Die Frau, die mit Celibidache in den Ring stieg
clarino, bl舖ermusik international 5/2004
Von
Georg Wa?muth
Es war ein langer Weg, den die Amerikaneュrin bis zu diesem Tag zur?ckgelegt hatte. Geュnau genommen hat er etliche Jahre vorher in Oklahoma begonnen, als Abbie Conant, Sch?lerin der 8. Klasse, im Zwei-Finger-Suchsystem die Schreibmaschine traktierte und pl?tzlich ahnte: So bekomme ich meine n?tiュgen Punkte f?r das College nie zusammen. Das Mundst?ck der Posaune dagegen hat soュfort gepasst, nach einem Jahr spielte Abbie in der Sch?lerband bereits die erste Stimme.
サMit 18 war ich ein typisches 70er-Jahre-Gesch?pf: eine Vegetarierin in "Hiking Boots" , die ihre Posaune im Rucksack durch die Gegend schleppte und sich f?r Yoga und Lao Tzu interessierte, aber keinen Plan von einer Karriere als Musikerin hatte.ォ Die junge Poュsaunistin aus Oklahoma hat dann einen erュstaunlichen Flei? entwickelt und bei Dee Stewart vom Philadelphia Orchestra, bei Per Brevig von der Metropolitan Opera und an der K?lner Musikhochschule bei Branimir Slokar studiert.
Mit drei Abschlussexamina der Temple University in Philadelphia, der ber?hmten Juilliard School in New York und der K?lner Hochschule f?r Musik bog sie von der Zielgeュraden direkt ab in die berufliche Laufbahn. Als Amerikanerin im Orchester der k?niglichen Oper Turin zeigte sie ihren Kollegen mit Ventilposaunen, wie schnell ein Posauュnenzug durch Verdis サOthelloォ Ouvert?re gleiten kann. Z臧neknirschend mussten die Italiener hinnehmen, das ihre Soloposaunisュtin schon nach einem Jahr ?ber die Alpen Richtung bayerischer Hauptstadt wanderte.
Dort k舂pfte sich Abbie Conant im Probeュspiel von Runde zu Runde, putzte die gesamュte m舅nliche Konkurrenz von der Platte, und steckte ihren Vertrag als neue Soloposaunistin der M?nchner Philharmoniker in die Tasche. Sie hatte als erste Frau in einem tradiュtionsreichen europ臺schen Spitzenorchester eine F?hrungsposition im サschweren Blechォ errungen und freute sich eigentlich sehr auf die Zusammenarbeit mit dem charismatischen Chefdirigenten Sergiu Celibidache.
Sergiu Celibidaches kometenhafter Aufュstieg begann kurz nach Kriegsende am 29. August 1945. Der damals unbekannte rum舅ische Musikstudent dirigierte in einem Konzert wie in einem ワberraschungsangriff die Berliner Philharmoniker zu einem Sensaュtionserfolg. Das Berliner Mu5ikpublikum war au?er sich vor Begeisterung, und das Orchester so animiert von der besessenen Musiュkalit舩 des jungen Rum舅en, dass es ihn wenige Monate sp舩er einstimmig zum Chefdirigenten w臧lte. Nachdem aber Wilュhelm Furtw舅gler seinen Entnazifizierungsュprozess ?berstanden hatte, verscheuchte er Celibidache vom Pult der Philharmoniker. F?r den tief gekr舅kten Dirigenten begann eine schlingernde Odyssee durch die Konzerts舁e der Weit. Celibidache hielt es nie lange an einem Ort, rastlos hetzte er von einem zum n臘hsten Orchester.
Sein Ruf schwankte je nach Standpunkt des Betrachters. Sergiu Celibidache ‑ Musikguru oder Ketzer. Er selbst verstand sich als ergebenster Diener der Musik und gallischer Verュ臘hter allen Musikbetriebs ‑ der Maestro schlechthin. Er verabscheute die Oper als サMummenschanzォ, und er verteufelte die Schallplatte als サt?nenden Pfannkuchenォ. 1979 unterschrieb er nach langen Wanderュjahren seinen Vertrag mit den M?nchner Philharmonikern, f?r viele Konzertbesucher war Celibidache die Lichtgestalt im grauen Klassik‑Einerlei. Die Mワnchner Stadtverwalュtung verw?hnte den サMaestroォ mit einer exorbitanten Gage. So soll ihm der Kurierュdienst der Stadt vor dem Abflug ins Pariser Wochenendidyll stets einen dezenten Hartschalenkoffer ?berreicht haben - der Maestro pochte auf Barzahlung.
Nur auf Kritik reagierte der musikalische Gralsh?ter verschnupft. Ausgerechnet M?nュchens Gro?kritiker Joachim Kaiser griff ihn mit einem サGlanz und Grenzenォ ?berschrieュbenen Artikel in der S?ddeutschen Zeitung an: Der Maestro zerdehne mit seinen langsaュmen Tempi Anton Bruckners Symphonien zu einem einzigen z臧en Tonbrei, das seien kulュtische Weihestunden und keine lebendigen Konzerte, Celibidache h舩te zu sehr abgehoュben in eine entr?ckte Musiksph舐e. Der Geュschm臧te holte zum Rundumschlag aus: Kritiker seien grunds舩zlich サFlaschen mit Sauerkrautohrenォ.
