„Überbevölkerung" – Versionsunterschied
Version vom 19. März 2007, 11:29 Uhr
Unter dem Begriff der Überbevölkerung oder der Übervölkerung wird in einigen sozial- und volkswirtschaftlichen Theorien der Zustand verstanden, wenn die Lebensbedingungen für eine bestimmte Menge der Bevölkerung zu deren Reproduktion nicht mehr ausreichen und die Tragfähigkeit des Lebensraums überschritten wird. Der Begriff wird in den Sozialwissenschaften verwendet und beschreibt eines der zentralen Themen der Demografie und der Bevölkerungsgeographie.
- ‣$== Problematik ==
Die Überbevölkerung ist ein mehrdimensionaler Begriff: Zum einen findet man Überbevölkerung auf verschiedenen Maßstabsebenen vor. Man spricht sowohl von globaler als auch von regionaler und lokaler Überbevölkerung. In einer anderen Dimension wird Überbevölkerung in Bezug auf die gerade noch möglichen Lebensbedingungen betrachtet: Man betrachtet hier die Tragfähigkeit eines bestimmten Raumes bzw. der gesamten Welt. Die Tragfähigkeit kann dabei absolut (in Form vom verfügbaren Nahrungsangebot) betrachtet werden oder differenzierter unter Wahrung bestimmter Lebensstandards.
Anhänger der Bevölkerunngstheorie betrachten den zustand der Überbevölkerung als bereits eingetreten und als eines der zentralen Probleme der Menschheit. Durch das explosionsartige Wachstum der Weltbevölkerung (mit ca. 6,5 Milliarden Menschen im Jahr 2005) seien einige Regionen – vorwiegend in Entwicklungsländern in Afrika und Asien – überbevölkert oder litten unter starkem Bevölkerungsdruck. Als Folgen träten Hunger, Armut, Mangelerscheinungen, ökologischek Probleme, die schnelle Ausbreitung von Epidemien und wirtschaftliche Stagnation auf.
Geschichtliche Entwicklung des Begriffs
Der Begriff der Überbevölkerung wurde in der breiteren Öffentlichkeit durch den britischen Ökonomen Thomas Robert Malthus gegen Ende des 18. Jahrhunderts verankert. Die von Malthus entwickelte Bevölkerungstheorie erschien 1798 in seinem Buch Essay on the Principle of Population. Im Zentrum der Überlegungen von Malthus steht die Überbevölkerung als Problem einer sich entwickelnden Ökonomie und Gesellschaft: Durch wirtschaftliches Wachstum und dem resultierenden Wohlstand der Bevölkerung kann diese wachsen, bis sie an die Grenzen der Tragfähigkeit der Erde stößt.
Die malthusianischen Ansichten beeinflussten insbesondere in Großbritannien im 19. Jahrhundert die Sozialpolitik dahingehend, Armut und Hunger in erster Linie als Auswirkung eines Bevölkerungsüberschusses anzusehen und mit den betroffenen Menschen entsprechend umzugehen. Resultat waren die Zustände, die Charles Dickens in Oliver Twist anprangerte, sowie die Reaktion der britischen Regierung auf die Große Hungersnot in Irland und spätere Hungersnöte in Britisch-Indien.
Die von Malthus angestoßene wissenschaftliche dem Problem Überbevölkerung hat sich bis heute fortgesetzt und fand in zahllosen Arbeiten sowohl Bestätigung wie Widerlegung.
Maßnahmen
Um der zunehmenden Gefahr der Überbevölkerung entgegenzuwirken, werden verschiedene Konzepte der Bevölkerungspolitik angewendet mit dem Ziel, das Bevölkerungswachstum zu bremsen bzw. zu stoppen. Auf globaler Ebene findet seit 1974 alle zehn Jahre eine Weltbevölkerungskonferenz der UNO statt, bei der grundlegende Probleme und Ergebnisse weltweit besprochen werden. Auf regionaler Ebene wurden in unterschiedlichen Regionen verschiedene Konzepte zur Steuerung des reproduktiven Verhaltens entwickelt und umgesetzt.
In Afrika wurden im Rahmen von Entwicklungshilfeprojekten Aufklärungskampagnen zur Verhütung ungewollter Schwangerschaften und Erkrankungen durchgeführt. In neuerer Zeit werden zunehmend integrative Konzepte, u.a. mit dem Ziel der Stärkung der Rolle der Frau, angestrebt.
In der Volksrepublik China, dem bevölkerungsreichsten Land der Welt, wurde dagegen von staatlicher Seite das Konzept der Ein-Kind-Ehe gesetzlich verankert. Dies konnte zwar das Bevölkerungswachstum in China stark bremsen, wirft aber auf der anderen Seite neue soziale Probleme auf. So werden aufgrund der traditionellen Entscheidung, einen männlichen Erbfolger haben zu wollen, immer wieder Mädchen vor der Geburt abgetrieben.
