Wanderschriftanlage

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Eine Wanderschriftanlage ist eine Sonderform der Lichtwerbung, die Ende der 1920er Jahre eine Blütezeit erlebte.

Reklame-Wanderschrift am Potsdamer Platz mit 10.000 Glühbirnen (1927)
Altes Ku’damm-Eck mit Avnet Bildwand (1990)
Politikens Hus in Kopenhagen mit moderner Anlage (2006)

Geschichte

Mit der stürmischen Entwicklung der Elektrotechnik Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte sich die Lichtwerbung in den Zentren der expandierenden Städte. Bereits vor dem ersten Weltkrieg waren Glühlampentableaus in Gebrauch. Nach einer Unterbrechung durch die kriegsbedingte Energierationierung erreichte animierte Lichtwerbung in der Elektropolis der Goldenen Zwanziger einen technisch-ästhetischen Höhepunkt mit Leuchtröhren und Wanderschriftanlagen.

Die Anlagen wurden vornehmlich von Zeitungsverlagen in Auftrag gegeben: als Anwendungsgebiet kamen folglich Kurznachrichten, Kleinanzeigen, Werbung und Börsenticker in Betracht. Großstädtische Plätze und Bahnhöfe mit ihrer hohen Publikumsfluktuation waren bevorzugte Aufstellorte.

Gegen Ende der 1930er Jahre ermittelten Werbepsychologen, daß die Aufmerksamkeit von Passanten nur über eine kurze Zeit gefesselt werden konnte; zum Lesen der angezeigten Texte hätten sie u.U. jedoch stehen bleiben müssen, was durch Gewöhnung zunehmend unterblieb. Da auch die Unterhaltskosten der Anlagen beträchtlich waren, wurde von Neuinstallationen Abstand genommen.

Als spätes Beispiel dieser großstädtischen Kommunikationsform ist noch die Avnet Bildwand (1988–1995) zu nennen. Heutzutage wird das Einsatzgebiet durch Großbildprojektoren und spezielle Plasmabildschirme abgedeckt.

Bauformen und Technologie

Erste Versuche wurden mit bedruckten oder bemalten Transparenten durchgeführt, die vor einem hinterleuchteten Fenster abgewickelt wurden. Nach dem ersten Weltkrieg wurden zunächst Universalleuchtfelder entwickelt. Diese verwendeten 16 E27 und 10 E14 Glühlampen zur Darstellung eines einzelnen Buchstabens, dabei war bereits eine zeichenweise Animation möglich. Gleichzeitig wurden die Glühlampentableaus, bei denen es sich typologisch bereits um eine Frühform des Punktmatrixdisplays handelt, in Zeilenformaten von typischerweise 10x1000-2000 Lampen angeordnet. Die einzelnen Lampen waren zur Vermeidung von Überstrahlungen durch Aluminiumtrichter bzw. Streifen getrennt.

Zur Textdarstellung wurden Prägebuchstaben (Typenklötze) zu Endlosbändern aneinandergereiht; diese wurden unter Federkontakten hindurchgezogen, die den Stromkreis der korrespondierenden Lampe schlossen, sobald sie durch die Kontur eines Buchstabens angehoben wurden. Im Gesamtbild ergibt das sequenzielle An- und Abschalten durch das Phi-Phänomen den Eindruck einer kontinuierlichen Bewegung.

Höhere Betriebssicherheit wiesen Anlagen auf, die ein gestanztes Lochband, ähnlich dem der Druckluftsteuerung der damals weit verbreiteten Pianolas, verwendeten. Als Vorzug beider Systeme wurde hervorgehoben, dass kurzfristige Textänderungen auch ohne Unterbrechung der Vorführung möglich waren. Später wurde für die Ansteuerung auf Relais, Steckfelder und Schrittschaltwerke aus der Vermittlungstechnik zurückgegriffen. Die hohe Ausfallquote der Glühlampen bedingte jedoch bei allen Varianten einen beträchtlichen Wartungsaufwand, zumal die Anlagen oft in großer Höhe der Witterung ausgesetzt waren.

Kleinere Anlagen wurden für die Aufstellung in Schaufenstern entwickelt. Sie werden auch heute noch produziert, die Punktmatrix ist heute mittels LED-Zeilen realisiert.

