Mimikry
Mimikry (engl. laut Duden (die ...) mimicry von mimic „der Nachahmung (griechisch: mimesis) fähig") ist die Nachahmung von gefährlichen, giftigen oder ungenießbaren Tierarten zum eigenen Vorteil.
Man unterscheidet drei Arten von Mimikry, die nach ihren Entdeckern benannt sind:
- Batesssche Mimikry
- Müllersche Mimikry
- Peckhamsche Mimikry
Batessche Mimikry
Diese Form des Mimikry ist die bekannteste und wurde 1862 vom Henry Walter Bates entdeckt. Bates bezeichnete die Nachahmung eines wehrhaften oder ungenießbaren Tieres durch harmlose Tiere zur Täuschung von Feinden als Mimikry. Inzwischen ist bekannt, dass es sich hierbei um einem Spezialfall der Schutzmimikry handelt, der den Namen seines Entdeckers erhielt: Batessche Mimikry.
Historisches
Im Jahre 1844 erschien in England unter dem Titel Vestiges of natural history of creation eine von Robert Chambers anonym verfasste Broschüre [1], die jahrelang für Aufregung sorgte, denn sie enthielt eine Reihe von Theorien über die Entstehung der Welt und der Tiere. Die Broschüre wurde in Deutschland unter dem Titel Natürliche Geschichte der Schöpfung bekannt.
Der junge britische Zoologe Alfred Russel Wallace interessierte sich für diese Broschüre und er begann über die Entstehung der Art nachzudenken. Er lernte den britischen Entomologen Henry Walter Bates kennen, der ebenfalls von dieser Broschüre sehr angetan war. Wallace schlug Bates vor, gemeinsam eine Reise nach Südamerika zu unternehmen. Beide verfolgten ein ehrgeiziges Ziel, denn sie wollten Tatsachen über den Ursprung der Arten im Amazonasgebiet sammeln. Dort sind die beiden unabhängig von Darwin auf die Idee des Prinzips der natürlichen Zuchtwahl gekommen.
Während Wallace nur drei Jahre im brasilianischen Urwald blieb, sammelte Bates elf Jahre lang Tiere und Pflanzen. Er hatte eine sehr große Kollektion mit vielen gänzlich unbekannten Arten, doch im Gegensatz zu vielen früheren Reisenden betätigte sich Bates bereits als echter Naturforscher, der nicht nur seltenen Tieren nachspürte, sondern auch die Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Tierarten und deren Verhaltensweisen beobachtete. Er stellte beim Sortieren seiner umfangreichen Schmetterlingssammlung immer wieder fest, dass sich unter den farbenprächtigen Fleckenfaltern einzelne Exemplare befanden, die sehr selten waren und zu einer ganz anderen Familie, den Weißlingen, gehörten.
Die Ähnlichkeit dieser beiden Arten war so groß, dass sie als lebende Falter praktisch nicht voreinander zu unterscheiden waren. Bates erwähnte einmal: „Es ist mir nie gelungen die Leptalis-Arten von den ihnen ähnlichen Arten zu unterscheiden."
Genaueres zur Entdeckung von Bates
Leptalis bildet eine ganze Reihe verschiedener Rassen aus. Diese Rassen gleichen außerordentlich verschiedenen Ithomia-Arten.
Leptalis zählt zur Familie der Weißlinge, deren bekanntester Vertreter der Kohlweißling ist. Sehr auffallend ist es, dass Leptalis nicht nur in ihrer Färbung, sondern auch in ihrer Flügelform ganz erheblich von ihren Verwandten abweicht. Selbst der gute Schmetterlingskenner Bates hätte die Art beim Sortieren seiner Sammlung beinahe falsch eingeordnet. Denn Leptalis glich äußerlich verschiedenen Ithomia-Arten viel mehr als der eigenen Verwandtschaft. Ithomia gehört jedoch zu einer ganz anderen Familie, nämlich den Fleckenfaltern.
