Universität Rinteln
Die Alma Ernestina (auch: Academia Ernestina) in Rinteln im Weserbergland war eine 1619 gegründete Universität, die bis 1810 existierte.
Geschichte
Ausgangspunkt der Universität in Rinteln war das im Jahre 1610 von Graf Ernst von Schaumburg und Holstein in Stadthagen gegründete, auf einer seit 1330 bestehenden lateinischen Stadtschule basierende, akademische Gymnasium illustre, das bereits vier Fakultäten und einen vollakademischen Unterrichtsbetrieb aufwies. Zur Anerkennung als vollwertige Universität fehlte noch das kaiserliche Privileg, das das Promotionsrecht verlieh.
Zur Erlangung des Privilegs musste Ernst dem Kaiser Ferdinand II. 100.000 Gulden als Darlehen geben, erhielt dafür aber noch zusätzlich den Fürstentitel. Bei Beantragung des Privilegs war bereits an eine Verlegung nach Rinteln gedacht worden, da diese Stadt aufgrund ihrer Lage an der Weser besser zu erreichen war.
Die neue Alma Mater Ernestina zog in Rinteln in das ehemalige katholische Jakobskloster ein. Die Einweihung war am 17. Juli 1621. An diesem Tag wurden auch die Statuten der Universität auf Schloss Bückeburg ausgefertigt.[1]
1623 wurde die Stadt von Herzog Christian von Braunschweig-Lüneburg überfallen, erobert und geplündert. Die meisten Studenten verließen Rinteln, auch die Professoren, soweit sie die Möglichkeit dazu hatten. Der Rektor Johannes Gisenius (Giessenius) versuchte, den Lehrbetrieb weiterzuführen, jedoch unter erheblichen Schwierigkeiten.
Durch das Restitutionsedikt vom 6. März 1629 war das ganze Gebiet zwischen Rhein und Elbe der Gegenreformation ausgeliefert. Benediktinermönche aus Hildesheim und Corvey kamen nach Rinteln und übernahmen die Universität. 1631 bestand vorübergehend eine katholisch-theologische Fakultät. Im gleichen Jahr veröffentlichte die Rintelner Universitätsdruckerei die Cautio criminalis als ein anonymes Werk, als dessen Autor schon bald der Paderborner Theologe Friedrich Spee von Langenfeld vermutet wurde. Seine neuen, darin vorgetragenen Positionen markierten den Beginn des Kampfes gegen die Hexenprozesse. Das Buch war die Antwort auf das Standardwerk zur Theorie der Hexenlehre seines Rintelner Kollegen Hermann Goehausen Processus juridicus contra sagas et veneficos aus dem Jahre 1630. Die Universitäten Rinteln ("Academia Ernestina"), Rostock („Alma Mater Rostochiensis") und Wittenberg („Leucorea") waren die führenden akademischen Autoritäten gutachterlicher Begleitung während der Hexenprozesse. Die Spruchpraxis an den allgemeinen deutschen juristischen Fakultäten war recht unterschiedlich. Die juristischen Fakultäten der Universitäten Helmstedt („Academia Julia") und Rinteln galten als „Hardliner" in Sachen Hexenverfolgung.
Die Grafschaft Schaumburg wurde kurz vor Ende des Dreißigjährigen Krieges geteilt: der nördliche Landesteil kam zur Grafschaft Lippe, der südliche mit der Universität Rinteln fiel an Landgraf Wilhelm VI. von Hessen-Kassel. Bis 1665 war Rinteln Gemeinbesitz von Hessen-Kassel und Lippe. Unter Landgraf Wilhelm VI. wurde die Universität als lutherische Hochschule ausgebaut.
Im Jahre 1622 wurde Petrus Lucius (1590–1656) als Universitätsbuchdrucker an die Universität Rinteln bestellt. Zwischen 1627 und 1656 sind viele Leichenpredigten aus seiner Druckerei bekannt. 1639 und 1659 druckte er die Werke über Horaz von Andreas Heinrich Bucholtz. Bis zu seinem Tode stellte er seine Universitätsdrucke auch auf der Frankfurter Buchmesse aus, zuletzt ein Programm von 77 Büchern. Sein Sohn Anthonius Lucius (1635–1704) war ein bekannter Gelehrter seiner Zeit und wurde später, in der Zeit vom 4. April 1663 bis 1670, außerordentlicher Professor an der juristischen Fakultät in Rinteln.
