„Putinismus" – Versionsunterschied

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Die Rolle westlicher Länder und Bündnisse sieht die Putin-Regierung kritisch, die [[NATO-Osterweiterung]] empfindet sie als Bedrohung der eigenen Sicherheit. Nach der Intervention im [[Kaukasuskrieg 2008]] mit [[Georgien]] machte die Machtpolitik 2014 auch vor der [[Krimkrise|Annexion der Krim]], einem Gebiet des heute unabhängigen Staates [[Ukraine]], nicht halt. Dabei werde, wie die deutsche [[Bundeskanzler (Deutschland)|Bundeskanzlerin]] [[Angela Merkel]] kommentierte, „das Recht des Stärkeren" gegen die „Stärke des Rechts" gestellt.<ref>[http://www.huffingtonpost.de/2014/03/13/merkel-russland_n_4954702.html ''Merkel in ihrer Regierungserklärung: Russland stellt Recht des Stärkeren gegen Stärke des Rechts''] (The Huffington Post), abgerufen am 19. Dezember 2014</ref>
Die Rolle westlicher Länder und Bündnisse sieht die Putin-Regierung kritisch, die [[NATO-Osterweiterung]] empfindet sie als Bedrohung der eigenen Sicherheit. Nach der Intervention im [[Kaukasuskrieg 2008]] mit [[Georgien]] machte die Machtpolitik 2014 auch vor der [[Krimkrise|Annexion der Krim]], einem Gebiet des heute unabhängigen Staates [[Ukraine]], nicht halt. Dabei werde, wie die deutsche [[Bundeskanzler (Deutschland)|Bundeskanzlerin]] [[Angela Merkel]] kommentierte, „das Recht des Stärkeren" gegen die „Stärke des Rechts" gestellt.<ref>[http://www.huffingtonpost.de/2014/03/13/merkel-russland_n_4954702.html ''Merkel in ihrer Regierungserklärung: Russland stellt Recht des Stärkeren gegen Stärke des Rechts''] (The Huffington Post), abgerufen am 19. Dezember 2014</ref>

Version vom 5. Juni 2020, 17:54 Uhr

Wladimir Putin auf der Krim (2000)

Der Begriff Putinismus (russisch Путинизм) ist ein politisches Schlagwort, mit dem das politische System in Russland und dessen Handeln bezeichnet wird, wie es sich unter dem russischen Präsidenten Wladimir Putin herausgebildet hat.

Inhalte

Phasen
Das nach Darstellung des Osteuropaexperten Richard Sakwa als Putinismus bezeichnete politische System Russlands durchlief drei Phasen, bevor er sich ab etwa 2011 zu seiner aktuellen Form entwickelte: Die klassische Form mit den Phasen der Sanierungspolitik von März 2000 bis Oktober 2003 und der Phase des Ausbaus der Vormachtstellung der Präsidialadministration bis 2008 wurde abgelöst von der Phase der „Tandem-Regierung", in der Präsident Medwedew rechtsstaatliche und liberale Aspekte gegen das Übergewicht der Präsidialverwaltung zu stärken suchte. Zu Beginn glaubten Liberale an Fortschritt durch Putin, aber über die Jahre wurden die konservativen Bevölkerungsschichten im peri-urbanen und ländlichen Raum zu seinen Unterstützern, während die Propaganda mit ihrem Nationalismus und traditionellen Symbolen Militär und christlichen Orthodoxie die urbanen, jungen Liberalen als Fünfte Kolonne des feindlichen Auslandes brandmarkt.[1] 2011 begann die von Sakwa als „entwickelter Putinismus" bezeichnete vierte Phase.

Sakwa betont die Kontinuität der Entwicklung, die schon mit Boris Jelzin 1991 begann und von Anfang an bei der Steuerung der politischen Prozesse bestimmte autoritäre Elemente aufwies. „Beide (Jelzin und Putin) haben versucht, die konkurrierenden Ansprüche zu steuern, nämlich den Drang nach politischer Partizipation und sozialer Sicherung einerseits, und die postsowjetische Fragmentierung Eurasiens sowie die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen auf internationaler Ebene andererseits." Wahlen stellten seit 1991 „einen sekundären Vorgang zur Legitimierung des Status quo dar".[2]

Samuel P. Huntington hingegen argumentierte 2002, der Putinismus „unterscheidet sich vom Jelzinismus, der sich mit dem Westen ideologisch und kulturell identifizierte. Putin ist bloß ein Pragmatiker. Wenn es ihm passt, kooperiert er mit den USA, mit dem Westen."[3] Der exilierte Oligarch und einer der größten Kritiker Putins Michail Chodorkowski bezeichnet das sich unter ihm etablierte Herrschaftssystem als „feudalistisch-kriminell".[4]

