„Kurden" – Versionsunterschied
Version vom 11. Mai 2005, 17:28 Uhr
Die Kurden sind ein im Nahen Osten siedelndes Volk. Es gibt schätzungsweise 35 bis 40 Millionen Kurden. Davon sind 18 bis 20 Millionen in der Türkei, ~11 Millionen im Iran, ~4,5 Millionen im Irak, ~1,5 Million in Syrien, ~1,1 Millionen in Westeuropa und ~0,5 Millionen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion beheimatet. Des Weiteren gibt es eine kleinere Anzahl von Kurden in Libanon und Israel.
Herkunft der Kurden
Die Kurden sind weder Türken Perser noch Araber. Wahrscheinlich ist, dass die Vorfahren der Kurden während der zweiten großen Wanderungsbewegung der indoeuropäischen Arier um 2000 v. Chr. von West-Iran sich im Gebiet, das später als Kurdistan bezeichnet wurde, ansiedelten. Das Volk der Kurden ging aus mehreren Völkern und Stämmen hervor. Ihre Kultur, Sprache und Mythologie ist jedoch tief in der iranischen Kultur verwurzelt.
Über die Abstammung der Kurden gibt es verschiedene Thesen, wobei zu beachten gilt, dass über diesen langen Zeitraum sicher Völkervermischungen stattgefunden haben:
- Nachfahren der Hurriter, die das Mitanni-Reich gründeten (um 1500 v. Chr.). Deren Name Churri, von denen sich laut dieser Theorie auch der Name Kurde ableitet. Das Siedlungsgebiet der Churriter stimmt fast exakt mit den Grenzen Kurdistans überein. Die Hurriter sprachen allerdings eine nicht-indoeuropäische Sprache.
- Abstammung von den Medern, (Kurmandsch hergeleitet von Kur/Kurd und Mandsch für "Meder"). Viele der Kurden sehen sich heute als Nachfahren der Meder. Dies hat sich auch dadurch verstärkt, dass das altmedische Wort Turd/Kurd "stark" bedeutet. Man findet diese Form im sogenannten Kurmanji, einem kurdischen Dialekt, wobei die medische Übersetzung "Starker Meder" wäre.
- Abstammung von den Skythen. Xenophon berichtet in der Anabasis (III,5,15) von einem Stamm der Karduchen. Allerdings bezweifeln die meisten Historiker und Archäologen, dass größere Teile der Skythen in dem späteren kurdischen Volk aufgegangen sind, denn die Heimat der Skythen war Kasachstan, Südrussland und die Ukraine.
Keine dieser Thesen konnte bislang wissenschaftlich bestätigt werden.
Der geographische Name "Kurdistan" taucht das erste mal in arabischen und seldschukischen Quellen auf.
Geschichte
Frühgeschichte/Altertum
Meder. Die blühendste Periode, nach kurdischer Sicht, war im 7. Jahrhundert vor Chr. im Meder-Reich.
Mittelalter
Im 7. Jahrhundert erobern die Armeen des Kalifen Omar die kurdischen Gebiete, so dass die Kurden zum Islam zwangsbekehrt worden sind. Zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert unter islamischer Herrschaft gründeten Kurden mehrere Dynastien, wie die der Merwaniden, der Rawendiden, der Hasanwayhiden, der Schaddadiden und der Ayyubiden. Die Merwandiden lebten im nördlichen und westlichen Kurdistan mit Wintersitz in Diyarbakir und Sommerresidenz in Farqin (Silvan), die Rawendiden in Aserbaidschan, das in der Zeit überwiegend kurdisch besiedelt war, mit der Hauptstadt Täbriz, die Hasanwayhiden im Osten Kurdistans, also nordöstlich von Kermanschah und die Schaddadiden außerhalb Kurdistans in Transkaukasien, auf dem Gebiet des heutigen Armeniens und Aserbaidschans.
