„Nationalanarchismus" – Versionsunterschied
Version vom 20. Juni 2008, 15:16 Uhr
Nationalanarchismus ist eine politische Ideologie, die Nationalismus und Anarchismus verbinden will. Kritiker sehen diese Wortschöpfung als Teil einer rechtsextremen Querfrontstrategie.
Deutschland
In Deutschland propagiert der Berliner Rechtsextremist Peter Töpfer seit etwa 1998 eine „nationale Anarchie" als politisches Ziel [1] und verfasste ein nationalanarchistisches Manifest dazu.[2] Auf seiner Webseite beschreibt Töpfer, dass es keine nationalanarchistische Organisation und keine Doktrin gebe. Jeder Nationalanarchist spreche selbstbestimmt für sich allein.[3]
Töpfer, seit 1995 als Mitherausgeber der Zeitschrift „Sleipnir" u.a. verantwortlich für Veröffentlichung von Holocaustleugnung [4] , tauchte 1998 auf einer NPD-Demonstration in Rostock erstmals mit einer schwarzroten Fahne – der Farbensymbolik von linken Anarchisten – auf und propagierte einen anarchistischen Flügel des „nationalen Widerstands". Dies stieß auf Ablehnung bei den Veranstaltern, vor allem bei Mitgliedern von „Freien Kameradschaften". Seither versucht Töpfer seine politischen Ideen auch über eine eigene Homepage im Internet zu verbreiten. Er wirbt weiterhin vor allem im Lager der Rechtsextremisten für ein strategisches Bündnis mit „deutschen Anarchisten" und unterstützt dazu aktiv rechtskräftig verurteilte Holocaustleugner wie Horst Mahler und befreundete Neonazis wie Christian Worch.[5]
Peter Töpfer organisierte mehrere sogenannte Querfront-Treffen, für die er im Internet wirbt und an denen auch Karl Nagel, ehemaliger Kanzlerkandidat der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands, beteiligt war.[6] Bei einem dieser Treffen im August 2001 wurde Töpfer verhaftet und das Treffen polizeilich aufgelöst. [7]
Töpfer arbeitet auch eng mit Michael Koth vom „Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS)" zusammen, einer Querfrontorganisation aus dem Umfeld der NPD und extremen Rechten. Gemeinsame Aktivitäten firmierten unter der Bezeichnung Bündnis nationale Linke im nationalen Widerstand und AG Antifaschismus im nationalen Widerstand.[8] Koth war Vorsitzender von 1995 bis 1998 bestehenden Partei der Arbeit Deutschlands (PdAD), einer sich positiv auf die nordkoreanischen PdAK beziehenden Splittergruppe. [9]
Der Politikwissenschaftler Karsten Dustin Hoffmann beschreibt den Nationalanarchismus von Töpfer als schwerpunktmäßig radikal antikapitalistisch, der sich daraus resultierend auch gegen die Globalisierung richte. Der von Töpfer angestrebte gesellschaftliche Endzustand sei eine Art freiwilliger individualistischer Kommunismus.[10]
Andere Länder
In Großbritannien vertritt Troy Southgate [11] , in den Niederlanden vertritt Tim Mudde ähnliche Anschauungen.
