Die Oppositionsgruppe Wolfspelz um die Dresdnerin Johanna Ebischbach (später Johanna Kalex) gehört zweifellos zu den ungewöhnlichsten Friedensgruppen, die Anfang der 1980er Jahre in der DDR entstehen.
Johanna Ebischbach, die Tochter eines Lehrers und Fachberaters, beginnt 1981 mit 17 Jahren ein pädagogisches Fachschulstudium. Schon in dieser Zeit hat sie erste Kontakte zur Jungen Gemeinde (JG) der Dreikönigskirche. Dort erhält sie Materialien über die Idee eines Sozialen Friedensdienstes (SoFD). Dieser soll als Wehrersatzdienst eingerichtet werden, fordert die Friedensbewegung in der DDR.
Als Johanna Ebischbach die an den Bildungseinrichtungen der DDR obligatorische Vormilitärische Ausbildung verweigert, wird sie exmatrikuliert. Sie beginnt an der medizinischen Fachschule für Pflegekräfte eine Ausbildung zur Krankenschwester. Die junge, aufmüpfige Johanna verteilt an der Schule häufig Material der unabhängigen DDR-Friedensbewegung und verweigert auch hier die vormilitärische Ausbildung. Und nicht nur das. Es gelingt ihr, fast alle Mitschülerinnen zu einer schriftlichen Verweigerung des anstehenden Wehrlagers zu bewegen. Nach Einzelgesprächen mit der Schulleitung und Mitarbeitern der Staatssicherheit bleiben nur Johanna Ebischbach und eine Mitschülerin bei ihrer Verweigerung. Beide werden wegen „Nichterfüllung schulischer Pflichten" exmatrikuliert.
Danach werden ihre Kontakte zur Friedensbewegung intensiver – unter anderem auch zum Initiator der Kampagne „Schwerter zu Pflugscharen", Pfarrer Harald Bretschneider. In der Zwischenzeit heiratet Johanna Ebischbach ein anderes Mitglied der Friedensgruppe, Roman Kalex.
Die „Gruppe Ebischbach", wie sie anfangs von der Stasi genannt wird, steht nicht nur im Konflikt mit dem Staat, sondern auch mit der Kirche. Die Aktivisten werfen den Kirchenleuten deren allzu große Kompromissbereitschaft gegenüber dem SED-Regime vor. Sie organisieren eigenständig Friedenswerkstätten und propagieren radikale pazifistische Positionen, die sich kaum mit der moderaten kirchlichen Friedensarbeit vertragen. Nachdem Bischof Johannes Hempel die Aktivisten um Johanna Kalex als „Wölfe im Schafspelz" bezeichnet hat, nennt sich die Gruppe fortan Wolfspelz. Laut Johanna Kalex sind sie nämlich eher „Schafe im Wolfspelz", die gefährlich auftreten, aber eine friedliche Gesellschaft zum Ziel haben.
Eine spektakuläre Aktion der Gruppe um Johanna Kalex ist die Organisation einer Gedenkfeier in Dresden am 13. Februar 1982, dem Jahrestag der Bombardierung der Stadt. In der Stunde des ersten Bombenangriffs von 1945, also kurz vor 22 Uhr, sollen sich die Menschen mit Kerzen und Blumen an der Ruine der Frauenkirche versammeln und „We Shall Overcome" singen. Mit dieser Aktion wollen die jungen Leute gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft protestieren. (Über die Aktivitäten der Gruppe, den Aufruf und die Folgen berichtet Johanna Kalex im Zeitzeugen-Interview.)
Der Staat ist äußerst beunruhigt. Ohnehin ist die Situation angespannt: Es hat sich eine starke Schwerter-zu-Pflugscharen-Bewegung entwickelt, und landesweit fordern Friedensgruppen die Einführung eines Sozialen Friedensdienstes. Man befürchtet zu Recht, dass viele Menschen dem Aufruf nach Dresden folgen werden. Johanna Kalex wird verhaftet, verhört und körperlich massiv bedroht. Doch ihre Eltern und die Kirche stehen zu ihr und wenden Schlimmeres ab.
