Legisaktionenverfahren

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Das Legisaktionenverfahren (lat.: legis actio: (von lege agere) „Vorgehen aus Gesetz/Recht", Spruchformelklage, Legisaktionenprozess) stellte seit dem frühen republikanischen Recht in Rom die erste bekannte zivilprozessuale Verfahrensform dar. Der Prozess war strikt formalisiert und umfasste ein Handeln im Ritual und nach festen Spruchformeln.

Das römische Recht unterschied in der Zeit nicht zwischen Privatrecht und Zivilprozessrecht, weshalb mehrere Rechtsgebiete betroffen sein konnten. Weitestgehend war auch öffentliches Recht nicht abgrenzbar. Den antiken Quellen ist auch der kategoriale Grundbegriff des „Prozesses" fremd, die Sichtweise auf das Prinzip der Rechtswahrnehmung leitete sich allein aus agere her, dies mit der Bedeutung „durch Wörter bezeichnen".

Hauptquelle für das Verständnis der Verfahrensform der Legisaktionen ist der klassische Jurist Gaius mit seinem wegweisenden Werk, den Institutionen . Da die Legisaktionen zu seiner Zeit durch den Formularprozess bereits abgelöst waren, verglich er vorwiegend die Entwicklungsschritte der Modelle. Ein einheitliches Bild skizziert Sextus Pomponius, ebenfalls ein juristischer Klassiker, in seinem Enchiriodion .[1]

Etymologie des Begriffs

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Den aus lege agere beziehungsweise legis actio zusammengesetzten Begriff der Legisaktion leitete Gaius erkennbar bereits aus lex mit seiner Bedeutung „Gesetz" her. Zum Verständnis der Rechtsfigur der Legisaktion, muss etymologisch allerdings etwas weiter in die Vergangenheit zurückgegriffen werden. Die Forschung hebt bei actio – der Begriff rührt aus dem Verb ago beziehungsweise aio her – auf die Wortbedeutung des „Sprechakts" ab und nicht etwa auf „Klage", was der üblichen Wortverwendung entspricht. Der Genitiv legis aus lex wird gemeinhin mit dem Begriff „Gesetz" konnotiert, bedeutete ursprünglich aber „feierliche Spruchformel (mit juristischen Konsequenzen)". Trotz seines juristischen Bezugs, lag die Bedeutung der Aussage legis actio, epischer anmutend, bei „durch die Spruchformel mit juristischen Folgen sprechen".[2]

Unter den skizzierten Voraussetzungen wird deutlich, dass der Sinn und Zweck von actiones nicht allein auf das inhaltliche Streitgebaren im Prozess abstellten, sondern ebenbürtig die sprachlichen Festlegungen, die exakte Wortfolge im Rahmen eines determinierten Rituals, zu beachten waren. In diesem Sinne erlangen die hervorragenden altzivilen Rechtsfiguren der Vermögensverschiebung über die mancipatio oder der Herrschaftsaufgabe im Akt der in iure cessio , schließlich auch der manumissio von Sklaven eine über den prozessualen Rechtsakt im engeren Sinne hinausgehende Bedeutung.[3] In den folgenden Ausführungen wird zum besseren Verständnis gleichwohl am Sprachgebrauch der Moderne festgehalten.

Verfahrensgeschichte

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In seiner ursprünglichen vorrepublikanischen Form wurde das Prozessverfahren – Prozess verstanden als Gruppe von antiken förmlichen Verfahren unter Aufsicht einer dem Privaten übergeordneten Autorität – als einheitliches ausgetragen und fand unter Leitung eines Magistraten vor Geschworenen statt. Später, in der Zeit des Zwölftafelgesetzes, wurde es in zwei Verfahrensschritte aufgeteilt und der Begriff der legis actio eingeführt.[4] Dem Gerichtsmagistraten oblag nunmehr nicht mehr der Prozess in Gänze, sondern lediglich das Prozesseröffnungsverfahren (in iure). Der römische Prozesstyp wurde damit in zwei Verfahrensschritte aufgeteilt.

Für das Eröffnungsverfahren formulierte der Magistrat den Prozessgegenstand, die iudicii quaestio, wobei er aus einem Bestand fertiger Begriffe schöpfte.[5] Per Abgleich überprüfte er, inwieweit das Vorbringen der anwesenden Parteien einem der gewünschten Angriffs- beziehungsweise Verteidigungsmittel zugeordnet werden konnte. Die Streiteinsetzung durch den Träger der iurisdictio durfte nur an bestimmten Kalendertagen (dies fasti mit Kennzeichnung „F") stattfinden.[6] Im Regelfall forderte der Kläger (actor) den Beklagten (reus) dazu auf, ihm zum Gericht zu folgen (in ius vocatio); weigerte sich der, und stellte auch keinen Dritten, der ihn von dieser Pflicht befreien hätte können, durfte Gewalt zur Vorführung angewendet werden.

