„Erziehung" – Versionsunterschied

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Version vom 16. Dezember 2005, 13:38 Uhr

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Erziehung und erziehen (lt.Duden von ahd. irziohan = herausziehen) bedeutet, jemandes Geist und Charakter zu bilden und seine Entwicklung zu fördern.

Konkret bedeutet "Erziehung" vor allem folgende vier Bereiche:

  1. Die mehr oder weniger zielgerichtete Etablierung erwünschter Verhaltensweisen, Werte und Normen bei Kindern und Jugendlichen und damit verbunden auch das Setzen von Grenzen. Ziel der Erziehung ist es, ihnen ihren Platz in Sozialen Gruppen (zum Beispiel die Familie) zuzuweisen und später, um sie an das Leben und Überleben in der Gesellschaft anzupassen ("fit for life"). Entscheidend ist, dass Erziehung immer nur im sozialen Kontext - also durch andere Individuen - stattfinden kann, und anders als Bildung ausschließlich für die Orientierung im sozialen Umfeld nützlich ist. Dennoch ist eine scharfe Abgrenzung zwischen Bildung und Erziehung nicht immer möglich und sinnvoll. Oftmals werden Bildungsinhalte in einen gesellschaftlichen Kontext gerückt, so dass diese wiederum zunächst zur Erziehung werden (z. B. Hände waschen nach der Toilette). In vielen Sprachen gibt es deshalb auch nur ein Wort für beide Begriffe, z. B. das englische "education". Bei Erwachsenen wird der Begriff Erziehung im allgemeinen nicht mehr als Prozess verstanden, da man davon ausgehen sollte, dass die Entwicklung des Erwachsenen soweit abgeschlossen ist. Man verwendet hier den Begriff Erwachsenenbildung, wenn man von Weiter- und Fortbildung spricht.
  2. Die eigene Erziehung, also die Verhaltensweisen, Werte und Normen, die uns Eltern, Verwandte, Schule und andere pädagogische Einrichtungen als Prägung auf den Weg ins Erwachsenenleben mitgegeben haben. Manchmal besteht die Selbsterziehung auch in bewußter Abkehr vom bisherigen Weg - siehe z. B. Umkehr oder Wende.
  3. Die Ausbildung spezieller Fähigkeiten , wenn sie als Suffix auftaucht, z. B. in Musikerziehung, Sporterziehung, Verkehrserziehung.
  4. Das Heranziehen von Tieren zu einem erwünschten Verhalten (siehe auch Dressur) oder von Nutzpflanzen zu einem günstigen Wuchs.


Nähere Erläuterung

Im Folgenden sind Methoden und Bedingungen von Erziehung unter modernen pädagogischen (erziehungswissenschaftlichen) Gesichtspunkten dargestellt.

In der Pädagogik versteht man unter Erziehung das absichtliche (also nicht im Affekt getätigte) Bereitstellen oder Ausnutzen von Lernmöglichkeiten. Dabei geht man bewusst, planvoll, methodisch und zielgerichtet vor und kann dieses Vorgehen auch verantworten. Das heißt, der Erziehende macht sich vorher darüber Gedanken, was er erreichen möchte. Er überlegt die Erziehungsziele, die zu ihrer Realisierung geeigneten Methoden und kann auch begründen, warum dieses Vorgehen nötig ist.

Dieser Vorgang geschieht grundsätzlich in personaler Interaktion. Das heißt, der Erzieher reagiert auf ein Verhalten des Zu-Erziehenden (früher auch: "Zögling") und/oder umgekehrt. Die dabei entstehende Wechselwirkung (keine Manipulation) zwischen Erzieher und zu Erziehendem unterscheiden die Erziehung von der bloßen Konditionierung oder einer Abrichtung.

Voraussetzung für das Gelingen von Erziehung ist ein Vertrauensverhältnis und eine gewisse Autorität (die früher mehr als heute betont wurde) sowie das Eingebundensein in die jeweilige Peer group . Ohne diese Voraussetzungen ist der Jugendliche auf sich allein gestellt, und kann bei ungünstigen Voraussetzungen in eine soziale Abwärtsspirale geraten, die ihn, je nach Veranlagung bis in die Kriminalität oder die psychiatrische Anstalt führen kann.