Kritik
Anarchismus und Nationalismus sind im 19. Jahrhundert als einander ausschließende Weltanschauungen entstanden. Denn die anarchistischen Prinzipien Egalitarismus, Ablehnung von Herrschaft und Zwang setzen die prinzipielle Gleichheit der Individuen voraus und richteten sich daher gegen alle Ideologien, mit denen die ethnische Homogenisierung und der Ausschluss bestimmter Menschengruppen begründet werden. Dort, wo anarchistische Bewegungen politischen Einfluss gewannen, wandten sie sich entschieden gegen Faschismus und Rassismus, z. B. im Spanischen Bürgerkrieg 1936. Ebenso wenden sich heutige Anarchisten gegen Nationalismus.[12]
Deswegen kritisieren Beobachter wie Ralf Fischer, dass Nationalanarchisten ihre Ideologie als Unterströmung des Anarchismus ausgeben. Die nationale Anarchie deute die Anarchie zur Befreiung von Multikulturalität um. Der Nationalanarchismus sei in Wirklichkeit eine Spielart von Rassismus. Es handele sich dabei größtenteils um ein Internet-Phänomen. Vertreter der Strömung seien bereits vorher als Rechtsextreme aufgefallen.[13]
Der deutsche Anarchismusforscher Jochen Schmück führt in seiner „Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus" auch Publikationen von Karnevalisten und Nationalisten auf und begründet dies wie folgt:
- Und so finden sich dann in unserer Pressedokumentation neben den 99 Prozent echten anarchistischen und libertären Zeitschriften auch einige seltsame „Sumpfblüten" von Pseudo-Anarchisten. Ich denke da z.B. [...] an die Blätter der Anarcho-Stalinisten oder der sog. Nationalanarchisten. Denn auch das gehört zur Dokumentation der Wirkungsgeschichte des deutschsprachigen Anarchismus mit dazu, dass das Label „anarchistisch" auch von Nicht- oder Anti-Anarchisten aus taktischen oder sonstigen Gründen übernommen wird.[14]
Gruppen des deutschen Syndikalismus ordnen „Nationalanarchisten" wie „Nationalrevolutionäre" und „Nationalbolschewisten" in Querfrontstrategien des Neonazismus ein und kritisieren ihre Ideologie als Versuch, den Anarchismus umzudeuten und einzunationalisieren, wie dies Peter Töpfer und sein Projekt „Nationale Anarchie" betreibt.[15] Nach einem auf Töpfers Homepage abgedruckten Briefwechsel lehnt auch der libertäre Journalist Egon Günther Töpfers Begriff ab.
Der Verfassungsschutz des Landes Brandenburg ordnete deutschen Nationalanarchismus 2002 als rechtsextreme Querfrontstrategie mit Bezügen zur Holocaustleugnung ein:[16]
- Ein weiterer Vertreter der "Querfrontstrategie" ist der "bekennende Nationalanarchist" Peter Töpfer aus Berlin. Er ist mitverantwortlich für eine Website mit dem bezeichnenden Namen www.querfront.de. Mitte bis Ende der 90er Jahre gab er zusammen mit Andreas Röhler im "Verlag der Freunde" die Publikation "Sleipnir" heraus, in der Beiträge verschiedenster Autoren, gleich welche politische Position sie vertraten, abgedruckt wurden – häufig ohne deren Zustimmung. Das Konzept von "Sleipnir" war die grenzenlose Meinungsfreiheit. Häufig fanden sich Artikel im Heft, in denen der Holocaust geleugnet wurde. Die "Querfront"-Redaktion geht vorsichtiger zu Werke. Bislang ist es ihr aber nicht gelungen, "aus der politischen Sackgasse herauszukommen" und rechtsextremistische Auffassungen akzeptabler zu machen.
Politologe Thomas Pfeiffer ordnet Töpfers Ideologie ebenfalls als Querfrontversuch mit einer Nähe zur Neuen Rechten ein:[17]
- Eine gewisse Renaissance erlebt die Querfront-Strategie auch in Kreisen, die anarchistische und rechtsextremistische Ansätze zusammenführen möchten und sich daher als „nationalanarchistisch" verstehen. Zu ihrer Belebung hat insbesondere der frühere Mitherausgeber der neurechten Zeitschrift 'Sleipnir' (vgl. 7.2.1), der Berliner Peter Töpfer, beigetragen. Mittlerweile tauchen nationalanarchistische Gedanken auch auf mehreren Internet-Seiten aus diesem Umfeld auf.
