Hackethal: »Ich lasse keinen Arzt ran«
Äußerlich ist ihm nichts anzumerken: Da stimmt das Ambiente -- herrschaftliche Villa mit Blick auf die Elhe. großer Mercedes und reichlich Personal.
Und es stimmt der Auftritt à la Sauerbruch. Für seine 13 Angestellten ist er »der Chef« ein Mann, dessen Kraft, auch im Umgang mit den Patienten, unerschöpflich scheint.
Zwölf Stunden am Tag rotiert er in dem halben Dutzend Behandlungsräumen seines Lauenburger » Praxishauses«. einer weißen Villa aus kaiserlicher Zeit.
Zehn Stunden ohne Pause steht er am OP-Tisch. Und noch immer
trotz aller Fehden -- schicken die Arzte aus der Umgehung dem Spezialisten für »Chirurgie des Bewegungssystems' die Lahmen und die Krummen: Hackethal, das bezweifelt niemand, macht solchen Kranken wieder Beine. Ein guter Arzt.
Aber nach Praxisschluß, oder am liebsten morgens im Bett, so zwischen fünf und sieben, wenn die Welt noch in Ordnung ist, heckt er seine Bücher aus. Dann diktiert er die Schriftsätze und Widerklagen aufs Tonband, die gefürchteten Kunstfehler-Gutachten und die polemischen Zeitungsartikel der schlimme Doktor Hackethal.
Im Fernsehen, in der Bremer Talk-Show »III nach neun« vorletzte Woche. schockte er live vor der Kamera ein Millionenpublikum. Originalton Hackethal:
»Man muß den Patienten sagen. in welche Gefahr sie sich begeben, wenn sie zu einem Arzt gehen »Ich bin der festen Überzeugung, daß die Medizin mehr krank macht als gesund:'
Die ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen gegen den Prostatakrebs sind für Hackethal ein Modellfall für das unnütze, ja lebensgefährliche Tun westdeutscher Ärzte, Deshalb:
»Meinen männlichen Geschlechtsgenossen kann ich nur raten: Laufen Sie, so schnell Sie können, wenn Sie einen Urologen sehen!«
Die Wirkung solcher Sätze war abzulesen an der Reaktion im Studio. »Erschütternd« finde er es, empörte sich ein Facharzt für Urologie vor der Kamera, wie der Professor Hackethal hier »als Solist« auftrete und gegen die Mediziner spreche. »Ich gebe meinen Beruf auf, wenn es so ist, wie Sie das hier dargestellt haben.«
Und eine Frau aus dem Publikum fragte verwirrt: »Wenn Sie hier sagen »Vorsicht, Arzt', was, bitte, sollen wir Patienten dann tun?«
Nach der Sendung, in der Morgenzeitung, ging es weiter. In der »Bild«-Schlagzeile (26. September) wurde der »Prof. Hackethal« zitiert: »Mutti hat Krebs ... aber ich lasse keinen Arzt ran!« Mit warmen Brustwickeln und Kamillendämpfen habe er den Lungenkrebs seiner 79jährigen Mutter behandelt. Der Professor: »Operation? Nie! Meine Kollegen Chirurgen würden Mutter sofort umbringen.«
So geharnischt -- oder nur bodenlos dreist? -- will Julius Hackethal, 56' nun auch den nächsten Sprengsatz zünden. Im November soll sein neues Buch erscheinen -- Titel: »Keine Angst vor Krebs?«, Untertitel: »Gegen die schulmedizinische Rabiat-Strategie« -, aus dem der SPIEGEL vom nächsten Heft an Teile vorabdrucken wird.
