Hamburger Deckel
Bei den Hamburger Deckeln (auch: A7-Deckel) handelt es sich um drei einzelne, geplante Tunnel mit einer Gesamtlänge von rund 3500 Metern, die im Zuge des acht- bzw. sechsspurigen (zwischen der AS Stellingen und AD HH-Nordwest sogar zehnspurigen) Ausbaus der A 7 im Hamburger Stadtgebiet für einen gesetzlich geforderten Lärmschutz der Anwohner sorgen und zugleich neue Möglichkeiten für die Stadtentwicklung eröffnen sollen. Der Baubeginn des Autobahnausbaus in den drei Bereichen ist von 2012 in Stellingen auf 2014 in Schnelsen verlegt worden[1] , da dort der Bauabschnitt privat finanziert werden soll und der Planfeststellung weniger Widerstand entgegengesetzt wird. Laut der Projekt-Website begann der Ausbau des Abschnitts Schnelsen im Jahr 2014. Von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden Ende Januar 2015 beginnende vorbereitende Baumaßnahmen, wie die provisorische Verbreiterung einer Richtungsfahrbahn, um hier den gesamten Verkehr beider Richtungen fließen zu lassen.[2] Etwa 2024[veraltet] sollen alle Baumaßnahmen abgeschlossen sein.
Hintergrund
Anlass für den Bau der Deckel ist die Erweiterung der A 7 in Hamburg auf sechs bis zehn Streifen, um einen erhöhten Verkehrsfluss zwischen HH-Süd bis zum Bordesholmer Dreieck zu erreichen. Aufgrund der hohen Verkehrsbelastung wird der Ausbau seit Jahren beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) im Bundesverkehrswegeplan als „Vordringlicher Bedarf" geführt.[3] Täglich passieren bis zu 152.000 Fahrzeuge diese Strecke. Einigen Expertenmeinungen zufolge ist in den kommenden zehn Jahren ein Anstieg auf 165.000 Fahrzeuge pro Tag zu erwarten. Der theoretische Grenzwert für die zur Verfügung stehenden Fahrspuren wird zurzeit um bis zu 51 Prozent überschritten. Gleichzeitig liegt die Unfallquote hier knapp 50 Prozent über dem Bundesdurchschnitt.[4]
Der Ausbau und die weiter steigenden Fahrzeugzahlen erfordern einen verbesserten Lärmschutz der Anwohner, da die momentane Lärmbelastung weit über zulässigen Grenzwerten liegt[5] . So gibt es viele Bereiche, in denen die Einhaltung der Lärmgrenzwerte auch nicht mehr mit hohen Lärmschutzwänden erreicht werden kann. Hier ist eine vollständige Überdeckelung erforderlich, die nach dem Verursacherprinzip von der Bundesrepublik Deutschland bezahlt werden muss. Die Kosten des Bundes liegen bei ca. 420 Mio. Euro.[6]
Unter diesen Umständen entschloss sich der damalige schwarz-grüne Senat der Hansestadt, der die Planungen aufgrund der gesamtstädtischen Bedeutung übernommen hatte[7] , im Jahr 2009 dazu, die Autobahnerweiterung als Gelegenheit für eine „umfangreiche Stadtreparatur" zu nutzen. Der Entwurf des Bundes sah lediglich einen Deckel in Stellingen und Bahrenfeld/Othmarschen vor. Der Senat ergänzte diese Planung um einen Deckel in Schnelsen sowie eine Verlängerung des Bahrenfelder Deckels (zwischenzeitlich wieder in Frage gestellt[8] ), für die die Stadt die geplanten Kosten tragen wird[9] . Der Bund hat seine Bereitschaft erklärt, die ersparten Aufwendungen für die sehr teuren Lärmschutzwände für die Finanzierung der hamburgischen Deckel aufzuwenden, sodass Hamburg nur die Mehrkosten zu tragen hat. Zusätzlich steht die gesamte Deckeloberfläche für eine „intensive Dachbegrünung" als Ausgleichsmaßnahmenfläche zur Verfügung. Durch die Begrünung der Deckel werden zugleich die bisher durch die Autobahn zerschnittenen Stadtteile wieder zusammengeführt und 25 Hektar neue Grün- und Freizeitflächen angeboten. Außerdem könnte somit ein durchgehender Grünzug vom Volkspark bis zur Elbe entstehen. Eine Bebauung der Deckel mit Wohn- oder Gewerbe-Gebäuden findet nicht statt.[10]
Schon in der Vergangenheit kämpften mehrere Bürgerinitiativen für eine Überdeckelung der Autobahn aus Lärmschutzgründen.[11] Das Projekt wurde jedoch zunächst aus Kostengründen immer wieder abgelehnt. Mit der jetzigen Planung übernimmt der Bund den Großteil der Kosten. Der Anteil der Stadt liegt bei 167 Mio. Euro. Durch die Entwicklung von umliegenden, bisher stark verlärmten Flächen für den Bau von über 2000 Wohnungen wird mit Erlösen in Höhe von rund 127 Mio. Euro gerechnet, die zur Entlastung des Haushalts dienen.[12] Dies betrifft rund 35 Hektar im Bezirk Altona und 8,5 Hektar im Bezirk Eimsbüttel.[13]
Planung
Stellingen
