„Sonderschutzfahrzeug" – Versionsunterschied
Version vom 23. August 2007, 12:39 Uhr
Als Sonderschutzfahrzeuge werden PKW oder Nutzfahrzeuge bezeichnet, welche durch eine integrierte Panzerung die Insassen und/oder das Ladegut vor äußeren Angriffen schützen sollen.
Geschichte
Bereits im Jahre 1928 bot Mercedes-Benz die ersten Sonderschutzfahrzeuge an. Der erste vollständig gepanzerte Mercedes wurde 1930 an den japanischen Kaiser Hirohito ausgeliefert. Neben den Sonderschutzfahrzeugen der Markenhersteller wurden und werden auch von andere Unternehmen Umbauten derartiger Fahrzeuge angeboten. Durch diese Unternehmen werden auch solche Fahrzeuge verändert, die ab Werk nicht als Sonderschutzfahrzeug erhältlich sind. Der Aufwand hierfür ist jedoch sehr hoch, da die Serienfahrzeuge vor dem Umbau nahezu vollständig demontiert werden müssen.
Widerstandsklassen
Sonderschutzfahrzeuge werden in verschiedene Widerstands- bzw. Beschussklassen unterteilt. Hierbei wird jedoch nicht die Widerstandsfähigkeit des gesamten Fahrzeuges, sondern die Widerstandsfähigkeit der verschiedenen eingesetzten Werkstoffe ermittelt.
Die Widerstandsklassen werden nach DIN und Euronorm danach zertifiziert, welcher Schusswaffeneinwirkung die Panzerung widersteht. Für durchsichtige Materialien (Verglasung) gilt EN 1063; EN 1522 und EN 1523 definieren die Eigenschaften für die undurchsichtigen Materialien der übrigen Karosserieteile. Die Zertifizierung des Fahrzeuges in die jeweilige Widerstandsklasse erfolgt in Deutschland durch das Beschussamt in Ulm [1] . Die Klassen werden von B1 bis B7 für Karosserieteile und analog dazu mit BR1 bis BR7 für Verglasung unterteilt.
Die üblicherweise eingesetzten Widerstandsklassen sind B4 und B6/B7. Der Schrägstrich bei der Angabe für die sog. Schwerpanzer bedeutet, dass die Karosserie der Beschussklasse B7 und die Verglasung der Beschussklasse B6 entspricht.
Neben Angriffen mit Schusswaffen schützen solche Fahrzeuge die Insassen auch vor Attacken mit Sprengstoffen, Äxten, Brechstangen und Brandbomben (Molotowcocktails).
Zielgruppe
Fahrzeuge der höchsten Widerstandsklasse
Das Angebot von Sonderschutzfahrzeugen der höchsten Widerstandsklasse B6/B7 richtet sich hauptsächlich an Sicherheitsbehörden wie das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter, welche für den Schutz der Verfassungsorgane und deren ausländische Gäste zuständig sind. Zunehmend gehören auch Manager, Prominente und Privatpersonen zur Zielgruppe.[2]
Mehrere deutsche Unternehmen haben sich darauf spezialisiert, vorwiegend geländetaugliche Fahrzeuge in der Schutzstufe B6/B7 zu panzern. Diese werden von Behörden, Unternehmen und Hilfsorganisationen in Krisengebieten eingesetzt.
Des Öfteren (besonders im World Wide Web) anzutreffende Gerüchte, Fahrzeuge der höchsten Widerstandsklasse seien von Privatpersonen nicht käuflich zu erwerben, lassen sich nicht mit Quellen belegen. Auch auf dem Gebrauchtwagenmarkt sind derartige Fahrzeuge in nicht geringer Stückzahl für jedermann verfügbar. So befindet sich beispielsweise heute das ehemalige Dienstfahrzeug des Typs Mercedes W126 von Hans-Dietrich Genscher in den Händen eines privaten Sammlers.[3]
Details und Produktionszahlen dieser Fahrzeuge werden von den Herstellern zumeist geheim gehalten. Dies dient einerseits dem Schutz der Kunden und soll andererseits den Mitbewerbern keine Vorteile verschaffen.
