Aus Wuppertal in die Welt
Treibgut Kunst
Nicht nur Bücher, auch Bilder haben ihre Schicksale. Daran erinnert das Von der Heydt-Museum in Wuppertal zu seinem hundertjährigen Bestehen. In der Sonderausstellung „Imaginationen" (bis 12. Januar) werden Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen gezeigt, die einst den namengebenden Sammlern August und Eduard von der Heydt gehörten.
Allerdings sind unter den rund 90 Werken knapp ein Viertel lediglich „in effigie", also nur als Reproduktionen, anwesend. Dazu gehört beispielsweise Picassos „Akrobat und junger Harlekin" von 1905. August von der Heydt hatte die Gouache 1911 in Paris bei der Galerie Marseille & Vildrac für 1200 Reichsmark (RM) erworben. Er übergab sie dem Elberfelder Museumsverein, dessen Vorsitzender er war. Und seitdem hing sie im Städtischen Museum – im Inventarbuch mit 2500 RM bewertet. Es war der erste „Picasso" in einem deutschen Museum. Aber das war ihm nur eine Heimat auf Zeit. 1937 wurde er als „Entartete Kunst" beschlagnahmt und im Schloss Niederschönhausen deponiert – nun auf 10 000 RM taxiert.
Bei der ominösen Versteigerung „entarteter Kunst" durch die Galerie Fischer in Luzern, die den Nazis Devisen einbringen sollte, erwies sich der Picasso als lukrativ. Für 80 000 Schweizer Franken erwarb ihn Roger Janssen aus Brüssel. Knapp ein halbes Jahrhundert später, im November 1988 finden sich „Akrobat und junger Harlekin" erneut in einem Auktionskatalog: Provenienz „Privatsammlung Arizona". Der Zuschlag von 20,9 Millionen Pfund (damals 66,2 Mio. Mark), den Christie’s in London erzielten, war der höchste Preis der Saison und zu dieser Zeit dritthöchste bei einer Auktion. Aber für den Käufer, den japanischen Kaufhauskonzern Mitsukoshi, sollte es keine Investition auf Dauer sein. Der Picasso wanderte bald weiter an den griechischen Reeder Niarchos und inzwischen hängt er als „Leihgabe aus Privatsammlung" im Kunsthaus Zürich – unerreichbar für Wuppertal. Selbst ein Foto wurde verweigert, so dass man es sich anderswo besorgen musste.
Es ist aber nicht das einzige „Geisterbild" im Von der Heydt-Museum. Auch Corots „Felsenküste" durfte nicht nach Wuppertal reisen. Baron von der Heydt hatte es seinerzeit der Berliner Nationalgalerie geliehen, die es während des Zweiten Weltkrieges in dem Flakturm am Zoo sicher zu bewahren hoffte. Doch von dort ging es wie viele andere Kunstwerke als „Beutekunst" in die Eremitage nach Leningrad/St. Petersburg.
Wuppertaler Museumsbesitz verschwand jedoch nicht nur in Richtung Osten. Zehn Gemälde – u. a. von Teniers d. J., Ingres, Delacroix, Theodore Rousseau, Boudin – und eine Zeichnung von Renoir sind ebenfalls nicht als Original zu sehen. Sie waren während des Krieges auf die Festung Ehrenbreitstein ausgelagert worden. Und da Koblenz zur französischen Besatzungszone gehörte, kehrten sie nach Kriegsende nicht wie die anderen ausgelagerten Bilder zurück nach Wuppertal, sondern wurden als „Récupération" (Rückgewinnung) nach Paris gebracht.
Diese Bilder hatte das Museum zwischen 1940 und 1942 gekauft und ordentlich bezahlt. Doch das geschah im besetzten Frankreich. Und da von den sieben Kunsthändlern, bei denen diese Gemälde erworben wurden, sich immerhin fünf – Etienne Bignou, Martin Fabiani, Raphael Gérard, Alice Manteau und André Schoeller –auf Geschäfte mit den Nazis eingelassen hatten, besteht, obwohl über die Vorbesitzer bislang nichts bekannt wurde, der Verdacht, sie könnten zu den vielen Kunstwerken aus jüdischem Besitz gehören, die die deutsche Besatzung requirierte. Der Louvre, um diese Gemälde gebeten, teilte deshalb mit, ein Ausleihen sei nicht möglich, weil er nicht Eigentümer sei.
Auch Bilder haben ihre Schicksale – und eine unsichere Zukunft, wenn sie eine ungeklärte Vergangenheit haben.