„Zollingerdach" – Versionsunterschied

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* [[Bad Malente-Gremsmühlen]] – Turnhalle, Ringstraßen-Quartier (Architekt: (追記) [[ (追記ここまで)Alfred Schulze(追記) (Architekt)]] (追記ここまで), 1926–1927)<ref>Schleswig-Holsteinisches Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst, Bestand Alfred Schulze, Findbuch Bd. 1.</ref>
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* [[Berlin-Charlottenburg]] – Turn- und Sporthalle am „Nassen Dreieck" (1988)
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Version vom 19. Juni 2019, 08:09 Uhr

Wohnhaus mit Zollingerdach in Schweicheln-Bermbeck, Gemeinde Hiddenhausen, Nordrhein-Westfalen
Innenansicht der Augustinuskirche in Heilbronn 1926

Als Zollingerdach bezeichnet man eine freitragende Dachkonstruktion nach einer Systembauweise, bei der gleichartige, vorgefertigte Einzelelemente rautenförmig zu einem Stabnetztragwerk zusammengesetzt werden. Das Bausystem wurde vom Merseburger Stadtbaurat Friedrich Zollinger Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt und ist auch unter dem Begriff Zollbauweise bzw. Zoll-Lamellen-Bauweise bekannt.

Die Zoll-Lamellen-Bauweise wurde, obwohl auch für andere Bauteile vorgesehen, vornehmlich für gebogene Dachwerke verwendet.

Merkmale

Besonders einprägsam sind die vielfach im Siedlungsbau der Zwischenkriegszeit eingesetzten Spitztonnendächer. Gegenüber dem traditionellen Satteldach mit ebenen Dachflächen bieten diese im Wohnhausbau einige Vorteile:

  • Die gewölbte Außenform des Daches und der Verzicht auf Balken und Stützen ergibt eine bessere Raumnutzung
  • Die notwendige Menge Holz für den Dachstuhl verringert sich um über 40 Prozent.[1]
  • Wegen der segmentweisen Aneinanderreihung kurzer Holzstücke wird der Bedarf an langen geraden Bohlen verringert.
  • Die Montage des Daches ist so einfach, dass Bauherren beziehungsweise zukünftige Mieter bei dessen Errichtung mithelfen und somit Kosten sparen können.[2]

Meist wurde ein Zollingerdach als spitztonniges Satteldach ausgeführt, vereinzelt aber auch als Walmdach (z. B. Evangelische Kirche in Lauta oder Römerhof in Freiburg im Breisgau). Segmenttonnendächer wurden insbesondere im Hallenbau errichtet.

Zu beachten ist, dass eine zweifelsfreie Zuordnung als Zollingerdach, ohne einen Blick unter die Dachhaut, nicht möglich ist – denn eine formal ähnliche Dachgestalt besitzt auch das Bohlenbinderdach von David Gilly oder das Spitztonnendach des Schifffahrtsmuseums in Kiel; erst der Blick auf die offenliegende Dachkonstruktion zeigt die grundlegenden konstruktiven Unterschiede.

Entwicklung

Die Wohnungsnot der 1920er Jahre in Deutschland zwang Architekten und Stadtplaner, möglichst rasch und kostengünstig Wohnungen zu errichten. Bestehende Bautechniken wurden verbessert, Verfahren rationalisiert und neue Ideen entwickelt. In Merseburg befasste sich Stadtbaurat Friedrich Zollinger damit, Systeme für die fabrikmäßige Massenherstellung von typisierten Konstruktionen zu entwickeln. Er griff das von ihm bereits 1904–1910 erprobte Zollbauverfahren, ein schnelles Mauererrichtungsverfahren mithilfe typisierter Schalungen und Schüttbeton, wieder auf und entwickelte passend hierzu ein leicht, schnell und kostengünstig zu errichtendes Dach.[3]

Basierend auf den Konstruktionsmerkmalen des gewölbten Bohlenbinderdachs (Tonnendach) mit parallelen Sparren, die jeweils durch zwei versetzt angeordnete Bretter miteinander verleimt waren, entwickelte Zollinger das Prinzip eines Rauten-Lamellendachs ohne Bohlen und Sparren. Am 14. Oktober 1921 meldete er seine Dachkonstruktion aus Brettlamellen zur Patentierung an. Am 28. Dezember 1923 wurde die Patentschrift ausgegeben. In ihr werden raumabschließende, ebene oder gekrümmte Bauteile festgeschrieben, die sowohl die Ausbildung gerader Dachflächen aus geraden Brettern als auch die Konstruktion der gewölbten Dachhaut aus gekrümmten Brettern ermöglicht.[4]