Fahrzeuge der mittleren Widerstandsklasse
Die Zielgruppe für Sonderschutzfahrzeuge der mittleren Widerstandsklasse B4 stellen Personen dar, welche sich häufig in durch kriminelle Angriffe (beispielsweise Carjacking, Kidnapping oder Raubüberfälle) gefährdeten Gebieten bewegen. Andere Personen (wie etwa Juweliere) wissen die einbruchhemmenden Eigenschaften einer zusätzlichen Panzerung zu schätzen.
Des Weiteren werden Sonderschutzfahrzeuge auch von Sicherheitsunternehmen zum Transport von Wertgegenständen eingesetzt. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind so genannte Geldtransporter. Solche Fahrzeuge werden nach den den jeweiligen Anforderungen entsprechenden Widerstandsklassen geordert und ausgerüstet.
Sonderschutzfahrzeuge ab Werk
- Audi A6 Security, lieferbar in Widerstandsklasse B4
- Audi A8 Security, lieferbar in Widerstandsklasse B6/B7
- BMW 330i Security, lieferbar in Widerstandsklasse B4
- BMW 550i Security, lieferbar in Widerstandsklasse B4
- BMW X5 Security, lieferbar in Widerstandsklasse B4
- BMW 760li High Security, lieferbar in Widerstandsklasse B4 und B6/B7
- Jaguar XJ Sovereign Security, lieferbar in allen Widerstandsklassen, meist jedoch B7/B7
- Kombat T-98, nur in Widerstandsklasse B7 erhältlich
- Mercedes-Benz W211 E-Guard, lieferbar in Widerstandsklasse B4
- Mercedes-Benz W221 S-Guard, lieferbar in Widerstandsklasse B6/B7
- Mercedes-Benz W463 G-Guard, lieferbar in Widerstandsklasse B6/B7 und B7/B7
- Range Rover, lieferbar in vier unterschiedlichen Widerstandsklassen
- VW Passat Protect, lieferbar in Widerstandsklasse B4
- Maybach 57 und 62 lieferbar in der Wiederstandsklasse B6/B7
- Bentley-alle Modelle lieferbar in den Wiederstandsklassen B1 bis B6
Sonderausstattungen
Sonderschutzfahrzeuge werden oft mit zusätzlichen Sonderausstattungen ausgerüstet, die für herkömmliche Fahrzeuge selten lieferbar sind. Dazu gehören unter anderem interne Feuerlöschanlagen, Gegensprechanlagen nach außen (so genannte Intercom-Anlagen), schusssichere Reifen mit Notlaufeigenschaft, GPS-Ortungssystem, explosionssicherer Tank, Außenluftfilteranlagen gegen Gasangriffe und vieles mehr.
GPS-Ortungssystem
Selbst weitgehende Panzerung bietet keinen ausreichenden Schutz vor unbefugtem Zugriff. 2004 wurde dem DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp der Dienstwagen gestohlen. Der gepanzerte Merdes-Benz 600 konnte trotz Fahndung der Polizei und diverser Ortungsversuche über das im Fahrzeug eingebaute GPS-System nicht ausfindig gemacht werden. Ein Sprecher von DaimlerChrysler bestätigte lediglich, "dass ein gepanzerter Mercedes aus dem Fuhrpark gestohlen wurde". Angesichts dieser Peinlichkeit war aus der Konzernzentrale keine weitere Stellungnahme zu vernehmen. Auch der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth war einst aus der Garage ihres Chauffeurs ebenfalls ein 600er-S-Klasse-Mercedes gestohlen worden. In diesem Fall allerdings konnte das Fahrzeug einen Tag später über das Ortungssystem in einem Frankfurter Parkhaus ausfindig gemacht werden.[4]
Fernbedienung
Ein gepanzerter Wagen muss sofort einsatzbereit sein können. Da beim Ausstieg der zu schützenden Person aus selbigem Wagen zumeist auch Fahrer und Begleiter das Fahrzeug verlassen, ergibt sich die Notwendigkeit, in Gefahrensituationen jegliche Verzögerung des sofortigen Verlassens eines Gefahrenortes zu vermeiden. So werden diese Fahrzeuge gerne um die Sonderfunktion 'Fernstarter' ergänzt: Noch bevor die zugangsberechtigten Personen das Fahrzeug erreicht haben, kann der Motor des Fahrzeuges mittels Fernbedienung gestartet werden. Vorsichtige Fahrer starten das Fahrzeug mit Hilfe dieser Funktion auch im Normalfall aus der Ferne. So besteht keine Gefahr, im Fahrzeug während des Motorstartes von einer eventuell zuvor in Abwesenheit installierten Autobombe erfasst zu werden.