Mit seinen neuen Thesen erzwang Hackethal den Showdown mit der westdeutschen Schulmedizin. Zur »Generalabrechnung« mit dem Chirurgen-Schreck rief denn auch der Papst der westdeutschen Urologen auf, der langjährige Leiter der Deutschen Gesellschaft für Urologie. Professor Carl-Erich Alken aus Homburg (Saar): Am IX. Oktober will der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer in einer Pressekonferenz zu Hackethals Thesen Stellung nehmen. Alkens Urteil steht schon fest: »Geradezu verbrecherisch.«
Nicht ganz freiwillig lassen sich die Ordinarien für Nieren- und Blasenleiden (Urologie) herbei, auf Hackethals Vorwürfe im einzelnen einzugehen. Sie wurden vom Bonner Gesundheitsministerium ausdrücklich darum ersucht.
»Da führt nichts daran vorbei, daß Sie sich stellen müssen«, hatte Professor Manfred Steinbach, der im Gesundheitsministerium für die Prostata-Vorsorgeuntersuchungen zuständig ist, dem Ketzer aus Lauenburg gesagt, als er ihn kürzlich auf dem Mainzer Naturheilkunde-Kongreß traf. Und weiter: »Wenn Sie recht haben, dann sind wir zum Kurswechsel gezwungen.«
Träfe Hackethals Behauptung zu, daß Vorsorgeuntersuchungen. insbesondere gegen den Krebs der Vorsteherdrüse (Prostata-Karzinom) nicht nur unnütz, sondern sogar schädlich seien, dann wäre mehr als eine halbe Krankenkassen-Milliarde fehlinvestiert. Das seit 1971 gesetzlich verankerte Vorsorgeprogramm stünde in Frage.
»Es kann ja sein«, so der Ministerialbeamte Steinbach, »daß die Urologen selber betriebsblind sind.« Deswegen habe er sich »um die Vorwürfe des Herrn Hackethal kümmern müssen« -- die Bundesärztekammer müsse Stellung beziehen.
»Vorsorgeuntersuchung ist halbe Selbstverstümmelung«, so hatte Hackethal auch schon vor dem gesamten deutschen Fernsehvolk' im ZDF"Gesundheitsmagazin Praxis«, sein Verdikt zusammengefaßt.
Bezogen auf die Prostata-Vorsorgeuntersuchung, die einmal jährlich allen Männern über 45 Jahre anempfohlen wird, meint der Professor:> Auch beim früh erkannten, mithin früh behandelten Prostata-Krebs gäbe es keinen gesicherten Beweis. daß irgendeine Therapie das Leben dieser Patienten verlängere -- daher sei Früherkennung nutzlos.> Die meisten Prostata-Krebse seien, solange sie unbehandelt blieben, relativ gutartig ("Haustierkrebse"), und man könne jahrzehntelang beschwerdefrei mit ihnen leben.> Erst durch den Zugriff der Ärzte, etwa durch diagnostische Techniken, würden häufig solche Haustierkrebse zur Bösartigkeit angestachelt: Aus dem Haustierkrebs wird ein »Raubtierkrebs«.
Thesen in dieser Richtung vertritt Hackethal nicht als einziger. Skepsis gegenüber dem Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen -- auch für andere Krebsarten -- wurde in letzter Zeit auf Fachkongressen verschiedentlich geäußert, so von dem Kasseler Röntgenologen Professor Ernst Krokowski (SPIEGEL 9/1978) und dem Hannoveraner Sozialmediziner Manfred Pflanz.
Krokowski, einer der angesehensten deutschen Krebsforscher, zog aus der Untersuchung von 3000 Wachstumskurven verschiedener Tumoren den Schluß; Die todbringenden Tochtergeschwülste (Metastasen) seien »in ganz überwiegender Zahl zu eben dem Zeitpunkt entstanden, als der Krebskranke das erstemal wegen seines Leidens ärztlich behandelt wurde«.
Und auch Pflanz bezweifelte, in einem Interview mit der »Medical Tribune«, die Effektivität der Früherkennung: »Nur ein geringer Teil« der Prostata-Karzinome wurde dabei entdeckt, und vielfach handele es sich um »ruhende Karzinome«, bei denen man »nur hoffen« könne, »daß man da nicht herangeht und sie erst einmal »wild' macht«.