Die Alma Ernestina in Rinteln dürfte nie mehr als 120 Hörer gehabt haben. Zudem ging die Zahl der Studenten nach der Gründung der Universität Göttingen weiter zurück. Mit dem Ende des Alten Reiches 1803/06 kam Rinteln unter die Verwaltung des napoleonisch kontrollierten Königreiches Westphalen unter König Jérôme Bonaparte, wo mit Marburg, Göttingen, Helmstedt und Halle weitere Universitäten bestanden. Der Verwaltungsreform des Jahres 1809 unter Minister Johannes von Müller fielen die Universitäten Rinteln und Helmstedt zum Opfer, und die Alma Ernestina wurde Ostern 1810[2] geschlossen.
Bauwerke
Erhalten gebliebene Bauwerke:
- Jakobi-Kirche, Kirchengebäude des Jakobsklosters, in dessen Räume die Universität im Jahr 1621 einzog
- Universitätskommisse, diente als Gasthaus und Studentenwohnheim der „Academia Ernestina".
Bekannte Professoren
- Thomas Abbt (1738–1766), Professor der Mathematik
- Johann Philipp Burckhard Asbrand (1722–1779), Professor der griechischen Sprache
- Friedrich Wilhelm Bierling (1676–1728), Historiker, Professor für Philosophie und Theologie
- Andreas Heinrich Bucholtz (1607–1671), Professor der Philosophie und Dichtkunst
- Wilhelm Christian Justus Chrysander (1718–1788), Theologe, Philosoph und Polyhistor
- Heinrich Martin Eccard (1615–1669), lutherischer Theologe, Professor für Philosophie und Mathematik
- Johann Hermann Fürstenau (1688–1756), Professor der Medizin und Landwirtschaftlichen Ökonomie
- Johann Friedrich Fürstenau (1724–1751), Professor für Anatomie und Chirurgie
- Johann Nicolaus Funck (1715–1758), Professor der Rhetorik, Geschichte und Politik, Rektor von 1740–1750
- Franz Gießenbier (1571–1649), Rechtswissenschaftler
- Johannes Gisenius (1577–1658), Theologe und Vertreter der lutherischen Orthodoxie
- Hermann Goehausen (1593–1632), Rechtswissenschaftler und Hexentheoretiker
- Johannes Henichius (Heinichen) (1616–1671), lutherischer Theologie
- Johannes Kahler (1649–1729), Professor der Philosophie und der Theologie
- Henrich Ernst Kestner (1671–1723), Jurist, landgräflicher Rat
- Johann Peter Lotich (1598–1669), Mediziner, kaiserlicher Historiograph
- Heinrich Majus (1632–1696), Professor der Medizin
- Francois Martelleur (1734–1799). Sprachlehrer für Französisch
- Balthasar Mentzer der Jüngere (1614–1679), Professor für Theologie
- Eberhard Mesomylius (Mittelmüller) (1570–1630), Professor für Theologe
- Johann Daniel Müller (1721–1794), lutherischer Theologe
- Theodor Schmalz (1760–1831), Professor der Kameral- und Rechtswissenschaft, erster Rektor der neugegründeten Universität in Berlin
- Bernhard Schultze (1622–1687), Professor der Politik und der Kameralistik
- Gottfried Schwarz (1707–1786), Professor für Theologie
- Josua Stegmann (1588–1632), Professor für Theologie
- Johann Engelhard Steuber (1693–1747), Professor für Theologie
- Ludwig Wachler (1767–1838), Professor für Theologie und Geschichte
- Julius August Ludwig Wegscheider (1771–1849), Professor für Theologie und Philosophie
- Georg Wilhelm Franz Wenderoth (1774–1861), Professor der Medizin, erhielt den letzten Ehrendoktor der Universität
- Friedrich Wilhelm Wolfrath (1757–1812), Professor für Theologie
-
Andreas Heinrich Bucholtz, Professor der Philosophie und Dichtkunst
-
Balthasar Mentzer, Professor für Theologie
-
Julius August Ludwig Wegscheider, Professor für Theologie und Philosophie
-
Georg Wilhelm Franz Wenderoth, Professor der Medizin
Bekannte Studenten
Die Matrikellisten seit Gründung der Universität Rinteln sind in „Mitteilungen der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte, 59. Heft, Die Studenten der Universität zu Rinteln, von August Worringer, Leipzig 1939" sowie in „Schaumburger Studien, Heft 42 von Gerhard Schormann, Rinteln 1981, Rintelner Studenten des 17. und 18. Jh." aufgeführt. Sie sind unter anderem in der Stadtbücherei Rinteln und im Staatsarchiv Bückeburg vorhanden.