Sicherheitsreifen
Sicherheitsreifen stellen ein System aus Felgen und Reifen dar, das selbst nach erfolgtem Anstoß (Fremdkörpereinwirkung) sowie nach Luftdruckverlust gewisse Notlaufeigenschaften besitzt. Mercedes-Benz bot diese Sicherheitstechnik Anfang der 1990er-Jahre unter dem Namen 'CTS-Reifen' auch vorübergehend für den Typ R129 (SL) und den Typ W140 (S-Klasse) an. Der hohe Aufpreis bewog jedoch nur die wenigsten SL-und S-Klasse-Kunden zum Kauf.
Sauerstoffversorgung/Filteranlage
Um Schutz vor Angriffen mit Reiz- oder Giftgasen bieten zu können, sind Anlagen erhältlich, die die dem Innenraum zugeführte Luft filtern oder eine eigenständige Sauerstoffversorgung über Druckflaschen ermöglichen. Dabei wird im Fahrzeug ein leichter Überdruck erzeugt, wodurch auch durch die kleinsten Ritzchen keine Aussenluft eindringen kann.
Anti-Kidnapping-Funktionen
Für den Fall von Kidnapping, bei dem das Opfer im eigenen Wagen entführt werden soll, existieren Einrichtungen, um den Wagen stillzulegen und die Türen zu verriegeln. Diese Maßnahmen können vom Opfer unbemerkt ausgelöst werden (z. B. vom Kofferraum aus).
Notausgänge
Eine besondere Gefahr bei gepanzerten Fahrzeugen ist, dass man es in einem Notfall, z.B. nach einem Unfall, nicht mehr verlassen kann. Dies kann verschiedene Gründe haben, wie Verformung der Türen oder ausfall der Elektronik für Schlösser und Fensterheber. Durch die Panzerung ist es jedoch nicht möglich die Scheiben einzuschlagen, und die Feuerwehr würde erhebliche Mühe haben, das Dach zu demontieren. Einige Fahrzeuge haben deshalb elektrisch unabhängige hydraulische Fensterheber, die wegen dem enormen Mehrgewicht von gepanzerten Scheiben ohnehin nötig sind. Zusätzlich ist bei manchen Fahrzeugen ein Notausstieg über den Kofferraum möglich.
Eine erst in den letzten Jahren aufgekommene Sicherheitseinrichtung bildet die per Fernzündung heraussprengbare Frontschutzscheibe. Der damalige Fahrer von Franz Josef Strauß soll mit einem gepanzerten Dienstfahrzeug verkehrsbedingt verunglückt sein (er wurde dabei nur leicht verletzt). Die Bergung gestaltete sich jedoch weniger leicht, da der Wagen auf dem Dach zu liegen kam und die Türen des Fahrzeuges infolgedessen nicht mehr zu öffnen waren. Nach der Rettungsaktion kam die Überlegung auf, dass ein gepanzertes Fahrzeug auch nach einem Unfall auf unkonventionelle Weise zu verlassen sein müsse. Als einziger Rettungsweg verblieben die Fenster. Da diese aber zu schwer sind, um sie nach einem Unfall (zumal in geschwächtem Gesundheitszustand) heraushebeln zu können, installierte man Sprengdrähte in den Fensterfassungen. Diese sollen gegebenenfalls den Fensterkorpus vom Rahmen lösen. Der Betätigungsschalter befindet sich zumeist unter einem kleinen (meist farblich abgesetzten) Klappdeckel, der aufgrund seiner Farbgebung und nicht zuletzt seiner Bedienungsweise ein ungewolltes Auslösen der Sprengung verhindern soll.
Audi bietet mittlerweile als Rettungsmöglichkeit das Heraussprengen aller vier Türen über einen in der Mittelkonsole befindlichen Auslöseknopf an.
