Flammer-Syndrom

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Das Flammer-Syndrom ist ein im Wesentlichen durch Fehlregulation der Blutversorgung, sogenannte vaskuläre Dysregulationen, gekennzeichneter Komplex klinischer Besonderheiten. Es kann sich in zahlreichen Symptomen wie bspw. kalten Händen und Füßen äußern. Es geht oft mit niedrigem Blutdruck einher und kann in bestimmten Fällen die Entstehung von Krankheiten wie z. B. einem Normaldruckglaukoms begünstigen (prädisponieren). Das Flammer-Syndrom ist nach dem Schweizer Augenarzt Josef Flammer benannt und als Risikofaktor für bestimmte Krankheiten seit dem Jahr 2013 in der medizinischen Terminologie etabliert.

Geschichte

Seit über 100 Jahren sind Vasospasmen (Einzahl: Vasospasmus) bekannt, unter anderem in der Netzhaut des Auges. Dies sind temporäre Einengungen von Arterien oder Arteriolen mit der Folge von einer vorübergehenden Minderversorgung der entsprechenden Organe oder von Organteilen. Solche Spasmen können bei einem Menschen an verschiedenen Stellen im Körper auftreten; man spricht dann von einem Vasospastischen Syndrom. Später wurde erkannt, dass diese Spasmen in den Arterien meist lediglich ein Teil einer viel globaleren Fehlregulation der Blutgefäße sind. Diese Dysregulationen umfassen neben Spasmen auch inadäquate zu starke oder zu schwache Erweiterungen von Arterien, Venen und Kapillaren. Die Blutgefäße solcher Individuen reagieren auf Stimulationen ungenügend oder überschießend. Ist dies nicht durch andere Krankheiten bedingt, sondern durch eine Veranlagung, spricht man von einer primären vaskulärer Dysregulation (PVD). Interessanterweise ist eine PVD fast immer an weitere vaskuläre und nichtvaskuläre Symptome und Zeichen gekoppelt. Diesen gesamten Komplex (PVD und begleitende Symptomatik) nennt man heute das Flammer-Syndrom.

Symptomatik

Die Kernsymptomatik des Flammer-Syndroms resultiert aus der Regulationsstörung der Blutversorgung, wobei die Symptome vom betroffenen Organ abhängen. Häufig sind kalte Hände oder Füße, ein tiefer Blutdruck, gelegentlich auch weiße und rote Flecken am Gesicht oder Hals und migräneartige Beschwerden oder ein Druckgefühl hinter dem Oberlid. Dazu kommen aber auch Symptome, die nicht direkt mit der Dysregulation der Blutgefäße zusammen hängen wie: Verlängerte Einschlafzeit, verminderter Durst, hohe Empfindlichkeit nicht nur auf Kälte sondern auch auf Gerüche, Vibrationen, psychische Belastung oder auf gewisse Medikamente (z. B. Calciumantagonisten, Betablocker) etc. Schmerzen und Muskelverspannungen sind häufig. Menschen mit Flammer-Syndrom sind meist sehr exakt und im Berufsleben hochmotiviert und erfolgreich.

Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei vielen Patienten mit einem Grünen Star (Glaukom) dessen Ursache in Durchblutungsstörungen von Sehnerv und Netzhaut bei normalem Augeninnendruck liegt. Zahlreiche Patienten mit Normaldruckglaukom haben eine Grundkonstitution, die dem Flammer-Syndrom entspricht. Einige seiner Merkmale wurden früher unter dem Begriff "Primäres Vaskuläres Dysregulations-Syndrom" zusammengefasst.[1]

Anzeichen des Flammer-Syndroms können sein:

  • kalte Hände und/oder Füße
  • arterielle Hypotonie
  • niedriger Body-Mass-Index
  • vermindertes Durstgefühl
  • Verlängerung der Einschlafzeit
  • erhöhte Empfindlichkeit: Schmerzempfindlichkeit, Geruchswahrnehmung, Empfindlichkeit auf bestimmte Medikamente
  • Migräne
  • Tinnitus
  • Normaldruckglaukom: Grüner Star bei normalem Augeninnendruck
  • reversible fleckförmige weiße oder rote Verfärbungen der Haut.[2]

Menschen mit Flammer-Syndrom reagieren typischerweise überschießend auf psychische oder physische Stimuli wie Stress oder Kälteeinwirkung. Die Krankheit tritt bei folgenden Personengruppen häufiger auf: Frauen gegenüber Männern, Menschen mit niedrigerem Blutdruck, Asiaten gegenüber Kaukasiern und bei Akademikern gegenüber Arbeitern. Diese Menschen sind im Berufsleben meist hochmotiviert, schlafen schlecht ein und haben ein vermindertes Durstempfinden.[3]

