EU-Vergleich

Nur in Italien werden mehr Steuern hinterzogen als in Deutschland

Veröffentlicht am 28.01.2019Lesedauer: 4 Minuten

825 Milliarden Euro: Diese enorme Summe geht jährlich an den Staatskassen der EU vorbei. Das zeigen Schätzungen des Ökonomieprofessors Richard Murphy. Allerdings hat die Steuerhinterziehung insgesamt abgenommen.

Quelle: WELT / Kevin Knauer

Jedes Jahr entgehen den EU-Staaten Schätzungen zufolge rund 825 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung – ein Großteil davon in Deutschland. Statt die Betrüger zu verfolgen, bekämpft die Politik lieber ein kleineres Problem.

Steuersünder-CDs, Razzien zu früher Morgenstunde, gestopfte Steuerschlupflöcher, neue Gesetze und höhere Strafen: Hat all das, was in den letzten Jahren quer durch die EU gegen Steuerhinterzieher unternommen wurde, eigentlich etwas bewirkt? Es sieht danach aus, glaubt der britische Ökonomieprofessor Richard Murphy. Die Schattenwirtschaft schrumpft. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Die Erfolge sind immer noch vergleichsweise bescheiden. Und der Schaden durch Steuerhinterzieher, Betrüger und Schwarzarbeiter gigantisch.

Murphy schätzt, dass die Schäden durch Steuerhinterziehung seit 2012 um rund 100 Milliarden Euro gesunken sind. Das wären nach der Berechnung des Ökonomen inflationsbereinigt 11,8 Prozent. Doch weiterhin entgeht dem Fiskus eine sehr viel größere Summe. Der frühere Wirtschaftsprüfer und Steuerberater kommt bei einer Analyse zum „Tax Gap", der Steuerlücke der EU, auf 825 Milliarden Euro. Damit könnte der gesamte EU-Jahresetat finanziert werden – und das sogar fast fünf Mal.

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Die Berechnung des Briten, der an der City University of London lehrt, basiert auf Schätzungen der EU-Staaten etwa zur Mehrwertsteuer-Lücke. Diese sind naturgemäß statistisch nicht verlässlich zu ermitteln, was die Aussagekraft der Zahlen relativiert. Auch analysieren laut Murphy gerade mal 15 der 28 EU-Staaten überhaupt, was ihnen an Steuern durch Betrug verloren geht, und das zum Großteil auch nur ansatzweise.

Klar ist aber: Die größte Steuerlücke, absolut gesehen, klafft in Italien auf, gefolgt von Deutschland und Frankreich. Dem italienischen Fiskus gehen jährlich vermutlich rund 190 Milliarden Euro durch die Lappen, in Deutschland sind es schätzungsweise 125 Milliarden Euro, in Frankreich 117. In Relation zur Wirtschaftsleistung sind die Ausfälle neben Italien auch in Rumänien, Zypern und Griechenland besonders hoch.

Altbekannte Forderungen, die kaum umsetzbar sind

Murphy erforscht seit Jahren Steueroasen und Steuerbetrug. Seine Ratschläge sind bei Parlamentariern und Regierungsorganisationen gefragt. Im Auftrag der Sozialisten und Sozialdemokraten im EU-Parlament (S&D) hat er sich nach 2012 zum zweiten Mal mit der Einnahmelücke befasst. Als Datenbasis diente damals das Jahr 2009, als die Finanzkrise gerade ausgebrochen war. In der aktuellen Studie bezieht sich Murphy auf die letzten verfügbaren Daten von 2015.

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„Die neuen Zahlen müssen dazu führen, das Problem noch viel ehrgeiziger anzugehen", fordert Udo Bullmann, Chef der SPD-Fraktion im EU-Parlament. „Während uns die Konservativen und Liberalen weismachen wollen, dass wir knappe öffentliche Kassen nur mit schmerzlichen Einschnitten zulasten der Bevölkerung sanieren könnten, zeigt unsere Studie, dass es auch anders geht." Aber wie eigentlich?

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Die S&D hat zwar, sozusagen im Aufgalopp zur Europawahl, der Analyse einen Fünf-Punkte-Plan beigefügt. Doch darauf finden sich altbekannte Forderungen, die wenig Chancen auf Durchsetzung haben, etwa, in die schwarze EU-Liste der weltweiten Steueroasen auch jene innerhalb der EU aufzunehmen. Auch sollen alle EU-Staaten zu Ausfallschätzungen verpflichtet werden. Mit Forderungen wie einer Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen oder der Abschaffung fragwürdiger Steuerregelungen geht es den Sozialisten aber in erster Linie um die Steuervermeider.

Forscher Murphy zufolge ist aber die Steuerhinterziehung das „substanziell größere" Problem für die Volkswirtschaften der EU. Er schätzt, dass der EU-weite Schaden durch aggressive Steuervermeidung – also die Ausnutzung von Steuerschlupflöchern, die zwar vom Gesetzgeber so nicht vorgesehen war, aber noch als legal gelten kann – zwischen 50 und 190 Milliarden Euro liegt. Dagegen steht der sehr viel größere Batzen an illegaler Steuerhinterziehung.

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Dafür ist laut Murphy vor allem die Schattenwirtschaft verantwortlich, mit anderen Worten: Schwarzarbeit. Dieser große und weit verbreitete Bereich der Bargeld-Wirtschaft reiche vom illegalen Bauarbeiter über nicht deklarierte Pflegekräfte oder Kellner bis zu Nachhilfelehrern, die „unter der Hand" arbeiten, so Murphy. Tatsächlich beschert Schwarzarbeit einer gerade präsentierten Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) allein in Deutschland jährlich Umsatzeinbußen von rund 300 Milliarden Euro. Leidtragende sind neben dem Fiskus vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen, denen Aufträge entgehen.

Ein europaweites großes Problem ist auch der Mehrwertsteuerbetrug. Der Europäischen Union entgehen laut EU-Kommission jährlich Einnahmen von knapp 150 Milliarden Euro durch Kriminelle. Die zentrale Schwachstelle im Kampf gegen Steuersünder, die mit hoher krimineller Energie agieren, ist nach Einschätzung des CSU-Finanzexperten Markus Ferber die mangelnde grenzüberschreitende Kooperation zwischen Finanzämtern. „Oftmals sind zwar alle notwendigen Informationen da, um einen Fall einschätzen zu können. Sie befinden sich aber nur verstreut bei unterschiedlichen Steuerbehörden und werden nicht zusammengesetzt", kritisiert der Europaabgeordnete.

Auf Initiative des finanzpolitischen Sprechers der Grünen, Sven Giegold, macht sich das Parlament zwar für eine stärkere Unterstützung des eines Programms namens Fiscalis stark. Es kann Steuerbehörden beim Informationsaustausch und bei gemeinsamen Steuerprüfungen unterstützen, auch über Ländergrenzen hinweg. Doch es hat ein Jahresbudget von derzeit 34 Millionen Euro, das ab 2021 unter Umständen auf 42 Millionen Euro aufgestockt werden soll. Wie ein besonders scharfes Schwert im Kampf gegen Geldwäscher, Steuerhinterzieher und kriminelle Banden, Milliarden durch die Steueroasen dieser Erde schicken, wirkt das nicht.


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