Leopold Kunschak
Leopold Kunschak (* 11. November 1871 in Wien; † 13. März 1953 ebenda) war ein österreichischer Politiker (CS/ÖVP).
Leben
Der Sohn eines Fuhrwerksunternehmer musste schon als Kind in Heimarbeit Dochte in Wachskerzen einziehen. Der Vater hatte finanzielles Unglück gehabt und war früh gestorben, so musste die Mutter ihn und seine Geschwister als Wäscherin alleine durchbringen. Zuerst sollte Kunschak Schriftsetzer, dann Sattler werden und fand schließlich in der Simmeringer Waggonfabrik Arbeit, wo er im Jahr 1889 zum ersten Mal als Unbeteiligter mit einem Streik – dem der Wiener Tramwaybediensteten – in Berührung kam.[1]
Sein Bruder Paul Kunschak erschoss am 11. Februar 1913 den sozialdemokratischen Reichsratsabgeordneten Franz Schuhmeier. Das Todesurteil im nachfolgenden Prozess wurde später in 20 Jahre Kerkerhaft umgewandelt und Kunschak 1918 bei der allgemeinen politischen Amnestie nach dem Ersten Weltkrieg begnadigt.
Nach dem Begräbnis des Abgeordneten Schuhmeier erhielt die Polizeidirektion in Wien von der Polizei München die telegraphische Mitteilung, dass der Tischlergehilfe Franz Freiberger nach Wien abgereist sei, um, wie er sich geäußert hatte, den Tod Schuhmeiers zu rächen und Leopold Kunschak, den Bruder des Mörders, zu töten. Nach Einlangen der Verständigung wurden Streifungen in ganz Wien vorgenommen; eine Verständigung ging auch unverzüglich an Bürgermeister Weiskirchner und an Leopold Kunschak ab, dessen Haus unter polizeilicher Bewachung gestellt wurde. Noch im Laufe der Nacht ermittelte die Polizei den Aufenthaltsort Freibergers, der in einem kleinen Gasthaus das Abendessen eingenommen und sich in das Männerheim in der Meldemannstraße begeben hatte. Um die Nachtruhe nicht zu stören, erfolgte seine Festnahme erst in den Morgenstunden. Bei der körperlichen Durchsuchung Freibergers wurde ein Revolver gefunden, der mit zwei Patronen geladen war; ferner fand man beim Verdächtigen auch eine dreikantige, scharf zugespitzte Feile, die er für den Fall, dass der Revolver versagen sollte, als Stichwaffe zum Einsatz bringen wollte.[2]
Als gelernter Sattler gründete Kunschak 1892 den christlichsozialen Arbeiterverein, dessen Vorsitzender er bis 1934 war. Er selbst durfte seinem eigenen Verein vorerst gar nicht beitreten, da er noch nicht das gesetzlich geforderte Beitrittsalter von 24 Jahren hatte. In der Folge hatte er verschiedene politische Funktionen inne:
- 1904–1934 Mitglied des Wiener Gemeinderats
- 1907–1911 Reichsratsabgeordneter
- 1913–1919 Landesausschussmitglied in Niederösterreich
- 1919–20 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung
- 1920–1934 Abgeordneter zum Nationalrat
- 1920–21 Obmann der christlichsozialen Reichsparteileitung.
Aufgrund seiner demokratischen Einstellung war Kunschak ein Gegner der Heimwehr und von Engelbert Dollfuß. Er war auch gemeinsam mit Johann Staud der wichtigste politische Exponent des Freiheitsbundes und trat während der Februarkämpfe 1934 als Vermittler zwischen den Parteien auf.
Nach dem Zweiten Weltkrieg unterzeichnete er am 27. April 1945 gemeinsam mit Karl Renner, Adolf Schärf und Johann Koplenig die Österreichische Unabhängigkeitserklärung. Ab 1945 war er wieder Mitglied des Wiener Gemeinderates, von 1945 bis 1946 auch Vizebürgermeister. Auch an der Gründung des ÖAAB und der ÖVP beteiligte er sich. Von 1945 bis 1953 amtierte er als Präsident des Nationalrates und er starb fünf Tage vor Ablauf seiner Amtsperiode. Er war Ehrenmitglied der KaV Norica Wien im CV, heute ÖCV [3] .
Seit 1965 wird jährlich am 13. März von der ÖVP der Leopold-Kunschak-Preis verliehen.
Antisemitismus
Kunschak, den mit Bürgermeister Lueger eine enge Freundschaft verband, trat als Antisemit in Erscheinung. So geißelte er die „judenliberale Presse" und sah die christlich-sozialen Arbeiter von jüdischen Arbeitgebern gefährdet.[4]
Bereits 1919 hatte er einen Gesetzentwurf über „Die Rechtsverhältnisse der Jüdischen Nation" entwickelt, aber auf Anraten seines Parteiobmanns Ignaz Seipel nicht veröffentlicht. 1936 publizierte Kunschak in einer Zeitschrift des Reichsverbandes christlicher Arbeitervereine Österreichs einen ähnlichen Entwurf, der einen „Judenkataster", eigene Schulen sowie Zugangsbeschränkungen für Juden zu den Universitäten und zum öffentlichen Dienst vorsah.[5] Beim Hauptappell des Freiheitsbundes am 15. März 1936 sagte Kunschak:
„Entweder löst man die Judenfrage rechtzeitig nach den Eingebungen der Vernunft und Menschlichkeit, oder sie wird gelöst werden in der Form des vernunftlosen Tieres, in der es seinen Feind angeht, in Formen wildgewordenen und unbändigen Instinkts."
