Steven F. Sage. Ibsen and Hitler: The Playwright, the Plagiarist, and the Plot for the Third Reich. New York: Carroll and Graf, 2006. xiii + 370 pp. 27ドル.95 (cloth), ISBN 978-0-7867-1713-2.
Reviewed by Sylvia Taschka (Department of History, Friedrich Alexander Universität Erlangen)
Published on H-German (March, 2007)
Kein Hitler ohne Ibsen?
Steven F. Sage beginnt sein Buch mit zwei Grundannahmen: Erstens daß nur, wer Adolf Hitler versteht, auch das Dritte Reich, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust verstehen kann, und zweitens, daß Historiker sich nun seit Jahrzehnten ohne Erfolg die Zähne am Rätsel Hitler ausbeißen. Das Problem--so Sage in seiner "author's note" ganz am Anfang des Buches--sei am besten von dem niederländischen Schriftsteller Harry Mulisch beschrieben worden, der 2001 sagte, daß "by now a hundred thousand studies have been devoted to [Hitler], if not more ... but it hasn't gotten us anywhere." Ganz im Gegenteil, Hitler sei dadurch sogar "more incomprehensible" geworden (S. vi). Sage stimmt diesem Urteil des fragwürdigen Fachmannes vorbehaltlos zu, und er weiß zudem Abhilfe: "Yes, in this 100,001st study, new facts at last unlock the enigma to define the method of Hitler's madness" (S. vi-vii). Durch die neue, von Sage entdeckte Erkenntnis, daß Hitler den norwegischen Dramatiker Henrik Ibsen rezipiert hat, würde der Führer nämlich endlich verstehbar.
Diese weitreichende These versucht Sage in den insgesamt 15 folgenden Kapiteln zu belegen. Ohne Zweifel wird dabei deutlich, daß Hitler einige Stücke von Ibsen tatsächlich gelesen und auch in seinen eigenen ideologischen Schriften rezipiert hat. Verwunderlich ist das nicht, denn Hitler ist ja bekannt dafür, daß er kein originärer Denker war, sondern ein zutiefst eklektizistischer--das hat zuletzt Frank-Lothar Kroll in seiner ideengeschichtlichen Studie über Geschichtsdenken und politisches Handeln bei führenden NS-Ideologen anschaulich vor Augen geführt.[1]
Die Methoden, die Sage anwendet, um zu beweisen, daß Hitler von Stücken Ibsens beeinflußt wurde, scheinen bisweilen etwas unbeholfen: So stellt Sage beispielsweise Auszüge aus Ibsens Stück "Ein Volksfeind" (1882) einer Passage aus Hitlers Hauptwerk "Mein Kampf" (1925) gegenüber (er verwendet dabei der Übersichtlichkeit halber Spalten) und hebt dann durch Fettdruck bei Ibsen Wörter wie "aristocrats", "freethinker" oder "natural science" hervor, von denen Hitler zu Wendungen wie "aristocratic principle of Nature" inspiriert worden sei (S. 4-5). Abgesehen davon, daß sich der Leser fragt, wie sich das alles wohl in Hitlers Muttersprache und der entsprechenden deutschen Übersetzung Ibsens, die Hitler las, darstellt, gibt selbst Sage freilich zu, daß es sich dabei um "not quite a one-to-one congruence" handelt. Zudem hat er auch überzeugendere Übereinstimmungen gefunden, als die eben genannten, etwa wenn Hitler in einer seiner Tiraden plötzlich und scheinbar unvermittelt abfällig von "leather merchants" redet--eine Referenz, die Sage überzeugend auf Dr. Stockmanns Charakter in Ibsens Stück zurückführen kann. Aber abgesehen von solchen Übereinstimmungen in den Formulierungen seien--so Sage--natürlich die inhaltlichen Übereinstimmungen entscheidend, und hier muß man ihm in der Tat zustimmen.
