1. die ideologiekritische Analogisierung:
Irgendwie funktioniert Sexismus wie Rassismus, quasi als
Sonderform oder als Nebenwiderspruch. Man könnte diese Variante auch als
Entlarvungsdiskurs bezeichnen. Er kritisiert die Stereotypen von
„Rasse“ und „Geschlecht“ aus aufklärerisch-
universalistischer Perspektive und wittert überall dort, wo von
Besonderheit, Verschiedenheit oder - noch schlimmer - Differenz die Rede ist,
Rassismus und Sexismus. Die in diesem Zusammenhang auftauchenden Formel von der
„Naturalisierung sozialer Verhältnisse“ oder der „sozialen
Konstruktion“ werden dabei meist im Sinne von Schein oder falschem
Bewußtsein eingesetzt - ich gehe später auf dieses
(bewußtseinsphilosophische) Mißverständnis ideologie- und
diskurstheoretischer Ansätze noch genauer ein.
Der Entlarvungsdiskurs hat innerhalb der Linken zu einer Form von
pauschaler Kritik geführt, die keinen Unterschied mehr macht zwischen
Multikulturalismus und Ethnopluralismus und ebenso nicht mehr differenziert
zwischen feministischen Theorien über sexuelle Differenz und konservativen
bzw. rechten Geschlechterideologien (so z.B. der von konkret geplante Titel
einer Feminismus-Sektion: „Die deutsche Frauenbewegung - ein etwas anderer BDM?“)(1).
2. die essentialistische Unterscheidung, die innerhalb der Linken eher dominiert:
Wird auf einer allgemeineren Ebene von der Analogie ausgegangen,
tauchen, sobald man sich dem Phänomen „Geschlecht“ nähert,
essentialistische Argumentationen auf, nach dem Muster: „Rassen“ gibt
es nicht, „Geschlechter“ schon, was sich bereits darin
ausdrückt, daß man von Rasse nur in Anführungszeichen redet,
die Kategorie Geschlecht dagegen selbstverständlich zu sein scheint(2).
Ich gebe zwei Beispiele, beide von Theoretikern, die ansonsten ideologie- bzw. diskurstheoretisch argumentieren, sobald es um „Geschlecht“ geht, jedoch auf Natur, Biologie und ähnliches rekurrieren. Das erste findet sich in einem Text von Wolfgang Fritz Haug (Argument-Mitherausgeber), in dem er über Anti-Rassismus nachdenkt und dabei auch ein paar grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Rassismus und Sexismus anstellt: „Das Komplementär-Verhältnis der beiden Geschlechter findet bei den unterschiedlichen Phänotypen von Menschen, die der Rassismus zu ‘Rassen’ totalisiert, keine Entsprechung ... weil ... die beiden Geschlechter gerade in ihrer ‘Differenz’ unmittelbar aufeinander verwiesen sind, was als ‘natürliches Gattungsverhältnis’ etwas anderes ist als ein bloßer Unterschied und insofern mit dem Verhältnis unterschiedlicher ‘Rassen’ nicht verglichen werden kann ...“ (Haug: 1992, 38). Das „natürliche Gattungsverhältnis“ bezieht sich auf Marx, den Haug im Anhang ausführlich zitiert: „Das unmittelbare, natürliche, notwendige Verhältnis des Menschen zum Menschen ist das Verhältnis des Mannes zum Weibe.“ Während also für Haug „Rassen“ erst durch den Rassismus konstruiert werden, entspringt dei Sexismus umgekehrt unmittelbar gegebenen Grundlage der auch für ihn „natürlichen“ und „notwendigen“ Heterosexualität. Dabei ist Haug sicher nur einer von vielen ehemaligen Marxisten, die zwar ausgiebig den Ökonomismus der Marxschen Theorie kritisieren, deren naturalistische Vorstellung von Materialismus aber noch immer in dieser Tradition steht. Besonders deutlich wirkt dieses Erbe des Marxismus dort nach, wo es um die Frage des Geschlechterverhältnisses geht. Und das betrifft nicht nur „alte“ Neue Linke wie Haug, sondern auch „neue“ Neue Linke.