In einer alternativen, von Wolfgang Brezinka präferierten Definition werden unter Erziehung Handlungen verstanden, mit deren Hilfe versucht wird, andere Menschen dahin gehend zu beeinflussen, dass ihr Gefüge der psychischen Dispositionen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft verbessert wird, oder seine als wertvoll beurteilten Bestandteile zu erhalten. Andererseits soll auf diese Weise die als schlecht bewertete Entstehung von Dispositionen verhütet werden.

Erziehungsstile

Des Weiteren wird zwischen verschiedenen Erziehungsstilen unterschieden. Unter einem Erziehungsstil versteht man Methoden und Grundsätze, sowie den theoretischen Hintergrund, nach denen man eine Erziehung (meist die Kindererziehung) aufbaut. Die Beschreibung verschiedener Erziehungsstile besteht in der Übertragung von Führungsstilen auf das Verhalten in Erziehungsprozessen. Analog werden auch hier drei Hauptstile (kursiv geschrieben) unterschieden, wobei noch zwischen weiteren vier unterschieden wird.

  1. Autokratischer Erziehungsstil: Bei dem autokratischen Erziehungsstil wird gegenüber dem Educandus (= zu Erziehender) ein hohes Maß an Autorität ausgeübt. Eine mögliche Eigeninitiative und die Meinung des zu Erziehenden wird unterdrückt bzw. nicht berücksichtigt.
  2. Autoritärer Erziehungsstil: Der autoritäre Stil, der mit einem interventionalen Erziehungsbegriff einhergeht, setzt stark auf die Erziehungsmittel Belohnung und Bestrafung und weniger auf Überzeugung, vermittelt aber meist Sicherheit. Erziehungsmaßnahmen sind oft undurchsichtig und erwartungsgemäß kaum durch demokratische Meinungsbildungsprozesse legitimiert. Die Meinung des zu Erziehenden wird zwar akzeptiert, zum Schluss bestimmt jedoch der Educans (= Erzieher), der erst später in den Hintergrund tritt.
  3. Demokratischer Erziehungsstil: Ein demokratischer Erziehungsstil lässt sich mit dem reformpädagogischen Erziehungsbegriff verbinden. Hier spielt Konsens beim Einsatz von Erziehungsmaßnahmen eine größere Rolle. Erziehungshandeln soll für alle Beteiligten transparent sein. Der zu Erziehende wird als ernster Gesprächspartner betrachtet und soll mit steigendem Alter selbstständiger und eigenverantwortlicher handeln. Die Notwendigkeit, manchmal Grenzen zu setzen, wird im Regelfall besprochen.
  4. Egalitärer Erziehungsstil: Innerhalb des egalitären Erziehungsstils haben Erzieher und zu Erziehender die selben Rechte und Pflichten. Die Meinung des zu Erziehenden wird nicht nur eingeholt und berücksichtigt, sondern besitzt das gleiche Gewicht wie die des Erziehenden.
  5. Permissiver Erziehungsstil: Der permissive Erziehungsstil ist eine gemäßigte Form des laissez-faire-Erziehungsstils. Der Erziehende hält sich bei der Erziehung eher zurück, ein Setzen von Grenzen findet nur selten statt.
  6. Laissez-faire Erziehungsstil: Der laissez-faire Erziehungsstil korrespondiert mit dem antipädagogischen Erziehungsbegriff. Erziehung wird hier als eine nicht legitime Maßnahme gegenüber Kindern aufgefasst und dementsprechend unterbleiben zielgerichtete Erziehungsmaßnahmen.
  7. Negierender Erziehungsstil: Beim negierenden Stil kann nicht von bewußter Erziehung gesprochen werden; das Verhalten des zu Erziehenden wird vom Erzieher nicht beeinflusst. Es bestehen keine Erziehungsmaßnahmen und kein Interesse gegenüber der Entwicklung des zu Erziehenden.
Erziehungsstile von "sehr streng" bis "sehr locker"
autokratisch autoritär demokratisch egalitär permissiv laissez-faire negierend

In der Praxis ist die Unterscheidung eines Erziehungsstils und der damit verbundenen Erziehungsmethoden nicht eindeutig, da zum einen nicht immer eine klare Trennung der Erziehungsstile möglich ist, zum anderen, weil häufig Mischformen auftreten. So kann es zum Beispiel sein, dass Erzieher mit überwiegend demokratischem Stil in einigen Bereichen autoritäre Methoden anwenden.