Die 2013 in der Kritik an Kunschak wiederholte Behauptung, Kunschak habe sich auch nach der NS-Zeit öffentlich als Antisemiten bezeichnet, basierte auf einem Text im Zürcher Israelitischen Wochenblatt am 7. Dezember 1945. Als Replik darauf wurde 2013 angeführt, das angebliche Bekenntnis Kunschaks sei 1945 in keiner österreichischen Tageszeitung erwähnt worden und scheine auch in den damals sehr detaillierten Polizeiberichten nicht auf. Der auf 1945 bezogene Vorwurf sei daher nicht aufrechtzuerhalten; dieser Auffassung wurde stark widersprochen.[7]
Ehrungen
- 1946 wurde er anlässlich seines 75. Geburtstags vom Wiener Gemeinderat einstimmig zum Ehrenbürger Wiens ernannt und war damit der Erste im wiedererstandenen Österreich, der derart gewürdigt wurde.[8]
- 1951 war er einer der Preisträger des Karl-Renner-Preises.[9] [10]
- Im Jahr 1971 wurde in Wien Hernals (17. Bezirk) der Leopold-Kunschak-Platz nach ihm benannt.
Schriften
- Arbeiterfrage und Christentum, 1905
- Volkstum und Arbeiterschaft, 1928
- Österreich 1918–34, 1934
- Steinchen vom Wege, 1937
Literatur
- Franz Bauer: Leopold Kunschak als Politiker. Wien 1950 (Dissertation, Universität Wien).
- Franz Stamprech: Leopold Kunschak. Porträt eines christlichen Arbeiterführers. Freiheit, Wien 1953.
- Gustav Blenk: Leopold Kunschak und seine Zeit. Porträt eines christlichen Arbeiterführers. Europa-Verlag, Wien u. a. 1966.
- Anton Pelinka: Stand oder Klasse? Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933 bis 1938. Europa-Verlag, Wien u. a. 1972, ISBN 3-203-50400-6 (Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung).
- Politik für den Menschen – 15 Jahre Leopold-Kunschak-Preis. Kuratorium des Leopold Kunschak-Preises, Wien 1980.
- Gustav Otruba: Kunschak, Leopold. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 13, Duncker & Humblot, Berlin 1982, ISBN 3-428-00194-X, S. 301 f. (Digitalisat ).
- Ludwig Reichhold: Leopold Kunschak. Karl von Vogelsang-Institut – Politische Akademie, Wien 1988.
- Biographische Daten von Leopold Kunschak. In: Niederösterreichische Landtagsdirektion (Hrsg.): Biographisches Handbuch des NÖ Landtages: 1861–1921. NÖ Landtagsdirektion, St. Pölten, Druck: ISBN 3-85006-166-3 (Stand 1. Jänner 2005). Online-Version: PDF, 843 kb
Weblinks
- Literatur von Leopold Kunschak im Gesamtkatalog des Österreichischen Bibliothekenverbundes
- Literatur von und über Leopold Kunschak im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Teilnachlass von Leopold Kunschak im Gesamtkatalog des Österreichischen Bibliothekenverbundes
- Leopold Kunschak auf den Webseiten des österreichischen Parlaments
- Eintrag zu Leopold Kunschak im Austria-Forum (im AEIOU-Österreich-Lexikon)
- Kurt Bauer: Der „Anschluss" und der Judenhass einer ÖVP-Ikone auf derstandard.at, 12. März 2013
- Archivaufnahmen mit Leopold Kunschak im Onlinearchiv der Österreichischen Mediathek
Einzelnachweise
- ↑ Große Österreicher, Ueberreuter, Hrsg. und Autor Thomas Chorherr
- ↑ Innsbrucker Nachrichten, 18. Februar 1913, Ausgabe Nr. 40, Seite 8
- ↑ Biographie Kunschaks auf der Webseite des ÖCV
- ↑ Kurt Bauer: Der „Anschluss" und der Judenhass einer ÖVP-Ikone, in: Tageszeitung Der Standard, Wien, 13. März 2013, und Website des Blattes vom 12. März 2013
- ↑ Straßennamen Wiens seit 1860 als „Politische Erinnerungsorte" (PDF; 4,4 MB), S. 66ff, Forschungsprojektendbericht, Wien, Juli 2013
- ↑ Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer: Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur, 1933–1938. 7. Auflage, LIT, 2014
- ↑ Paul Mychalewicz: Wie „unbelehrbar" war Leopold Kunschak wirklich? In: Der Standard Wien, 16. März 2013, und Website des Blattes vom 15. März 2013
- ↑ 7. November 1946: Leopold Kunschak – Ehrenbürger der Stadt Wien
- ↑ Wiener Rathauskorrespondenz, 13. Dezember 1951, Blatt 2230
- ↑ Wiener Rathauskorrespondenz, 26. Jänner 1952, Blatt 111
Personendaten | |
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NAME | Kunschak, Leopold |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Politiker (CS, ÖVP), Landtagsabgeordneter |
GEBURTSDATUM | 11. November 1871 |
GEBURTSORT | Wien |
STERBEDATUM | 13. März 1953 |
STERBEORT | Wien |
- Nationalratspräsident (Österreich)
- Abgeordneter zum Abgeordnetenhaus (Österreich)
- Amtsführender Stadtrat und Mitglied der Landesregierung (Wien)
- Vizebürgermeister (Wien)
- Landeshauptmann-Stellvertreter (Wien)
- Landtagsabgeordneter (Wien)
- Landtagsabgeordneter (Niederösterreich)
- Karl-Renner-Preisträger
- Landesrat (Niederösterreich)
- ÖVP-Mitglied
- Korporierter im CV
- CS-Mitglied
- Person des Antisemitismus
- Ehrenbürger von Wien
- Bundesparteiobmann der ÖVP
- Österreicher
- Geboren 1871
- Gestorben 1953
- Mann