Ein anderes Beispiel: Robert Miles, ein britischer
Rassismus-Theoretiker, sieht die Verknüpfung von Rassismus und Sexismus
darin, daß „die biologische Reproduktion ja die entscheidende
Grundlage für die Reproduktion der ‘Rasse’ abgibt“ (Miles:
1991, 365). Miles argumentiert ansonsten mit der Unterscheidung von sex und
gender (biologisches/soziales Geschlecht), was ihn aber - bezeichnenderweise -
nicht davon abhält, den Begriff der Reproduktion, wie auch Haug, an das
„biologische Geschlecht“ (sex) zu knüpfen. Beide reißen
damit die generative Reproduktion aus ihrem sozialen Zusammenhang und stellen
sie in den Horizont einer imaginären Natur, statt sie als soziale Praxis zu begreifen.
Die Annahme einer jeden Gesellschaft vorgängigen
„natürlichen“ Reproduktion macht zugleich die Zurückweisung
eines der Kategorie „Rasse“ entsprechenden Substrats fragwürdig,
denn: wenn sich (nationale) Gemeinschaften über die „Biologie“
reproduzieren, dann fragt sich doch, welcher Art das hier Reproduzierte sein soll, wenn nicht „biologisch“.
DER MYTHOS DER GENEALOGIE
Meine These ist, daß, wenn die Kategorien „Geschlecht“ und
„Reproduktion“ in der linken Theoriebildung weiterhin in dieser Weise
essentialistisch fundiert werden, dies auch die Kritik von Rassismus und
Nationalismus an einem zentralen Punkt verstellt, den ich mit dem Begriff der
Bevölkerungspolitik im folgenden nur andeuten möchte.
Der symbolische Kern der Idee der „Rasse“, der es
ermöglicht, die Individuen zu einem homogenen „Volk“
zusammenzuschließen, ist das Schema der Genealogie, d.h. die Vorstellung,
daß die Verkettung der Individuen dazu führt, daß jede
Generation der anderen eine biologische oder geistige Substanz übermittelt
- biologisch oder geistig, weil die essentialistische Vorstellung eines
gemeinsamen „Ursprungs“ sowohl biologistisch als auch kulturalistisch
artikuliert sein kann (wie z.B. im Topos der „deutschen
Kulturnation“). Die Grundlagen, über die dieses Schema auf die
imaginäre Gemeinschaft des „Volkes“ projiziert werden kann, sind
zum einen das System der Heterosexualität, d.h. die Normierung des
sexuellen und generativen Verhaltens der Menschen im Sinne einer Verschmelzung
von Sexualität und Fortpflanzung sowie jener Prozeß der Durchsetzung
einer bestimmten Norm des Zusammenlebens, den Balibar als
„Nationalisierung der Familie“ bezeichnet hat – also die
Durchsetzung der bürgerlichen Kleinfamilie, deren Zerfall derzeit von
Konservativen bis hin zu Linksliberalen wie Leggewie beklagt wird. Hier liegt
ein historischer Nexus von Rassismus und Sexismus und zugleich ein Grund
dafür warum es kaum rassistische Diskurse gibt, die nicht sexuell
überdeterminiert wären, warum die ideologische Konstruktion der
„rassischen“ Differenzen über Metaphorisierungen der „sexuellen Differenz“ erfolgt.
Der Rassismus ist in dieser Hinsicht als Produktionsweise zu begreifen,
als Form der Herstellung von Homogenität - und die für das
Geschlechterverhältnis zentralen Fragen der Reproduktion, der
„Familie“ und der „Mutterschaft“ erhalten hier
entscheidende Bedeutung. (Gerade dieser Zusammenhang wird aber von den meisten
Rassismus-Theorien entweder weitgehend ignoriert oder gar affirmiert. Eine
einsame Ausnahme stellen Balibars Überlegungen zum Konnex
Rassismus/Sexismus dar, auf die ich mich hier u.a. stütze.) Daß es
kaum rassistische Diskurse gibt, die nicht in irgendeiner Weise von
sexualisierenden Metaphern durchzogen sind, heißt jedoch nicht, daß
beide Phänomene einfach zu analogisieren oder aufeinander abzubilden
wären. Im Gegenteil: Um die Pro- duktion und Reproduktion der nationalen
Gemeinschaft sozial und nicht essentialistisch bestimmen zu können, ist es
vielmehr nötig, Rassismus und Sexismus zu unterscheiden. Erst dann
läßt sich ihr Zusammenwirken und ihre gegenseitige Verstärkung beschreiben.