Verwendete Materialien
Die zur Panzerung verwendeten Materialien sind zumeist Stahl, Kunststoffe (z. B. Kevlar) und Panzerglas.
Stahl wird eingesetzt, um die Wirkungskraft von Geschossen zu eliminieren, Kunststoffe sollen das Eindringen von Geschosssplittern verhindern.
Mehr und mehr setzt sich die Verwendung von Kunstfasern, wie zum Beispiel Aramid (Kevlar), von Verbundwerkstoffen und auch von speziellen Keramiken durch, da deren Verwendung eine enorme Gewichtsersparnis gegenüber den zur Panzerung verwendeten Sonderstählen ermöglicht. Die verstärkte Verwendung dieser modernen Materialien in den neueren Sonderschutzfahrzeugen trägt auch dazu bei, die Modifikationen unauffälliger in die Fahrzeuge zu integrieren, um die Auffälligkeit solcherart ausgestatteter Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr möglichst gering zu halten.
Gewicht
Durch die Panzerung kann sich das Fahrzeuggewicht je nach Widerstandsklasse um 1.000 Kilogramm oder mehr erhöhen. Eine einzige Fahrzeugtür wiegt oft mehr als 100 Kilogramm, zum leichteren Öffnen und Schließen wird hier oft eine Hydraulik eingesetzt.
Bei modernen Fahrzeugen wird der Gewichtsnachteil durch stärkere Motoren und angepasste Fahrwerke in Bezug auf das Fahrverhalten und die Fahrleistungen größtenteils kompensiert. Der damit einhergehende erhöhte Kraftstoffverbrauch spielt in der Zielgruppe dieser Fahrzeuge eine untergeordnete Rolle.
Sicherheit
Die Panzerung eines Sonderschutzfahrzeuges kann dessen Insassen keine absolute Sicherheit garantieren. Bei einem Sprengstoffattentat mit einer Hohlladung am 30. November 1989 starb der damalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen in einer Mercedes S-Klasse der Widerstandsklasse B6/B7, während sein Fahrer nur leicht verletzt wurde. Ein Fahrzeugteil drang in den Oberschenkel von Alfred Herrhausen ein und verletzte dessen Schlagader. Aufgrund der mangelhaften Koordination der Rettungsmaßnahmen verblutete Herrhausen. Am 20. April 1995 überlebte José María Aznar, zum damaligen Zeitpunkt noch Oppositionsführer in Spanien, einen ähnlichen Sprengstoffanschlag in einem Audi V8 der gleichen Widerstandsklasse mit leichten Verletzungen. Am 29. August 1995 wurde ein Anschlag auf den damaligen georgischen Staatspräsidenten Eduard Schewardnadse verübt. Die Attentäter verwendeten panzerbrechende Granaten des Typs RPG-7. Trotz zweier Treffer in der Motorhaube der gepanzerten B6/B7-S-Klasse gelang es dem Fahrer, das Fahrzeug aus der Gefahrenzone zu bringen. Schewardnadse, dessen Fahrer, sowie zwei seiner Leibwächter überlebten nahezu unverletzt.
Verwandte Themen
- Eine ähnliche Klassifikation der Sicherheit gilt bei beschusshemmenden Westen.
Weblink
- Beschussamtsrichtlinien (PDF)
- stern.de Bericht über Sonderschutz-Fahrzeuge
- automobil-Magazin.de Audi A8 als Sonderschutzfahrzeug
- Bericht über Sonderschutzfahrzeuge im Spiegel
Quellen
- ↑ Financial Times Deutschland, 27. Oktober 2006 [1] Es erscheinen in der Presse immer wieder Artikel, die diese Prüffunktion dem Bundeskriminalamt zuschreiben. Das Bundeskriminalamt prüft jedoch lediglich Fahrzeuge für den eigenen Bedarf.
- ↑ Manager-Magazin, 14. November 2005 http://www.manager-magazin.de/life/auto/0,2828,384324,00.html
- ↑ S-Klasse-Club, Bildbericht Jahrestreffen 2004 http://s-klasse-club.de/hv2004.html
- ↑ Die Welt, 23. November 2004 http://www.welt.de/data/2004/11/23/364488.html