Die gewölbte Lamellenkonstruktion bot neben der Holzeinsparung weitere Vorteile: Aufgrund hoher Biegefestigkeiten konnten problemlos Öffnungen für Fenster oder Gauben aus dem Dachtragwerk ausgeschnitten werden. Durch die typisierten Abmessungen der Lamellen konnten sie gebäudeunabhängig maschinell im Sägewerk in großen Stückzahlen vorgefertigt werden. Das Zollinger-Lamellendach wurde nicht nur beim Wohnungsneubau verwendet, sondern aufgrund seiner besonderen Eigenschaften auch beim Bau öffentlicher Gebäude, Scheunen, Flugzeug- und Eisenbahnhallen, Stadien, Markthallen und Kirchen. Von 1921 bis 1926 erfolgte der Vertrieb durch die Deutsche Zollbau-Licenz-Gesellschaft m.b.H., die danach durch die Europäische Zollbau-Syndikat A.G. ersetzt wurde. Während die Deutsche Zollbau-Licenz-Gesellschaft das Schüttbetonverfahren zusammen mit dem Lamellendach als System Zollbau vermarktete, vertrieb die Europäische Zollbau-Syndikat A.G. nur noch das Zollingerdach.[2]

Konstruktion

Außermittiger Knoten beim Zollbau

Beim Zollbau-Lamellendach werden gleichartige Brett- oder Bohlenstücke derart im Winkel zueinander angeordnet, dass in der Mitte einer senkrecht verlaufenden Lamelle zwei andere schräg verbaute Lamellen auftreffen und mittels Schlossschraube und krallenbewehrter Unterlegscheibe durch ein Langloch miteinander verbunden werden. Die Grundelemente aus jeweils drei nur außenseitig gerundeten Lamellbrettern werden gegeneinander eingedreht verbunden, so dass ein netzartiges Flächengebilde entsteht, das den optischen Eindruck von vielen nebeneinander und übereinander angeordneten Rauten vermittelt. Die vorgefertigten Lamellen, die an beiden Enden abgeschrägt sind, haben alle dieselben Maße ×ばつ 20 cm2 bei 2,0 bis 2,5 m Länge. Durch diese Bauweise können auch besonders große Spannweiten ohne zusätzliche Abstützungen erreicht werden.[5] [6]

Zur Zeit der Patentanmeldung ließ sich die Statik des Zollbau-Lamellendachs nicht exakt berechnen. Das Staatliche Materialprüfungsamt Berlin-Lichterfelde führte daher im Sommer 1922 und im Frühjahr 1923 an unterschiedlichen Zollingerdächern praktische Belastungsproben durch, ebenso die Materialprüfungsämter der Technischen Hochschulen in Dresden und Hannover. Da die Ergebnisse den theoretischen Näherungsrechnungen entsprachen, die Professor Robert Otzen von der TH Hannover im Zuge der statischen Prüfung erstellt hatte, fiel diese letztlich positiv aus. Auch wenn sich aus heutiger Sicht Otzens nachträgliche Berechnungen als unzureichend erweisen, zeigt die große Zahl erhaltener Dächer, dass die Zollinger-Konstruktion ausreichende Tragereserven aufwies.[7]

Die in der Patentschrift ebenfalls erwähnte ebene Variante unterschied sich von der gewölbten lediglich in der Verwendung ungerundeter statt gerundeter Lamellen. Für das gewölbte Zollbau-Lamellendach wurden anfangs beidseitig gekrümmt zugeschnittene Bretter verwendet. Der Grad der Längsseiten-Wölbung bestimmte die Wölbung des Daches. Nach kurzer Zeit beschränkte man sich darauf, lediglich die nach oben zeigende Brettseite gekrümmt zuzuschneiden; die untere Seite blieb gerade. Dadurch konnten die in Mengen vorgefertigten Lamellen wahlweise für beide Dachformen verarbeitet werden.[8]

Das Zollingerdach lässt sich nur durch Näherung nachweisen. Das Verfahren dafür wurde von Robert Otzen entwickelt. Das Dach wird einmal als Dreigelenkbogen und einmal als eingespannter Bogen gerechnet. Die jeweils ungünstigsten Schnittkräfte werden für die Bemessung zugrundegelegt. Das Dach wird als ein Streifen von Auflager zu Auflager gerechnet, die Schnittkräfte des Bogens werden in die Lamellenrichtung interpoliert. So lassen sich für die einzelnen Lamellen die jeweiligen Druck- und Biegemomente rechnen. Da zwei Lamellenenden jeweils außermittig verbunden werden, treten zusätzliche Momente in Querrichtung auf.[9]

Risiken

Die Konstruktion eines Zollingerdachs barg auch Risiken. Mangelhafte Pflege stellte einen Unsicherheitsfaktor dar, da die Schraubverbindungen regelmäßig zu kontrollieren und gegebenenfalls nachzuziehen waren. Durch minderwertiges Holz, Fehlbelastungen und Folgeschäden am Holz aus undichter Dachhaut konnten Verformungen auftreten.[10]

Die Gefahr, dass zu flach konstruierte Dächer im Laufe der Zeit durchhingen, bestand ebenfalls. Auch monierten Brandsachverständige, dass die nur wenige Zentimeter dicken Lamellen einem Brand nicht lange standhalten könnten.[2]