Kritik
Da die Theorie der Überbevölkerung sowohl begrifflich als auch inhaltlich nahelegt, es gebe überflüssige Menschen, wird sie von einigen als menschenverachtend bewertet. Es wird bezweifelt, dass die Tragfähigkeit der Erde bereits erschöpft sei; vielmehr seien Hunger, Arbeitslosigkeit und Artensterben in der Welt durch politische Fehlleistungen (z.B. durch asymmetrische Handelsbeziehungen mit Abschaffung des sich selbst versorgenden Wirtschaftens und Forcierung von stark vom Weltmarktpreis abhängigen Monokulturen) verschuldet.
Auch kann festgestellt werden, dass ein Zusammenhang zwischen Armut und hoher Geburtenrate besteht. Grund dafür dürfte hauptsächlich sein, dass in armen Weltregionen die einzige Möglichkeit der Altersvorsorge ist, viele Kinder zu bekommen. Zum anderen sinkt in wohlhabenderen Gebieten der Einfluss traditioneller Lebensbilder – auch dies trägt zum Rückgang der Geburtenrate bei. In manchen Industrieländern führt dies gar zu Befürchtungen wegen negativer Folgen eines Bevölkerungsrückgangs.
Des Weiteren gibt es auch Zweifel an der Herangehensweise an das Thema. So würden hier in unzulässiger Weise Gesetzmäßigkeiten aus der Biologie auf den gesellschaftlichen Bereich übertragen. In diesem Sinne diene der Begriff der Überbevölkerung der Verschleierung von vorrangig verteilungsbedingten Problemen. Manchmal wird fälschlicherweise angenommen, die Bevölkerungsexplosion in den unterentwickelten Ländern sei einer der Hauptgründe für die globalen Umweltprobleme. Tatsache ist aber, dass die globalen Umwelt- und Verteilungsprobleme viel stärker durch den Rohstoffverbrauch und Emmissionsausstoß in den Industrieländern ausgelöst werden, deren Bevölkerung kaum wächst. Ein US-Bürger verursacht z.B. statistisch 30mal so viel Emissionen wie ein Bengale. Ein Westeuropäer verbraucht zehnmal so viel Energie und Stahl wie ein Afrikaner, ein Deutscher ca. 30mal mehr Wasser als ein Beduine. Dieses Verhältnis ist auch bei den einzelnen Problemen wie fossile Brennstoffe, ozonschädigende Stoffe, Haus- und Industriemüll, Fleischproduktion, Abholzung gleich: Die Industrieländer sind die Hauptverursacher. Deshalb ist beim Thema Überbevölkerung nebst der Anzahl Menschen auch der Pro-Kopf-Verbrauch zu beachten.
Neueste „Theorien der Überbevölkerung" gehen dennoch davon aus, dass es für die Zahl der Menschen auf der Erde eine Grenze gibt, die aber nicht fest ist, sondern positiv (z. B. durch neue technische Möglichkeiten) und negativ (z. B. durch Ressourcenzerstörung) verschoben werden kann. Da zur Ermittlung der längerfristigen Ernährungskapazität der Erde in den Modellrechnungen auch Rohstoffversorgung, Energiebeschaffung und Umwelterhaltung berücksichtigt werden, wird die Überbevölkerung immer häufiger im Kontext der Nachhaltigkeit diskutiert. Doch die Wissenschaftler konnten sich bis heute nicht auf eine Tragfähigkeit der Erde einigen. Extrembeispiele, die von verschiedenen Wissenschaftlern vertreten werden, reichen von 1,2 Milliarden Menschen (laut Paul Ralph Ehrlich) bis hin zu 1000 Milliarden (Cesare Marchetti).
Literatur
- P. Harrison, Die dritte Revolution. Antworten auf Bevölkerungsexplosion und Umweltzerstörung, Heidelberg 1994, S.25-42. (Eine hervorragende Zusammenfassung über die Debatte um die Bevölkerungsentwicklung.)
- Susanne Heim, Ulrike Schatz, Berechnung und Beschwörung. Überbevölkerung. Kritik einer Debatte, Berlin 1996
- Wolfgang Klus, Franz-Josef Kemper, Bevölkerungsgeographie. Eine Einführung , Berlin 2000
- Hoimar von Ditfurth: So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen. Es ist soweit, Hamburg 1985
- Schaz Heim: Berechnung und Beschwörung. Überbevölkerung - Kritik einer Debatte. Assoziation A, Berlin 1996, ISBN 3-924737-33-9
- Korotayev A., Malkov A., Khaltourina D. Introduction to Social Macrodynamics: Compact Macromodels of the World System Growth. Moscow: URSS, 2006. ISBN 5-484-00414-4 [1].
Film
Siehe auch
- Demografie, Bevölkerungsgeographie, Bevölkerungsentwicklung
- Bevölkerungswachstum, Weltbevölkerung, Weltbevölkerungskonferenz
- Thomas Robert Malthus, Tragfähigkeit