So sind die stärksten Partien des Buches zweifelsohne die Kapitel, in denen Sage eindeutig zeigt, daß einige Stücke Ibsens tatsächlich nationalsozialistische Denker sowie Hitler selbst stark beeinflußt haben. Klar kann Sage das für Dietrich Eckart und dessen Umfeld nachweisen, zumal Eckart, der Gründungsmitglied der NSDAP und zeitweise Chefredakteur des Völkischen Beobachters war, bereits 1912 eine Bearbeitung des Ibsen Dramas "Peer Gynt" (1867) herausbrachte. Daß Eckart von Ibsens Stücken inspiriert wurde, ist freilich nichts Neues.[2] Und am Einfluß Eckarts auf Hitler, der seinem väterlichen Freund immerhin sein "Mein Kampf" widmete, zweifelt in der Forschung auch niemand.
Doch Sages eigentliche These fängt hier erst an: Hitler habe Ibsen nämlich nicht nur durch die Brille Eckarts gelesen, sondern ihn vor allem in den Jahren nach Eckarts Tod 1923 für sich selbst entdeckt und dann geradezu absorbiert. Vor allem drei seiner Stücke--Ein Volksfeind, Baumeister Solneß (1892) und Kaiser und Galiläer 1873)--haben es Hitler angetan, und zwar so sehr, daß er sie passagenweise gewissermaßen nachspielte. Zum Unglück der Menschheit hat Hitler als Bühne nicht das Theater, sondern die Realität gewählt. Angefangen mit dem mysteriösen Tod seiner Nichte Geli Raubal, über die sogenannte "Reichskristallnacht" 1938 und den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939 bis hin zu Hitlers Militärstrategie im Osten während des Zweiten Weltkrieges und dem Holocaust--zu alledem sei Hitler durch die exzessive Lektüre Ibsens eben genannter Stücke motiviert worden. Um nur ein Beispiel für die dabei von Sage angewandte Logik zu geben: Weil in dem Stück "Kaiser und Galiläer" Julian eine enge Weggefährtin verliert, bevor er Kaiser wird, ließ Hitler seine eigene intime Freundin Geli Raubal ermorden, noch dazu am selben Datum, an dem in einem der anderen seiner Lieblingsstücke einer der Hauptcharaktere stirbt. Das ist Beweis genug--zumindest für Sage.
Bei allem Respekt vor der textkritischen Quellenarbeit, die Sage unternommen hat, wirkt das alles doch höchst spekulativ. Auch scheint Sage in seiner unhinterfragten Annahme, daß Hitler mit seinen Taten sklavisch die Kunst Ibsens imitierte, die Möglichkeit außer Acht zu lassen, daß der Diktator bei allen Entscheidungen und Wendungen seines Lebens immer wieder Bestätigung in der Kunst gesucht hat, allerdings auch im Nachhinein. Wenn Hitler Tage nach dem Tod seiner geliebten Nichte sinniert, daß es vielleicht so kommen hatte müssen, damit er frei wurde, um seine Mission für das deutsche Volk erfüllen zu können, ist das noch lange kein Beleg dafür, daß er einen Auftragsmord begehen ließ. Mindestens genauso wahrscheinlich ist die Annahme, daß der Mann vielleicht Trost in der Literatur gesucht und gefunden hat.
Unangenehm ist schließlich der reißerische Ton, in dem das ganze Buch gehalten ist. Man fühlt sich beim Lesen bisweilen wie ein Zuschauer einer der zahlreichen Hitler-Sendungen, die irgendwo zwischen Sensationsgier und Bemühen um Aufklärung oszillieren, und einen trotz des Themas merkwürdig kalt lassen. Das liegt auch daran, daß die Persönlichkeit Hitler zwar zweifelsohne schillernd und interessant ist. Aber für sich alleingenommen kann derjenige, der behauptet, Hitler zu verstehen, uns nur wenig erklären. Denn die wirklich wichtige Frage lautet nicht "Wer war Hitler?", sondern vielmehr: Wie waren Hitler und die in seinem Namen begangenen Verbrechen in einem als zivilisiert geltenden Land möglich? Und bei der Antwort auf diese Frage ist die historische Zunft in den letzten Jahrzehnten doch weit gekommen, trotz aller verbleibenden Rätsel um die Person Hitlers.
Notes
[1]. Frank-Lothar Kroll, Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich (Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1998).
[2]. Uwe Englert, Magus und Rechenmeister. Henrik Ibsens Werk auf den Bühnen des Dritten Reiches (Tübingen: A. Francke, 2001).
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Sylvia Taschka. Review of Sage, Steven F., Ibsen and Hitler: The Playwright, the Plagiarist, and the Plot for the Third Reich.
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