Photograph of Lothar with his sisterSeit die Hintergründe über den kombinierten Angriff der USAF (United States Air Force) und RAF (Royal Air Force) auf Dresden bekannt geworden sind, den meisten durch den Roman "Slaughterhouse Five" ("Schlachthof Fünf") von Kurt Vonnegut, gab es schon große Streitereien, warum dieser entsetzliche Angriff als unvermeidlich betrachtet wurde.
Die Stadt hatte keine nennenswerten militärischen Ziele und es war bekannt, dass sie mit zivilen Flüchtlingen aus dem Osten gefüllt war. Hier ist ein Augenzeugenbericht von Lothar (hier mit seiner Schwester), als Neunjährigem, welcher überlebte.
Es war der 13. Februar 1945. Ich lebte mit meiner Mutter und Geschwistern
(13; 5 und 5 Monate alte Zwillinge) in Dresden und freute mich meinen
10. Geburtstag am 16. Februar zu feiern. Mein Vater, ein Zimmermann,
war seit 1939 Soldat und wir bekamen seinen letzten Brief im August
1944. Meine Mutter war sehr traurig, als ihre Briefe zurückkamen
mit der Aufschrift: "Nicht auffindbar". Wir lebten in einer
Drei-Zimmer- Wohnung im vierten Stock in einer Arbeitergegend in unserer
Stadt. Ich erinnere mich daran, wie ich den Faschingsdienstag (13.
Februar) zusammen mit anderen Kindern gefeiert habe. Die Kriegsaktivitäten
im Osten kamen näher und näher. Viele Soldaten gingen nach
Osten und viele Flüchtlinge gingen nach Westen durch unsere Stadt
oder blieben hier, auch während des Luftangriffs in der Nacht
vom 13./14. Februar.
Um 21.30 Uhr wurde Alarm gegeben. Wir Kinder kannten diesen Ton, wir standen auf und zogen uns schnell an, um eiligst in den Keller hinunterzukommen, welchen wir als Luftschutzbunker nutzten. Meine ältere Schwester und ich nahmen die kleinen Zwillingsschwestern, meine Mutter nahm einen kleinen Koffer und die Flaschen mit Milch für die Babys. Im Radio hörten wir voller Schrecken die Meldung: "Achtung, ein großer Luftangriff kommt über unsere Stadt!" Diese Nachricht werde ich niemals vergessen.
Einige Minuten später hörten wir einen schrecklichen Lärm - die Bomber. Dann kamen pausenlos Explosionen. Unser Keller war gefüllt mit Feuer und Rauch und wurde beschädigt, die Lichter gingen aus und verwundete Menschen schrieen schmerzerfüllt. Voller Angst mühten wir uns den Keller zu verlassen. Meine Mutter und meine ältere Schwester nahmen den großen Korb, in welchem die Zwillinge lagen. Mit einer Hand packte ich meine jüngere Schwester und mit der anderen fasste ich den Mantel meiner Mutter.
Wir erkannten unsere Straße nicht mehr wieder. Feuer, nur Feuer, wo auch immer wir hinsahen. Unser 4. Stock existierte nicht mehr. Die zerstörten Überreste unseres Hauses brannten. Auf den Straßen waren brennende Autos und Karren mit Flüchtlingen, Menschen, Pferden, jeder von ihnen schrie und rief in Todesangst. Ich sah verletzte Frauen, Kinder, alte Leute einen Weg durch Ruinen und Flammen suchend.
Wir flohen in einen anderen Keller, einen überfüllten mit Verletzten und besorgten Männern, Frauen und Kindern, sie schauten, schrieen und beteten. Kein Licht, ausgenommen einige elektrische Taschenlampen. Und dann plötzlich begann der zweite Angriff. Dieser Keller wurde ebenfalls getroffen und so flohen wir von Keller zu Keller. Viele, so viele verzweifelte Menschen kamen von den Straßen herein. Es zu beschreiben wäre unmöglich! Explosion um Explosion. Es war jenseits aller Vorstellungskraft, schlimmer als der furchtbarste Albtraum. So viele Menschen waren schrecklich verbrannt oder verletzt. Es wurde immer schwieriger zu atmen. Es war dunkel und jeder von uns versuchte den Keller in unfassbarer Panik zu verlassen. Tote und sterbende Menschen wurden zertrampelt, Gepäck blieb liegen oder wurde von Helfern aus den Händen gerissen. Den Korb mit unseren Zwillingen, welche mit nasser Kleidung bedeckt waren, riss man meiner Mutter aus den Händen und wir wurden von den Leuten hinter uns die Treppen hinauf gestoßen. Wir sahen die brennende Straße, die einstürzenden Ruinen und den schrecklichen Feuersturm. Meine Mutter bedeckte uns mit nassen Decken und Mänteln, die sie in einem Wasserbottich fand.