Monate nach ihrem bestandenen Probeュjahr geriet Abbie Conant im September 1982 pl?tzlich und ohne Vorwarnung ins Visier von サSilberlockeォ. Jemand, der die Geigerin Anne Sophie Mutter nach einem geplatzten Konzert als サGeigende Henneォ br?skierte, verputzt eine Soloposaunistin zum Fr?hュst?ck ‑ sollte man meinen. Aber Mrs. Conant erwies sich als ?berraschend z臧e Gegnerin. Mit Celibidaches schwammigen Erkl舐ungen, sie habe nicht gen?gend Luft und k?nne die Gruppe nicht f?hren, gab sie sich schon gar nicht zufrieden. サSie kennen das Proュblem. Wir brauchen einen Mann f?r die Soloュposaune.ォ Nach Celis raunziger Bemerkung stieg Abbie Conant mit dem Maestro in den Ring. Runde 1: R?ckstufung zur 2. Posaunisュtin. Runde 2: Klage vor dem Arbeitsgericht. Runde 3: Das Gericht sucht jahrelang einen Gutachter, um Abbies Spielf臧igkeit zu tesュten. Runde 4: Acht Jahre nach ihrem Eintritt in das Orchester gewinnt sie das Berufungsュverfahren und erh舁t ihre Solostelle zur?ck. Der 79‑j臧rige サMarlon Brando der Dirigenュtenォ hingegen zeigte Nerven und wurde in der M?nchner Abendzeitung ausf舁lig: サDieュse Leute, die t臠lich alles vergiften, sollten einmal pausieren oder ?ber Gyn臾ologie schreiben. Auf dem Gebiet hat doch jeder ein bisschen Erfahrung. Aber in der Musik sind sie Jungfrauen. So bleiben sie, so gehen sie auch in eine andere Welt hin?ber, nie von eiュnem wirklich erlebten Klang befruchtet.ォ
Der Schlagabtausch geht weiter. Abbie Conant m?chte nun auch das gleiche Gehalt wie ihre m舅nlichen Kollegen ‑ nach weiteュren f?nf Jahren Gezerre vor Gericht gibt sich die Stadt M?nchen geschlagen und stimmt der finanziellen Anpassung zu. All die Jahre hat Abbie Conant trotz gr??ter nervlicher Anspannung ihren Orchesterdienst verュsehen. サJa, ich habe st舅dig Angst gehabt zu versagenォ und sich mit Alexandertechnit und Yoga gewappnet. Aber dar?ber verlierl sie eigentlich nur wenige Worte, vielmehr habe ihr das Verhalten der Kollegen zu schafュfen gemacht, niemand habe ihr beigestanュden. Mal auf dem Flur ein verdr?cktes サHalt durchォ, das sei alles gewesen, sonst seien alle eingeknickt wie Klappmesser. Das sei bei allem Trouble aber auch eine existenzielle Erュfahrung gewesen: サIch wusste bis zu dem Moment nicht, was in mir steckt an Power.ォ
サNach 13 Jahren M?nchner Philharmorliker war es Zeit zu gehenォ, sagt Abbie Conant, サeine neue Lebensperspektive und Herausュforderung zu suchen.ォ Und es hat all ihren Kritikern m臘htig den Wind aus den Segeln genommen, dass sie 1992 an der Musikhochュschule Trossingen zur ersten Professorin f?r Posaune in Deutschland gew臧lt wurde. In M?nchen, wo man Zweifel an ihrer Lungenュfunktion gehabt hatte und die Soloposaunistin zu einer peinlichen Untersuchung in das Zentralkrankenhaus Gauting schickte, hat es wohl einigen die Schamr?te ins Gesicht geュtrieben.
サJede neue Studentin und jeder neue Stuュdent ist eine musikalische Welt f?r sichォ, wei? Professorin Conant. Es gibt im Unterュricht kein サSystem Conantォ, sondern sie stellt sich flexibel auf jeden Studienanf舅ger ein. An den Basics, der Luftf?hrung und dem Legatospiel, wird st舅dig gearbeitet, Abbie Conant formuliert aber auch wichtige Fixュpunkte, die erreicht werden m?ssen: Lebenュdigkeit im Spiel, Ausdruck und W舐me des Tons und leichte Artikulation.
Nat?rlich gebe es noch den Typ サOrchesterュmusikerォ, meint Abbie Conant, サdem man seine Orchesterstellen eintrichtert, den man in einen Dienstanzug steckt und in die Orュchesterlandschaft losschicktォ. Viel lieber sieht sie ihre Arbeit aber im Kontext der sich allm臧lich ver舅dernden Kulturszene. Orchesterstellen w?rden schlie?lich mehr und mehr abgebaut, und junge Musikerinnen und Musiker tun gut daran, Selbstmanageュment und Flexibilit舩 zu lernen.
