Clara Immerwahr
Clara Immerwahr (* 21. Juni 1870 in Polkendorf bei Breslau; † 2. Mai 1915 in Dahlem bei Berlin) war eine deutsche Chemikerin. Sie war eine der ersten deutschen Frauen mit einem Doktorgrad, die erste Frau in Deutschland mit einem Doktorgrad im Fach Chemie, eine naturwissenschaftliche Pionierin im Bereich der Katalyseforschung und engagierte Menschen- und Frauenrechtlerin.
Leben
Clara Immerwahr war die jüngste Tochter des promovierten Chemikers Philipp Immerwahr und dessen Ehefrau Anna Krohn. Beide Eltern entstammten der großen jüdischen Gemeinde von Breslau. Später, in den 1890er Jahren konvertierte Clara genauso wie ihr Ehemann Fritz Haber zum Protestantismus.[1] [2] Clara wurde auf dem von ihren Eltern bewirtschafteten Landwirtschaftgut Polkendorf bei Breslau geboren, wo ihr Vater als Chemiker in der Landwirtschaft wirtschaftlich erfolgreich mit Kunstdünger experimentierte.[3]
Nach dem Studium der Chemie, Fachgebiet Physikochemie, wurde sie im Jahr 1900 als erste Frau an der Universität Breslau mit einer physikalisch-chemischen Arbeit (Beiträge zur Löslichkeitsbestimmung schwerlöslicher Salze des Quecksilbers, Kupfers, Bleis, Cadmiums und Zinks) promoviert. Ihre Dissertation schrieb sie bei Richard Abegg in Breslau. Nach der Disputation am 22. Dezember 1900, die mit Fragen zu den Gasgesetzen eröffnet wurde,[4] erhielt sie die Doktorwürde mit der Auszeichnung magna cum laude.
Immerwahrs Versuchsreihen bezogen sich einerseits auf quantitative Forschungsfragen: sie wendete elektrochemische Messungen an, um die Löslichkeit von Schwermetallen zu bestimmen. Dies spielt bis heute eine Rolle bei Batterien und Elektroautos. Andererseits arbeitete sie im Bereich qualitativer Nachweise beim sogenannten Trennungsgang daran, dessen Möglichkeiten weiter zu entwickeln.[5]
Im Jahr 1901 heiratete sie in Breslau Fritz Haber (1868–1934), aus der Ehe ging ein Sohn hervor, Hermann (1902–1946). Haber war zum Zeitpunkt der Eheschließung Außerordentlicher Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe, wo Clara zunächst mitarbeiten und ihre Forschungen vorantreiben sollte, was nach der Geburt des Sohnes jedoch nach zeitgenössischer Konvention nicht stattfand.
1910 übersiedelt die Familie von Karlsruhe nach Berlin-Dahlem in die Dienstvilla, die Fritz Haber nun als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie zustand.
1914 ließ sich Fritz Haber zur Armee einberufen, um an seinem Institut Rüstungsprojekte voranzutreiben, im Herbst begannen die Forschungen zum Einsatz von Giftgas. Als er im Verlauf des Ersten Weltkriegs als Abteilungsleiter der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die wissenschaftliche Verantwortung für das gesamte Kampfgaswesen übernahm, missbilligte seine Frau in aller Öffentlichkeit seine Unternehmungen als „Perversion der Wissenschaft".
Nach dem ersten großen tödlichen Giftgaseinsatz an der Westfront vom 22. April 1915 in der Zweiten Flandernschlacht bei Ypern mit 150 Tonnen Chlorgas, das nach dem so genannten Haberschen Blasverfahren aus Flaschen entwich (wofür ihr Mann zum Hauptmann der Reserve befördert wurde) erschoss sie sich am Morgen nach der Siegesfeier mit Habers Dienstwaffe im Garten ihrer Villa, die heute noch auf dem Gelände des Fritz-Haber-Institutes in Berlin-Dahlem steht. Sechs Tage später, am 8. Mai, berichtete die Grunewald-Zeitung: „Durch Erschießen ihrem Leben ein Ende gesetzt hat die Gattin des Geheimen Regierungsrates Dr. H. in Dahlem, der zur Zeit im Felde steht. Die Gründe zur Tat der unglücklichen Frau sind unbekannt." [6] [7]
Ein kleiner Gedenkstein im Garten der Villa erinnert dort an Clara Haber, geb. Immerwahr.