Wenn aber Hackethal. »der Sankt Georg von Lauenburg« ("Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt"), mit solchen Zweifeln in der ihm eigenen Lautstärke -- auf den Plan tritt, dann schließen sich die Reihen der Fach-Ordinarien. Chef-Urologe Alken: »Wer glauben machen will, daß die Früherkennung schädlich sei ... der bricht ein Grundgesetz der Medizin.«
Die milde Überzeugungskraft latinisierender Fachgelehrter geht dem Rebellen und Bestseller-Autor Hackethal eben ab. Zunehmend von Buch zu Buch fragen sich seine Leser, rätseln nach seinen öffentlichen Auftritten die Zuschauer: Ist der Mann ausgeflippt, vom Verfolgungswahn getrieben, ein Michael Kohlhaas der Medizin -- oder hat er recht und nur zu viele Mächtige gegen sich?
Ist er »glücklos« als Chirurg und »streitsüchtig« als Medizinkritiker, wie die »FAZ« meint? Oder ist er der »mutige Kritiker und Reformer« (Molden-Buchwerbung), »streitbar und unerschrocken« ("Bild"), »tapfer und kämpferisch ... ein Vollkommenheitsfanatiker', wie der (inzwischen verstorbene) »WamS«-Kolumnist Rolf. R. Bigler ihn beschrieb?
Ein Zorniger aus Passion -- wenn auch nie gegen seine Patienten -, das war er wohl von Anfang an; verwickelt in einen Vielfrontenkrieg gegen das medizinische Establishment, wo immer es ihn zum Widerspruch reizte.
Gegen seinen bis dahin verehrten Lehrer, den Chirurgie-Ordinarius Gerd Hegemann, entfachte er 1963 den »Erlanger Professoren-Krieg«; auch damals ging es schon um Kunstfehler.
Hackethal bezichtigte Hegemann, der ihn gerade noch blendend beurteilt hatte ("Zweitbester junger Chirurg im deutschen Sprachgebiet"), schwerster Verfehlungen. Telegramm nach München: »Kranke ... in akuter Gefahr. Vermute verbrecherisches Vorhaben von Prof. Hegemann.« Beide Kontrahenten beantragten einen Waffenschein.
Aber die Sache kippte gegen ihn; Hackethal mußte gehen. Er wechselte
als Assistenzarztvertreter, unter zeitweiligem Verzicht auf den Professorentitel -- ans Krankenhaus Lauenburg, dessen Chef er ein Jahr später wurde. Mit Krach schied er 1974 auch aus diesem Amt. Diesmal ging es um ein 96 000 Mark teures technisches Hilfsgerät ("Fernsehbildverstärker") für den OP-Saal, das anzuschaffen die Stadt Lauenburg sich weigerte. Hackethal damals: »Wenn dieses Gerät« -- das die Lieferfirma schon leihweise hingestellt hatte -- »wieder abgeholt wird, gehe ich.«
Die gleiche Alles-oder-nichts-Strategie galt seinem nächsten Gegner, der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Schleswig-Holstein. Um dem ihm »verhaßten Kassenarztsystem« den Kampf anzusagen, kündigte er zum 30. Juni 1977 seine Zulassung als Kassenarzt. »Die Papierkrieg-Offensive der KV-Funktionäre«, schrieb Hackethal, »ist zu einer Vernichtungsschlacht ausgeartet.« Und: »Ich will mich nicht länger der Willkür und den Schikanen ausliefern.«
Vorangegangen war diesem Schritt eine Art Kesseltreiben, das die ärztlichen Standesführer gegen den unliebsamen Arzt eröffnet hatten.