Der vom Bund getragene Deckel in Stellingen soll 893 Meter lang werden und von der Kieler Straße im Süden bis zur Güterumgehungsbahn im Norden führen. Insgesamt wird hier auf zehn Fahrstreifen (inklusive der zwei Kilometer langen Einfädelungsstreifen) verbreitert. Der Baubeginn war für 2012 geplant und soll nach vier Jahren abgeschlossen sein.[5] Vorbereitende Maßnahmen, wie der Brückenneubau der Güterumgehungsbahn, begannen im Jahr 2012. Beim im Mai 2014 begonnenen Rück- und Neubau der Langenfelder Brücke im südlichen Teil des Bauabschnittes begann im April 2015 der Abtransport der Fahrbahn. In einem freiraumplanerischen Realisierungswettbewerb zur Gestaltung der Deckeloberflächen setzte sich das Büro „Weidinger Landschaftsarchitekten"[14] aus Berlin gegen die Konkurrenz durch. Der Vorschlag sieht eine vielfältig nutzbare Parkanlage und Kleingärten vor. Der Beginn der vierjährigen Bauzeit des Deckels wird für 2016 erwartet. Der Baubeginn ist jedoch abhängig von der Erlangung des unanfechtbaren Baurechts und der Finanzierung im Bundeshaushalt.
Schnelsen
Der kürzeste der drei Deckel soll 560 Meter lang werden und von der Heidlohstraße im Süden bis zur Anschlussstelle Hamburg-Schnelsen im Norden verlaufen.[5] Sieger des Realisierungswettbewerbs ist das Berliner Büro „POLA Landschaftsarchitekten".[15] Geplant ist eine weitläufige Wiese, ein Stadtplatz mit Café und Kleingärten. Der Deckel soll zeitversetzt zum Stellinger Deckel errichtet werden. Als Termin für den Beginn des Autobahnausbaus wurde im September 2014 der Jahreswechsel 2014/2015 genannt.[16] Ende Januar 2015 begannen größere konkrete Baumaßnahmen zur Verkehrsführung während der Ausbauzeit.[2] Die Kosten für den Schnelsener Deckel trägt Hamburg.
Bahrenfeld/Othmarschen
Dieser Deckel wird mit einer Länge von 2300 Metern das längste der drei Bauwerke.[5] Die Kosten teilen sich Bund und Stadt. Durch einen freiraumplanerischen Wettbewerb soll der zukünftige Grünzug vom Volkspark zur Elbe gestaltet werden. Ein großzügiger Kleingartenpark soll dann Raum für den Umzug von Kleingärten schaffen, deren Flächen in den nun lärmberuhigten benachbarten Stadtteilen für etwa 1700 neue Wohnungen genutzt werden sollen. Zwischen dem Deckel, der bis zur S-Bahn-Brücke Othmarschen reicht, und dem Elbtunnel verbleiben ungefähr 500 Meter, die nicht überdacht werden sollen. Hier sollen stattdessen Lärmschutzwände installiert werden.[17] Der Bau des Deckels soll nach Fertigstellung der anderen beiden Deckel beginnen, voraussichtlich 2019[veraltet] , und etwa vier Jahre[veraltet] dauern.
Bau
Die Deckel sollen in offener Bauweise errichtet werden. Dabei werden zunächst die Wände errichtet und anschließend eine 1,4 m dicke Beton-Abdeckung darüber gesetzt. Diese soll ein Gewicht von bis zu 4,5 Tonnen pro Quadratmeter tragen können. Damit ist die Bebauung mit Wohnhäusern ausgeschlossen, leichtere Bauten wie die geplanten Kleingärten sind jedoch möglich. Auf dem Beton sollen 1,2 m Erdreich aufgeschüttet werden, was eine Bepflanzung ermöglichen soll.
Kritik
Kritik an dem Projekt kommt hauptsächlich aus den Reihen der Kleingärtner, die ihre von der Stadt gepachteten Parzellen nicht gegen einen Platz auf einem der neuen Deckel tauschen möchten.[18] Die Flächen der jetzigen Kleingärten sind im Besitz der Stadt und sollen in Wohngebiete umgewandelt werden, um dem in Hamburg herrschenden Wohnungsmangel Abhilfe zu schaffen. Durch den Bau der Deckel kann die Stadt den betroffenen Kleingärtnern ortsnah neue Parzellen auf den entstehenden Deckelflächen anbieten. Ein Umzugsmanagement für eine reibungslose Verlagerung ist von der Bürgerschaft in Aussicht gestellt worden und soll zusammen mit den betroffenen Kleingärtnern erarbeitet werden.[10]
Die Situation im Abschnitt Stellingen ist in Europa einzigartig. Nirgendwo anders verkehren so viele Autos täglich (über 150.000/Tag) in so unmittelbarer Nähe der Häuser. Der ursprünglich als ebenerdig geplante Deckel sollte den Zustand von vor 1974[19] wiederherstellen. Doch der geplante Deckel ragt nach neuesten Berechnungen über 3 m aus dem Boden heraus,[20] da sich der Bund gegen eine Absenkung der Fahrbahn ausgesprochen hat und sonst für die Kosten nicht aufkommen würde. Somit wird die durch die Autobahn geschnittene Schneise durch ein Bauwerk weiter geteilt bleiben. Als Folge müssen die direkten Anwohner anstelle eines ehemals geplanten Gartens auf dem vorher verkauften Teil ihres Grundstückes auf eine Betonwand schauen, die sich nicht wie geplant 3,5 m dichter an ihren Häusern befindet, sondern durch die Erweiterung auf zehn Fahrstreifen im Bereich AS Stellingen - AD HH Nord-West 7 m dichter an den Häusern befindet.