Um die Menschen von der Demonstration auf der Straße abzulenken, öffnet die Kirchenleitung am 13. Februar die Dresdner Kreuzkirche zu einem Friedensforum. Doch die Demo wird ein voller Erfolg: Fast 8.000 Menschen aus der ganzen DDR pilgern in dieser Nacht erst ins Friedensforum in der Kreuzkirche und dann zur Dresdner Frauenkirche. Dort stellen sie Kerzen auf und legen Blumen nieder. Selbst die Westpresse ist vor Ort. Der Schweigemarsch ist eine der größten Aktionen der Friedensbewegung in der DDR.
Zitierempfehlung: „Dresden und die Gruppe Wolfspelz", hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145413
Ein Freund von mir, der war in Polen bei einer von der katholischen Kirche organisierten Friedenswallfahrt, hat erzählt, dass sie, ich glaube in Krakau, ein großes Kreuz aus Kerzen auf die Straße gestellt haben und Friedenslieder gesungen haben. Das fand ich ganz toll und symbolträchtig. Ich habe gedacht, das könnten wir auch mal machen. Ich bin nach Hause gegangen und habe mit der alten Schreibmaschine meines Papas erstmal zwölf Flugblätter geschrieben: Die Leute mögen sich doch am 13. Februar an der Ruine der Frauenkirche treffen, Kerzen aufstellen und ́We shall overcome` singen. Es stand noch drauf, dass wir uns von der Polizei nicht kirre machen lassen und eben unser Ding durchziehen sollen. Offensichtlich war mir schon bewusst, dass es Ärger geben kann.
Ich bin los gezogen und habe elf, zwölf von den Flugblättern schon verteilt, bevor ich bei dem Freund überhaupt angekommen bin. Der fand das auch ganz Klasse, und wir haben angefangen, wie die Wilden, mit Durchschlägen an der Schreibmaschine, diese Flugblätter zu vervielfältigen. Ich bin mit meinen Hippieklamotten und einem Henkelkörbchen durch Dresden gelaufen und habe die Flugblätter verteilt. Auch auf dem Bauernmarkt. Dabei habe ich mich von allen Seiten von der Stasi fotografieren lassen. Ich habe mir da irgendwie keinen Kopf gemacht. Das war so ein Grundgefühl, was ich in der Zeit hatte: Mir kann nichts passieren. Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin, aber ich fühlte mich so stark, mit meinen nun inzwischen 17 Jahren, dass ich irgendwie dachte: Nichts kann schief gehen.
Ich bin festgenommen worden, ich bin verhört worden. Ich glaube, beim ersten Mal waren es sogar 17 Stunden. Das war richtig lange. Ich habe erst bestritten, dass ich es war, habe gesagt, dass ich die Flugblätter nur abgeschrieben habe, weil ich das von jemandem bekommen habe. Ich habe eine Person erfunden, von der ich das bekommen hätte: junger Mann, Anfang 20, lange blonde Haare und Parka, so wie sie alle aussahen. Ich habe irgendwann zugegeben, dass sie eine Beweislast hatten. Ich musste es zugeben, ich war an einem Punkt, wo ich auf einmal überfordert war, wo ich gemerkt habe: Es ist doch nicht so, dass mir nichts passieren kann.
Die verschiedensten Vernehmer haben verschiedenste Dinge getan. Bis dahin, dass ich geschlagen wurde. Ich habe eine Ohrfeige bekommen und musste ewig mit der Lampe im Gesicht da sitzen. Die haben erzählt, dass mein Vater seinen Job verliert. Der war Lehrer zu dem Zeitpunkt. Einer hat mir erzählt, ich würde für das, was ich gemacht habe, elf Jahre in den Knast gehen. Das sind schon Sachen, wenn man 17 Jahre alt ist ...
Man kann ja nicht einordnen, was realistisch ist und was nicht. Sie haben mich nie aufs Klo gehen lassen, stundenlang bei den Vernehmungen. So Kleinterror, wo man immer nervöser wird, weil man einfach mal muss. Da habe ich mich schon unter Druck gesetzt gefühlt. Das war auch wirklich ein Punkt, bei dem ich Angst gekriegt habe. Wo ich mich an die Kirche gewandt habe, an Christoph Ziemer, der war ja zu dem Zeitpunkt Sup[erintendent] in Dresden. Zu dem bin ich über einen Freund vermittelt worden und habe gesagt: ́Okay, ich war das und komm jetzt nicht mehr klar damit`. Und ich habe auch Hilfe bekommen.
Johanna Kalex, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de