Weder Verwandtschaft noch ähnliche Lebensweise kamen als Grund für die großartige Übereinstimmung zwischen Leptalis und Ithomia in Frage. Bates suchte nach einer anderen Erklärung. Das Grundproblem war, warum die Schmetterlinge ausgerechnet den Fleckenfaltern der Gattung Ithomia glichen. Er hatte beobachtet, dass die Ithomia-Arten sehr häufig vorkamen, auffallend bunt waren und so langsam flogen, dass sie leicht zu fangen waren. Dies machte den Gelehrten stutzig.
Bates konnte nie beobachten, dass die von Vögeln erbeuteten Ithomia-Arten von diesen wirklich gefressen werden. Daraus folgerte er, dass diese Schmetterlinge ungenießbar sein müssten: Ekelgeschmack, Giftigkeit, .. Die Vögel würden dies schnell feststellen, sich das Aussehen der ungenießbaren Falter einprägen und sie künftig meiden.
Gäbe es nun im gleichen Gebiet einen deutlich selteneren Schmetterling, der – obwohl prinzipiell genießbar – die Ithomia-Arten in Aussehen und Verhalten nachahmte, so würde er die Vögel täuschen und gleichfalls nicht gefressen werden. Ein solcher seltenerer Schmetterling war Leptalis.
Europäisches Beispiel von Batesscher Mimikry
Bates hätte nicht unbedingt die beschwerliche und gefahrvolle Reise in die Tropen unternehmen müssen, um das Phänomen der Batesschen Mimikry zu entdecken.
In unserer Heimat sind Wespen, Bienen und Hummeln weit verbreitet. Sie alle, jedenfalls die stachelbewehrten Weibchen, werden von einigen anderen, offenbar völlig wehrlosen Insekten "nachgeahmt". Giftige und ungenießbare Arten haben oft eine auffallende Färbung, eine so genannte Warntracht. Wird diese nachgeahmt, spricht man auch von Scheinwarntracht.
Unter den Fliegen kennen wir die Familie der Schwebfliegen, bei der viele Arten anscheinend auf Signalfälschung spezialisiert sind. Hier finden wir zahlreiche Arten, die im Aussehen den wehrhaften Wespen und Honigbienen stark ähneln. Die Schwebfliegen der Gattung Eristalis ahmen mehr oder weniger gut die Europäische Honigbiene nach und werden deshalb auch als "Mistbienen" bezeichnet (Ihre "Rattenschwanzlarven" entwickeln sich meist in der Gülle von Misthaufen).
Noch auffälliger ist die Ähnlichkeit zahlreicher Schwebfliegen mit Wespen. Sie nutzen das leuchtend gelb-schwarze Warnsignal auf den Hinterleibern ihrer wehrhaften Vorbilder und verursachen so manche Panik bei Menschen, die Schwebfliegen und Wespen nicht unterscheiden können.
Wenn man jedoch Schwebfliegen genauer betrachtet, sind sie relativ leicht als ganz normale, harmlose Fliegen zu identifizieren, denn ihnen fehlen einige charakterische Merkmale der Wespen, die zu der Ordnung der Hautflügler gehört, während Schwebfliegen zur Ordnung der Zweiflügler gehören. Wespen haben immer vier Flügel und längere, gekniete Fühler, während Fliegen nur zwei Hauptflügel und stummelförmige Fühler haben.
Das Warnsignal der Wespen nutzen auch andere Insektenarten. Unter den Käfern kann man z.B. den Wespenbock und einige andere Bockkäfer auf den ersten Blick für Wespen halten.
Die Nachahmung der großen Hornisse durch den Hornissenschwärmer ist so vollkommen, dass er in der Größe, Färbung und Flügelhaltung der gefürchteten Hornisse fast gleicht. Auch Hummeln werden von einem Schmetterling nachgeahmt: vom Hummelschwärmer.