Ein grundlegender Unterschied besteht darin, daß als dominantes
Prinzip des Sexismus zunächst der Einschluß der Frauen, ihre
Unterordnung innerhalb der rassisch und national gekennzeichneten
Gemeinschaften bestimmt werden kann, während das dominante Prinzip des
Rassismus die Ausgrenzung ist. Formen des Einschlusses der „Anderen“
- wie Assimilation und Minorisierung sind Effekte dieses - Ausschlusses von der
Gemeinschaft, Effekte der Spaltung des „Eigenem“ vom
„Fremden“; wie andererseits Formen des Ausschlusses von Frauen
(historisch vom Wahlrecht oder in Form ihrer Benachteiligung auf dem
Arbeitsmarkt etc.). Effekte ihrer Unterordnung im Einschluß sind (s.d.
Eichhorn 1992). ln diesem Kontext stellt nun die Bevölkerungspolitik ein
Dispositiv dar, über das die sexistische Einschließung und die
rassistische Ausgrenzung gleichermaßen reguliert werden.
In der Bevölkerungspolitik der BRD, wie sie sich etwa in der
Neuregelung des Paragraphen 218 darstellt, in deren Zentrum der „Schutz
des Lebens“ steht, ist die Artikulation einer rassischen/nationalen
Gemeinschaft implizit immer vorhanden. Zuweilen wird sie auch explizit, etwa
wenn rechtspopulistische Politikerlnnen den Rückgang der „deutschen
Geburtenrate“ beklagen oder wenn Fromme in der FAZ den
„volkserzieherischen“ Charakter des Karlsruher Urteils betont.
Mit dem Begriff der Bevölkerungspolitik meine ich aber nicht nur
den §218, sondern prinzipiell alle Praktiken und Diskurse, die auf
die soziale Reproduktion der nationalen Ge- meinschaft zielen, also z.B. auch
arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nach dem Muster „Deutsche
zuerst“. Dabei stellt allerdings die Normierung des generativen und
sexuellen Verhaltens der Individuen eine zentrale Ebene dar. Zum Dispositiv der
Bevölkerungspolitik gehören nicht nur die staatlichen Einrichtungen
des Standesamtes und des Erbrechts, die demographischen Techniken zur
Geburtenkontrolle und zur Messung der Bevölkerung (also auch jene
Statistiken, die die sogenannte „Überfremdung“ der Deutschen so
anschaulich illustrieren), gesundheitspolitische und medizinische
Maßnahmen etc., dazu gehört auch die scheinbar private Ebene der
sexuellen Praxen und des Heiratsverhaltens der Individuen. Die Normierung
erfolgt nicht nur von „oben“, vielmehr basiert sie
größtenteils auf der Grundlage der freiwilligen Unterwerfung der
Individuen unter die nationale Gemeinschaft - wie z.B. dann, wenn eine Frau
ihrer Tochter nahelegt, sich nicht mit einem Türken einzulassen.
Um die Vorstellung einer ursprünglichen Gemeinschaft der Deutschen
anzugreifen, ist es nötig, den Begriff der Reproduktion nicht selbst
essentialistisch aufzuladen - wie es etwa geschieht, wenn kritisiert wird,
daß der Rassismus der BRD auf eine „Reinhaltung der Deutschen“
ziele, als hätte es etwas „Reines“ je gegeben. Das „reine
Deutsche“ muß vielmehr immer erst hergestellt werden, und hier
spielt der Sexismus, die Unterordnung der Frauen innerhalb ihres Einschlusses
in die nationale Gemeinschaft, eine zentrale Rolle - weshalb übrigens das
Motto „Etwas Besseres als die Nation“ auch als Minimalforderung für Feministinnen gelten kann.
RASSISMUS OHNE RASSEN - SEXISMUS OHNE SEX?
Zum letzten Punkt. Ich habe mich gefragt, wieso viele vom „Rassismus ohne
Rassen“ reden, es aber vermutlich auf größeren Widerstand
stoßen würde, von einem „Sexismus ohne Sex“ zu reden. Mir
fiel in diesem Zusammenhang eine Formulierung in einem Papier des Hamburger
Wohlfahrtsausschusses auf, die mir die Verfahrenheit der Kontroverse um
Essentialismus oder Kon- struktivismus schlagartig zu beleuchten schien, als
ich versuchte, den Begriff „Rasse“ einmal probehalber durch
„Geschlecht“ zu ersetzen. Die Formulierung lautet: „Weil es
menschliche Rassen nicht gibt, sprechen wir von einem Ras- sismus ohne Rassen.