Wir sahen furchtbare Dinge: verbrannte Erwachsene geschrumpft auf die Größe eines Kleinkinds, Teile von Armen und Beinen, tote Menschen, ganze zu Tode verbrannte Familien, brennende Menschen, die hin- und herrannten, brennende Wagen, gefüllt mit zivilen Flüchtlingen, tote Helfer und Soldaten, viele riefen und suchten nach ihren Kindern und Familien, und Feuer überall, überall Feuer, und die ganze Zeit dieser heiße Wind des Feuersturms, welcher die Menschen zurück in die brennenden Häuser trieb, aus welchen sie zu entkommen versuchten.
Ich kann diese schrecklichen Details nicht vergessen. Ich kann sie niemals vergessen.
Jetzt besaß meine Mutter nur noch eine kleine Tasche mit unseren Personalausweisen. Der Korb mit den Zwillingen war verschwunden und kurz darauf verschwand meine ältere Schwester ebenfalls. Obwohl meine Mutter unmittelbar nach ihr suchte, war es vergebens. Die letzten Stunden dieser Nacht fanden wir einen Bunker im Keller eines nahen Krankenhauses, umgeben von schreienden und sterbenden Menschen. Am nächsten Morgen suchten wir nach meiner Schwester und den Zwillingen, doch ohne Erfolg. Das Haus, wo wir lebten, war eine einzige brennende Ruine. Das Haus, in dem wir unsere Zwillinge zurückgelassen hatten, konnten wir nicht betreten. Soldaten sagten, jeder sei zu Tode verbrannt und wir sahen meine zwei kleinen Geschwister niemals wieder.
Total erschöpft,
mit verbranntem Haar, bösen Verbrennungen und verwundet durch
das Feuer liefen wir zur Loschwitz -Brücke, wo wir gute Menschen
fanden, welche uns erlaubten uns zu waschen, zu essen und zu schlafen.
Jedoch nur für kurze Zeit, denn plötzlich begann der zweite
Luft-Angriff (14. Februar) und dieses Haus wurde ebenfalls zerbombt
und die letzten Ausweispapiere meiner Mutter verbrannten. Völlig
erschöpft eilten wir über die Brücke (die Elbe) mit
vielen anderen heimatlosen Überlebenden und fanden eine andere
Familie, die bereit war uns zu helfen, weil ihr Heim diesen Horror
irgendwie überstanden hatte.
Während dieser ganzen Tragödie hatte ich meinen 10. Geburtstag komplett vergessen. Aber am nächsten Tag überraschte mich meine Mutter mit einem Stück Wurst, welches sie vom "Roten Kreuz" erbettelte. Das war mein Geburtstagsgeschenk.Dresden - the burnt city
Die nächsten Tage und Wochen suchten wir nach meiner älteren Schwester, doch ohne Erfolg. Wir schrieben unsere derzeitige Adresse an die übriggebliebenen Wände unseres zerstörten Hauses. Mitte März wurden wir evakuiert in ein kleines Dorf nähe Oschatz und am 31. März bekamen wir einen Brief von meiner Schwester. Sie war am Leben! Sie hatte uns in dieser verheerenden Nacht verloren und mit anderen verlorenen Kindern wurde sie in ein nahe gelegenes Dorf gebracht. Später fand sie unsere Adresse an der Wand unseres Hauses und Anfang April brachte sie unsere Mutter in unser neues Zuhause.
Sie können
sicher sein, dass die schrecklichen Erfahrungen dieser Nacht in Dresden
zu verwirrenden Träumen, schlaflosen Nächten führten
und unsere Seelen zutiefst aufwühlten, bei mir und dem Rest meiner
Familie. Jahre später dachte ich intensiv über die Gründe,
die politischen Zusammenhänge dieser Nacht nach. Dies wurde sehr
wichtig für mein späteres Leben und meine zukünftigen
Entscheidungen.
Lothar
Metzger
Berlin, Mai 1999
Übersetzung:
Christian Schelinski
Betreuung: Dietmar Rössler
Ickstatt - Realschule Ingolstadt