Ein Dorn im Auge war ihnen schon die ansehnliche chirurgische Praxis, die Hackethal sich eingerichtet hatte: ausgestattet auch für große Operationen, einschließlich einer Wachstation für frisch Operierte. Zum Gesundpflegen wurden die Patienten dann mit Spezialfahrzeugen in eine 44 Kilometer entfernte Belegklinik in dem Heide-Kurort Bevensen gebracht.
An diesem ungewöhnlichen (aber, wie sich zeigte, medizinisch untadeligen> »Weitraum-Transport« der Kranken nahmen die KV-Funktionäre Anstoß.
Immer neue Querelen ließen sie sich einfallen, um den inzwischen schon höchst unbequem gewordenen Medizinkritiker Hackethal kaltzustellen. Mal ging es um den Vorwurf, er habe ungerechtfertigte Kassenleistungen im Werte von 142,30 Mark abgerechnet, dann wieder um die Behauptung, Hackethals Briefkopf sei standeswidrig; und schließlich: »Unkollegiales Verhalten« (das ihm ein Berufsgericht bescheinigt hatte) mache ihn als Kassenarzt ungeeignet.
Im ersten Halbjahr 1977, als Hackethals Buch »Auf Messers Schneide« weit oben auf den Bestseller-Listen stand, entbrannte der Zermürbungskrieg noch heftiger.
* Januar 1977: Verfahren auf Entziehung der Zulassung als Facharzt für Chirurgie in Lauenburg.> Februar 1977: Schadenersatzklage (Forderung: eine Million Mark) von ehemaligen Kollegen in Lauenburg.
* März 1977: Hackethal stellt Strafantrag gegen Unbekannt -- sein Pfleger hatte sich nach einem anonymen Drohbrief das Leben genommen.
* März 1977: Kunstfehlerprozeß gegen Hackethal (wegen einer angeblich unsachgemäßen Lendenwirbelbehandlung).
* Juni 1977: Lübecker Staatsanwaltschaft ermittelt, inklusive Hausdurchsuchung. gegen Hackethal wegen Abtreibung.
»Man will, daß ich mich erschieße oder auswandere«. wähnte Hackethal im Sommer letzten Jahres -- und wirklich faßte er den Plan, nach Österreich auszuwandern, ins Kleine Walsertal, und dort eine Klinik zu eröffnen. Ver-
* Nach Rückgabe seiner Kassenarztzulassung entfernte Hackethal von seinem Praxisschild den Vermerk »Alle Kassen« und befestigte statt dessen den Hinweis »Vorsicht Arzt!«
worfen: »Die Ärzteorganisationen dort sind noch viel schlimmer.«
Gescheitert war inzwischen Hackethals Vorhaben, auf eigene Kappe, nach einer eigenen Gebührenordnung mit den Kassen direkt abzurechnen und so aus der »patientenverarbeitenden Medizinalindustrie« auszubrechen -- mit juristischer Beihilfe durch seine Patienten.
Es ging nicht. Hackethal kroch zu Kreuze ("Ich kapituliere") und beantragte seine Wiederzulassung als Kassenarzt. Das Gesuch wurde abgelehnt. »Ein Kegelbruder, der nicht mehr kegeln will«. soll ein KV-Funktionär gesagt haben. »fliegt aus dem Verein.«
Hackethal hatte seinerseits auch eskaliert. »Wegen ihrer Gewissensschuld«, so hatte er noch in seinem ersten Bestseller-Buch notiert, »können viele Chirurgen nachts schlecht schlafen« -- und hatte sich selbst in diese Anklage mit einbezogen.
Auch schon im ersten Buch hatte er ärztliche Kunstfehler durchweg als Symptome eines maroden Medizinsystems gewertet, mit »Lehrstuhl-Göttern« an der Spitze, die Verbesserungen weder herbeiführen wollen noch können: »Niemand kann sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen.«
Zugleich predigte er dem Laienvolk der Patienten Mißtrauen gegen alles ärztliche Tun -- und handelte sich den Tadel »Nestbeschmutzer« ein.