Weiterentwicklung

In der Patentschrift zum Zollingerdach ist bereits die Möglichkeit erwähnt, statt Holz auch Beton oder Eisen als Werkstoff zu nutzen. Tatsächlich entwickelte die Firma Junkers in Dessau 1928 eine Konstruktion aus dünnen Stahllamellen für Bauten mit großen Spannweiten zukunftsweisend. Es entbrannte ein erbitterter, nie entschiedener Rechtsstreit darüber, wer die Lamellentechnik aus Metall vertreiben durfte. Die Europäische Zollbau-Syndikat AG und die Firma Junkers einigten sich außergerichtlich dahingehend, die Metallkonstruktion unter dem Namen Junkers-Zollbau-Lamellendach gemeinsam zu vermarkten.[2]

Verbreitung

Die ersten, heute noch erhaltenen Zollinger-Lamellendächer wurden bereits ein Jahr vor der Patenterteilung in Merseburg errichtet und in den Jahren 1923–1926 zur Standardkonstruktion für verschiedene Bauaufgaben. Mithilfe der Deutschen Zollbau-Licenz-Gesellschaft und nachfolgend der Europäischen Zollbau-Syndikat AG wurde das Zollingerdach in alle Welt verbreitet. Auf regionaler Ebene bildeten sich dabei verschiedene bauausführende und lizenzvermittelnde Firmen.[2] 1926 warb die Europäische Zollbau-Syndikat AG auf einem Faltblatt mit bereits 850.000 errichteten Quadratmetern.[11]

Ansichten

Standorte

Gebäude mit Zollingerdach befinden sich heute beispielsweise in

Commons: Zollingerdächer  – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Klaus Winter, Wolfgang Rug: Bautechnik 69, 1992, Heft 4, S. 193
  2. a b c d e Florian Zimmermann: Verbreitung und Vertrieb, in: Das Dach der Zukunft, 1997, S. 44–53
  3. Karl Barth: Aus dem Siedlungswesen, Merseburg, 1922, S. 64
  4. Klaus Winter, Wolfgang Rug: Bautechnik 69, 1992, Heft 4, S. 190–197
  5. Charlotte Bairstow: Denkmalpflege in Hessen, 2000, ISSN 0935-8307
  6. baunetzwissen.de, S. 49113
  7. Robert Otzen: Die statische Berechnung der Zollbau-Lamellendächer, in: Der Industriebau, Heft August–September 1923, S. 96–103
  8. Charlotte Bairstow: Die Konstruktion, in: Das Dach der Zukunft, 1997, S. 20
  9. Mönck, Willi: Holzbau – Grundlagen für Bemessung und Konstruktion. 11. Auflage, Verlag für Bauwesen Berlin München
  10. Charlotte Bairstow, Nach 1945, Zollinger Dächer und verwandte moderne Holzmethoden, in: Das Dach der Zukunft, 1997, S. 64
  11. Karin Heise, Friedrich Reinhardt Balthasar Zollinger – Ingenieurporträt in Deutsche Bauzeitung, 2004, Heft 2, S. 72
  12. Schleswig-Holsteinisches Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst, Bestand Alfred Schulze, Findbuch Bd. 1.
  13. Das Zollinger Dach - weniger ist Zukunft. Galerie Mutter Fourage, 2015, abgerufen am 30. Juni 2017. 
  14. Fotos von der Erneuerung des Daches mit Biberschwanzeindeckung (Dresden, Salzburger Straße 41) (Memento vom 29. November 2015 im Webarchiv archive.today )
  15. Internationale Schule Römerhof
  16. Warngauer Sägewerk im Freilichtmuseum Glentleiten
  17. Vortrag über die Familien- und Firmengeschichte von Heinrich Kappus III. aus Idstein (Memento vom 25. Mai 2019 im Internet Archive ). In: Wiesbadener Kurier vom 23. Dezember 2017
  18. Foto des Daches nach der Restaurierung
  19. 130 m Industriehalle in Ludwigsburg
  20. Thränhardt/Pfannschmidt: Architektur in Meiningen. Verlag Resch, Meiningen 2010.
  21. Kreuzkapelle Freiimfelde
  22. Geschichte der Dürerschule Merseburg
  23. Ecke König-Heinrich-Straße, gegenüber Best-Western-Hotel
  24. Verein für Stadtteilkultur im Münchner Nordosten e.V (PDF; 9,3 MB). Schriftstück aus 2010, S. 10. Abgerufen am 24. Nov. 2012
  25. Fraunhofer-Informationszentrum Raum und Bau IRB (Memento vom 4. August 2012 im Webarchiv archive.today )
  26. Messehalle Rimini (Memento vom 28. Mai 2013 im Internet Archive )
  27. Sonderdruck Bauen mit Holz, 6/99
  28. Vaihingen – Sehenswürdigkeiten, Kultur, Treffpunkte auf stuttgart.de
  29. Werk, Bauen + Wohnen (Schweizer Ausgabe), Vol. 92 (2005), S. 41 (bzw. 9 im PDF), PDF-Download auf E-Periodica
  30. Ein Zollinger-Dach macht der alten Halle alle Ehre, Artikel im Teckbote 7. Oktober 2006
  31. Kultur- und Orgelzentrum Altes Schloss Valley, aufgerufen am 13. Dezember 2012
  32. „Infomobil" Nr. 02/2012, Kundenzeitschrift der ESWE Verkehrs GmbH, Wiesbaden, S. 10
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