- Johann Christian Wilhelm Augusti (1771–1841), Theologe, Archäologe und Orientalist
- Christian Heinrich Behm (1662–1740), Abt des Klosters Amelungsborn
- Ferdinand Beneke (1774–1848), Jurist, Anwalt und Richter in Hamburg
- Hulderich von Eyben (1629–1699), Jurist, Professor in Gießen und Helmstedt
- Statius Fabricius (1591–1651), Doktor der Theologie, Abt des Klosters Amelungsborn
- Bernhard Christoph Faust (1755–1842), Arzt und Hofrat in Bückeburg
- Johann Friedrich Fürstenau (1724–1751), Mediziner, promovierte 1745 bei seinem Vater, J.H. Fürstenau
- Georg Hacke (1626–1684), lutherischer Theologe
- Karl Franz Lubert Haas (1722–1789), Historiker, Theologe und Philosoph
- Friedrich Wilhelm Leyser (1658–1720), Rechtswissenschaftler, Stadtsyndikus von Magdeburg
- Friedrich Christoph Müller (1751–1808), Theologe und Karthograph
- Friedrich Wilhelm Pestel (1724–1805), Jurist, Rektor der Universität Leiden
- Johann Rist (1607–1667), Dichter und evangelisch-lutherischer Prediger
- Friedrich Wilhelm Strieder (1739–1815), Bibliothekar, Lexikograph und Historiker
- Ludwig Wachler (1767–1838), Historiker, Universitätsrektor in Marburg und Breslau
- Andreas Wiß (1788–1816), Dichter, mit seiner Prüfung im April 1810 war er einer der letzten Absolventen der Universität
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Johann Rist, Dichter und evangelisch-lutherischer Prediger
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Hulderich von Eyben, Jurist und Hochschullehrer in Gießen und Helmstedt
Literatur
- Edward Schröder: Die Universität Rinteln, Rinteln 1927
- Rudolf Feige: Das akademische Gymnasium Stadthagen und die Frühzeit der Universität Rinteln, Hameln 1956, ISBN B0000BHYOO
- Willy Hänsel: Catalogus Professorum Rinteliensium: die Professoren d. Univ. Rinteln u. d. akad. Gymnasiums zu Stadthagen 1610–1810, Rinteln 1971, Schaumburger Studien Nr. 31
- Gerhard Schormann: Aus der Frühzeit der Rintelner Juristenfakultät, Bückeburg 1977, ISBN 3924700060
- August Woringer: Die Studenten der Universität zu Rinteln (Academia Ernestina), Mitteilungen der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte 59, Leipzig 1939, Nachdruck Nendeln/ Liechtenstein 1980
- Gerhard Schormann: Rintelner Studenten des 17. und 18. Jahrhunderts, Rinteln 1981 in: Schaumburger Studien Nr. 42, ISBN 3870850744
- Gerhard Schormann: Academia Ernestina: Die Schaumburgische Universität zu Rinteln an der Weser 1618/21–1810, Braun-Elwert Marburg 1982, ISBN 3770807529
Einzelnachweise
- ↑ Herbert Kater: Die Statuten der Universität Rinteln/Weser 1621–1809. Lateinisch-deutsche Synopse mit ergänzenden Dokumenten als Sonderheft Einst und Jetzt 1992, S. 1-241.
- ↑ Friedrich Arnold Brockhaus (Hrsg.): Literarisches Conversations-Blatt für das Jahr 1823, Bd. 2, Brockhaus, Leipzig 1823, S. 1021
Weblinks
- Eulenburg-Museum: Dauerausstellung Universität Rinteln
- Bibliographie des Drucker Petrus Lucius d.Ä. und seiner Erben (Memento vom 10. Januar 2005 im Internet Archive )
52.1858222222229.0779583333333Koordinaten: 52° 11′ 9′′ N, 9° 4′ 40,6′′ O