Doch beim Leserpublikum und im Presse-Echo überwog weithin die Zustimmung: ein Insider als Medizinkritiker ernst zu nehmen.
* »III nach neun« mit Talkmasterin Dr. med. Marianne Koch (l).
Auch in den ersten populären Hackethal-Büchern war freilich schon jenes großkalibrige Sprachgeschütz aufgefahren, das die Weißkittel-Branche reizen mußte: »Schlechthin-Chirurgie"' »Med. Mafia »Frankenstein-Chirurgie«, »Intensiv-Quälereien"' »Vergiftungsmedizin«, »Kollegial-Verschwörung« (wenn vom hippokratischen Eid die Rede war).
Dann aber, mit der Veröffentlichung seines Zweiten Buches ("Nachoperation"), begann Hackethals Kritik an den Grundfesten der sogenannten Schulmedizin zu rütteln. Vor Hackethals polternden Aufräumungsarbeiten waren nun auch jene Eckpfeiler nicht mehr sicher, auf denen die wissenschaftliche Heilkunst -- Ordinarienkult hin, Kunstfehler her -- bis dahin sicher zu ruhen schien.
Hackethal griff nun einen Bereich der Medizin an, der bei Ärzten wie Patienten besonders stark mit Emotionen beladen ist: die Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen.
Mit der gewohnten Verve und Sprachgewalt kritisierte er die »von Ärzten erzeugte und geschürte Krebshysterie« die sinnlos »verstümmelnde« Tumor-Chirurgie und die »Atomsprühfeuer-Bestrahlung« bei Diagnose und Behandlung von Krebspatienten.
Wieder heulte das Medizin-Establishment auf ("Deutsches Ärzteblatt": »Unter aller Kritik ...") und suchte Zweifel an der medizinisch-fachlichen Kompetenz Hackethals auszustreuen.
Bei seinen eigenen Patienten, offenbar, verfing das nicht. Auch was Hackethal selber in Wort und Schrift an Mißtrauen gegen den Berufsstand geschürt hat, läßt die meisten seiner Patienten anscheinend unbeeindruckt.
Und das, obgleich der Lauenburger Doktor nicht nur für »mündige Patienten« plädiert, sondern seine eigenen auch so behandelt: Jede alte Dame wird gründlich aufgeklärt (und zu keiner sagt er »Oma"); Fünfzehnjährige werden nicht geduzt, und kein Patient bekommt die Frage »Na. wie geht's uns denn?«
Obgleich Hackethal aussieht wie ein rabiater Doktor Eisenbart -- buschige Augenbrauen, kantiges Kinn, stahlblaue Augen und viel Haare auf der Brust -, ist er, versichern seine Patienten, »ein richtig sanfter Doktor«, jedenfalls zu den Kranken.
Denen werden in allen Räumen des Praxishauses mild temperierte Beatles-Weisen zu Gehör gebracht -- »Life is very short« und »All you need is love«.
Die ärztlichen Kollegen lernen Hackethal meist von einer anderen Seite kennen: Sie treffen auf seine Wahrheitsliebe, die aggressive Züge trägt. Pardon wird nicht gegeben: »Ich fürchte mich vor niemand«, wirklich nicht.
Wenn es sich gerade so trifft, nennt er den Therapievorschlag eines Kollegen »idiotisch«, die Vertrauensärzte »blöde Sortierer«. den Gesprächspartner »Mörder« oder »Verbrecher« (siehe SPIEGEL-Streitgespräch Seite 139). Jeder Krähe hackt er ein Auge aus, am liebsten öffentlich.