Rassen werden sozial konstruiert“ - die andere Version würde lauten:
„Weil es menschliche Geschlechter nicht gibt, sprechen wir von einem
Sexismus ohne Sex. Geschlechter werden sozial konstruiert.“ Meine
Vermutung ist, daß diese Formulierung für viele, die der ersten
Version („Menschliche Rassen gibt es nicht“) uneingeschränkt
zustimmen würden, unglaubwürdig klingt (abgesehen davon, daß
sich „sex“ nicht übersetzen läßt). Warum?
Weil es gerade diese Evidenz der Kategorie Geschlecht ist, über die
der Sexismus funktioniert. Mit Evidenz meine ich die scheinbare
Selbstverständlichkeit, mit der Individuen als Frauen oder Männer
identifiziert werden und sich selbst identifizieren, ein Vorgang, der im
Gegenteil hochgradig voraussetzungsreich und - eben - „sozial
konstruiert“ ist, so daß diese Evidenz nicht als Grundlage, sondern
vielmehr als Effekt der Bedeutungskonstitution von „Geschlecht“ zu
verstehen ist. Als Effekt auch der zu ihrer Reproduktion immer wieder
notwendigen Anerkennung der bestehenden Geschlechterverhältnisse.
Und diese Evidenz gilt ebenso für die Kategorie der
„Rasse“ - der aufklärerische Hinweis darauf, daß die
Wissenschaft die Vorstellung von biologischen Rassen widerlegt hat, hat noch
keinen Rassisten davon abgehalten, genau zu wissen, wen er angreift. Denn
für die Individuen, die als „Rasse“ identifiziert werden und
sich zum Teil selbst identifizieren, ist es ziemlich egal, ob die Biologie oder
der Diskurs, Natur oder Kultur als Erklärungen dafür herangezogen
werden, daß sie ausgegrenzt, stigmatisiert oder verbrannt werden. Die
scheinbar „objektive“ (natur)wissenschaftliche Widerlegung aber
hatten die Autoren im Kopf, als sie den Satz formulierten: Menschliche Rassen
gibt es nicht. Und dies scheint mir auch ein Grund dafür, daß viele
Linke selbstverständlich „Rasse“ für „fiktiv“
halten, bei „Geschlecht“ jedoch argumentieren, daß es sich hier
doch zweifellos um einen „grundlegenderen Unterschied“ oder eine
nicht zu leugnende „Tatsache“, kurz um eine „Realität“
handle. Meine Vermutung ist, daß, wenn die Formulierung „Rassismus
ohne Rassen“ in dieser ideologiekritischen Weise eingesetzt wird, also im
Sinne von „Wie uns die Wissenschaft gesagt hat, gibt es menschliche Rassen
nicht“, im Hintergrund immer noch eine naturalistische Vorstellung von
Materialismus steht, die Materialität nicht über die soziale Praxis,
sondern als Gegebensein denkt und letztlich dem hegemonialen biologischen
Diskurs verhaftet bleibt. Und diese Vorstellung tritt vorzugsweise dann zutage,
wenn es um „Geschlecht“ geht.
So wird zwar einerseits viel von Diskurstheorie bzw. -analyse und von
der performativen Funktion diskursiver Praktiken geredet, dennoch existieren
auf der anderen Seite weiterhin naturalistische Vorstellungen von
Materialität. Ich denke, daß dies nur dann möglich ist, wenn
man die diskurs- oder ideologietheoretischen Ansätze
bewußtseinsphilosophisch mißversteht und den in diesem Kontext
verwendeten Begriff der ideologischen Konstruktion mit „falschem
Bewußtsein“ übersetzt. Das hiermit verbundene dichotome Modell
von Basis und Überbau, von „harten Fakten“ und
„ideologischem Schein“ (Sein vs. Bewußtsein, Realität vs.
Fiktion etc.) versuchen diese Ansätze gerade zu verlassen, indem sie
Sprache selbst als soziales Verhältnis fassen, das Realität nicht
einfach „abbildet“, sondern selbst konstruiert. „Rasse“ und
„Geschlecht“ sind in diesem Sinne real, gerade weil sie ideologisch
konstruiert sind. Ich verstehe Ideologie hier als „imaginäres
Verhältnis der Individuen zu ihren realen Existenzbedingungen“
(Althusser). Dieses „imaginäre Verhältnis“ ist nicht
einfach eine innerliche Vorstellung, vielmehr ist es eingelassen in
institutionelle regulierte Praktiken, die die diskursiven Konstruktionen von
„Geschlecht“ und „Rasse“ materialisieren - wobei
Materialität nicht als Essenz, sondern als soziale Praxis und als
Herrschaftsverhältnis, mithin als „Materialität der
Zeichen“ (Volosinov) zu verstehen ist. Ideologie und Praxis sind dabei
nicht zu trennen, sie bilden einen unauflösbaren Zusammenhang.
