Sender, deren Werbekunden Bier, Bohrmaschinen und Bauchmuskeltrimmer an den Mann bringen wollen, brauchen Drama-Serien, die das wilde Herz höher schlagen lassen. Das Rezept dafür scheint einfach.
Im 19. Jahrhundert warnte man davor, Frauen Romane lesen zu lassen, da diese süchtig machten und den Charakter verdürben. Tatsächlich haben sich Frauen wohl schon immer mehr dafür interessiert, sich (auch) in fiktionaler Form mit den Schicksalen anderer Menschen zu befassen. Fernsehserien, die in mancher Hinsicht heute die Funktion der Gesellschaftsromane von Dickens, Trollope, Balzac und Dumas übernehmen, welche die Viktorianerinnen fesselten, machen ebenfalls mehrheitlich ein weibliches Publikum zu Junkies.
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Sender, deren Werbekunden Bier, Bohrmaschinen und Bauchmuskeltrimmer an den Mann bringen wollen, sowie Pay-TV-Kanäle mit männlichem Zielpublikum suchen daher – neben «Simpsons» und Sitcoms – auch Drama-Serien, die das Hetero-Herz höher schlagen lassen. Das Rezept dafür scheint einfach: Sex und Gewalt in einem Masse, das Zartbesaiteten zu weit geht; Action und klassische Geschlechterrollen, keine metrosexuellen Frauenversteher und Feingeister, sondern echte, unrasierte Männer der Tat.
Aus dem Fundus der Literatur- und der Weltgeschichte heben heutige Serienschöpfer so manche Motive und Gattungen, die vor allem Männer ansprechen: Der Horrorfilm, dessen Lieblings-Topoi in «American Horror Story» staffelweise durchdekliniert werden (Geisterhaus, Irrenanstalt, Freak Show), ist eine der Quellen der Zombie-Serie «The Walking Dead», deren unzivilisiertes und gesetzloses Ambiente gleichzeitig an den Western gemahnt.
Letztgenanntes Genre prägt auch die Krimiserie «Justified», nach Motiven von Elmore Leonard, die im heutigen Hinterland von Kentucky spielt und deren supercooler Held, U. S. Marshal Raylan Givens (Timothy Olyphant), findet, wenn der Gegner zuerst ziehe, sei dessen Erschiessung «gerechtfertigt». Givens schlägt sich in der Provinz mit kriminellen Südstaatler-Sippen herum, die nicht nur an das Wort Gottes glauben, sondern auch an Waffengewalt. Kurios und witzig muten im Original die Dialoge an, denen eine altmodische Höflichkeit anhaftet, selbst wenn tödliche Drohungen ausgetauscht werden.
Ein reinrassiger Western, «Hell on Wheels», erzählt vom Bau der Union Pacific Railroad nach dem Bürgerkrieg. Der bärtige Held Bohannan (Anson Mount) ist – politisch fast korrekt – ein Südstaatler, der seine Sklaven freigelassen hat und der die Nordstaatler sucht, die seine Frau ermordet haben; diese vermutet er im wandernden Eisenbahnerstädtchen Hell on Wheels. Der Ire Colm Meaney schmiert als durch und durch korrupter (historischer) Eisenbahnpromoter Durant drauflos, aber die übrigen Figuren – selbst Hip-Hop-Star Common als schwarzer Arbeiter Elam – bleiben blass, im Vergleich etwa zum HBO-Western «Deadwood».
Nach Gladiatoren («Spartacus») und Wikingern («Vikings») halten heute auch Piraten als Macho-Identifikationsfiguren her. Während auf dem Pay-Sender Starz «Black Sails» aus der Küche von Michael Bay die Vorgeschichte der Figuren von Robert Louis Stevensons Roman «Die Schatzinsel» entwirft und daraus ein nicht jugendfreies «Pirates of the Caribbean» macht, greift die frei empfangbare und daher zahmere NBC-Serie «Crossbones» die geschichtlich verbürgte Figur von Edward Teach auf, der als Blackbeard legendär wurde. John Malkovich verleiht jeder Dialogzeile des gealterten Freibeuters, der eine Republik der Piraten gegründet hat, einen besonderen Dreh, und die Macher von «Luther» und «The Tudors» bürgen für die Qualität.