Ayyubiden. Im 12. Jahrhundert gründete Saladin, der zu Rawendis Zweig des Hadabani Stammes gehörte, die Ayyubiden-Dynastie von Syrien. Dieses Reich erstreckte sich über Teile von Ost- und Westkurdistan, Chorassan, Ägypten und dem Jemen. Das Ayyubidische Reich war aber keines falls ein Kurdisches Reich, viele seiner Bewohner - eigentlich die meisten - waren Araber und andere Völker. Es war ein islamisches Reich, denn die Bewohner bezeichneten sich als Muslime und nicht als Araber oder Kurden.
Osmanen. Ein großer Wendepunkt ist die Schlacht von 1514 bei Caldiran (nahe Van) zwischen Osmanen und Safawiden. Schah Ismail I. unterliegt Sultan Yavuz Selim I. Danach kommt fast ganz Ostanatolien unter osmanische Herrschaft. Auf seinem Zug in die Osttürkei bringt der Sultan bei Sivas an die 40.000 Aleviten um, welche türkische und kurdische Gruppen umfassen (wobei die ersteren überwiegen), um Kollaboration mit den Safawiden zu unterbinden. 1596 verfasst Serefhan, Fürst von Bitlis und Sohn von Idris Bitlisi, das Geschichtswerk Serefname (Prachtschrift) mit dem ersten vollständigen Überblick über die kurdische Geschichte. Unter anderem wird darin behauptet, dass das Fürstentum Bitlis von Malatya bis zum Urmiasee reichte. Die historische Korrektheit dieses Geschichtswerkes wird jedoch bezweifelt.
20. Jahrhundert
Bis zur Zeit des Ersten Weltkriegs wurde das kurdische Bewusstsein einerseits durch die Stammeszugehörigkeit geprägt, andererseits durch den sunnitischen Islam. Unter dem Einfluss europäischer Ideen entwickelten sie dann ein eigenes Nationalgefühl. Durch die alliierten Siegermächte wurde ihnen zunächst ein eigener kurdischer Staat (Kurdistan) in Aussicht gestellt. Jedoch wurde ihr Siedlungsgebiet auf die Territorien verschiedener Staaten aufgeteilt, wo man sie - mit wenigen politischen Rechten ausgestattet - als ethnische Minderheit anerkannte. In der Türkei werden sie als "Bergtürken" diffamiert, und der Gebrauch der kurdischen Sprache war bis vor kurzem verboten.
Am 22. Januar 1946 wurde eine Kurdenrepublik in Nordwestiran mit Mahabad als Hauptstadt und Qazi Mohammed als deren Präsident gegründet. Die Sowjetunion wollte durch die Gründung Kurdistans und Aserbaidschans auf iranischem Boden Einfluss auf die Region ausüben. Nach Abzug der Sowjets aus dem Iran wurden die beiden Republiken von der iranischen Armee zurückerobert. Nach nur 13 Monaten wurde Quazi Mohammed mit weiteren Ministern auf dem Car Cira Platz, von dem aus die kurdische Republik ausgerufen worden war, am 31. Mai 1947 hingerichtet. Zu einer teilweisen Selbstverwaltung und Beteiligung an der Regierung kam es im Irak 1970 bis 1974.
Nach dem zweiten Golfkrieg 1991 verfügte die UNO im Irak eine Schutzzone nördlich des 36. Breitengrades. Im dritten Golfkrieg 2003 beteiligten sich kurdische Kräfte auf Seiten der USA an der Eroberung nordirakischer Städte. Seitdem genießen die irakischen Kurden einen besonderen Status als Verbündete der USA. Das Ziel der irakischen Kurden, mehr Autonomie und Einfluss zu bekommen, wird vor allem von der Türkei sehr missbilligt, da man einen entsprechenden Einfluss auf die Kurden in der Türkei befürchtet. Trotz Prosteste seitens der Türkei konnten die Kurden im Irak ihren Einfluss ausweiten und erreichten bei der Wahl am 30. Januar 2005 75 Sitze im Parlament und stellen mit Celal Talabani den ersten kurdischen Staatspräsidenten. Über die Angliederung von Gebieten an die kurdische autonome Region wird zäh verhandelt. Dabei ist Kerkuk der brisanteste Aspekt. Dort konnte eine Allianz der kurdischen Parteien die Mehrheit der Sitze im Stadtrat. Die Wahlen in Kerkuk wurden von den meisten Turkmenen und Arabern boykottiert, da die Kurden angeblich viel mehr Rückkehrer in die Stadt liessen, als Saddam Hussein damals vertrieben haben soll.