§ 6 Absatz 1 der Hamburgischen Bauordnung verlangt vor Gebäudeaußenwänden Abstandsflächen, die von oberirdischen baulichen Anlagen freizuhalten sind.[21] Die Grundstücke werden verschattet und die Häuser möglicherweise zukünftig noch mehr erschüttert. Die auf dem Deckel geplante Parkanlage ermöglicht den Parkbesuchern einen direkten Einblick in die Schlafzimmer der Häuser im ersten Stock. Durch die Baumaßnahmen steigen ebenfalls die Lärm- und Luftbelastungen der Anwohner, so dass diese für die Bauzeit eventuell ausquartiert werden müssen.[22]
Von Seiten mancher Autofahrer werden aber auch die Behinderungen kritisiert, die beim Bau und der Benutzung der Tunnel zu erwarten sind, etwa die auf 80 km/h reduzierte Höchstgeschwindigkeit oder vermehrte Langsamfahrer.[17]
Einzelnachweise
- ↑ http://www.barmstedter-zeitung.de/nachrichten/norddeutschland/artikeldetail/article/1751/a-7-laermdeckel-wird-spaeter-fertig.html
- ↑ a b Der A7-Ausbau in Schnelsen und der Schnelsener Decke. In: Neues Stellingen. Abgerufen am 3. Mai 2015.
- ↑ Neubau und Erweiterung von Bundesautobahnen - Stand: 1. Januar 2010 (PDF; 1,1 MB). Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Abgerufen am 28. März 2011
- ↑ Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt: Freiraum und Ruhe. Ausbau und Überdeckelung der A 7, S. 12–13
- ↑ a b c d A 7: AS HH-Othmarschen - Landesgrenzen Hamburg/Schleswig-Holstein. Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH. Abgerufen am 28. März 2011
- ↑ Das Idyll auf dem Deckel. Über der A7 entstehen Wiesen, Wanderwege und Cafés. In: Hamburger Morgenpost , 10. Juli 2010. Abgerufen am 28. März 2011.
- ↑ Drucksache 19/2471, S. 8. Parlamentsdatenbank der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Abgerufen am 28. März 2011
- ↑ Olaf Dittmann: Deckel könnte kürzer werden. In: Die Welt . 2. August 2012.
- ↑ Drucksache 19/2471, S. 3. Parlamentsdatenbank der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Abgerufen am 28. März 2011
- ↑ a b Drucksache 19/2471, S. 6. Parlamentsdatenbank der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Abgerufen am 28. März 2011
- ↑ Bürgerinitiative „Ohne Dach ist Krach". Bürgerinitiative Bahrenfeld Othmarschen für eine Überdeckelung der BAB 7. Abgerufen am 28. März 2011
- ↑ Drucksache 19/2471, S. 5. Parlamentsdatenbank der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Abgerufen am 28. März 2011
- ↑ Drucksache 19/2471, S. 12 ff.. Parlamentsdatenbank der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Abgerufen am 28. März 2011
- ↑ Gestaltung der Autobahndeckel BAB7 2010. Weidinger Landschaftsarchitekten. Abgerufen am 28. März 2011
- ↑ Autobahndeckel Hamburg. POLA Landschaftsarchitekten. Abgerufen am 28. März 2011
- ↑ A-7-Deckel: Baubeginn zum Jahreswechsel?. In: Norddeutscher Rundfunk . 30. September 2014.
- ↑ a b http://www.elbtunnelbremse.de/elbtunnel-deckel.htm
- ↑ Drucksache 19/2471, S. 7. Parlamentsdatenbank der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Abgerufen am 28. März 2011
- ↑ R. Schwarz: Als die Autobahn noch eine Wiese war. In: Elbe Wochenblatt . 11. Januar 2012. (PDF; 409 kB)
- ↑ Behörde für Wirtschaft, Verkehr und InnovationPlanänderungsunterlagen
- ↑ http://www.baurecht.de/landesbauordnung-hamburg.html#Abstandsflaechen
- ↑ http://www.abendblatt.de/hamburg/article109469803/A7-Deckel-Muessen-150-Anwohner-ausziehen.html