Ausgewählte Installationen

  • Eine Lichtreklame mit Wanderschrift der AEG wurde 1926 am Hauptportal des Messegebäudes in Basel gezeigt[1]
  • 1926 wurde eine weitere Wanderschriftanlage auf dem Dach des Wiener Dianabades und ein Wechselschrift- Apparat 23 auf dem Hapag-Haus an der Ecke Oper/Kärntner Straße montiert.
  • Im November 1926 wurde am Politikens Hus der Tageszeitung Politiken, Rådhuspladsen 37 in Kopenhagen durch die Nordisk Elektrisk Aparatfabrik die besonders schnelle und betriebssichere Anlage Meteor mit 9*146 Glühbirnen eingerichtet.
  • Im November 1928 wurde am Verlagsgebäude der New York Times, One Times Square in Manhattan das Motograph News Bulletin, auch genannt Zipper mit 14,800 Glühbirnen installiert.[2]
  • 1927 besaß der Berliner Funkturm eine Werbeanlage mit 4000 Birnen, die bereits 1935 bei einem Brand zerstört wurde[3]
  • 1930 war an der Fassade des Cafe Josty am Potsdamer Platz eine Wanderschriftanlage in Betrieb.
  • Im Oktober 1930 wurde von der norwegischen Tageszeitung Aftenposten das Aftensposten Lysavis anläßlich der Stortingsvalget eingrichtet; das Lysavis befand sich an der Østbanestasjonen in Oslo.
  • Vielbeachteten Einsatz zu Propagandazwecken fand die Technologie zur Zeit des Kalten Krieges, als am Potsdamer Platz eine große Anlage aufgestellt wurde, um die Menschen auf der Ostseite im Wettstreit der Systeme zu beeinflussen. Eine ähnliche Anlage wurde kurz darauf am Hause des Landesvorstandes Groß-Berlin der SED in Betrieb genommen.[4] [5]
  • Zum 15. Geburtstag der DDR 1964 baute eine Arbeitsgemeinschaft der Jungen Pioniere in Plauen (Vogtland) gemeinsam mit Arbeitern, Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern aus Plauener Betrieben eine Elektro- Laufschriftanlage, vor dem Stadttheater aufgestellt wurde. Daneben gab es in Berlin, Leipzig und Erfurt derartige Anlagen.[6]
  • 1967 nahm eine elektronische volltransistorisierte Laufschriftanlage am seinerzeitigen Leipziger Karl-Marx-Platz den Probebetrieb auf. Vom Dach des VEB Chemieingenieurbau werden von der Frühjahrsmesse an 80 Zentimeter hohe Buchstaben leuchten und über eine 20 Meter lange Fläche laufen, die aus 1050 Glühlampen mit insgesamt 26.000 Watt besteht. Diese elektronische Laufschrift, es ist die erste in den sozialistischen Ländern, kann Informationen von beliebiger Länge ohne Unterbrechung ausstrahlen. Die bisher üblichen Anlagen konnten nur ein vorher festgelegtes Programm bringen.[7]
  • Von 1988 bis 1990 befand sich am alten Berliner Ku’damm-Eck die weltgrößte Wandzeitung, eine 300 m2 große Lichtraster-Werbefläche die in der Tradition der klassischen Installationen stand und eine Frühform heutiger Multimedia-Großdisplays darstellte. Die Anzeige wurde von über 100 000 drehbar gelagerten Kunststoffwürfeln erzeugt. Betreiber der computergesteuerten Wandzeitung war die Gruner & Jahr-Tochtergesellschaft Avnet Bildwand GmbH. Im Neun-Sekunden-Wechsel wurden Nachrichten, Werbung, Kunst sowie persönliche Grußbotschaften ausgestrahlt. Am 8. Juli 1990 feierten Fußballfans auf dem Kudamm den Sieg über Argentinien im Endspiels der Fußballweltmeisterschaft. Dabei blieb eine Leuchtrakete zwischen zwei Würfeln der Wand stecken; das Feuer zerstörte die Bilderwand teilweise.[8] [9]
  • Dresden Hauptbahnhof, Richtung Prager Straße zeigend gab es ab Mitte der 70er Jahre eine Anlage von ca. 1,20m Höhe und 60m Länge, die über einen KC 85 Computer gesteuert wurde.
  • Von 1979 bis 2008 war im Dresdner DDV-Stadion eine computergesteuerte Spielstandsanzeige mit 4300 Glühbirnen auf 6 Zeilen zu 20 Zeichen in Betrieb, die auch eine Laufschriftanzeige ermöglichte[10]

Literatur

  • Vald. Selmer Trane: Die Wanderschriftanlage Meteor. Kopenhagen,1926 (Digtalisat)
  • M. Püchler: Wanderschrift-Anlagen. In: AEG Mitteilungen. Berlin 1927
  • Franz Pucher: Die Abendtoilette der Großstadt und ihr Geheimnis. In: Das Magazin. Band 5, 1928/29 (Digtalisat)
  • Kurt Wiegand: Lichtreklame. In: Handbuch der Lichttechnik. Verlag von Julius Springer, Berlin 1938

Einzelnachweise

  1. Lichtreklame mit Wanderschrift. In: Das Magazin. Band 5.1928/29 (Digtalisat)
  2. EDN Moments: Motograph News Bulletin debuts in New York City
  3. Artikel in Der Tagesspiegel: Der Heimweh-Turm wird 90
  4. Artikel in Neues Deutschland. 23. Dezember 1950
  5. Krieg der Leuchtschriftanlagen am Potsdamer Platz
  6. Artikel in Neues Deutschland. 11. August 1964
  7. Artikel in Neues Deutschland. 23. Februar 1967
  8. Artikel in der Berliner Zeitung. 10.05.2001
  9. Avnet Bildwand (Detail)
  10. Eine Legende wird 35 - Anzeigetafel aus dem VEB Kosora
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