Politik
Bislang sind die Bemühungen um eine staatliche Souveränität auch daran gescheitert, dass die Kurden untereinander zerrissen sind. In einer feudalen Gesellschaft galt nämlich, dass das Recht des Herrn oder geistlichen Oberhauptes vor dem Recht des Volkes kam. Es fehlte das nationale Gefühl. Aber in den letzten hundert Jahren kam auch der Nationalismus nach Kurdistan, so dass die Kurden immer mehr zusammen rückten. Das machte sich auch dadurch bemerkbar, dass die Kurden vermehrt Parteien bildeten, die sich europäische Parteien zum Vorbild nahmen. In den frühen 20er Jahren wurde im Libanon die Organisation Xoybun gegründet, die unter anderem den Ararat-Aufstand anführte. Die bekanntesten Parteien sind KONGRA-GEL (ehemals PKK und KADEK), die Komala, die PDK, die PSK , die Ansar al Islam und die YNK. Die meisten dieser Organisationen verfolgten jahrelang ihre Ziele mit Terror. Dabei fanden in der Türkei mehr als 30.000 bis 40.000 Zivilisten und Soldaten den Tod. In Syrien sind bekannte kurdische Parteien die Al Party, die kurdische Volksunion (Hevgirtin Gel) und die Yekiti (Partei der Einheit).
Die größten Aufstände im 20. Jahrhundert
- 1920: Kocgiri Aufstand
- 1925: Scheich-Said-Aufstand
- 1930: Ararat-Aufstand unter der Organisation Xoybun
- 1938: Dersim-Aufstand unter der Führung von Seyid Riza
- 1961 bis 1970: Barzani-Aufstand im irakischen Teil
- 1967 bis 1968: Aufstand der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran (DPK-I)
- 1984 bis 1999: Bewaffneter Kampf der PKK in der Türkei
Religion
Bei den Kurden sind verschiedene Religionen vertreten. Die Mehrheit(ca. 79%) der Bevölkerung sind Muslime sunnitischer Glaubensrichtung. Etwa 8% sind Schiiten. Daneben gibt es andere Glaubensrichtungen wie alevitischer, Jeziden, Yaseran, Christen, Juden, Kaka ́i, Shabak, Sarli...etc. Manche gehen auf bestimmte Auslegungen des Koran bzw. Islam zurück (z.B. Sufi oder die Bajwan aus der Schia), andere haben einen ganz anderen Hintergrund (Christen, Juden etc..).
Kultur
Es gibt eine reiche Volksliteratur in kurdischer Sprache. Zu erwähnen wäre das Epos Mem u Zin, das 1695 von dem Dichter Ahmede Xanê geschrieben worden ist. Der aus Mardin stammende Dichter Cigerxwin (Sexmus Hasan), der von 1903 bis 1984 lebte, schrieb für Zeitschriften wie Hewar. Er studierte ausführlich den Marxismus-Leninismus und hinterließ acht Gedichtsammlungen. 1935 wird der erster Roman der Neuzeit in kurdischer Sprache "Schivane Kurd" von Ereb Schemo verfasst.
Am 21. März wird das kurdische Neujahrsfest Newroz, in Anlehnung an das iranische Fest, begangen.