Kritik traditioneller Erziehung / Anti-Erziehung

Die Kritik der Erziehung wendet sich insbesondere gegen nicht kindgerechte Methoden von Erziehung. Der Begriff des unbedingten Gehorsams stößt nach den Erfahrungen des Dritten Reichs auf vehemente Ablehnung und markiert ein Ende preussischer Erziehungsideale.

Die aus der Auseinandersetzung mit der Nazizeit und dem Protest gegen den Vietnamkrieg entstandene Protestbewegung der 68er-Generation führte in ihrem Verlauf auch zur antiautoritären Erziehung, einer Strömung, die radikal jegliche autoritären Methoden in der Erziehung ablehnte.

Die neuere Kritik stellt die Notwendigkeit von Grenzen dagegen nicht in Frage, verurteilt aber umso schärfer Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche - ein Trend, der sich seit 1970 durch die Enttabuisierung der Kindesmisshandlung zeigt und in Deutschland 2000 darin gipfelte, dass Schlagen von Kindern gesetzlich verboten wurde (Kindesrecht auf eine Erziehung ohne Gewalt).

Als tieferer Hintergrund wird angenommen, dass am Verhalten der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft eine bislang unbeachtete Frontlinie verläuft, an der sich persönlicher und gesellschaftlicher Druck entlädt. Demzufolge seien alle Verhaltensweisen zu verurteilen, die auf subtilem Wege das systematische Auslöschen des kindlichen Willens verfolgen. Dieses im 18. bis 19. Jh. vielfach noch offen verfolgte Ziel wird heute als schwarze Pädagogik gebrandmarkt.

Kritik der Erziehung

Jedem Erziehungsbegriff liegt ein Manipulationsideal zugrunde, das heißt die Erzieher und die Erziehungswissenschaftler unterstellen, es gäbe bestimmte Methoden, getrennt von Wissen und Einsichten im Denken der Zöglinge, die zur Ausbildung verschiedener gewünschter Persönlichkeitseigenschaften führen würden. Das Menschenbild, von dem dabei ausgegangen wird, enthält die Voraussetzung, daß dem Individuum (quasi genetisch) ein Bedürfnis nach Orientierung und Moral innewohne, welches durch Erziehung befriedigt werden müsse. Der Begriff der Erziehung bezieht aus diesem Menschenbild - insofern quasi "automatisch" - die Legitimation seiner Anwendung. Jenseits einer solchen interessegeleiteten Begriffskonstruktion erweist sich aber, daß bei Erziehung sehr alltagspraktische Gegensätze zwischen Erziehern und den zu Erziehenden ausgetragen werden - in der Regel ohne vernunftgeleitete Debatten über Gründe und Erklärungen - um bestimmte bei den Zöglingen erwünschte Verhaltensweisen durchzusetzen bzw. ihnen die Übernahme der jeweils gewünschten Moral nahezulegen. Insofern spielen die Theorien der Erziehung am Ende bei der Erziehungspraxis eine rein ideologische Rolle, je nach dem unter welchen "höheren moralischen Gesichtspunkten" und für welche aktuellen gesellschaftlichen Zwecke und Ideale die Erziehung jeweils gerechtfertigt werden soll.

Zitate

Kinder werden als asoziale und egoistische Wesen geboren. Die Werte der Zivilisation, die des Menschen Gemeinschaft von der Horde unterscheidet, müssen ihnen erst nach und nach vermittelt werden. Das ist Aufgabe der Erziehung.

Ulrich Wickert, aus: "Zeit zu handeln"

Das Schleifen tut weh. Hat einer aber seinen Schliff weg, ist er meist stolz auf seine Qualitätsverbesserung.

Fritz Wöss, aus: "Hunde wollt ihr ewig leben"

Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

Mark Twain

Siehe auch

Literatur

  • Rudolf Dreikurs, Vicki Soltz: Kinder fordern uns heraus, Klett-Cotta : Stuttgart 13. Aufl. 2004, ISBN 3608942777
  • Annette Kast-Zahn: Jedes Kind kann Regeln lernen, Oberstebrink : Ratingen 2003, ISBN 393433315X
  • Remo H. Largo: Babyjahre, Piper : München 11. Auflage 2001, ISBN 3492233198
  • Anne Pulkkinen: PEKiP: Babys spielerisch fördern, Gräfe & Unzer : München 2005, ISBN 3774274185


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