Bei Gericht musste sich der Beklagte auf die Klage einlassen (litis contestatio), konnte aber auch seine Gegenrechte geltend machen. Die Richtigkeit der jeweils behaupteten Tatsachen wurde in einem anschließenden zweiten Verfahrensschritt von einem ehrenamtlichen Laienrichter (iudex) im Prozess (apud iudicem) geprüft. Er ermittelte den Tatbestand (quaestio facti) und entschied den Rechtsstreit. Rechtsstreitigkeiten endeten allerdings nicht zwingend mit einem Urteil oder sonstigen hoheitlichen Entscheidung. Sie konnten auch mit anderen Akten und mit anderen genau bestimmten Worten und feierlichen Handlungen verknüpft, zu Ende geführt werden (confessio in iure). Bestellt wurde der Prozessrichter vom Kläger. Ob die Verfahrenszweiteilung den Zweck hatte, die Magistrate lediglich in ihrem Aufwand zu entlasten, oder ob die Herkunft der in iure-Prozesse aus dem archaischen Prinzip der privaten Schiedsgerichtsverfahren herzuleiten sind, die später einer „staatlichen Kontrolle" unterworfen wurden, liegt im Dunklen und ist in der modernen Literatur lebhaft umstritten.[7] Mit der organisatorischen Verfahrenstrennung nahm jedenfalls die Unterscheidung in Rechts- und Tatsachenfragen ihren Anfang.[8]

Als Gerichtsmagistraten fungierten zunächst Konsuln, ab 367 v. Chr. Prätoren.[9] Sie überprüften, welche Rechtsquellen für die geltend gemachten Ansprüche einschlägig waren. Dafür kamen vornehmlich kodifiziertes Zwölftafelrecht und (ungeschriebenes) Gewohnheitsrecht in Betracht, Rechtsquellen, die dem ius civile unterlagen. Nach modernem Verständnis handelte es sich am ehesten um eine Art von Zulässigkeitsprüfung, denn der Magistrat konnte den Prozess entsprechend der befundenen Voraussetzungen sowohl verweigern (actionem denegare) als auch gewähren (actionem dare). Ließ er den Prozess zu, hatte sich der Beklagte auf ihn einzulassen und daran mitzuwirken (Streitfestsetzung: litis contestatio). Für das festgelegte Prozessprogramm wählte der Magistrat sodann die Geschworenen aus und gab seinen Vorsitz bekannt, im Rahmen der späteren zweigeteilten Verfahrensformen, den des Richters aus der Richterliste.

Das Anforderungsprofil des Prozessprogramms soll bereits bei den pontifices (als Träger der Jurisdiktionsgewalt) entwickelt worden sein.[7] [10] Der ermächtigte Richter hatte strikte Anweisung, nach den vorgegebenen Prozessformeln (iudicia stricta) zu verhandeln. Seine Urteilskompetenz erschöpfte sich im Abgleich des geltend gemachten Anspruchs, gegebenenfalls nach Beweisaufnahme, mit der Prozessformel. Diese musste sich wiederfinden oder zumindest umschrieben sein. Der kleinste formale Fehler in der Wortfindung oder im Ritus, führte unwiederbringlich zum Verlust des Prozesses.[11] Um zu einem Urteil kommen zu können, durfte er Beweiserhebungen durchführen und Schätzungen (aestimationes) vornehmen. Im letzteren Fall fungierte der Richter als Schiedsrichter (arbiter).[12] Überliefert sind als klassische Spruchformelverfahren die Mancipation , zur Frage der verbindlichen Regelung von Eigentumsübertragungen und die Stipulation , die rechtsverbindliche förmliche Erklärungen zum Gegenstand hatte.

Insgesamt sind fünf Formen des Legisaktionenverfahrens bekannt. Drei bezogen sich auf das Erkenntnisverfahren, zwei auf die Zwangsvollstreckung.[13] Die drei legis actiones des Erkenntnisverfahrens waren dialogisch aufgebaut und zweigeteilt. Da nur der Kläger bei den anderen beiden Verfahren die Initiative ergriff, wurden sie in einem Satz durchverhandelt und erscheinen heute als Vollstreckungsverfahren. Einige der Klagetypen sind älter als die XII Tafeln, finden ihre Wurzeln in unvordenklicher Zeit.[7]

Die älteste Legisaktion war die – vom Hochklassiker Gaius noch als actio generalis bezeichnete – legis actio sacramento . In ihr war nicht der zu verhandelnde Streitgegenstand selbst abgebildet; die Klage ordnete eher kultisch-religiöse „Prozesswetten" (sacramenta) an, die im Laufe ihrer weiteren Entwicklung dann zunehmend säkularisiert wurden. Über Streitgegenstand und Rechtsfolgen wurde mittelbar mitentschieden, was Züge eines Indizienprozesses in sich trug. Allerdings geriet dieser archaische Klagetyp irgendwann ins Abseits, da das Prinzip von Inzidentfeststellungen einer sich zunehmend vom Kaiser gestalteten römischen Wirtschaft kaum mehr gerecht wurde.