Sprache
Kurdisch ist eine indoeuropäische Sprache, über deren konkrete Systematik diverse Kontroversen geführt werden. Es ist jedoch allgemein gültig, dass das Kurdisch zum westiranischen Sprachzweig der indoeuropäischen Sprachfamilie gehört. Wegen der fehlenden politischen und kulturellen Einheit gibt es keine einheitliche, festgelegte Standardsprache. Die Hauptdialekte des Kurdischen stellen das Kurmanci, Sorani, Zazaki und Gorani dar.
Man unterscheidet:
- Kurmanci (ca. 15 Mio. Sprecher) – Nord-Kurdisch (mit lateinischen Buchstaben). Kurmanci wird von den Kurden der Türkei, Syrien und der ehemaligen Sowjetunion gesprochen. Es ist auch unter den Kurden im Iran und Irak verbreitet. Es duchläuft gerade einen Prozess des Sprachausbaus.
- Sorani (ca. 6 Mio. Sprecher) – Zentral-Kurdisch (in arabischer Schrift). Sorani wird im Iran und Irak gesprochen.
- Zazaki (ca. 4 Mio. Sprecher) – die Stellung als kurdischer Dialekt oder als eigenständige Sprache ist umstritten. Viele Zazaki-Sprecher sehen sich aber als Kurden.
- Gorani (ca. 3 Mio. Sprecher) - in Provinz Kermanschah und in den Hewraman-Gebirgen von einer kleinen Gruppe gesprochen. Dieser Dialekt wird manchmal auch Hewramî genannt. (Zuordnung ebenfalls umstritten)
Die kurdischen Sprachen wurden 1982 von der türkischen Verfassung verboten, seit August 2002, auch auf Druck der Europäischen Gemeinschaft im Zuge der Beitrittverhandlungen, wieder zugelassen.
Ereignisse in Deutschland
- Am 17. September 1992 werden die vier Mitglieder der Demokratischen Partei Kurdistans Dr. Sadegh Sharafkandi, Fattah Abdoli, Homayoun Ardalan und Nouri Dehkordi bei einem Attentat im Berliner Restaurant Mykonos (Charlottenburg-Wilmersdorf) von Geheimdiestangehörigen des Iran erschossen.
- Jedes Jahr findet ein Kultur-Festival in Deutschland (meist in NRW) statt, welches von bis zu 150.000 Kurden aus ganz Europa besucht wird.
Literatur
- Günter Kettermann: Atlas zur Geschichte des Islam, Darmstadt 2001
- Klaus Kreiser, Werner Diem, Hans Georg Majer (Hgg.): Lexikon der Islamischen Welt, 3 Bände, Stuttgart u.a. 1974 (Urban-Taschenbücher 200).
- Strohmeier, M./Yalçin-Heckmann, Lale: Die Kurden. C.H.Beck Verlag. München. 2. Auflage 2003. ISBN 3-406-42129-6
- Fischer Weltgeschichte. Band 36. Fischer Taschenbuch Verlag. 2000. ISBN 3-8289-0400-9
- Informationen zur politischen Bildung. Heft 277. Türkei. 4. Quartal 2002. ISBN 0046-9408
Das folgende Werk ist für eine wissenschaftliche Betrachtung des Themas "Kurden" unentbehrlich:
- David McDowall: A Modern History of the Kurds. London (I.B. Tauris Publishers) 2000.
Weblinks
- http://www.nadir.org/isku
- http://www.deutsch-kurdische-gesellschaft.de/Facharbeit_Situation_Kurden_in_Deutschland.htm Die Situation der Kurden in Deutschland
- NAVEND (Zentrum für Kurdische Studien - Bonn)
- Kartographie Kurdistans (auf "Karten" klicken)
- http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/bezirksamt/FinanzenKultur/Reden/040420myko.html Rede zur Enthüllung einer Gedenktafel für die Opfer des Mykonos-Attentats
- http://www.ekurd.de Die unabhängige Onlinezeitschrift Kurdistans auf Deutsch(u.a. ein Politforum)
- http://www.rebir.com/cool/modules.php?name=Kurd&file=chronkurd Die kurdische Chronologie mit Bildern