In diesem Sinne davon auszugehen, daß die Kategorie Geschlecht von
ihrer diskursiven Konstruktion nicht zu trennen ist, heißt nicht, zu
behaupten, daß Diskurse die Wirklichkeit hervorbringen. Es bedeutet
nicht, die „Materialität des Körpers“ zu verleugnen - ein
Vorwurf, der vor allem in der feministischen Diskussion den sog.
KonstruktivistInnen oft gemacht wird (s.d. Butler 993). Es heißt
lediglich, davon auszugehen, daß „Geschlecht“ von Anfang an
eine normative Kategorie, ein „regulatives Ideal“ (Foucault) ist, und
die Vorstellung, man könnte eine „wertfreie Geschlechtsnatur“
fixieren, die erst nachträglich kulturell überformt wird, verkennt,
daß damit immer eine bestimmte soziale Formierung von Materialität,
eine bestimmte Normierung der Körper festgeschrieben wird (z.B.
Heterosexualität). Aus dieser Perspektive er- scheint auch die Trennung
von sex und gender, von „biologischem“ und „sozialem
Geschlecht“ unzureichend, denn: Wo ist die Grenze zu ziehen? Ist die
Dichotomie von Natur und Kultur nicht gerade die flexible Matrix, über die
der Sexismus (wie auch der Rassismus) funktioniert - nicht nur, indem Natur als
unveränderliches Gegebensein und Kultur als veränderliches
Geworden-sein konstituiert wird, sondern auch, indem umgekehrt Kultur wiederum
„naturalisiert“, d.h. als Unveränderliches fixiert werden kann?
Wenn man Balibars These vom „Rassismus ohne Rassen“ so
versteht, wie er sie einsetzt, nämlich als rhetorischen Hinweis auf eine
Verschiebung der dominanten rassistischen Artikulationsweisen hin zu einem
kulturalistischen Neorassismus, ließe sich die Analogie (Sexismus ohne
Sex) in verschiedener Hinsicht weitertreiben:
So wäre zum einen, vergleichbar dem in der aktuellen
Rassismustheorie diskutierten Substitutionsverhältnis der Kategorien
„Rasse“ und „Kultur“, ebenso von einem gegenseitigen
Determinierungsverhältnis der Begriffe sex und gender auszugehen. Auch
hier könnte man von einer „Ambivalenz des Sexismus“ reden, wie
Balibar sie für den Rassismus feststellt: einem ständigen Changieren
zwischen biologistischen und kulturalistischen Artikulationen von
„Geschlecht“. Ebensowenig wie rassistische Aussagen explizit von
„Rasse“ reden müssen, müssen sexistische vom
„biologischen Geschlecht“ reden.
Meiner Ansicht nach ist zweitens auch hinsichtlich des Sexismus eine
Verschiebung der dominanten Artikulationsweisen zu beobachten: ähnlich wie
beim Neorassismus sind in die aktuellen Formen des Sexismus feministische
Argumentationen eingegangen, gibt es Retorsionseffekte und eine Verschiebung
hinzu kulturalistischen Artikulationen. Vorherrschendes Thema ist nicht mehr
die Inferiorität der Frau, sondern ihre Andersartigkeit. Der sexistische
Universalismus, der Mensch sagt und Mann meint, tritt zurück hinter dem
sexistischen Partikularismus, der die Unterschiede betont. Insofem könnte
man auch von einem Neosexismus reden - der aus Feminismus und Antifeminismus
gelernt hat - und dessen zentrales Thema nicht mehr die Überlegenheit des
Mannes ist, sondern der sich darauf „beschränkt“, die
„Schädlichkeit jeder Grenzverwischung“ und die
Komplementarität und Unvereinbarkeit der Geschlechter zu behaupten(3).