Die Nachahmung wehrhafter Vorbilder sollte sich nicht nur auf Köpermerkmale beschränken. Weitere Übereinstimmungen im Verhalten, im Lebensraum und im Lebensrhythmus tragen dazu bei, dass das Vorbild und der Nachahmer miteinander verwechselt werden.
Unerfahrene Räuber fressen die wehrlosen Nachahmer, z.B. wespenähnliche Schwebfliegen, sogar sehr gerne. Erjagten aber Kröten und Vögel zuerst einige der wehrhaften Wespen, lehnen sie anschließend auch ähnliche Schwebfliegen für lange Zeit ab. Allerdings können viele Vögel und andere Räuber Farben und Muster sehr gut erkennen und genau unterscheiden. Nachahmer stehen somit vor dem Problem, dass sie ihren Vorbildern so weitgehend wie möglich gleichen müssen.
Da die Existenz ungiftiger Nachahmer den Lernerfolg bzw. das Vermeidungsverhalten der Fressfeinde verringert, ist es wichtig, dass das zahlenmäßige Verhältnis unausgewogen ist, also nicht zu viele harmlose Nachahmer entstehen.
Müllersche Mimikry
Mehrere Arten, häufig Insekten, die alle giftig oder ungenießbar sind, haben sich eine ähnliche Warntracht zugelegt. Bei dieser Form von Mimikry findet, im Gegensatz zu den beiden anderen, keine Täuschung statt. Die Arten profitieren jedoch davon, dass Fressfeinde schneller lernen, Tiere mit diesem Aussehen zu meiden. Diese Art der Mimikry ist nach dem Biologen Johann Friedrich Theodor Müller benannt.
Beispiel für Müllersche Mimikry
Auf dem amerikanischen Kontinent kommen ca. 75 außergewöhnlich farbenprächtige Korallenschlangen vor. Ihre leuchtenden Farben Gelb und Rot dominieren neben dem Schwarz. Die Annahme, dass die Korallenschlangenfärbung ein Kennzeichen für nahe Verwandtschaft sei, können wir getrost verwerfen, denn die vielen Arten mit Korallentracht gehören zu 18 verschiedenen Gattungen. Korallenschlangen können leicht verwechselt werden und manche Zoologen ernteten Gelächter, wenn sie mal wieder eine vermeintlich neue Schlangenart präsentieren zu können meinten.
Es gibt eine Unterscheidung der Gefährlichkeit der Korallenschlangen nach drei verschiedenen Gruppen:
- die hochgiftigen Korallenottern der Gattungen Micrurus und Micruroides; diese betreiben untereinander MÜLLERsche Mimikry.
- die nur mäßig giftigen Korallenottern der Gattung Pliocerus
- die völlig harmlosen Korallenschlangen, wie die Milchschlange .
Die echten Korallenottern haben einen sehr effektiven Giftapparat und das Gift ist ein tödliches Nervengift. Die Falschen Korallenottern zählen zu den so genannten Trugnattern. Bei ihnen sind im Unterschied zu den Giftnattern nur die hinteren Zähne als Giftzähne ausgebildet. Sie haben ein verhältnismäßig schwaches Gift, das für den Menschen nicht tödlich ist.
Die Trugnattern gehören wie die völlig harmlose Milchschlange zu den ungiftigen Nattern. Somit ist klar: Die Milchschlangen und die Falschen Korallenottern ahmen die gefährlich giftigen Korallenottern der Gattung Micrurus nach. Bemerkenswert ist die Variabilität der Falschen Korallenottern der Gattung Pliocerus, da sie in ihrem Verbreitungsgebiet zahlreiche Rassen ausgebildet hat. Fast jede einzelne Art der Gattung Micrurus wird in allen Einzelheiten von Pliocerus nachgeahmt.