Das Männergenre schlechthin bleibt freilich Action. Der Serienheld, der da Massstäbe setzte, war Jack Bauer, dessen Einstand als Anti-Terror-Agent im Herbst 2001 durch eine (un)glückliche Fügung mit den Anschlägen von 9/11 zusammenfiel. Der Mattscheiben-Bond, der Staffel für Staffel in Echtzeit 24 Folgen und Stunden lang alle brachialen Mittel zum patriotischen Zweck einsetzte, kam vor lauter Weltretterstress nie zum Essen, geschweige denn auch nur zu einem Quickie; längeren Körperkontakt zu einem – meist männlichen – Gegenüber hatte er nur aktiv oder passiv in Foltersituationen. Für unsere hochgetaktete Welt war Jack der perfekte Held; Kiefer Sutherlands gehetztes Fauchen seines Mottos «Whatever it takes» wurde zum Mantra der Time-Management-Generation.
Nach einer Pause trat Jack dieses Jahr wieder in Aktion. Die neue, auf 12 Folgen verkürzte Staffel «Live Another Day» (noch ein Gruss an 007) spielt in London, und die «24»-Macher begegnen der Aktualität auf ihre Weise: Nachdem sie bereits 2002 einen schwarzen US-Präsidenten postuliert hatten, führen sie heute einen weissen Reagan-Typen samt Alzheimer ins Feld, der erkennen muss, dass Kampfdrohnen auch gegen ihre Schöpfer gewendet werden können (wogegen Jack Bauer unbestechlich bleibt). Unfug stiftet zudem ein Julian-Assange-Imitator, der Jacks Adlatin Chloe O'Brian vom rechten Weg abbringt. Wie unernst das Ganze nunmehr zu nehmen ist, zeigt die originelle Besetzung des britischen Premiers mit dem Komiker Stephen Fry.
Auch nicht durchwegs bierernst ist die US-britische Koproduktion «Strike Back» (Serien-Motto: «Diplomatie wird überschätzt») nach Motiven des ehemaligen Militärs und Autors Chris Ryan. Nach einer ersten Staffel, die neben Action noch geheimdienstinterne Intrigen bot, wechselte man Konzept und Personal aus und schickt nun die Helden Scott und Stonebridge in internationale Krisenherde, wo sie wie Jack Bauer nicht strikte nach Auftrag agieren, sondern sich von Instinkt und persönlichem Gerechtigkeitssinn leiten lassen. Wohl nicht von ungefähr tritt der eine Hauptdarsteller, Philip Winchester, auch in der neuen «24»-Staffel auf. Ideologisch dubios sind diese Phantasien über harte Burschen, die die Welt mit der Knarre in Ordnung bringen, durchaus; unterhaltsamer 007-Ersatz sind sie allemal.
Der HBO-Ableger Cinemax zeigt neben Softpornos, Sport und «Strike Back» auch die Serie «Banshee», die eine absurde Bock-als-Gärtner-Prämisse vorlegt: Nach 15 Jahren Haft sucht ein Räuber seine einstige Geliebte und Komplizin Anastasia (Bond-Girl Ivana Milicevic), die inzwischen im Städtchen Banshee in Pennsylvania die Frau des Staatsanwalts geworden ist und zwei Kinder hat; der Held nimmt die Identität des eben angereisten neuen Sheriffs Lucas Hood an, der von Schergen des örtlichen Gangsterbosses ermordet wurde, und nistet sich ein, um seine alte Flamme zurückzuerobern. Der neue Sheriff Hood (hood, englisch: «Kapuze» und «Verbrecher») wird zum wandelnden Oxymoron: Sein Doppelleben als Gesetzeshüter und Räuber im Nebenjob ist heikel, und der ukrainische Mobster, den er einst überlistet hat, will ihm immer noch ans Leder.
Hauptdarsteller Antony Starr verströmt bald bubenhaften Charme, bald die grenzenlose Aggressivität eines Underdogs, der nichts zu verlieren hat. Entsprechend wüst sind die Keilereien, die immerhin mit ihrem kreativen Einbezug von Objekten der physischen Umgebung fast an Buster Keaton gemahnen. Üppig sind auch die Sexszenen, nicht nur zwischen Hood und Anastasia; heiss geht es auch im multikulturellen Umland von Banshee zu, das einen Kasino-betreibenden Indianerstamm ebenso umfasst wie eine Gemeinde von Amischen.