Phase des entwickelten Putinismus
In seiner entwickelten Form wies der Putinismus nach Sakwa „neue Methoden des politischen Managements" auf: die Strategie selektiven Zwangs gegen Führungspersönlichkeiten der Opposition wie Alexei Nawalny, die Strategie der Beschränkung etwa des Demonstrationsrechts und des Aktienbesitzes im Ausland. In der Strategie der Kooptation sei die Allrussische Volksfront wichtigster „Kooptierungsmechanismus". In der Strategie des Überzeugens seien ideologische Initiativen unternommen worden, „unter anderem durch eine betont antiwestliche Haltung, eine engere Verbindung zur Orthodoxen Kirche und das Eintreten für konservative kulturelle und Familienwerte." Sakwa diagnostiziert, diese Phase sei von Stagnation, Unterdrückung des Pluralismus und Korruption gekennzeichnet. Alternative sei ein „Putinismus ohne Putin" als fünfte Phase durch anhaltenden „Druck demokratischer Bewegungen, begleitet von einer Wiederbelebung des Verfassungsstaates" oder „Revolution und Kollaps".[5]

„Wenn es Putin gibt, dann gibt es Russland. Wenn es Putin nicht gibt, gibt es auch Russland nicht."

Wjatscheslaw Wolodin, Oktober 2014[6]

Vergleich mit anderen Herrschaftsformen
Marcel H. Van Herpen, Direktor der Cicero Foundation[7] , vergleicht den Putinismus mit dem Faschismus und anderen Regierungsformen. Er findet Übereinstimmungen des Putinismus mit Merkmalen des Bonapartismus, des italienischen Zwischenkriegsfaschismus Prägung und des Berlusconismus.[8] Alan Posener von der Zeitung Die Welt (bzw. wohl Welt Online) schrieb im Zusammenhang mit der Diskriminierung von Minderheiten in Russland: „Der Putinismus lebt davon, außen- und innenpolitische Feinde zu schaffen und sie propagandawirksam niederzuringen."[9]

Gemeinsamkeiten mit dem Bonapartismus
Mit dem Regierungssystem Napoleons III. sieht Marcel H. Van Herpen Gemeinsamkeiten, insofern auch der Bonapartismus durch einen allgegenwärtigen Geheimdienst, Zensur der Medien, ein formelles Mehrparteiensystem mit schwacher Stellung des Parlaments und ein Streben nach Vergrößerung des Territoriums sowie militärische Abenteuer gekennzeichnet war. Der Putinismus scheint Herpen aber insofern moderner, als die physische Repression durch Steuerung der öffentlichen Meinung über die Medien und Wahlmanipulationen ersetzt wurde.[10]

Unterschiede zur kommunistischen Diktatur
Der deutsche Politikwissenschaftler Manfred Sapper sieht vier Hauptunterschiede zur kommunistischen Diktatur: An der Stelle der Partei stehe „eine Vielzahl von Klans, Seilschaften und Netzwerken ..., die ihre materiellen Interessen befriedigen, indem sie ökonomisch relevante Ressourcen wie die exportfähigen Rohstoffbranchen kontrollieren und aus den Erlösen »Renten« abschöpfen." Des Weiteren gebe es keine messianische Ideologie mehr, statt Massengewalt stehe Willkür und Repression auf der Tagesordnung und die Grenzen seien offen, man könne das „System Putin" verlassen.[11] Für Markus Wehner beruht der Machterhalt einer modernen Diktatur vor allem auf Propaganda (und nicht wie früher auf Gewalt).[12]

Theoretiker des Putinismus
Als einen der Autoren dieses Systems bezeichnet sich der Politiker Wladislaw Surkow.[13]

Innenpolitik

Das Konzept manifestierte sich seit dem Amtsantritt von Putin 1999 als Nachfolger des zurückgetretenen Boris Jelzin durch den Kampf gegen die organisierte Kriminalität, die Finanzierung von Sozial- und Rüstungsausgaben durch die verstaatlichte Rohstoffausbeutung sowie durch einen Vorrang der öffentlichen Ordnung vor individuellen Freiheiten. Mit der Regierungsform der gelenkten Demokratie soll vor allem die Stabilität von Staat und Gesellschaft erreicht werden. Damit einher gehen Einschränkungen bei der Verwirklichung der Menschenrechte in Russland.[14] [15]

Außenpolitik

Nach Ansicht von Ulrich Menzel steht eine revisionistische Politik der Errichtung einer Einflusssphäre im postsowjetischen Raum im Zentrum des Putinismus. Dazu nutze Putin sowohl politische Mittel (z. B. Konfrontation in der UNO) als auch wirtschaftliche (z. B. Energierohstoffexporte) und militärische Methoden (z. B. Ukrainekrieg).[16]