Krankheitswert

Ein Flammer-Syndrom zu haben bedeutet nicht zwingend krank zu sein - im Gegenteil: die meisten Betroffenen sind und bleiben gesund. Gewisse Krankheiten wie z. B. die Arteriosklerose und ihre Folgen sind wahrscheinlich sogar seltener. Aber andere Erkrankungen kommen häufiger vor. Am besten bekannt ist das Risiko für ein Normaldruckglaukom. Tritt ein Glaukomschaden trotz normalem Augendruck auf oder ist ein Glaukomschaden trotz normalisiertem Augendruck progredient, dann liegt häufig ein Flammer-Syndrom vor. In Augen mit Glaukom bei Flammer-Syndrom ist der Druck in den Venen der Netzhaut offenbar erhöht.[4] Ein Zusammenhang der Veränderungen des Venendrucks in der Netzhaut mit den bei Normaldruckglaukom häufigen kleinen Blutungen am Rand der Sehnervenscheibe wurde nicht nachgewiesen.[5] Das Flammer-Syndrom kann aber auch die Entstehung anderer Augenerkrankungen begünstigen, dazu gehören Gefäßverschlüsse (insbesondere retinale Venenverschlüsse) bei noch relativ jungen Menschen oder die Retinopathia centralis serosa.[6] Muskelkrämpfe und Verspannungen sind häufig. Tinnitus und gelegentlich sogar Hörstürze können auftreten. Bei vielen vermuteten Zusammenhängen wie etwa mit dem plötzlichen Herztod von jungen Sportlern etc. liegen noch kaum wissenschaftlich Daten vor.[7] Es gibt Hinweise darauf, dass das Flammer-Syndrom offenbar bei Patienten mit Retinopathia pigmentosa häufiger ist und der Gefäßfaktor Endothelin-1 hier möglicherweise eine Rolle spielt.[8]

Risikofaktoren

Menschen mit Flammer-Syndrom haben fast immer Vorfahren, die schon am gleichen litten. Eine genetische Veranlagung ist also offensichtlich. Es ist deutlich häufiger bei Frauen als bei Männern und die Symptome nehmen während der Pubertät zu und im Alter ab, bei den Frauen v.a. nach der Menopause. Die Hormone spielen also wahrscheinlich eine Rolle. Das Flammer-Syndrom ist zudem häufiger bei Akademikern als bei Handwerkern und häufiger bei Menschen die im Hause arbeiten als bei Menschen mit Arbeiten im Freien. Möglicherweise spielt das Licht eine Rolle. Weiter ist das Syndrom häufiger bei Menschen mit tiefem Body-Mass-Index (BMI) als bei Menschen mit großem BMI. Zu den Triggerfaktoren - den Auslösern - gehören: Kälte, mechanischer oder emotioneller Stress, Nahrungskarenz, rascher Aufstieg auf größere Höhen (Höhenkrankheit) oder gewisse Medikamente wie z. B. Adrenalin. Auch eine Migräne kann die Symptome hervorrufen oder verstärken. Menschen mit Flammer-Syndrom sind meist sehr beweglich. Wird der Sport übertrieben (z. B. zu intensives Joggen) dann kann die Symptomatik gesteigert werden.[9]

Diagnose

Die Diagnose eines Flammer-Syndroms wird vor allem aufgrund der Anamnese mit den typischen Merkmalen sowie den Befunden der Nagelfalzkapillarmikroskopie gestellt. Bei dieser Untersuchungsmethode zeigen die kleinsten Blutgefäße (Kapillaren) in den Fingern eine überschießende Verengung (Vasokonstriktion) als Reaktion auf eine Kältestimulation.

Therapie

Das Flammer-Syndrom bedarf keiner Therapie, solange Betroffene nicht unter ihren Symptomen leiden oder krankhafte Folgeerscheinungen auftreten. Die Behandlung beruht auf drei Säulen: a) Lifestyle-Interventionen, b) Ernährung und c) Medikamente. Zum Lifestyle gehört regelmäßiger Schlaf, eine Gewichtsstabilisierung (im Sinne von: nicht untergewichtig sein), das Vermeiden von Fastenperioden oder die Vermeidung von bekannten Triggerfaktoren wie z. B. Kälte. Regelmäßige körperliche Bewegung ist förderlich, zu extremer Sport aber ungünstig. Die Ernährung sollte möglichst antioxidativ sein. Dazu gehören Grüntee, schwarzer Filterkaffee, Rotwein, blaue Beeren und Früchte etc. Omega-3 Fette, v. a. in Form von Fisch verbessern die Regulation der Durchblutung. Ist der Blutdruck tief so sollte die Salzeinnahme gesteigert werden. Bei den Medikamenten sollten solche vermieden werden, die zu einer Gefäßverengung führen können. Ist der Blutdruck zu tief so sollten auch Schlafmittel nur vorsichtig genommen werden. Magnesium und Calciumantagonisten können gegen die vaskulären Dysregulationen helfen. Mit Lifestyle-Interventionen kann man indes Attacken, also das Auftreten von besonders ausgeprägten Symptomen, wie massiv kalten Extremitäten, Tinnitus oder migräne-ähnlichen Episoden, vermeiden oder zumindest reduzieren. Hierzu gehören eine Gewichtsstabilisierung (im Sinne von: nicht untergewichtig sein), das Vermeiden von Fastenperioden oder die Vermeidung von wirksamen Stimuli.

