Was ist neu an der Modern Monetary Theory? Eine Erinnerung an Knapps „Staatliche Theorie des Geldes" (1). In: Fazit – das Wirtschaftsblog. 18. Januar 2012 (faz.net [abgerufen am 1. Oktober 2018]). 
  3. „Schon die Frage ist falsch." Interview mit Stephanie Kelton, SZ, Nr. 288, 14. Dezember 2018, S. 17.
  4. „Modern Monetary Economics" auf dem Weg zum ökonomischen Mainstream?, TELEPOLIS, 9. September 2010.
  5. Full Employment and Price Stability on JSTOR. Abgerufen am 19. Dezember 2018 (englisch). 
  6. Warren Mosler: Full Employment AND Price Stability. Abgerufen am 19. Dezember 2018 (amerikanisches Englisch, frei zugängliche Version des Artikels ohne Grafiken). 
  7. The Washington Post. Abgerufen am 19. Dezember 2018 (englisch). 
  8. a b c Georg Friedrich Knapp: Staatliche Theorie des Geldes. Duncker & Humblot, Leipzig 1905. 
  9. Dirk Ehnts: Geld und Kredit: eine €-päische Perspektive. Abgerufen am 19. Dezember 2018. 
  10. MMT Conference. Abgerufen am 19. Dezember 2018. 
  11. 1st-international-european-mmt-conference-20199. Abgerufen am 19. Dezember 2018. 
  12. Hamburger Edition HIS Verlagsges.mbH: Buch-Detail. Abgerufen am 19. Dezember 2018. 
  13. Wolfgang Krumbein: Staatsfinanzierung durch Notenbanken! Abgerufen am 19. Dezember 2018. 
  14. Volume 17 No 05. Abgerufen am 19. Dezember 2018 (amerikanisches Englisch). 
  15. Paul Krugman: Deficits and the Printing Press The New York Times, 25. März 2011.
  16. Paul Krugman: MMT again The New York Times, 15. August 2011.
  17. Thomas I. Palley: The critics of modern money theory (MMT) are right Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung, Mai 2014.
Abgerufen von „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Modern_Monetary_Theory&oldid=187521927"