Daß Hackethal als Watte immer gleich den schweren Säbel nimmt -- zur Rechten sieht man wie zur Linken den halben Doktor herniedersinken -, hat wohl auch mit seiner Herkunft zu tun: Karl Julius, geboren am 6. November 1921, ist der erste Sohn eines rabiaten Großbauern aus dem katholischen Eichsfeld. Der starke Vater schlug den athletischen Knaben stets windelweich, wenn dieser »trotz Warnung« etwas ausgefressen hatte. Hackethal heute: »Hart' sehr hart' vielleicht zu hart -- aber nicht ungerecht.«
An Tapferkeit vor hohem Thron hat es Hackethal offenbar von Jugend an nicht fehlen lassen. Freiwillig zog er 1939 in den Krieg. Als er aber zur SS gekeilt werden sollte, nur »weil er im Sport eine Eins« hatte (und in Religion), trat er zum erstenmal aus dem Glied. Mit ihm ging ein kleiner Turner vom Gestellungsplatz, die anderen hundert zogen den SS-Totenkopf einem glanzlosen Leben als Schütze vor.
Bauernbursche Hackethal brachte sich heil durch den Krieg. Seiner Prostata (und dem Drumherum) galt freilich schon damals die besondere Fürsorge: Wenn im Gefecht die Kugeln dichter pfiffen, nahm er den Stahlheim vom Kopf und hielt ihn schützend vor die kleinen Drüsen. Seiner Überzeugung, daß ein Mann besser tot ist als kein richtiger Mann mehr, ist er nie untreu geworden.
Mag sein, daß davon auch jener Teil seiner neueren Krebs-Hypothesen herrührt, die nun selbst Hackethal-Fans eher abenteuerlich finden. Nach Meinung des Ärztemagazins »Selecta« sind sie »schon fast als magisch zu bezeichnen": »Ein gestörtes, das heißt unnatürliches Sexualleben« » so der Professor. könne als »wichtige Krebsursache« angesehen werden. Ein »ausgeglichener Sexualhormonhaushalt« hingegen ("inniger Kontakt der Geschlechtspartner«, »freier Samenerguß des Mannes") entfalte »sehr große Krebsschutzwirkung«.
Mit solch waghalsigem Zeug bietet Hackethal Angriffsflächen, macht er es den Schulmedizinern allzu leicht, auch gleich noch den Rest mit vom Tisch zu fegen.
Das gilt auch für die im jüngsten Hackethal-Werk vorgetragene »Eubios-Strategie bei Krebs« (Untertitel: »Mein Glaubensbekenntnis").
Sie zerfällt in »Eubios-Krebs-Diagnostik« ("Grundregel drei: Eine auch nur minimal gefährdende, nicht direkt therapiebezogene Diagnostik ist abzulehnen") und die »Eubios-Krebs-Therapie"' die darauf hinausläuft, die natürlichen Abwehrkräfte des Körpers zu stimulieren und nur im Notfall möglichst schonend -- eine Krebsgeschwulst herauszuoperieren.
Bedenkenswertes und Befremdliches' Vernünftiges und eher Absurdes mischen sich hier -- wie an allen Ecken und Enden bei Hackethal.
Der Schaden, den er nach Ansicht etablierter Mediziner stiftet ("Unverantwortliche Verunsicherung der Patienten"), ist wohl doch nicht so groß. der Nutzen höher zu bewerten. Die Diskussion, die Hackethal herbeigezwungen hat -- zum Beispiel über Sinn und Unsinn der Krebs-Früherkennung
könnte seit langem überfällige Fragen klären helfen: Noch mehr »Krebsvorsorge« oder geänderte Programme oder völliger Verzicht?
Hackethal sieht (ler »Generalabrechnung« mit der Bundesärztekammer in gewohnter »Alles oder nichts«-Attitüde entgegen.
Wenn das nicht stimmt, was ich Ihnen hier erzähle«, so der Professor in der Bremer Fernseh-Talkshow, »muß man mich wirklich einsperren.« Im nächsten Heft
Keine Angst vor Krebs? -- Modellfall Prostata -- Professor Julius Hackethal über Gefahren der Vorsorgeuntersuchung