Eine ärztliche Behandlung ist notwendig, wenn ein Normaldruckglaukom vorliegt. In diesen Fällen sollte neben der augenärztlichen Glaukomtherapie vor allem eine Einstellung des bei den Patienten fast immer zu niedrigen Blutdrucks durchgeführt werden. Mit diätetischen Maßnahmen, zum Beispiel salzreiche Kost, gelegentlich auch mit niedrig dosierten Steroiden versucht man ein Absinken des Blutdrucks - vor allem im Schlaf - zu verhindern, da dies die Sinneszellen der Netzhaut nachhaltig schädigen kann.[10]

Literatur

  • Maneli Mozaffarieh, Josef Flammer: Ocular blood flow and glaucomatous optic neuropathy. Springer, Berlin 2009, ISBN 978-3-540-69442-7.
  • M. Mozaffarieh, J. Flammer: New insights in the pathogenesis and treatment of normal tension glaucoma. In: Current opinion in pharmacology. Band 13, Nummer 1, Februar 2013, S. 43–49. doi:10.1016/j.coph.201210001. PMID 23092679. (Review).
  • L. Fang, S. Turtschi, M. Mozaffarieh: The effect of nifedipine on retinal venous pressure of glaucoma patients with the Flammer-Syndrome. In: Graefes Archive for Clinical and Experimental Ophthalmology 2015; 253:935–939
  • Ronald D. Gerste: Augenleiden mit Tinnitus und kalten Extremitäten. Das Flammer-Syndrom beschreibt die Pathogenese einer Glaukomvariante, bei der vaskuläre Dysregulationen nicht nur im Auge dominieren. In: Deutsches Ärzteblatt. 21. Februar 2014; S. A308–A309. Online Version
  • Ronald D. Gerste: Glaucoma Meeting 2013: Herausforderungen beim Glaukom. In: ophta. 2014, S. 88–94.
  • K. Konieczka, S. Fränkl u. a.: Unstable Oxygen Supply and Glaucoma. In: Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. 231, 2014, S. 121–126, doi:10.1055/s-0033-1360242.

Einzelnachweise

  1. J. Flammer, K. Konieczka, A. J. Flammer: The primary vascular dysregulation syndrome: implications for eye diseases. In: The EPMA journal. Band 4, Nummer 1, 2013, S. 14, ISSN 1878-5077 . doi:10.1186/1878-5085年4月14日. PMID 23742177. PMC 3693953 (freier Volltext).
  2. R. D. Gerste: Augenleiden mit Tinnitus und kalten Extremitäten. In: Deutsches Ärzteblatt. 21. Februar 2014; S. A308–A309 PDF-Version
  3. K. Konieczka, S. Fränkl: Primäre vaskuläre Dysregulation und Glaukom (Primary Vascular Dysregulation and Glaucoma). In: Zeitschrift für praktische Augenheilkunde. 2013; 34, S. 207–215.
  4. Lei Fang, Michael Baertschie, Manneli Mozaffarieh: The effect of flammer-syndrome on venous retinal pressure.BMC Ophthalmology 2014, 14:121
  5. Ko Eun Kim et al. Central Retinal Venous Pressure in Eyes of Normal-Tension Glaucoma Patients with Optic Disc Hemorrhage. PLOS ONE 2015, doi:10.1371/journal.pone.0127920
  6. Katarzyna Konieczka: Flammer syndrome. In: The EPMA Journal. 2014; 5, S. 11.
  7. Ronald D. Gerste: Augenleiden mit Tinnitus und kalten Extremitäten. Das Flammer-Syndrom beschreibt die Pathogenese einer Glaukomvariante, bei der vaskuläre Dysregulationen nicht nur im Auge dominieren. In: Deutsches Ärzteblatt. 21. Februar 2014; S. A308–A309
  8. M.G. Todorova et al.: Endothelin-1 Plasma Levels in Patients with both Retinitis Pigmentosa and Flammer Syndrome. Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 514–518
  9. Katarzyna Konieczka: Endotheliale Dysfunktion beim Glaukom. In: Ophthalmologische Nachrichten. Juli 2014.
  10. K. Konieczka, S. Fränkl u. a.: Unstable oxygen supply and glaucoma. In: Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. Band 231, Nummer 2, Februar 2014, S. 121–126. doi:10.1055/s-0033-1360242. PMID 24532398.
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