Sie hat selbst mit ihrem Mann, dem Komュponisten William Osborne, die MusiktheaterュGruppe サThe Wastelandォ gegr?ndet. Seit Jahren gehen sie gemeinsam mit ihren Proュduktionen auf Tournee. Erst im vergangenen M舐z traten sie mit ihrer neuesten Arbeit, サCybelineォ, einem interaktiven Musiktheater um den Verlust der menschlichen Identit舩 im Zeitalter der neuen Medien, im サRoy and Edna Disney Cal Arts Theaterォ in Los Angeles auf Ihre Posaune ?bernahm in der Performance die Rolle der mythischen Mahnerin.
Sich mit neuen und neusten musikalischen Vermittlungsformen auseinanderzusetzen, steht auch in Trossingen auf dem Stundenplan ihrer Studentinnen und Studenten. Abュbie Conant unterst?tzt und f?rdert alle Aktivit舩en ihrer Klasse ‑ wenn sich im サBlech Forest Trombone Ensembleォ die gesamte Klasse zum posaunistischen Overkill verュsammelt ebenso wie das サHohenlohe Brass Posaunenensembieォ. Die Trossinger stellen den Kern dieses Ensembles und basteln gerade am Cover eines ambitionierten CD-Proュjektes- die weltweit erste Gesamteinspielung der Werke des Engl舅ders Brian Lynn.
In den ワbungsr舫men der Trossinger Muュsikhochschule spielt sich Nadja Petrich mit den Legato‑ワbungen von Giulio Marco Borュdogni ein. Nadja Petrich ist 25 Jahre jung, kommt aus dem kleinen Dorf Unterkammュlach im Unterallg舫, lacht gerne und herzュlich. Nadja studiert im 8. Semester Orchesュtermusik bei Abbie Conant. A15 sie neun Jahre war, hat sie ihre Blockfl?te in die Ecke geworfen und ein handfestes, gro?es Instruュment gewollt. Sie sei halt eine hochaufgeュschossene G?re mit langen Armen gewesen. サDen Posaunenzug in die 7. Lage zu strecken war damals schon kein Problemォ, erz臧lt sie schmunzelnd. Mehr aus Neugier als mit konュkreten Pl舅en besuchte sie dann 1991 das internationale Posaunencamp in Bad W?risュhofen. Dort erlebte Nadja Petrich zum ersten Mal Abbie Conant als Dozentin: サDas gab mir einen ph舅omenalen Motivationsschub.ォ Bayerisches Landesjugendorchester und Bundesjugendorchester waren dann Stationen auf dem Weg zum Posaunen5tudium in Trossingen. Dass sie ihr Studium bei Abbie Conant absolvieren wollte, war ?berhaupt keine Frage. Abbie Conant sei nicht nur eine sehr gute Posaunistin, sondern auch eine sehr begabte P臈agogin, eine Kombination, die gar nicht mal so oft anzutreffen sei.
Karriere machen m?chte Nadja Petrich am liebsten sowie Molly Bashaw. Die Bassュposaunistin aus der Klasse Conant sorgt seit letztem Jahr im Opernorchester der s?dafrikanischen Milュlionenstadt Durban f?r klare Verh舁tnisse im Tieffrequenzbereich.
Doch Nadja Petrich w臠t ihre beruflichen Chancen realistisch ab. Nat?rlich kennt sie die サM?nchner Geschichtenォ ihrer Professoュrin, und dazu schiebt sie gleich nach: サSobald der Probespielvorhang zur letzten Runde wegger舫mt wird und eine Posaunistin neュben der m舅nlichen Konkurrenz auftaucht, geht noch immer ein Raunen durch das Orchester.ォ Alte Rollenklischees, f?rchtet sie, サhalten scheinbar l舅ger als in Essig eingeュlegte Gurkenォ. Man solle sich doch nur die Zahlen der Posaunistinnen in Spitzenpositioュnen deutscher Kulturorchester anschauen, das sei wie die Suche nach der Nadel im Heuュhaufen. Ein schneller Blick auf die Homepage der M?nchner Philharmoniker gibt Nadja Petrich recht: Bis heute ist die Posaunenュg ruppe fest in M舅nerhand.
Nadjas Professorin kann ihren Unmut gut verstehen. Manche M舅ner h舩ten noch heute Probleme mit Frauen, die talentiert sind. Doch der Blick sollte stets nach vorne gerichtet sein, res?miert Abbie Conant. Sie versucht auch der Studentin Nadja Petrich glaubhaft zu vermitteln, dass die hoch subュventionierte H舅gematte der Orchester nicht der allein seligmachende Zustand f?r eine Posaunistin sein muss. Die Posaune, meint Abbie Conant, hat es schlie?lich schon lange vor den Orchestern gegeben, man m?sse nur auf die alten Gem舁de und Kirュchenfenster schauen, meint sie scherzhaft: サSchon die Engel verdienten mit der Posaune ihre Br?tchen, also wird uns im 21. Jahrhunュdert auch immer wieder etwas Neues einfallen.ォ