Letzterer entstammt der örtliche Bösewicht, Proctor (genüsslich verkörpert vom Dänen Ulrich Thomsen), der sich von seiner altertümlichen Sippe losgesagt hat und nicht nur einen Schlachthof betreibt, sondern die ganze Stadt beherrscht. Hood bekämpft Proctors Exzesse, geht aber mitunter auch einen Kuhhandel mit ihm ein. Alan Ball, Mitschöpfer von «Six Feet Under» und der deftigen HBO-Vampirserie «True Blood», hat «Banshee» koproduziert und sorgt neben den Oberflächenreizen auch für komplexere Kulturkonflikte. So ist «Banshee» ein seltsamer, sehenswerter Hybrid: eine rabiate, realitätsferne Männerserie, die aber mit unerwarteten Qualitäten aufwartet.
HBO hat sich von Anfang an als Bezahlfernsehen mit Eigenproduktionen wie «The Sopranos» und «Six Feet Under» profiliert, die sich um die Zensurvorschriften für frei empfangbare Networks foutierten und den Massstab für nachfolgende Erwachsenenserien anderer Sender setzten. Neben «Game of Thrones» hat im letzten Jahr vor allem eine Produktion zu reden gegeben: «True Detective» ist eigentlich keine Serie, sondern ein abgeschlossener Achtteiler. Autor Nic Pizzolatto erzählt von zwei Polizisten, Rust Cohle und Martin Hart, die vor 17 Jahren in Louisiana einen Serienmord aufklärten und als Helden gefeiert wurden. Nun wird eine Frauenleiche gefunden, die den Eindruck erweckt, als wäre der damalige Mörder noch aktiv.
So weit, so konventionell. Hier zählt aber nicht das Was der Story oder das Whodunit, sondern das Wie und noch mehr das Wer: Woody Harrelson als Hart, der als grob geschnitzter Südstaatler-Macker mit Frau und Kindern die Frustrationen und Spannungen seines Jobs mit Alkohol und Affären abzureagieren versucht, entspricht ganz einem Cop-Stereotyp. Ihm gegenübergestellt wird aber ein totaler Aussenseiter, dessen Weltanschauung Nietzsche wie eine Frohnatur aussehen lässt. Für Cohle ist der Homo sapiens eine Fehlentwicklung; die Natur hätte ohne Bewusstsein und Selbsterkenntnis weitermachen sollen. Seine geradezu ausserirdische Perspektive macht ihn zum hervorragenden Beobachter und Analytiker menschlichen Verhaltens, und er brilliert als Ermittler, obschon er lieber Einsiedler wäre.
Matthew McConaughey verkörpert Cohle in den zwei Zeitebenen, zwischen denen die Serie pendelt, völlig unterschiedlich, aber gleichermassen verblüffend: In der Vergangenheit noch adrett genug, um Harts vernachlässigte Frau Maggie (Michelle Monaghan) in Versuchung zu bringen, wirkt er im Heute wie ein ausgebrannter Späthippie. Bei den Emmys unverständlicherweise leer ausgegangen, ist McConaughey nun für einen Golden Globe nominiert; gut so, denn in der zweiten Staffel wird die Besetzung ausgewechselt.
Wie sich in den Rückblenden allmählich enthüllt, kam es beim ersten Fall, bei dem sich Hart und Cohle widerwillig anfreundeten, schliesslich zum Bruch, und nun, von zwei jüngeren Kollegen aufgrund der Unstimmigkeiten von damals in die Mangel genommen, müssen sich die beiden nochmals zusammenraufen. Diese «Bromance» bzw. Männerfreundschaft ist es, die – neben einigen Lynch-würdigen Szenerien und ein paar kameratechnischen Bravourstücken – «True Detective» zum Ereignis macht. Aber letztlich ist das eine Mogelpackung: ein Serienmörder-Thriller, dessen psychologische und philosophische Differenziertheit vor allem ein Publikum anspricht, nämlich Frauen.