Die Rolle westlicher Länder und Bündnisse sieht die Putin-Regierung kritisch, die NATO-Osterweiterung empfindet sie als Bedrohung der eigenen Sicherheit. Nach der Intervention im Kaukasuskrieg 2008 mit Georgien machte die Machtpolitik 2014 auch vor der Annexion der Krim, einem Gebiet des heute unabhängigen Staates Ukraine, nicht halt. Dabei werde, wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kommentierte, „das Recht des Stärkeren" gegen die „Stärke des Rechts" gestellt.[17]

Siehe auch

Portal: Russland  – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Russland

Literatur

  • Ronald J. Hill, Ottorino Cappelli (Hrsg.): Putin and Putinism. Routledge, Abingdon (Oxfordshire) 2013.
  • Marcel H. Van Herpen: Putinism: The slow rise of a radical right regime in Russia. Palgrave Macmillan, Basingstoke 2013.
  • Richard Sakwa: Russian Politics and Society. Routledge, London, New York 2008.
  • Richard Sakwa: Putin’s Leadership. Character and Consequences. In: Europe-Asia Studies, 60.2008, Nr. 6 (Sonderausgabe: Power and Policy in Putin’s Russia), S. 879–897.
  • Richard Sakwa: The Dual State in Russia. In: Post-Soviet Affairs, 26.2010, Nr. 3, S. 185–206.
  • Richard Sakwa: The Crisis of Russian Democracy. The Dual State, Factionalism and the Medvedev Succession. Cambridge University Press, Cambridge 2011.
  • Richard Sakwa: Modernisation, neo-modernisation, and comparative democratisation in Russia. In: East European Politics, 28.2012, Nr. 1, S. 43–57.
  • Walter Laqueur: Putinismus: Wohin treibt Russland? (Originaltitel: Putinism, Russia and Its Future with the West, 2015, übersetzt von Klaus-Dieter Schmidt), Propyläen, Berlin 2015, ISBN 978-3-549-07461-9.

Einzelnachweise

  1. Paul Baines, Nicholas O'Shaughnessy, Nancy Snow (Hsg): The SAGE Handbook of Propaganda Verlag SAGE, 2019, ISBN 9781526486257, S. 493
  2. Richard Sakwa: Analyse: Entwickelter Putinismus – Wandel ohne Entwicklung. Bundeszentrale für politische Bildung, 15. Juli 2013, abgerufen am 27. Dezember 2014. 
  3. Die blutigen Grenzen des Islam. In: Die Zeit , Nr. 37/2002
  4. Kremlkritiker behauptet: Wladimir Putin denkt über seinen Rückzug nach. In: FOCUS Online. (focus.de [abgerufen am 26. März 2018]). 
  5. Richard Sakwa: Analyse: Entwickelter Putinismus – Wandel ohne Entwicklung. Bundeszentrale für politische Bildung, 15. Juli 2013, abgerufen am 21. Februar 2015. 
  6. Julian Hans: Ohne Putin kein Russland. Süddeutsche Zeitung, 16. März 2015, abgerufen am 16. März 2015. 
  7. The Cicero Foundation. CiceroFoundation.org; abgerufen im 1. Januar 1 (englisch). 
  8. Van Herpen, 2013, 203.
  9. Alan Posener: Kein Führerschein für Transsexuelle in Russland. Welt Online; abgerufen am 11. Januar 2015
  10. Van Herpen, 2013, 7 f.
  11. Manfred Sapper: Putinismus in Aktion (Memento des Originals vom 22. Februar 2015 im Internet Archive )  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1 @2 Vorlage:Webachiv/IABot/brockhaus.de
  12. Markus Wehner: Putins Kalter Krieg: Wie Russland den Westen vor sich hertreibt. Verlag Knaur eBook, 2016, ISBN 978-3-426-43835-0, Kapitel 5: Russlands Informationskrieg
  13. Peter Pomerantsev: The hidden author of Putinism. (The Atlantic), abgerufen am 19. Dezember 2014
  14. Ljudmila Alexejewa: Human rights: The rise and fall of Putinism. Welt Online, abgerufen am 21. Dezember 2014
  15. Nach dem Demokratieindex ist Russland das undemokratischste Land in Europa. Weltweit liegt es in der vorletzten Gruppe der „Autoritären Regime". Neben der Zurückdrängung oppositioneller Medien wird zunehmend auch die freie Meinungsäußerung und das Demonstrationsrecht eingeschränkt.
  16. Ulrich Menzel: Wohin treibt die Welt? Bundeszentrale für politische Bildung, 21. Oktober 2016.
  17. Merkel in ihrer Regierungserklärung: Russland stellt Recht des Stärkeren gegen Stärke des Rechts (The Huffington Post), abgerufen am 19. Dezember 2014
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