Die Selbsttötung als Aktion des Protestes gegen den von den Forschungsergebnissen ihres Gatten ermöglichten Einsatz von Giftgas ist aufgrund des Verlustes von Dokumenten im Krieg und von der Hand von Personen aus Clara Immerwahrs Umkreis nicht schriftlich belegbar, aber wahrscheinlich. Fritz Haber folgte unmittelbar nach dem Freitod seiner Frau Clara seinem Stellungsbefehl nach Galizien, um dort weitere Giftgaseinsätze vorzubereiten.
1937 wurde ihre Urne auf Veranlassung ihres Sohnes in das Grab ihres Mannes auf dem Basler Hörnlifriedhof umgebettet.[8]
Ihr Sohn Hermann Haber wanderte in die USA aus, wo er 1946 – einunddreißig Jahre nach dem Freitod seiner Mutter – ebenfalls den Freitod wählte.[9]
Rezeption
- Im Industriegebiet von Kiel-Wellsee, in Vauban (Freiburg im Breisgau), Köln-Braunsfeld und Lörrach sind Straßen nach ihr benannt.[10] [11] [12] 2001 wurde in Karlsruhe der Clara-Immerwahr-Haber-Platz nach ihr benannt.[13] [14] 2014 wurde im Stadtrat von Erlangen ein Antrag auf „Umbenennung der Haberstraße in Clara-Immerwahr-Straße" gestellt (online).
- Der Fernsehfilm Clara Immerwahr aus dem Jahr 2014 erzählt von ihrem Leben an der Seite von Fritz Haber.
- Der mit 15.000 Euro dotierte Clara-Immerwahr Award der Technischen Universität Berlin ehrt seit 2012 junge Nachwuchsforscherinnen im Bereich der Katalyseforschung[15]
- In unregelmäßigen Abständen verleiht der Verein IPPNW (Internationale Ärzten gegen den Atomkrieg, Ärzte in Sozialer Verantwortung) den Clara-Immerwahr-Award für Zivilcourage[16]
- Die Technische Universität Kaiserslautern vergibt seit 2015 den Clara-Immerwahr-Preis, einen Exzellenzpreis für weibliche Studierende im Studiengang Bio- und Chemieingenieurwissenschaften[17]
Literatur
- Gerit von Leitner: Der Fall Clara Immerwahr. Leben für eine humane Wissenschaft. Beck, München 1993, ISBN 3-406-37114-0. Zweite, durchgesehene und verbesserte Auflage. 1994, ISBN 3-406-38256-8.
- Sabine Friedrich: Immerwahr. Roman über Clara Immerwahr, dtv 2007, ISBN 3-423-24610-3.
- Sabine Friedrich: Immerwahr (Schauspiel nach dem gleichnamigen Roman). Theaterverlag Hofmann-Paul, Berlin 2008.
- Tony Harrison: Square Rounds (Versdrama), Verlag Faber & Faber, 1992. ISBN 057116868X.
Weblinks
- Literatur von und über Clara Immerwahr im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Clara Immerwahr. In: FemBio. Frauen-Biographieforschung (mit Literaturangaben und Zitaten).