Die gegenwärtige Situation erscheint paradox: Einerseits sind viele feministische Themen in den gesellschaftlichen Konsens eingegangen und selbst die CSU kann es sich heute nicht mehr erlauben, das „Frauenthema“ auszulassen, andererseits lassen sich verschiedene Entwicklungen der letzten Jahre, wie die ideologische Refamiliarisierung oder die Entscheidungen zum [[section]] 218, nur als „backslash“ begreifen. Ideologisch funktioniert dieser sexistische Gegenschlag jedoch nicht einfach nur über antifeministische Argumentationen, vielmehr finden sich darin auch Versatzstücke aus feministischen Diskussionen, vor allem solche, die die „Geschlechterdifferenz“ betonen. Wenn meine These vom Neosexismus, der selbst universalismuskritisch argumentiert, zutrifft, stellt sich u.a. die Frage, inwiefern der Differenz-Feminismus der 80er Jahre an der Verschiebung der Artikulationsweisen beteiligt war, indem er die andere „weibliche“ Moral, Sprache, Sexualität etc. beschwor und dabei gängige Weiblichkeitsstereotypen affirmierte. Das soll nicht heißen: der Feminismus ist an allem schuld - das liefe auf eine Verkennung der Machtverhältnisse hinaus. Allerdings ist nun, im Unterschied zur Situation Ende der 60er Jahre, von einer qualitativ anderen Stufe feministischer Theorie und Praxis auszugehen: ihrer gegen Ende der 70er Jahre einsetzenden und während der 80er Jahre voran getriebenen Institutionalisierung, Akademisierung und Etatisierung. Gleichzeitig wurde nicht erst mit dem Ausbleiben einer radikalen Kritik am Karlsruher Urteil deutlich, daß es eine Frauenbewegung nicht mehr gibt. Feministinnen, die an der Kritik des Geschlechterverhältnisses festhalten, sehen sich nun nicht mehr allein vor die Aufgabe gestellt, (Neo-)Sexismus und Antifeminismus anzugreifen, zugleich sind sie zur Kritik dessen gezwungen, was derzeit unter den Etiketten „Feminismus“ und „Frauenpolitik“ läuft.
Anmerkungen:
(1) Gegen den „multikulturellen Rassismus“ führten die „Ökolinken“ (Ditfurth u.a.) in Frankfurt ihren Wahlkampf gegen Rot-Grün und erklärten dabei Daniel Cohn-Bendit zum Hauptfeind. Gleichsetzungen von Cohn-Bendit und Alain de Benoist sind hier üblich. Es wird nicht mehr analysiert, in welcher Weise jeweils „Differenz“ artikuliert ist (multikulturalistisch als „Recht auf Differenz“ oder ethnopluralistisch als „Pflicht zur Differenz“?), sondern draufgehauen, sobald bestimmte Begriffe auftauchen.
(2) Obwohl es auch hinsichtlich der Kategorie „Rasse“ essentialistische Positionen gibt, wie nicht erst Christoph Türcke auf dem Konkret-Kongreß offenbarte, indem er den Rassebegriff affirmativ einsetzte und eine, scheinbar durch ihre kapitalismuskritische Pointe für viele akzeptable „Rassenlehre“ vortrug. In diesem Kontext sei auch auf die „rousseauistische“ Traditionslinie der Linken verwiesen, d.h. auf jene Zivilisationskritik, die sich in ihrer Bezugnahme auf „Natur“ nicht selten als Exotismus gegenüber den „Anderen“ (wie auch gegenüber der „Frau“) äußert, insofern mit ihrer größeren Nähe zur Natur, mit ihrer geringeren „Entfremdung“ etc. argumentiert wird. Das Genre der Zivilisationskritik funktioniert nicht zufällig oft als bevorzugtes Feld für Positionswechsel von links nach rechts.
(3) Ein eindrucksvolles Beispiel für diese Verschiebung und den Einsatz feministischer Argumentationen bietet die gerade erschienene „Schering-Frauenstudie“, durchgeführt vom Allensbacher Institut für Demoskopie. Die „Frauen in Deutschland“ sind der Untersuchung zufolge recht zufrieden mit ihrer Situation. In der Einführung wird dies folgendermaßen erklärt: „Der Erfolg der Emanzipationsbewegung wurde oft einseitig danach bemessen, wie weit es Frauen gelungen war, mit Männern gleichzuziehen, gemessen an der Repräsentanz in verantwortlichen Positionen, in Ausbildungsgängen und Berufen, in den Interessensgebieten und Einstellungen. Unterschiede zwischen Männern und Frauen, z.B. in den Interessensgebieten und bei der Berufswahl, wurden entsprechend meist als zäh weiter bestehende Defizite interpretiert ... Erst allmählich wurde bewußt, daß diese Sichtweise männliche Einstellungen, Interessen und Lebensmuster zum entscheidenden Maßstab für ...“