In Mexiko kommt z.B. die Falsche Korallenotter Pliocerus elapoides vor. Ihre Giftdrüsen produzieren nur ein sehr schwaches Gift, außerdem besitzen ihre Zähne nicht einmal Giftrinnen. Daher kann man diese Schlangenart kaum noch als giftig für den Menschen bezeichnen. Bemerkenswert ist jedoch die Variabilität im Aussehen von Pliocerus elapoides. Sie hat im Verbreitungsgebiet zahlreiche Rassen ausgebildet; deren Färbung reicht vom leuchtenden Rot mit einigen unregelmäßigen schwarzen Flecken auf dem Rücken über schwarz-rote Querbänder bis zur typisch schwarz-gelb-rot-gelb geringelten Korallenschlangentracht.
Ebenfalls in Mexiko leben auch zahlreiche Arten der hochgiftigen echten Korallenottern, die sich teilweise recht deutlich voneinander unterscheiden. Ein Vergleich der verschiedenen Rassen der harmlosen Falschen Korallenottern erbringt eine überraschende Ähnlichkeit mit den echten Korallenottern, die im selben Gebiet Mexikos leben. Jede der hochgiftigen Korallenottern besitzt einen erstaunlich ähnlichen Nachahmer aus dem großen Formenkreis der Falschen Korallenotter.
Die einem Mimikrykreis angehörenden Formen gehören oft zu unterschiedlichen Familien, so daß häufig eng verwandte Arten größere Unterschiede aufweisen als die entfernt miteinander Verwandten.
Peckhamsche Mimikry
Anders als die beiden oben genannten Mimikry-Formen zielt die Peckhamsche Mimikry (nach G. W. und E. G. Peckham 1889), auch aggressive Mimikry genannt, nicht darauf ab, Angreifer abzuwenden. Sie soll ganz im Gegenteil, andere Arten anlocken. Der Seeteufel, eine Meeresfischart, hat am isoliert stehenden vordersten Strahl seiner Rückenflosse ein Hautanhängsel, das er wie einen Wurm bewegen kann, um andere Fische anzulocken, die er dann selbst verzehrt. Ähnlich verfährt eine Schlangenart, die ihr wurmähnliches Schwanzende bewegt.
Nicht immer muss es bei Peckhamscher Mimikry um das Anlocken von Beute gehen. Einige Orchideenarten ahmen mit ihren Blüten das Aussehen von weiblichen Insekten, z.B. Hummeln nach, um paarungsbereite Insekten-Männchen anzulocken, die dann bei der vermeintlichen Begattung die Blüte bestäuben.
Mimikry – nicht nur die aggressive – muss sich auch nicht auf das Aussehen beziehen. Weibchen der Leuchtkäfer-Gattung Photuris ahmen die charakteristischen Leuchtsignale von Weibchen anderer Leuchtkäferarten aus der Gattung Photinus nach, um deren Männchen anzulocken und zu verzehren. Manche Spinnenarten zupfen mit den Beinen an den Netzen anderer Spinnen, um Beute zu imitieren und die herbeieilende Netzbesitzerin zu fressen.
Molekulare Mimikry
Molekulare Mimikry sind Moleküle auf der Oberfläche von Krankheitserregern, die körpereigenen Molekülen ähneln oder mit ihnen identisch sind. Dies stellt für den Erreger eine Tarnung gegenüber Immunkompetenten Zellen dar, denen das Erkennen der Keime als Fremdstruktur somit erschwert wird. Werden diese Moleküle trotzdem vom Immunsystem als Antigen erkannt, kann sich die darauf folgende Immunreaktion nicht nur gegen den Erreger, sondern auch gegen körpereigenes Gewebe richten. Dieser Vorgang wird auch Kreuzreaktion genannt und gilt als Ursache für die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen. Molekulare Mimikry werden als Ursachen für Krankheiten wie Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis und den Magenulcus diskutiert.
Literatur
- Wickler, Wolfgang: Mimikry. Nachahmung und Täuschung in der Natur. München 1968 (seit langem vergriffen, aber auch antiquarisch noch lohnend zu lesen)
- Lunau, Klaus: Warnen, Tarnen, Täuschen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002 (ziemlich teuer, dafür aber auch "ausgezeichnet")