- Dokumentarisches Audio Feature über Leben und Werk von Clara Immerwahr auf Mediathek SWR2 Wissen; abgerufen am 5. Juni 2014
- Vortragsreihe zum Thema Immerwahr-Haber von Prof. Gudrun Kammasch während der 14. Stuttgarter Chemietage 2009
- Clara-Immerwahr-Auszeichnung der IPPNW
- Biografie Jewish Women's Archive (englisch)
- GoogleBooks: „Immerwahr" in „Fritz Haber, 1868-1934: eine Biographie"
- WDR 3 Feature: Femina Doctissima Clara Immerwahr. WDR 3 Kulturfeature am 17. August 2013. Sendungsbegleitung von Gerit Kokula auf wdr3.de vom 18. August 2013.
- Abriss Leben und Werk Clara Immerwahr auf IPPNW.de (Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs, Ärzte in sozialer Verantwortung) , abgerufen am 28. Mai 2014
Einzelnachweise
- ↑ Familie Immerwahr jüdische Deutsche der Synagoge Weisser Storch in Breslau / Wroczlaw
- ↑ Quelle Datum Konversion: Rainer Volk in: SWR2 Wissen | SWR2 extra: Der Erste Weltkrieg – Clara Immerwahr: Späte Ikone für den Frieden. Audiofeature. Min 6:46
- ↑ Rainer Volk in: SWR2 Wissen | SWR2 extra: Der Erste Weltkrieg – Clara Immerwahr: Späte Ikone für den Frieden. Audiofeature, Min 3:15 – 3:36 Zitat der Biografin Gerit von Leitner.
- ↑ Mündl. Disputation über die Gasgesetze: Quelle: Gerit von Leitner: zit. n. Rainer Volk in: SWR2 Wissen | SWR2 extra: Der Erste Weltkrieg – Clara Immerwahr: Späte Ikone für den Frieden. Audiofeature, Min. 6:25
- ↑ Rainer Volk in: SWR2 Wissen | SWR2 extra: Der Erste Weltkrieg – Clara Immerwahr: Späte Ikone für den Frieden. Audiofeature, Min 08:45 Zitat Gudrun Kammasch: ihre Forschung hat bis heute praktische Bedeutung. Sie war eine Pionierin der Naturwissenschaften
- ↑ http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/clara-immerwahr/
- ↑ http://jwa.org/encyclopedia/article/immerwahr-clara
- ↑ Ausführliche Biographie Fritz Habers..
- ↑ Stoltzenberg, Dietrich (1998). Fritz Haber: Chemiker, Nobelpreisträger, Deutscher, Jude: eine Biographie. Weinheim.
- ↑ Hans-G. Hilscher, Dietrich Bleihöfer: Kieler Straßenlexikon. Fortgeführt seit 2005 durch das Amt für Bauordnung, Vermessung und Geoinformation der Landeshauptstadt Kiel, Stand: Februar 2017 (Suchbegriff hier eingeben: kiel.de)..
- ↑ Vauban im Bild – Clara-Immerwahr-Straße..
- ↑ Clara-Immerwahr-Straße in Lörrach bei Google Maps..
- ↑ Stadtwiki Karlsruhe – Clara-Immerwahr-Haber-Platz. Abgerufen am 29. Mai 2014.
- ↑ karlsruhe.de – Liegenschaftsamt – Straßennamen in Karlsruhe. Abgerufen am 29. Mai 2014.
- ↑ Clara Immerwahr Award
- ↑ Clara-Immerwahr-Award für Zivilcourage
- ↑ Dipl.-Volkswirt Thomas Jung: Clara Immerwahr Preis 2014 an Jannette Kreusser verliehen. Technische Universität Kaiserslautern, Pressemitteilung vom 4. Februar 2015 beim Informationsdienst Wissenschaft (idw-online.de), abgerufen am 4. Februar 2015.
Personendaten | |
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NAME | Immerwahr, Clara |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Frauenrechtlerin und zweite Frau mit Doktorwürde in Deutschland; Ehefrau von Fritz Haber |
GEBURTSDATUM | 21. Juni 1870 |
GEBURTSORT | Polkendorf |
STERBEDATUM | 2. Mai 1915 |
STERBEORT | Dahlem |