Parallel entwickelte sich die legis actio per iudicis arbitrive postulationem für Streitigkeiten, die sich aus feierlich versprochenen Gelöbnissen (sponsiones) oder Darlehensgeschäften (certae pecuniae) ergaben. Nach Auskunft Gaius’ war die Klage in den XII Tafeln geregelt. Da neue gesetzliche Regelungen diese Entwicklung begleiteten, wandelte sich auch die Funktion des Richters, der nicht mehr nur iudex, sondern auch arbiter war. Ihm oblag alsbald die Hoheit, neben seiner Richtertätigkeit als Schlichter und Schätzer aufzutreten. Von besonderem Belang war diese Doppelfunktion insbesondere bei Teilungsanordnungen, die bei der Auseinandersetzung von Eigentumsverhältnissen erwuchsen. In Abweichung zum vorbeschriebenen Klagetyp, betraf das Urteil die Rechtsfolgen unmittelbar, denn der Beklagte wurde hier zu einer Leistung „verurteilt". Ähnlichen Typs war die legis actio per condictionem , die einen nicht weiter bekannten Anwendungsbereich hatte und durch „jüngere" Gesetze ins Leben gerufen worden sein soll.

Für das Vollstreckungsverfahren kamen die legis actio per manus iniectionem und die legis actio per pignoris capionem zum Einsatz. Im ersteren Fall fand der Vollstreckungszugriff in iure durch manus iniectio, Handanlegen an die Person des Beklagten, statt. Die Vollstreckungshandlung des Ergreifens des Beklagten beruhte auf vorangegangenem Urteil. Einen ursprünglich sehr engen Anwendungsbereich hatte die legis actio per pignoris capionem, denn mit ihr wurden Urteile vollstreckt, die auf die Leistung des Wehrsolds abzielten. Später erweiterte sich ihr Anwendungsbereich auf alle sakralen oder öffentlichen Forderungen gegen Dritte, die einer Pfandsicherung bedurften.

Spätere Entwicklungen

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Im Laufe des 2./1. Jh. v. Chr. wurde das Legisaktionenverfahren mit seinen festen Spruchformeln zunehmend vom Formularprozess verdrängt und von Augustus 17 v. Chr. (mit wenigen Ausnahmen) abgeschafft.[14] In der weiteren Entwicklung der römischen Prozessgeschichte wurde dann auch der Formularprozess wieder abgelöst, denn ab dem 3. Jahrhundert trat sukzessive der Kognitionsprozess in Erscheinung. 342 n. Chr. löste dieser Prozesstyp den Formularprozess dann endgültig ab.[15]

Einzelnachweise

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  1. Pomponius, Enchiridion des Pomponius. In: Digesten 1,1,2,6.
  2. Mario Varvaro: Die Legisaktionen. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Band 1 §§ 1–58. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5, S. 321–341, hier S. 321 und 323 f. (Rn. 1 f. und 10 f.).
  3. Grundlegend, Raimondo Santoro, in: Società e diritto nell’epoca decemvirale. Atti del convegno di diritto romano. (Copanello 3–7 giugno 1984, 1988).; ebenfalls Raimondo Santoro, in: Annali del Seminario Giuridico dell’Università di Palermo (AUPA), Band 41 (1991), S. 293–308.
  4. Marie Theres Fögen: Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-518-58155-4, S. 127 f.
  5. Folker Siegert: Charakteristika des römischen Rechts. Aus dem Buch Band I Einleitung. Arbeitsmittel und Voraussetzungen, hrsg. von Folker Siegert. Berlin, Boston, De Gruyter, 2023. S. 56.
  6. Mario Varvaro: Die Legisaktionen. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Band 1 §§ 1–58. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5, S. 321–341, hier S. 325 (Rn. 17).
  7. a b c Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht. Böhlau, Wien 1981 (9. Auflage 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 368–374 (368).
  8. Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4, § 1 Rnr. 2 und 22.
  9. Max Kaser: „Zur legis actio sacramento in rem". In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung), Band 104, Heft 1, 1987, S. 53–84, hier S. 55 (Rn. 6).
  10. Gaius: Institutiones, 4,11–29.
  11. Gaius, Institutiones 4,30.
  12. Heinrich Honsell: Römisches Recht. 5. Auflage, Springer, Zürich 2001, ISBN 3-540-42455-5, S. 84–86 (85).
  13. Vgl. zu dem Themenkomplex, Gaius, Institutiones 4,30 und 31.; auch 4,11 und 12.
  14. Max Kaser, Karl Hackl: Das römische Zivilprozessrecht. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage; neu bearbeitet von Karl Hackl. 2. Auflage. Beck, München 1996, ISBN 3-406-40490-1. 
  15. Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4, § 1 Rnr. 22; Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht. Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 386–388.
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