Der Politikwissenschaftler Karsten Dustin Hoffmann meint in seiner Diplomarbeit, Töpfers extreme Ideologie entziehe sich der Einordnung in ein Links-Rechts-Spektrum. Dieser denke nicht rassistisch und grenze sich vom Nationalsozialismus ab. Sein wiederholtes Bekenntnis zum Linkssein könne nicht als Schutzbehauptung oder Verschleierungstaktik abgetan werden. Andererseits beziehe sich Töpfer auf die Völkische Bewegung um Herman Wirth, zeige Judenfeindlichkeit, spreche sich für völlige Assimilation von Ausländern und gegen eine multikulturelle Gesellschaft aus. Deswegen sei seine Akzeptanz in der rechtsextremen Szene um ein vielfaches höher als in der linksextremen. Während Rechtsextreme ihm einen besonderen Status einräumten, ordneten ihn Linksextremisten bloß als rechtsextrem ein.[18]
Einzelnachweise
- ↑ Peter Töpfer: Negative Identifizierung. Warum Nationalisten nichts mit Nation, Anarchisten nichts mit Anarchie zu tun haben, Nationalanarchen aber Vertreter der rationalen Kerne beider Lehren sind
- ↑ Peter Töpfer: Manifest der Nationalen Anarchie
- ↑ Peter Töpfer: Gibt es eine nationalanarchistische Organisation?
- ↑ Innenministerium NRW: Sleipnir - Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik
- ↑ Peter Nowak: „Schwarzrote Fahne", in: Blick nach Rechts 25/1999
- ↑ Peter Töpfer: Letzter Hort des Liberalismus oder Morgenleuchten? – Die Zeitschrift eigentümlich frei. in: AUTO. Nr. 24, 4. April 2006
- ↑ Amtsgericht Rotenburg a. d. Fulda. Aktenzeichen: 53a GS 36/01, Angaben nach Peter Töpfer. Auto Nr. 8 10/2001 Querfront-Treffen von Polizei zerschlagen!
- ↑ Stressfaktor, Februar 2005
- ↑ Jungle World v. 10. März 1999
- ↑ Auszug aus Karsten Hoffmann: Das Rechts-Links-Kontinuum - Eine Theorie zur Strukturierung des politischen Raums, GRIN Verlag, 2007, ISBN 3638718646, S.81
- ↑ Troy Southgate
- ↑ The Pierre J. Proudhon Memorial Computer Infoshop.org (Dezember 1998): Are anarchists opposed to National Liberation struggles?
- ↑ Ralf Fischer: Nationaler Anarchismus? Anarchismus von Rechts! (pdf)
- ↑ „ALLES BLEIBT ANDERS": Interview mit Jochen Schmück zum zehnjährigen Bestehen der DadA-Website (1. Mai 2006)
- ↑ Autorenkollektiv von Syndikalismus.tk, 23. September 2007 (pdf)
- ↑ Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002, S. 29 (pdf)
- ↑ Thomas Pfeiffer, Verfassungsschutz NRW (25. April 2003): Die Neue Rechte in Deutschland, S.66
- ↑ Auszug aus Karsten Hoffmann: Das Rechts-Links-Kontinuum - Eine Theorie zur Strukturierung des politischen Raums, GRIN Verlag, 2007, ISBN 3638718646, S.81ff
Literatur
- Karsten Dustin Hoffmann: Das Rechts-Links-Kontinuum. Eine Theorie zur Strukturierung des politischen Raums. München/Norderstedt 2007. S. 80-83.
- Ralf Fischer: Nationaler Anarchismus? Anarchismus von Rechts! In: Campo de Criptana – Nr. 5, 1. Quartal 2004 [1]
- Fabian Lemke: Pogo fürs Volk. Selbst Punks und Anarchisten scheinen keine Probleme mehr mit einer rot-braunen Zusammenarbeit zu haben. Jungle World Nr. 40/2002
- Blick nach Rechts Nr.25/26 S. 6
- Ernst Corinth: Vom Punk zum Neonazi? Karl Nagel letztes Gefecht. In: Telepolis. Magazin der Netzkultur (Heise Verlag) - 13.4.2001
- Hugin und Munin: Links? Rechts? - Revolutionär! Die nationalrevolutionäre und antisemitische Zeitschrift Sleipnir sucht das Bündnis mit der deutschen Linken. Jungle World, 10. März 1999